Tag 13: 26.10.2023 —> Kalabrien, ich muss raus aus der Stadt

Ich habe uns für heute nur einen kurzen Weg ausgesucht, um Pedro eine Pause zu gönnen. Für den frühen Vormittag ist Regen angesagt, so dass ich den Wecker auf acht Uhr stelle. Ich mache mich in aller Ruhe fertig. Ich fülle vier Tagesportionen  Hundefutter in je einen Kotbeutel ab; zum einfacheren Handling aber auch, um das stark riechende Zeug geruchsfest verschließen zu können. Andernfalls stinkt alles im Rucksack einschließlich der Kleidung nach Hundefutter. So beschäftige ich mich, bis es aufhört zu regnen. Um zehn ist es soweit, wir brechen auf.

Pedro ist nicht begeistert, durch die Stadt angeleint zu laufen. Obwohl wir zunächst hoch zur Burg über Treppen und Fußwege gehen, und nicht durch Autoverkehr gehen müssen. Die Burg ist noch nicht einmal aus der Straßenperspektive ein Fotomotiv. Wenn sie nicht bald restauriert wird, zerfällt sie zu einer Ruine, vielleicht ist sie das bereits und man versucht den Anschein zu erwecken, es handele sich um ein intaktes Gebäude. Kaum sind wir oben, fängt es an zu nieseln, während im Tal die Sonne scheint. So bildet sich ein gut sichtbarer Regenbogen.

So schön der Regenbogen auch ist, mir wäre trockenes Wetter lieber

Jetzt müssen wir runter vom Berg raus aus der Altstadt in den neuen und modernen Teil Consenzas. Die Stadt zieht sich weit entlang des Tals. Einen großen Teil müssen wir durchwandern, bis wir endlich nach Westen in die Berge abbiegen können.

Obwohl Consenza eine sehr schöne moderne und üppig angelegte Fußgängerzone hat, will Pedro einfach nicht mit. Er verweigert sich; es scheint, alles macht ihm Angst und ich fühle mich absolut hilflos. Ich versuche ihn zu motivieren, ich schimpfe ihn. Nichts hilft. Am Ende ziehe ich ihn mehr hinter mir her, als dass er läuft. Das verbessert sich, als wir in ruhigere Vorstadtbereiche kommen und ändert sich erst wirklich, als wir die Stadt hinter uns haben. Wie hatte ich mich auf Consenza und das Treiben der Stadt gefreut. Nun kann ich es gar nicht erwarten, aus der Stadt wieder raus zu kommen. Mir tut Pedro unendlich leid aber ich kann ihn ja nicht aus Consenza heraus beamen. Er muss da leider durch.

Consenza ein Stadt am Fluus, eingekesselt zwischen zwei Gebirgszügen

Am Rande der Fußgängerzone kehre ich zum Frühstücken in eine Bar ein. Wir setzen uns draußen unter ein Vordach. Kaum habe ich meinen Cappuccino, fängt es heftig an zu regnen, obwohl der Regen nach dem Wetterforecast um zehn hätte durch sein sollen. Also bleiben wir sitzen bis die Sonne wieder durch die Wolken durchlukt. Wir sind noch nicht bis zur Mitte der Fußgängerzone gekommen, als der Regen als Wolkenbruch zurück kommt. Ich fliehe in einen Schnellimbiss. Pedro ist nass und hinterlässt eine Wasserpfütze und ich fühle mich durchnässt trotz Regenjacke. Als der Starkregen zum Niesel wird, brechen wir zu Pedros Unmut wieder auf.

Consenza, eine moderne Stadt nicht nur wegen der Brücke, die so gar nicht zum restlichen Stadtbild passen will 

Nachdem wir Consenza hinter uns gelassen haben, fühlt sich Pedro trotz des schlechten Wetters deutlich besser und wir kommen nun endlich gut voran. Um kurz nach drei erreichen wir unser B&B in den Bergen in einem Haus, das sich seit mehr als 400 Jahren im Familienbesitz befindet. Äußerlich unscheinbar innen um so schöner. Das Haus ist liebevoll renoviert und eingerichtet. Sogar einen beheizten Pool gibt es im Garten, den mir der Besitzer stolz präsentiert. Bei dem Wetter reizt mich das Schwimmbad nicht. Neben den Zimmern gibt es einen mehrräumigen Aufenthaltsbereich mit einer Küche, zu der auch eine Espressomaschine zum Self Service gehört. Dort setze ich mich nach dem Duschen hin und lasse es mir gut gehen.

Pedro hat keine Lust, sich zu mir zu gesellen. Er liegt wie erschlagen auf dem Bett. Ich bin mir nicht sicher, ob er erschöpft oder beleidigt ist, weil ich ihn durch Consenza geschleppt habe. Ich muss das Morgen beobachten und mir ein Bild machen, ob Pedro den Weg weiter gehen kann oder wir zum Meer runter und mit dem Zug zurück nach Reggio Calabria fahren müssen. Sicher ist, Consenza hat Pedro nicht gefallen.

Tag 12: 25.10.2023 —> Kalabrien, ich muss in eine Stadt

Mich deprimieren die Touristenorte, die zumindest zu der jetzigen Jahreszeit völlig verlassen sind. Ich gebe zu, dass ich sehr froh bin, in den letzten drei Tagen ein Zimmer gefunden und bis auf gestern auch immer ein Abendessen bekommen habe. Es fühlt sich irgendwie komisch an, wenn ich in einem großen Hotel der einzige Gast im Restaurant bin und die Inhaberin ausschließlich für mich kocht. Gestern Abend auf der Suche nach einem offenen Restaurant bin ich durch einen dunklen Ort gelaufen. So stelle ich mir Orte vor, die im Krieg verdunkelt werden müssen.

Ich muss in eine Stadt mit Menschen auf der Straße, in Restaurants und in Bars: muss meine Seel wieder mit Licht erfüllen. Auf nach Consenza!

Wir laufen eine breite Straße, die niemand nutzt, hoch ins Skigebiet. Die Lifte gehen bis auf knapp 2.000 Höhenmeter. Schnee kann ich mir ehrlicherweise hier nicht wirklich vorstellen auch wenn die Temperaturen an manchen Tagen bereits recht frisch sind. Wir gehen aber tatsächlich auf Skipisten den Berg hoch. Schneekanonen sehe ich keine.

alles da: Skilift, Lifthäuschen, Pistenraupe

Auf schmalen Pfaden führt uns unser Weg durch die Wälder erst die Berge rauf und anschließend runter, runter, runter. Insgesamt 1.700 Meter müssen wir absteigen. Das geht ganz tüchtig in die Beine. Wassermangel herrscht definitiv nicht. Berg hoch kommt uns über Flüsse, Bäche und Rinnsale uns das Wasser entgegen. Berg ab rauscht das Wasser an uns vorbei. Pedro freut‘s. So kann er immer wieder frisches Wasser trinken und seinen Bauch kühlen, wenn er sich erschöpft fühlt von dem Suchen, Tragen und Verbuddeln von Ästen.

Einer der vielen Wasserläufe, den wir folgen

Dieser Ast war sein Liebling heute und hat ihn mehr als einen Kilometer getragen

Etwa zehn Kilometer vor Consenza kommen wir aus dem Wald in kleine Bergdörfer und müssen wieder auf Straßen laufen, die zwar kaum befahren sind. Trotzdem scheint das Pedro zu stressen. Er ist am Ende seiner Kräfte. Immer wieder setzt er sich und braucht eine Pause. Je näher wir Consenza kommen, um so befahrener werden die Straßen und um so unwilliger wird Pedro, zumal ich ihn etwa drei Kilometer vor Consenza an die Leine nehmen muss.

Der Herbst zaubert nicht nu bunte Blätter an die Bäume, er bringt auch immer wieder Regen

Noch einen Kilometer weiter gibt es einen großen Supermarkt. Dort muss ich unbedingt den Hundefutter kaufen. Ich habe heute Morgen die letzten Reste Pedro gegeben. Am Eingang des Supermarktes wirft sich Pedro regelrecht auf den Boden. Ich kaufe ein vier Kilopaket, da es an Trockenfutter für seine Größe keine kleineren Einheiten gibt und etwas an Nassfutter, um ihn zu motivieren. Ich bekomme kaum das Hundefutter in meinen Rucksack. Als ich die Pakete endlich eingepackt habe, erschreckt mich das Gewicht des Rucksacks. In Summe etwa fünf Kilo extra.

Kurz darauf kommen wir nach Consenza. Das B&B, das ich gebucht habe, liegt in der Altstadt. Die Altstadt zieht sich über 100 Meter den Berg hoch. Das B&B ist, das habe ich mir vor nicht klar gemacht, auf dem höchsten Punkt der Stadt. Ich kämpfe mich durch die engen modrigen Gassen hoch. Pedro muss ich mittlerweile hinter mir her ziehen. Er will nicht mehr.

 


Consenza, ein kleiner Ausschnitt

Kaputt wie wie ich bin, sehe ich nur die unschönen Seiten von Consenza. Die Fassaden verfallen, um viele Gebäude sind Bauzäune aufgestellt, da man nicht mehr gefahrlos passieren kann. Entsprechend sind einige Gassen vollständig gesperrt, so dass wir Umwege nehmen müssen. Es riecht nach Tod. Schlimmer als in Venedig hängt Morbidität in der Luft. War es das wert – eine solche Strapaze auf sich zu nehmen und den Hund „sauer“ zu laufen?

Ein Blick aus dem Fenster meines Zimmer

Ich habe Schwierigkeiten die Unterkunft zu finden. Ich bin exakt an an den GPS Koordinaten. Sehe aber das verdammte B&B nicht. Ich schicke über WhatsApp Bilder an die Wirtsleute, um mich führen zu lassen. tatsächlich bin ich nur auf der Rückseite des Gebäudes. Trotzdem bedarf es weiterer vier Messages, bis ich den Eingang finde.  Klar ist mir mittlerweile die Vermieter sind nicht hier. Denn ich bekomme zunächst einen Code für die Eingangstür und dann für die Zimmertür. Irgendwie kann ich das nicht leiden. Auf dem Land ok. Aber in der Stadt sollen die Gastgeber schon Vorort sein: vor allem warum fragen sie vorher, wann ich ankommen werde?

Mich regt das alles auf, weil ich am Ende meiner Kräfte bin und Pedro unwillig ist auch nur einen Mete zu gehen. Das Zimmer ist sehr schön. Nur fehlt es an Einrichtung. Es gibt nicht einmal einen Stuhl, auch keine Möglichkeit ein Handtuch oder meine gewaschene Wäsche aufzuhängen.

Erst nach dem Duschen versöhne ich mich wieder mit der „Welt“. Trotz der modernen Einrichtung und des schönen Bades werde ich, obwohl ich das vor hatte, keine zweite Nacht in Consenza verbringen. Das hat auch was mit der Altstadt zu tun. Die eigentliche Stadt mit der städtischen Infrastruktur ist im Tal. Ich habe keine Lust für alles immer erst einmal hundert Meter den Berg runter und anschließend hoch zu laufen. Auch kann ich Pedro schlecht in der Altstadt ausführen, nicht weil sich irgendeiner an einem pinkelte Hund stören würde aber Pedro ist nicht willig sich auf einer Straße zu erleichtern.

Zum Abendessen muss ich de; Berg runter. Ich bin noch nicht weit, komme ich an einer Salumeria vorbei. Draußen – quasi auf der Straße – ist ein Tisch voll besetzt mit jungen Leuten. Der Tisch quillt über von Käse, Wurst, Käse und Wein. Coole Musik spielt. Obwohl ich ein anderes Ziel hatte, kehre ich ein. Da der Abend kühl ist und es immer wieder geregnet hat, setzte ich mich drinnen an einen Tisch. Ich werde nett bedient. Es gibt einfache Speisen von der Theke. Ir schmeckst und für mich überraschend – wahrscheinlich aufgrund meiner Erfahrungen der letzten Tage, füllt sich das Restaurant bis auf den letzten Platz. Es werden immer wieder Weinflaschen geöffnet und mir wird immer auch ein „Probeschluck“ angeboten.

Satt und betüttelt von den Probierschlucken mache ich mich auf den Weg in mein Zimmer und frage mich, ob es klug war, schon für Morgen ein neue Unterkunft zu reservieren, auch wenn diese keine 15 Kilometer entfernt ist.

Tag 11: 24.10.2023 —> Kalabrien, von See zu See

Um 03:00 Uhr weckt mich Pedro. Er muss mal. Bevor wir ins Bett sind, habe ich ihn regelrecht vor die Tür ziehen müssen, da er wohl Angst hatte wieder laufen zu müssen. Der Toiletten Gang war entsprechend erfolglos. In der Nacht waren wir noch nicht richtig vor der Tür, die ich vor dem Zufallen sichern musste, um uns nicht auszuschließen, hat sich Pedro auch schon hingesetzt. Es wollte überhaupt nicht mehr aufhören. Ich wusste gar nicht, dass ein so kleiner Hund so eine große Blase hat.

Zum Frühstück werde ich bereits erwartet als ich in die Lobby komme. Die gesamte Familie ist fleißig und sorgt für Ordnung. Auch die Nonna, die mich gestern bei meiner Ankunft ignoriert hatte, grüßt fröhlich. Außerhalb des Hotels herrscht die selbe Verlassenheit wie gestern Nachmittag. Der Ort ist tot.

Wir müssen den See weitgehend umrunden und haben da schon über 15 Kilometer auf der Uhr. Teilweise ist die Promenade hübsch angelegt. Entweder hat die Saison starke Spitzen im Sommer und Winter und in den Zwischensaisons kommen keine Gäste oder die gesamte Region hat ihre Anziehungskraft auf Touristen völlig verloren.

Promenade entlang eines Stausees

Außer Bauern, die sich um ihre Tiere oder die Kartoffelernte kümmern treffe ich niemanden, trotz der Schönheit der Natur.

Bevor wir eine hohe Bergkette, um zum nächsten Stausee zu gelangen, überqueren müssen, still Pedro seinen Durst in einem Bach und kühlt seinen Bauch, das hat er besonders gern.

Darin fühlt sich Pedro wohl

Der Weg führt uns entlang eines Flusses. Von den Bergen links und rechts fließen kleine Bäche und Rinnsale in den Fluß. Die Zuflüsse laufen mal quer über den Weg oder fließen in Spurrinnen, die durch landwirtschaftlich genutzte Fahrzeuge entstanden sind, den Weg hinunter bis es für das Wasser eine Möglichkeit gibt, zum Fluß zu gelangen. Damit ist es oft großflächig matschig und wir bekommen schnell nasse Füße. Meine Hosenbeine sind bis zu den Oberschenkeln mit Dreck verschmiert.

In höheren Lagen wird es besser und meine Klamotten trocknen in der Sonne schnell ab. Kurz vordem Gipfel liegt eine merkwürdig aussehende Felsformation am Wegrand. Diese Felsbrocken passen so gar nicht in das sonstige Landschaftsbild. Diese Gesteinsart habe ich bisher nicht gesehen.

Ist das ein Gesicht in den Felsen?

Nach dem Auf kommt das Ab. Steil geht es runter auf den nächsten Stausee, der unser heutiges Ziel ist. In der Mitte des nördlichen Ufers gibt es einen Ort mit vielen Hotels und Restaurants. Ich habe, da ich in den Hotels kein Zimmer buchen konnte, ein Appartement reserviert.

Bis wir unser Tagesziel erreichen, müssen wir unterhalb der Staumauer und später direkt am See entlang laufen. Selten ist der Weg zu erkennen. Weidezäune müssen wir übersteigen, manchmal muss ich Pedro Unterboden Zäunen durchschieben. Das Ufer ist nicht befestigt. Es gibt an manchen Stellen kleine Strände mit Steinen aber auch Sand. An einem jage ich Pedro ins Wasser, damit er einigermaßen sauber in unserem Quartier ankommt.

Lago Arvo: der dritte und größte Stausee in drei Tagen

Neben den Stränden müssen wir zu meiner Überraschung durch eine Art Schwemmlandschaft. Es ist sumpfig und wir müssen sehr aufpassen, nicht darin zu versinken. Schließlich erreichen wir eine Straße, die uns nach Lorica hinein führt. Pedro wieder und ich immer noch schmutzig. Darin unterscheiden wir uns nicht von dem Ort.

Anders als ich erwartet hatte, waren die vielen Hotels nicht ausgebucht sondern sind zu. Reihenweise stehen Immobilien zum Verkauf. Viele davon sind baufällig und ich frage mich, wer sollte an solchen Häusern Interesse haben. Später muss ich feststellen, dass nicht nur die Hotels sondern auch die Restaurants zu haben. Ich muss mir doch tatsächlich eine Tütensuppe zubereiten, da es wirklich nichts gibt. Ein für die hiesige Gegend ein großer Ort, der ausgestorben ist. Düster.

Das beeinflusst auch meine Planung für Morgen. Ich will bis nach Cosenza, der Bezirkshauptstadt des Nord Westlichen Sila Gebirges. Ich buche bereits heute Abend ein B&B, um ein klares Ziel zu haben. 38 Kilometer und gut 1.000 Höhenmeter bedeutet das. Eine große Herausforderung.

Der stelle ich mich gerne, um wieder in die Zivilisation zu kommen. Auch muss ich dringend Hundefutter kaufen, das reicht nur noch für heute Abend und Morgen früh. Das Ziel ist nun klar. Pedro schläft seit wir angekommen sind neben mir und weiß noch nicht, was Morgen auf ihn zukommt.

Tag 10: 23.10.2023 —> Kalabrien, wir werden beobachtet

Der Start in den Tag gestaltet sich etwas zäh. Am Frühstücksbuffet steht zum Self Service eine Siebträger Maschine, wobei ein Kaffee-Pad in das Sieb gelegt werden muss. Ich brauche eine Weile, bis ich den Mechanismus verstanden habe. Nach dem ich das Pad eingelegt und den Siebträger geschlossen habe, suche ich unter den vielen Knöpfen, welchen ich betätigen muss. Da kommt eine nette Bedienung angerauscht und drückt für mich den Knopf. Da sie davon ausgeht, dass ich als Nicht-Italiener keine Ahnung habe, wie man Milch aufschäumt, will sie mir einen Cappuccino zaubern und mir die Milchaufbereitung vorführen. Dazu nimmt sie einen viel zu großen Gießer, der mindestens einen Liter fasst. Dann stellt sie fest, es ist kein Druck auf dem Milchaufschäumer: Wasser muss nachgefüllt werden. Also geht sie Wasser holen und füllt den Wasserbehälter auf. Die Maschine zeigt an, dass das Wasser nicht hinreichend heiß ist. Das interessiert die Bedienung nicht, obwohl ich sie darauf hinweise. Verzweiflung kommt auf. Sie wollte doch dem Ausländer mal zeigen, wie eine Italienerin einen leckeren Cappuccino macht. Die Milch schäumt nicht, sie wird nicht heiß. Sie tut allerdings als wäre alles perfekt. Elegant wird die noch immer kalte Milch in den mittlerweile kalten Kaffee gegossen. Ein Fiasko. Sie weiß nicht mehr, was tun. Ich nehme die Tasse und gehe an meinen Tisch, das kann sie nun nicht auf sich sitzen lassen. Ich will nur noch weg.

Pedro und ich machen uns fertig, während ich ein Croissant esse, das ich in meiner Verzweiflung vom Buffet mitgenommen habe. In der Hoffnung, dass bereits eine Bar in dem winzigen Ort auf hat, brechen wir auf. Tatsächlich öffnet gerade die Bar im „Zentrum“ und jetzt gibt es einen richtigen Café. Weil er so gut ist, trinke ich gleich noch einen zweiten. Jetzt kann es los gehen.

Villagio Mandrisio liegt auf 1.250 Meter. Wir bewegen uns zwischen 1.100 und 1.700 Höhenmeter und enden wieder auf 1.250 Höhenmetern in Caprara.

Ideales Wetter für Pilze: heute hätte ich für eine Großfamilie Steinpilze sammeln können

Trotz der Sonne bleibt es frisch. In den Bergen ist es bereits herbstlich kühl und es riecht modrig. Der Wald erstrahlt in klassischen Herbstfarben. Es ist eine Lust zu wandern auch Pedro ist hoch motiviert. Um elf legen wir, damit ich an einer Video-Konferenz teilnehmen kann, eine Pause von anderthalb Stunden ein. Obwohl ich in der Sonne sitze, kühle ich schnell aus und ich muss mir was warmes anziehen. Mal sitzt Pedro während des Calls an mich gekuschelt ebenfalls in der Sonnen meist geht er aber in den Schatten am Bach.

Pedro bevorzugt während einer Pause den Schatten, obwohl mir sogar in der Sonne kalt ist

Nach dem Meeting führt der Weg in ausladenden Serpentinen ins Tal. Das kürzen wir ab und folgen einem Bach. Was ich nicht bedacht habe, das Flüsschen sammelt sich, bevor es gemächlich weiter fließt in einem Teich. Diesen müssen wir weiträumig umlaufen, da es überall sumpfig ist und wir bereits ein paarmal nasse Füße bekommen haben. Wir erreichen eine Alm, die als Kuhweide genutzt wird.

Den Teich müssen wir weiträumig umgehen

Durch die Herde müssen wir durch. Pedro ist beeindruckt von den großen Tieren, gewöhnt sich dann doch erstaunlich schnell an die Anwesenheit der Rinder und ich ihn nicht anleinen muss. Wir werden von allen Kühen aufmerksam beobachtet. Sie halten immer einen Respektabstand und verziehen sich uns im Auge behaltend, wenn wir auf sie zukommen. Manche Kühe haben ein respekteinflösendes Gehörn.

Aufmerksam werden wir beobachtet

Der Bach hat sich, während er über die Alm langsam weiter Richtung eines Sees – Lago Ampollino – fließt, zu einem ansehnlichen Fluss entwickelt. Das Tal wird nach der Alm schmal. Mal müssen wir nun auf der einen, mal auf der anderen Seite des Flusses gehen. Wir kommen aufgrund des häufigen Querens des Wasserlaufs nur langsam voran. Unsere Füße sind nass, was Pedro nichts ausmacht. Er freut sich über den Weg und die Möglichkeit sich im Wasser abzukühlen.

Was für Hörner

Schließlich erreichen wir den großflächigen Bergsee. Jetzt drehen wir noch einmal auf. Es ist eben und wir folgen einer kaum befahrenen Straße bis nach Caprara, einem Wintersportort mit Skipisten und einer Bobbahn. Es gibt viele Hotels, die zu dieser Jahreszeit zumeist geschlossen sind. Der Ort wirkt wie ausgestorben. In einem einfachen Hotel bekomme ich ein Zimmer. Die Wirtsleute sprechen nur Italienisch und tuen sich schwer, mit mir zu kommunizieren, obwohl ich versuche, mich mit meinem simplen Italienisch verständlich zu machen. Auf einfache Fragen bekomme ich wortreiche Antworten, die ich nicht verstehe. Nach und nach kommen wir klar miteinander.

Lago Ampollino

Meine Ankunft verläuft etwas schräg. Ich komme ins Hotel und gehe an die Rezeption. Neben der Rezeption brennt ein Feuer in einem großen Kamin. Darüber hängt ein Fernseher, in dem eine Werbesendung läuft. Die Lautstärke ist maximal aufgedreht.

Die Rezeption ist nicht besetzt. Ich schaue mich einen Moment um. Dann kommt eine alte Frau aus dem dunklen Restaurant geschlappt, läuft auf den Kamin zu und setzt sich direkt vor das Feuer. Ich spreche sie an, doch sie schaut mich nicht an. Nimmt sie mich wahr?

Schließlich rufe ich die Telefonnummer an, die auf GoogleMaps angegeben ist. Schwierige Kommunikation. Die Dame am anderen Ende der Leitung legt nach kurzer Zeit auf. Ich werde wohl Generationen unabhängig ignoriert. Doch kurze Zeit später kommt der Hotelier. Ich bekomme ein Zimmer mit Frühstück und Abendessen. Nach dem einfachen und schmackhaften vor allem reichhaltigen Mahl sitzen wir alle vor dem Kamin, dem vermutlich einzigen warmen Ort. Die Familie taut auf und ich werde sehr nett aufgenommen. Nur die weiblichen Familienmitglieder tun sich schwer, mit mir zu sprechen.

Tag 9: 22.10.2023 —> Kalabrien, Kastanien und Wildschweine sind die Objekte der Begierde

Immer wieder sonntags ist die Landbevölkerung mit der Familie entweder am Sammeln oder auf der Jagd. Die Urinstinkte als Sammler und Jäger werden am Wochenende voll ausgelebt. Gestern musste aufgrund des schlechten Wetters ausfallen ergo konzentriert sich die Ausübung der gemeinsamen Leidenschaften auf den Sonntag.

Die meist männlichen Jagdgesellschaften waren heute sehr erfolgreich beim Abschuss von Wildschweinen. Es wurde überall rumgeballert und sich beglückwünscht sowie auf die Jagd angestoßen. Ich wußte schon gestern, als die beiden jungen Polizisten mich vor den Wildschweinen warnten, dass ich mehr Angst vor den Jägern haben muss. Spätestens ab Mittag kann von den Jägern keiner mehr ein Wildschwein von einem Hund unterscheiden.

Die weiblichen Familienmitglieder haben Kastanien zusammengeglaubt. Der Wald ist voller Kastanienbäume. Aber Kastanienbäume gibt es nicht nur im Wald sondern werden auch wie Olivenbäume in Plantagen angebaut.

Kastanienplantage

Ich frage mich, was die Leute mit den Kastanien und Wildschweinen machen. Auf der Speisekarte finden sie sich nicht weder Kastanien noch Wildschwein. Ganz anders als die Steinpilze, die es im Sila Gebirge nicht oder nicht mehr gibt. Auf Pilzesammler sind wir nicht gestoßen, die gibt es aber zum Abendessen.

Sonniger Tag: das Licht erhellt nicht nur den Weg auch die Seele

Die Landschaft im Sila ist weniger dunkel und abwechslungsreicher als bisher mit lichtdurchfluteten Waldgebieten, Flüssen und Seen. Da macht das Wandern, auch wenn es immer wieder steil bergab und anschließen noch steiler bergauf geht, richtig Freude. So machen wir gut 1.000 Höhenmeter gewinnen allerdings lediglich 400 Meter.

Künstlicher See mitten in den Bergen

In einem der Täler an einem reißenden Fluß liegt das Kloster Santuario della Madonna di Termine. Eine wunderschöne Anlage mit einem riesigen Gelände. Das war sicher mal ein sehr reiches Kloster, das heute verlassen wirkt. Ich treffe an einem Sonntag Morgen auf niemanden; es gibt nicht mal einen Gottesdienst.

Traumhaft schöne Klosteranlage mit weitläufiger Anlage an einem sprudelten Fluss

Wir übernachten heute in einem Spa-Hotel. Ich habe mich auf Sauna oder Dampfbad gefreut. Der Spa-Bereich besteht allerdings nur aus einem Schwimmbad das von Familien vollständig in Beschlag genommen ist. Schnell verziehe ich mich wieder auf unser Zimmer.

Wie schon gestern Abend kann man in den hiesigen Restaurants Gesellschaftsstudien durchführen. Gestern Abend war der komplette Querschnitt der ansässigen Gesellschaft vertreten. Das gilt heute Abend nicht. Ich bin sicher, wer heute in dem Hotelrestaurant zu Abend ist, hält sich für was besseres. Die meisten haben sich schick gemacht; unterhalten wird sich nicht sondern jeder ist vertieft in sein Telefonino. Gelegentlich teilt man sich mit, auf welche interessante Information man gestoßen ist, um sofort sich wieder in sein Smartphone zu vertiefen; nebenher wird im Essen herumgestochert.

An allen Tische  das gleiche Bild: Das Smartphone ist der Nabel der Welt,; er schaut ins Lokal, sie an die Wands

Ok, das Essen hat keine große Aufmerksamkeit verdient. Einen Teil nehme ich für Pedro mit aufs Zimmer. Dem schmeckt sichtbar besser als mir. Noch vor wenigen Tagen habe ich gelobt, wie Familien abends zusammen Essen gehen und sich alle über die Tische hinweg unterhalten. Heute Abend das komplette Gegenmodell. An einer Unterhaltung hat keiner ein wirkliches Interesse. Das Handy ist das Zentrum um das sich die Welt dieser Restaurantbesucher dreht – armselig!

Tag 8: 21.10.2023 —> Kalabrien: es regnet und stürmt

Wie starten spät, da wir keine 15 Kilometer zwar gut 800 Höhenmeter vor uns haben. Trotzdem ist das in gut 3 Stunden zu bewältigen und wir haben uns für 14:00 Uhr zum Check-in angemeldet.

Also trinke ich gleich in der ersten Bar einen Cappuccino und esse ein Hefeteilchen, da die Brioches entweder mit Crema oder Schokolade gefüllt sind. Dann geht es, jetzt bereits fast halb zehn, richtig los. Wir müssen zunächst in eine Städtchen, das hoch oben auf einem Berg liegt: Tiriolo.

Bis dorthin müssen wir die Passstraße hoch. Nach etwa zwei oder drei Kilometer kommt eine Polizeifahrzeug und hält neben uns. Eine Polizist sitzt am Steuer und eine Polizistin auf dem Beifahrersitz; beide sehr jung. Ich denke, sie stören sich daran, dass ich Pedro nicht angeleint habe. Sie fragen zunächst von wo ich komme und wo ich hin will. Jetzt bekomme ich das Gefühl, die halten mich für einen Landstreicher und wollen mich aus ihrem Revier verjagen. Als ich ihnen mitteile, dass ich den Sentiero gehen, steigen sie aus, fragen, ob ich Englisch spreche und wollen mir helfen. So kann man die Zeit auch totschlagen. Ich bekomme eine genaue Beschreibung der Gegend, was ich mir unbedingt anschauen muss und wie mein Weg verläuft. Die glauben ernsthaft, dass ich mir merken kann, wo ich in fünf Kilometer nach verschiedensten Richtungsänderungen an der dortigen Weggabelung nach rechts oder links abbiegen muss. Das ganze dauert bestimmt zehn Minuten. Zum Abschluss warnen die beiden mich vor den Wildschweinen und ich mache den Fehler zu sagen, dass ich vor Tieren keine Angst habe. Jetzt gibt es Erklärungen, warum Wildschweine für Menschen hoch gefährlich sind. Ich habe genug und gehe darauf nicht ein, verabschiede mich höflich und gehe weiter. Die beiden fahren weiter in meine Richtung, kommen aber nach etwa fünf Minuten zurück, grüßen wieder freundlich und wünschen mir erneut einen schönen Tag.

Dann erreiche ich endlich Tiriolo. Im heutigen Zentrum kehre ich in eine Bar ein. Trinke natürlich mit den meist älteren Italienern zwei Café – also Espresso. Wie immer bewundern alle Pedro, dass er sich hinlegt, wenn ich ihm das sage, er nicht bellt, so niedlich aussieht etc. etc. Pedro scheint die Aufmerksamkeiten durchaus zu genießen.

Triolo: eine bedeutungslose wie typische Kleinstadt in den Bergen

Da Nebel aufzieht und es sehr nach Regen aussieht, brechen wir auf, obwohl wir durchaus noch Zeit hätten. Aus Tiriolio keuchen wir über Treppen und einen wunderschön angelegten Weg den Berg hoch. Der Weg ist, untypisch für die Gegend für Autos gesperrt. Auffällig ist, dass jeder Weg befahren wird, selbst wenn nach unseren Standards dieser für Autos ungeeignet ist. Es läuft auch niemand, außer zum Pilze sammeln. Selbst der kürzeste Weg, z. B. zum Nachbar, der 50 Meter weg ist, setzt man sich ins Auto. Also unser Weg endet hoch oben in den Bergen an dem Osservatorio Astronomico  der Comune Tiriolo „Andrea Perrelli“. Auch wenn das Gebäude in gutem Zustand ist, scheint es eine Art Ruine zu sein. Nach meiner Internet Recherche handelt sich um eine private, nicht professionelle Einrichtung aus dem 18. Jahrhundert. Genutzt wird das Gelände nur noch als Sendeantenne. Andrea Perrelli war wohl ein Notar im 18. Jahrhundert ansässig in Tiriolo. Trotz seines Engagements wurde Tiriolo keine Stadt der Wissenschaft. Bedeutungslosigkeit war, ist und wird das Schicksal von Tirolo sein.

Anders als in Heidelberg hat die private Investition in ein astronomisches Observatorium nicht zu Weltruhm geführt

Nachdem wir uns bei dem Observatorium etwas umgeschaut haben wird unser Weg zu einem Klettersteig entlang eines Berggrades. An der einer oder anderen Stelle muss ich Pedro helfen. Aber wir managen das zusammen trotz der Wolken, die uns immer wieder umhüllen, trotz der stürmischen Böen und des Nieselregens. Auch wenn wir immer wieder Schwierigkeiten aufgrund des Wetters mit der Orientierung haben, finden wir unseren Weg und kommen gut voran.

Klettern im Nebel bei stürmischem Wind

Kurz bevor wir das Hotel erreichen, fängt es dann an wirklich zu regnen. Durchnässt erreichen wir unser Hotel viel zu früh. Alles ist dunkel und verschlossen. Ich schreibe eine kurze Nachtlicht, dass wir bereits angekommen sind. Der Hotelwirt, eine etwas mürrischer Hüne, kommt nach etwa zwanzig Minuten angerauscht. Öffnet uns und gibt mir die Zimmerschlüssel. Schnell verabschiedet er sich bis zum Abendessen.

Pedro und ich machen es uns in dem Zimmer gemütlich während draußen ein Unwetter mit Starkregen und Sturm tobt. Erst zum Abendessen bewege ich aus dem Bett, in das wir beide uns gekuschelt haben.

Das Restaurant, das Mitten im Nichts liegt, ist erstaunlich gut besucht. Ich hatte aufgrund der Lage vermutet, dass ich der einzige Gast sein werde. Weit gefehlt. Es kamen weitere Hotelgäste und das Restaurant ist um kurz nach neun voll, trotz des gruseligen Essens. Das Restaurant scheint eine Institution zu sein. Die meisten Gäste, vor allem die weiblichen, haben sich aufgebrezzelt. Es wird die Mode von vorgestern zur Schau gestellt. Gegessen wird Pizza und Bier getrunken. Um die Besonderheit des Restaurants herauszustellen gibt es als Aperitif Prosecco. Mir wird auch einer angeboten: man fragt mich, ob ich Vinegar haben möchte. Als man meinen erstaunt fragenden Blick sieht, wechselt man sprachlich ins Italienische und jetzt verstehe ich, dass man auch mir einen Prosecco anbieten möchte.

Tag 7: 20.10.2023 —> Kalabrien, Pedro kann nicht mehr

Im Grunde eine einfache Tour: die letzten Kilometer raus aus dem Aspromonte runter in ein nicht wirklich breites Tal auf 60 Höhenmeter und anschließend hoch in die Ausläufer des Sila Gebirges in einen Vorort etwas westlich von Catanzaro. 30 Kilometer und knapp 600 Meter in Summe hoch.

Erster Blick auf die Sila


Allerdings ist es heiß und sonnig. Kein Wald der Schatten spendet und wie gestern viel Asphalt. Die Ausläufer der Gebirge werden landwirtschaftlich genutzt. Im wesentlichen Ackerbau aber wir kommen auch an Schafherden vorbei, die mit Pedro zu passieren, immer wieder eine Herausforderung darstellen. Die Schäferhunde konzentrieren sich in ihrem Schutzverhalten voll auf Pedro, der sich davon massiv einschüchtern lässt. Um so dominanter muss ich auftreten, einerseits um Pedro meinen Schutz sichtbar zu machen und andererseits um die Hütehunde in ihre Schranken zu verweisen. Neben Schafen werden wohl auch Schweine in Ställen gehalten, zumindest stinken manche Höfe entsprechend. Wie das die Viehzüchter aushalten, kann ich nicht verstehen.

Jahrhunderte alte Olivenbäume: sind sie nicht eine Schönheit?

Nach 15 Kilometern in einem Bergdorf, in dem ich einen Espresso und Pedro etwas Wasser trinken, will Pedro nicht mehr weiter. Nur mit viel Mühe bekomme ich in aus der kühlen Bar wieder raus. Anschließend schmeißt er sich in die noch so kleine Pfütze oder feuchten Dreck. Der weiße Pedro ist fast schwarz. Jeder noch so kleinste Schatten von einem Baum oder Haus am Straßenrand wird genutzt, um dort liegen zu bleiben. Wasser will er nicht, fressen will er auch nicht. Wir müssen aber aus dem Tal raus, sonst wird es Morgen auch nicht besser.

Endlich sehe ich, wie die Bäume zur Ernte „geschüttelt“ werden

Am Rande von Catanzaro gibt es einen großen Supermarkt. Dort kaufe ich frisches Hundefutter und für kleine Hunde Nassfutter. Von diesem gebe ich ihm zwei Portionen, immerhin 200 Gramm. Das frisst er mit Genuss. Das hilft für etwa einen Kilometer als Motivation.

Heute haben wir ein Ferienhaus. Pedro schmeißt sich sofort auf den kühlen Boden und steht nicht mehr auf, beachtet weder das Wasser noch das Futter.

Ich wiederum fühle mich wiederum richtig gut. Ich habe mich mittlerweile an das Gewicht des Rucksacks gewöhnt und bereits scheinbar entsprechende Muskulatur aufgebaut. Auch wenn mich heute Morgen eine Wespenmutation – bestimmt doppelt so lang und dick wie eine normale Wespe – in die Brust gestochen hat. Die Monsterwespe ist unter den Rucksachtragegurt gekrabbelt und hat dann in der Enge zugestochen. Im ersten Moment dachte ich, aus dem Gurt muss sich eine Metallspitze gelöst haben und ich muss schnell den Gurt richten. Dabei habe ich dann gesehen wie dieses Monster unter dem Gurt hervor gekrochen kam. Das hat mich gleich ein zweites Mal mächtig erschrocken, weil ich nicht wußte, wie ich dieses Ungeheuer wieder los werde. Es hat sich dann doch einfach weg schlagen lassen. Meine Brust wurde sofort ganz taub. Durch die Bewegung hat sich das Gift dann doch schnell verteilt und wohl auch abgebaut. Zunächst hat sich die Brustmuskulatur aber angefühlt, als hätte ich für einen Eingriff eine Betäubungsspritze erhalten. Jetzt ist der Bereich nur etwas gerötet und die Einstichstelle juckt tüchtig.

Bei Nacht sieht das Dorf, in dem wir übernachten,  richtig schön aus

Fazit des Tages: Morgen legen wir eine kurze Etappe ein. Ich buche daher in der dünn besiedelten Sila ein Hotel, keine 15 Kilometer von unserem heutigen Quartier in der Hoffnung, dass Pedro schnell regeneriert.

Tag 6: 19.10.2023 —> Kalabrien, Olivenernte

Pedro schmeißt mich um halb sieben aus dem Bett. Ich glaube er muss mal. Schade dass ich ihn nicht einfach auf die Toilette schicken kann. Da wir in einem Haus mitten in Torre di Ruggiero untergekommen sind, kann ich nicht einfach raus lassen. Also stehe ich auf und mache mich schnell fertig. Es dämmert gerade, als wir das Haus verlassen.

Am nächsten Grashalm erleichtert sich Pedro; das hört gar nicht mehr auf zu laufen: war tatsächlich sehr dringend.

Wir laufen fast ständig auf Asphalt und meist entlang von Straßen. Manche sind so viel befahren, dass ich Pedro anleinen muss. Ihm gefällt das gar nicht. Er tollt lieber im Wald oder Wiesen herum mal vor mal hinter mir. Auf der Straße muss er sich zu sehr konzentrieren, dass er schön am Rand läuft. Gut aber nervig ist, dass er sich bei jedem Auto, das sich nähert hinsetzt – leider auch mitten auf der Straße, so dass ich ihn an die Seite ziehen muss. Auch an der Leine zu laufen, streßt ihn, da er neben mir in der selben Geschwindigkeit gehen muss. Um sich abzulenken, würde er am liebsten jeden Grashalm von oben nach unten abschnüffeln. Das alles macht uns langsam und kostet ihm viel Energie.

Wir bewältigen die gut 30 Kilometer am Ende doch recht schnell und sind bereits vor drei Uhr beim Agriturismo, das ich gestern gebucht habe. Pedro will die beiden letzten Kilometer nicht mehr. Er legt sich permanent hin und lässt sich nicht mehr motivieren, weshalb ich ihn immer wieder hochziehen muss. Völlig fertig lässt er sich schon im Empfangsbereich einfach fallen. Er schleppt sich ins Zimmer und legt sich aufs Bett und schläft an mich gekuschelt sofort tief und fest ein.

Mich hat die Strecke auch angestrengt, weil meine Konzentration bzgl. Pedro stark gefordert war. Aber auch da s heute wieder richtig heiß war. Wir hatten heute hochsommerliche Temperaturen und häufig keinen Schatten bei einer hohen Luftfeuchtigkeit.

Unser Ziel ist Amaroni, ein kleiner Ort am nördlichen Ausläufer des Aspromonte. Das vor uns liegende tiefe und nicht gerade breite Tal trennen den Aspromonte vom Sila Gebirge.  Wir übernachten heute auf einem Bauernhof, und können in der Ferne bereits die ersten Höhen des Sila sehen.

Olivenhain und das Sila Gebirge im Hintergrund

Die Bauern des Agriturismo haben sich auf den Anbau von Olivenbäumen fokussiert und eine eigene Produktion mit allen Prozessen wie Reinigung, Ölmühle, Extraktion, Homogenisierung und Abfüllung aufgebaut. Obwohl die Olivenernte gerade begonnen hat, darf ich einen Blick in die Produktion werfen: ein moderner Handwerksbetrieb mit traditionellen und modernen Maschinen. Ob ich alles richtig verstanden habe? Die Italienischen Erklärungen des Bauern kaum; die Maschinen und Anlagen sprechen schon eher meine Sprache. Zum Bau einer Olivenölfabrik reicht es trotzdem nicht.

Die Netze sind ausgelegt, mit der Ernte kann begonnen werden

Erfolgreich: die Oliven sind im Netz

Für politisch philosophische Gedanken war ich heute zu abgelenkt. Mein Gehirn wollte nicht in Schwung kommen. Zum Abschluss noch eine Anmerkungen: wie man auf dem Foto erkennen kann, behandeln wir Menschen die Natur nicht mit viel Respekt. Trotz besseren Wissens entsorgen Viele ihren Müll an jedem denkbaren Ort. Die Natur nicht dumm, holt sich alles zurück – auch einen Opel Kadett und einen Simca.

Jede Art von Müll wird in der Natur entsorgt, hier: 2 Autowracks aus den 70/80er

Ich komme gerade vom Abendessen, das ich hier auf dem Hof reserviert bekommen habe. Sensationell! Ich habe natürlich frisches Weißbrot mit Olivenöl gegessen – wow, was für ein Geschmack. Die Pasta: Steinpilze mit etwas Speck und Petersilie, die Soße aus der Flüssigkeit der Pilze ergänzt mit Pastawasser; himmlisch. Danach noch ein Kotelett von ausnehmender Qualität. Auf den Nachtisch verzichte ich und trinke noch einen Espresso. Vom Rotwein bin nun schon richtig beduselt. Das beste Abendessen bisher in Kalabrien. Ich werde bestens schlafen.

Tag 5: 18.10.2023 —> Kalabrien, ist die Region arm?

Ein einfaches Frühstück (ein Croissant mit einem Cappuccino – mehr gibt es auch in Hotels in Italien nicht) und schon sind Pedro und ich wieder im Wald unterwegs, wo wir diesmal auf einen Pilzesammler treffen, der uns erzählt, dass er in Berlin gearbeitet habe, und dazu noch einen Steinpilz unter den Blättern herausfischt.

Ein erfolgreicher Pilzesammler mit Deutsch Kenntnissen 

Nach gut zehn Kilometern taucht aus dem Wald das Kartäuser Kloster Santo Stefano del Bosco auf. Als ein Lieferfahrzeug eingelassen wird, darf ich auch kurz eintreten und einen Blick hinter die Klostermauern werfen: eine riesige und beeindruckende Anlage. Nach Nordosten vom Kloster erstreckt sich die Stadt Serra San Bruno mit ihren engen Straßen und Gassen, je einer Kirche beim Stadtein- und -ausgang. Innen herrscht das übliche vormittägliche Treiben einer Italienischen Kleinstadt: viel Autoverkehr, wenige Fußgänger, viele Bars. Perfekt für eine ausgiebige Pause.

Kartäuser Kloster gegründet von einem Deutschen vor ca. 1.000 Jahren


Eine hübsche, lebendige Stadt im Aspromonte

Kaum aus Serra San Bruno raus komme ich durch zwei kleinere Orte mit kleinen netten Häusern, die meisten in keinem guten Pflegezustand und technisch sicher nicht auf dem neusten Stand. Junge Leute sehe ich keine in den Straßen. Ist das ärmlich?

Sieht so ärmlich aus?

Warum stelle ich mir die Frage? Vor einigen Wochen habe ich einen Podcast des SWR gehört mit dem Titel Maffia Länd. In dem werden u. a. die Verbindungen der hiesigen Maffia, der ‚Ndrangheta nach Baden-Württemberg beleuchtet. Die beiden Journalistinnen haben, so berichten sie in ihrem Podcast, Kalabrien besucht und stellen fest, dass die Orte alle ärmlich seien. Das Geld hat die Maffia und ihr Wirken, so wird unterstellt, blute das Land aus. Ich habe keine Ahnung von der Maffia und kann nicht einschätzen, was das mit den hier lebenden Menschen macht.

Ich beobachte allerdings einige Dinge, die journalistisch nicht aufgearbeitet wurden: Die Familien sitzen mit Kind und Kegel in den Restaurants und essen gemeinsam, sie suchen alle zusammen am Wochenende nach Pilzen, jeder – und wenn es Pilze suchen ist – arbeitet. Jeder hat ein Auto, ein Haus und die modernste Unterhaltungselektronik. Ist es ärmlich nur weil die Autos nicht so schick sind und die Häuser keine Wärmepumpe haben und oft einen frischen Anstrich gebrauchen könnten? Mir scheint, wir haben eine merkwürdige Ansicht über Ärmlichkeit entwickelt. Diese wäre aus meiner Sicht nur richtig, wenn die Menschen deshalb unglücklich wären. Sie wirken nicht so: jeder ist freundlich und ausgesprochen hilfsbereit, jeder grüßt höflich und mürrisch wirkt auch niemand.

Es muss dennoch Gründe geben, warum viele junge Leute in die großen Städte des Nordens oder nach Deutschland zum Arbeiten gehen. Die Landflucht der jungen Leute ist offensichtlich. Anders lässt sich auch nicht erklären, dass ganze Dörfer verlassen sind und die Häuser nur als Wochenend- oder Ferienhäuser genutzt werden.

Während ich vor mich hinlaufe geht mir das alles durch den Kopf und was Gründe – nicht bezogen auf Kalabrien sondern ganz allgemein und bei uns in Deutschland im Speziellen – für Landflucht, ständige Unzufriedenheit und zunehmenden psychischen Erkrankungen sein könnten.

Nichts, was ich nachfolgend ausführe, kann ich wissenschaftlich belegen. Es sind lediglich Hypothesen und Gedanken, die mir gerade bei meinen Wanderungen durch den Kopf gehen.

Hypothese 1: wir reden ständig über zunehmende Armut und falsche Alokation staatlicher Unterstützungen, woraus ein Empfinden der Benachteiligung und der Ungerechtigkeit entsteht. Am Ende glauben wir daran, dass wir arm sind und nicht bekommen, worauf wir Anspruch zu haben meinen.

Hypothese 2: Instagram und Co. suggerieren, alle anderen sind schön, reich, haben alles, was man für ein glückliches Leben braucht, reisen an die phantastischsten Orte dieser Welt und genießen das Leben aus vollen Zügen. Mit anderen Worten alle anderen führen ein glückliches Leben nur wir selbst nicht.

Hypothese 3: Es besteht der Zwang, Karriere zu machen, sich immer höhere Ziele zu setzen und wer das nicht schafft ist ein Looser. Da aber niemand ein Looser sein will, setzen uns unter einen Druck, dem wir psychisch nicht gewachsen sind und werden krank.

Kaum etwas von dem, was die Hypothesen unterstellen, ist auf dem Land zu bekommen. Daher wollen alle in die Städte, wo die Welt bunt, reich und unterhaltsam ist. Es geht ständig um das mehr, mehr, mehr. Dabei bin ich mir ziemlich sicher, dass auch die Ronaldos dieser Welt keine bisschen glücklicher sind als die meisten anderen Menschen auch.

Mehr dazu Morgen. Heute sitze ich in einem netten Restaurant in einem „ärmlichen“ Dorf: Jeder Tisch besetzt, jeder Tisch mit mindestens 8 Personen belegt (außer meinem). Mir scheint, alle Einwohner mit Ausnahme der Nonnas und Nonnos sind hier versammelt. Es wird sich über Tische hinweg unterhalten – es ist unglaublich laut. Unglückliche Menschen sehen anders aus.

Tag 4: 17.10.2023 —> Kalabrien, im herbstlichen Wald

Um sieben mit dem Sonnenaufgang stehen wir auf und machen uns fertig für unseren Aufbruch. An der Abtei wasche ich mich draußen unter kaltem Wasser ausgiebig, da ich das Gefühl habe, immer noch oder schon wieder regelrecht zu stinken. Mangels eines Spiegels muss ich erneut aufs Rasieren verzichten. So gereinigt verabschiede ich mich herzlich von dem Abt, der erneut eine Spende ablehnt und mir Buon Camino wünscht.

So mache ich mich auf, wieder durch die herbstlichen Wälder des Aspromonte zu wandern. Heute oft auf kaum befahrenen Sträßchen.

Immer noch im Wald

Bei angenehmen 15 Grad Clesius und trüben Wetter mit gelegentlichem Nieselregen kommen wir gut voran. Unterwegs an einer Stelle mit Handyempfang buche ich das einzige Hotel weit und breit in einem kleinen Ort: Mongiana. Kurz vor Mongiana kommen wir durch einen kleines Städtchen, in dem ein „normales“ Leben zu herrschen scheint. Es gibt eine Bar, Menschen auf der Straße und eine intakte Bausubstanz.

Auch in Kalabrien stellen Imker überall ihre Bienenstöcke auf die Wiese

Schon um halb vier bin ich in Mongian. Das Hotel ist verweist. Meinen Anruf nimmt niemand entgegen. Also warte ich in der Sonne vor dem Hotel. Nach etwa einer halben Stunde erreiche jemanden vom Hotel. Man ist sehr überrascht über meine Buchung. Aber mit einem „tranquilla“ wird das Telefonat beendet. Kurz darauf kann ich einchecken.

Jetzt mache ich erstmal große Wäsche. Danach bin ich dran: rasieren, duschen, …

Um 18:00 Uhr macht der kleine Dorfladen auf. Dort muss ich dringend Hundefutter besorgen. Hundefutter gibt es nicht. Daher kaufe ich Würste, Schinken und Thunfisch.

Hier versuche ich, Hundefutter zu erwerben

Die 600 gr. Thunfisch gibt es gleich. Hoffentlich verträgt Pedro den etwas fettigen Fisch und jagt mich heute Nacht nicht raus, weil er Gassi gehen muss.

Pedro soll nicht darben

Acht: So jetzt muss ich auch endlich was essen. Immer noch früh in Italien aber mein Magen knurrt. Ich wähle Antipasti, Pasta und Seconding Piatti. Eigentlich viel zu viel. Aber heute habe ich mir das Essen verdient.

Tag 3: 16.10.2023 —> Kalabrien, ein Abt lädt ein

Um sieben stehen wir auf. Bis wir wieder alles zusammengepackt haben, ist es kurz vor acht. Frühstück gibt es nur für Pedro. Ich esse ein paar Nüsse, Appetit habe ich keinen. Auf Google Maps ist nach ungefähr 12 Kilometern ein Dorf mit einem Restaurant eingezeichnet. Da werde ich frühstücken.

Der Wald ist lichtdurchflutet mit herbstlichen Antlitz 

Aber zunächst müssen wir weiter durch den Wald. Es geht oft steil bergab und bergauf. Zunächst muss ich fast 400 Höhenmeter runter ins Tal des Menschen-Tod (Valle dell‘Uomo Morto). Weniger das Tal sorgt mich – auch wenn wir dort drei Bäche und Flüsse überqueren müssen – aber der Aufstieg hat es in sich. Ich schnaufe und schwitze. Jeder Schritt fühlt sich an, als ob ich Gewichte heben muss. Mit dem schweren Rucksack muss ich mich bei jedem Schritt hochdrücken. Ich rede mir den Aufstieg als ein hervorragendes Workout schön. Tatsächlich bin ich, oben angekommen, völlig erschöpft. Und reif für eine Pause:  kurz drauf komme ich aus dem Wald in das Dorf mit dem Restaurant.

Tatsächlich ist der Ort tot. Ich treffe auf nicht eine Person. Die Fenster und Türen der Häuser sind verriegelt. Kein Restaurant. Nur eine Wasserstelle gibt es, an der wir eine Pause einlegen (müssen) und uns an dem kalten Wasser erfrischen. Kaum haben wir uns gesetzt und genießen das kühle Wasser, kommt eine Familie schwarzer Schweine vorbei und verdrängt uns von der Wasserstelle. Pedro sieht nur müde auf und lässt es geschehen.

Ok, ich bin auf Wanderungen gewohnt weniger zu essen als sonst. Also kein Problem, dass außer Wasser es hier nichts gibt. Am Abend winkt ein schönes Restaurant in Passo di Limina. Das Restaurant sieht im Internet toll aus, hat aber Montags und Dienstags geschlossen, wie wir überrascht feststellen müssen, als wir ankommen. Super.

Die Landschaft ist herrlich: mir ist‘s mittlerweile zu viel Landschaft

Ok, empfohlen wurde eine Übernachtung im nahegelegenen Kloster. Von dem allerdings, wie ich kurz danach feststellen muss, wenig übrig geblieben ist. Die Chiesa della Madonna dell‘Assunta, der Abtei, einem kleinen Häuschen und fünf baufälligen, ungenutzten Gebäuden. Der Abt, ein älterer fast zahnloser Frater, weist mir auf dem ausladenden Klostergelände einen Platz zum Zelten zu. Er hat diesen so ausgewählt, dass mein Zelt im Windschatten unter einem Baum steht, der mich etwas vor dem zu erwartenden Regen schützen soll.

Sehr remote liegt das Kloster: es gibt nur noch den Abt

Er lädt mich zum Abendessen ein, was ich sehr sehr gerne annehme. An seiner Wasserquelle kann ich nicht nur meine Flaschen auffüllen sondern mich auch waschen. Ich habe das Gefühl, dass ich etwas streng rieche. Stinkend möchte ich mich nicht an den Tisch des Abtes setzen.

Der Abt, der mir erklärt, er spreche zehn Sprachen: alle Italienisch, lässt mich weder bei der Essenszubereitung noch später beim Abwasch helfen. Die Kommunikation zwischen uns hält sich in Grenzen, da der Abt mit seinen wenigen Zähnen ein für mich wenig verständliches Italienisch spricht, meine wenigen Worte und Phrasen in Italienisch ein Gespräch wenig ergiebig machten und der Abt keine andere Sprache beherrscht.

Wir essen eine einfache Pasta und anschließend gebratene Kartoffeln mit Würstl (ein Italienisches Wort, das mich immer wieder zum Schmunzeln bringt: ein Würstl ist ein Wienerle); dazu gibt es Wasser und Rotwein aus einer PET-Wasserflasche. Eine Spende, die ich gerne machen würde, lehnt er genauso strikt ab wie meine Hilfe beim Aufwasch.

Auch heute Abend halte ich nicht lange durch. Um neun schlafe ich tief und fest. Da heute Nacht kein Wind über uns hinwegfegt, ist es deutlicher wärmer, weshalb Pedro keinen Körperkontakt sucht und ich somit besser schlafen kann.

Tag 2: 15.10.2023 —> Kalabrien, Pilze Sammler

Geschlafen habe ich im Excelsior. Halbpension inklusive. Das Abendessen war reichhaltig aber für Italien unüblich mit wenig Liebe zubereitet. Das Frühstück bestand aus einem Brioche gefüllt mit Marmelade. Klar ist, das muss bis heute Abend reichen. Denn bis zu meinem Ziel – Zervo einem kleinen Dorf im Wald – werde ich keine Möglichkeit haben, etwas zu Essen und Trinken zu kaufen.

Wie gestern auch sind wieder Jagdgesellschaften im Wald bewaffnet mit Gewehren unterwegs. Immer wieder höre ich Schüsse. Wild sehe ich nicht außer während wir eine Pause machen, Pedro unvermittelt aufspringt und bellend hinter einem kapitalen Hirsch her rennt. Erst als ich richtig wach bin und genau hinschaue sehe ich, es handelt sich um einen extrem großen Stier mit sehr imposanten Hörnern. Gott sei Dank gibt Pedro die Jagd schnell wieder auf und wir trollen uns, bevor der Stier uns glaubt, angreifen zu müssen.

Die Jagdgesellschaften sind mittags verschwunden und werden ersetzt werden durch Pilzesammler: Porcini (Steinplize) werden von Familien, die überall im Wald ausschwärmen, gesucht.

Noch rennt Pedro voller Energie mit großer Lust durch den Wald

In den ausgiebigen Waldgebieten mit vielen kleinen Wasserläufen, die Pedro genießt und wir somit hinreichend Wasser haben, treffen wir nur dann auf Pilzesucher, wenn wir in die Nähe einer Straße oder eines befahrbaren Forstweg kommen. Mit ihren Kleinwagen dringen die Pilzesucher tief in den Wald.

Pedro in seinem Element: trinken und baden

Als wir unser Ziel erreichen muss ich feststellen, dass Zervo ein verfallenes Dorf voll mit Ruinen ist. Das Hotel selbst ist auch eine Ruine, das Restaurant ebenso. Man, d.h. zwei abgerissene Kalabrier, die mir erklären, nach dem ich Ihnen mitgeteilt habe „io non parlo Italiano“, dass sie eh nur Kalabrese sprechen, ist dennoch willens, mir in dem bereits teilweise zusammengebrochenen Hotel ein Zimmer zuzuweisen, was ich umgehend und dankend ablehne.

Esel und auch andere Haustiere laufen mitten im Dorf frei herum

Im Dorf laufen Tiere frei herum und laben sich an der Wasserstelle, an der wir unsere Wasservorräte auffüllen. Pedro ist ganz irritiert von den großen freundlichen Tieren und weiß nicht so recht, wie er sich verhalten soll. Er knurrt ein Pferd an, als dieses unter Einsatz seiner Größe versucht mich wegzudrängen.

das Pferd war erfolgreich und hat uns verdrängt von der Wasserstelle

Da wir das Angebot, in diesem heruntergekommenen Ort in einer Ruine zu übernachten, abgelehnt haben, ist nun klar, wir werden zelten. Auch wenn ich müde bin, ist mein neues Ziel, soweit wie möglich noch bei Tageslicht, es wird mittlerweile um 18:00 Uhr dunkel, zu kommen. Denn die nächste Übernachtungsmöglichkeit ist von Zervo 37 Kilometer entfernt. Für uns noch eine sehr große Herausforderung.

Also starten wir so richtig durch. Nach gut 5 Kilometern und weniger einer Stunde, als es schon beginnt dämmrig zu werden, kommen wir auf einer Anhöhe zu einem Heldenfriedhof. Genau der richtige Ort zum Zelten: der Grund ist absolut eben – eben perfekt. Einen Altar gibt es auch. Auf diesem bereite ich mir bereits im Dunklen mit Stirnlampe mein Abendessen zu – eine Chinesische Tütensuppe, Trockengewicht 70 gr. und 450 Kilokalorien.

Nach dem Abendessen versuche ich noch etwas zu lesen. Mir fallen aber die Augen zu, so dass ich bereits kurz nach acht mich schlafen lege. Pedro schläft mit mir im Zelt und schiebt mich geschickt nach und nach von der Luftmatratze. Immer wieder muss ich wenigsten für meinen Oberkörper mir einen Teil der Matratze zurück erobern.

Der Wind pfeift auf der Anhöhe, so dass ich mich mit zwei Lagen Kleidung in meinen Schlafsack kuschele. Pedro kommt zeitweise mit in den Schlafsack: ihm ist wohl auch kalt. Mir ist es recht, da er mich so schön wärmt.

Tag 1: 14.10.2023 —> Kalabrien, vom Lungomare hoch ins Aspromonte

 

Da ich unseren Hund Pedro mit auf meine Wanderung genommen habe, musst ich mit dem Auto nach Reggio Calabria, das gegenüber von Messina auf dem Italienischen Festland liegt, reisen. Am Donnerstag, 12.  Oktober noch vor dem Morgengrauen bin ich in Leimen aufgebrochen. Ich habe die Route durch den Gotthard Tunnel gewählt über Mailand, Bologna, Florenz, Rom und Neapel nach Reggio Calabria einer der südlichsten Orte in Italien.

Schon beim Grenzübertritt bei Chiasso bin ich – wohl wegen des Autos – kontrolliert worden. Damit ist mein Vertrauen, den BMW wieder in einem Stück nach Hause bringen zu können, weiter gesunken und habe überlegt, wo ich das Fahrzeug während meiner Wanderung am besten parke: auf dem Parkplatz eines Agriturimo außerhalb von Reggio etwas in den Bergen, in einem bewachten Parkplatz oder in der Tiefgarage eines Hotels.

Ein Hotel mit eigener Tiefgarage habe ich nicht finden können. Die Agriturismos außerhalb der Stadt liegen alle so, dass mein Weg am ersten Tag sich deutlich verlängert hätte. Also habe ich mir ein B&B in der Nähe eines gut bewerteten Parkhauses gebucht. Das war allerdings nur für kurze Zeit erfolgreich, da das B&B das Zimmer wegen Pedro gecancelt hat. Dann habe ich mir ein B&B gesucht nach dem Kriterium kürzester Weg am ersten Tag.

Als ich eingecheckt habe gab es, obwohl ich angegeben hatte, dass ich mit Hund Reise, doch wieder Diskussionen. Der Ehemann der Betreiberin hat ein gutes Wort eingelegt, da er den Hund toll fand. Auch hat er seiner Frau erklärt, nach dem ich gefragt habe, ob ich das Auto in ihrem Hof während meiner Tour bei ihnen parken kann, dass das einfach verdientes Geld ist. Also steht nun das Auto – hoffentlich sicher – in einem abgeschlossenen Hof in Reggio und ich bin ein kleines Vermögen los: Bezahlung natürlich in Cash.

Heute Morgen bin ich, nachdem ich die letzten Details mit der Vermieterin bezüglich des Parkens geklärt hatte, um kurz vor 09:00 Uhr aufgebrochen. Schon heute führt mich der Weg ins Aspromonte: die Verlängerung der Abruzzen und ein Gebirgszug, der Kalabrien in zwei Teile teilt, die östliche und die westliche Küste. Da ich nicht auf Straßen entlang einer der Küsten wandern möchte, gibt es nur noch den Weg durch die Berge. Diese sind sehr dünn besiedelt mit nur wenigen Orten meist Dörfern und Weilern ohne Unterkünfte. In den Wäldern gibt es immer wieder Refugios, also Hütten. Ob diese noch im Oktober/November alle offen haben, weiß ich nicht. Daher könnte es sein, dass ich öfter zelten muss als mir lieb ist.


Auf sandigen Wegen in praller Sonne geht es vom Meer hoch in die Berge: im Hintergrund sieht man Sizilien.

Heute ist mein Ziel Gambarie, das auf etwas über 1.200 Metren liegt und mit dem üblichen auf und ab werden es am Ende fast 1.4000 Meter. Gambarie ist mein Ziel, da es sich um ein Touristenort handelt mit Seilbahn und einer Rutschbahn im Sommer und somit natürlich auch mit Hotels, B&Bs und Ferienwohnungen. Von Reggio bis Gambarie sind es gut 26 Kilometer mit den Höhenmetern. Für den ersten Tag eigentlich etwas viel, zu mal ich mit dem Extrawasser für Pedro und dem Hundefutter einen sehr schweren Rucksack habe. Er kommt auf fast 12 kg. Auch weiß ich nicht wie Pedro mit einer so langen Strecke bei dem heißen Wetter zurecht kommt.

Blick zurück auf Reggio Calabria

Wir klettern problemlos zusammen die Berge rauf aber schon zur Mittagszeit sind wir beide ganz schön fertig. Die Wege sind sehr sandig und damit fast so tief wie ein Strand. Das kostet eine ordentliche Portion extra Kraft. Um so mehr sind hoch erfreut, als wir auf einer Berghöhe, wo sich zwei Straßen kreuzen, auf eine Bäckerei mit Bar treffen. Dort setzen bzw. legen wir uns in den Schatten und trinken jeder mehr als ein Liter Wasser – ich natürlich noch einen Espresso. Danach entscheide ich, da ich eigentlich nicht mehr so richtig daran glaube, Gambarie erreichen zu können, eine kleine Bergstraße nach Gambarie zu nehmen, da es sich auf dieser einfacher laufen lässt als auf den sandigen Wegen abseits der Straßen, um so weit wie möglich zu kommen. So gegen zwei legen wir uns im Schatten eines Stromhäuschen schlafen. Nach einer Stunde sind wir wieder fit für die nächste Etappe. Da wir etwa zwei Drittel der Höhenmeter überwunden haben, habe ich wieder einen Funken Hoffnung Gambarie zu erreichen, was wir tatsächlich auch schaffen, kurz bevor es dunkel wird. Nun müssen wir noch mehrere Unterkünfte abklappern, bis wir ein freies Zimmer für uns finden.

Die Sonne scheint durch den herbstlicher Wald am späten Nachmittag

Pedro legt sich auf den Boden und bewegt sich keinen Millimeter mehr. Seine Kraft reicht nicht mehr aus, um Fressen oder Wasser zu trinken. Nach dem ich meine Wäsche gewaschen und mich geduscht habe, legt sich Pedro mit mir aufs Bett. Selbst als ich zum Essen gehe, bewegt er sich nicht. Mal schauen, wie das Morgen wird.

Tag 7: 13.03.2023 —> Lykischer Weg: Römer 

Honig spielt im Türkischen Frühstück eine große Rolle. Er wird beim Buffet in großen Schüsseln mit Schöpflöffeln angeboten. Damit ist es für mich schwierig den Honig so zu portionieren, dass ich ein oder zwei Brote bestreichen kann. Ich dachte immer ich esse viel Honig. Ich muss meine Meinung revidieren, es gibt Verbraucher mit deutlich höherem Honig Konsum. Entsprechend sind Bienenstöcke entlang meines Weges überall zu sehen.


Bienenstöcke säumen meinen Weg

Wenn ich schon beim Essen bin, so muss ich noch vom Abendessen gestern berichten. Ich verbringe die Nacht in einem Hotel ohne Restaurant. Allerdings hat man mich schon beim einchecken gefragt, ob ich mit der Familie essen möchte, da sie wie immer Sonntags ein Barbecue machen. Ich habe natürlich nachgefragt, ob ich nicht störe. Das wurde, gastfreundlich wie hier die Menschen sind, natürlich verneint. Also sage ich zu. Es wurde ein sehr netter Abend und ich bin mit Unmengen an Essen verwöhnt worden. Die Kommunikation war unproblematisch, da jeder, der im weitesten Sinne in der Tourismus Branche arbeitet, Englisch kann und das ist somit fast jeder.

 
Das Stadttor von Patara stammt laut den Inschriften vom Römischen Statthalter aus der Kaiserzeit

Der heutige Tag ist geprägt von der Besichtigung Pataras. In der Antike eine Hafenstadt vermutlich gegründet im siebten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung und Teil der Lykischen Völkergemeinschaft. Heute liegt Patara nicht mehr am Meer. Der antike Xanthos bzw. der heutige Eşen Çayı hat so viel Sand angespült, dass der Hafen völlig versandet ist und gefühlt ein Kilometer im Landesinneren liegt. Der Leuchtturm, der durch Neros Statthalter gebaut wurde und gerade wieder restauriert wird: heißt er wird wieder errichtet, steht mitten im Flussdelta.

 
Hafenstraße: heute endet sie im Sand und nicht mehr am Meer

 
Stammt das Schiff aus der Antike? Leider kann ich das nicht herausfinden 

Von den Ausgrabungen in Patara bin ich beeindruckt. Die Türkischen Archäologen beuteln nicht nur die Gebäude aus, sondern errichtet sie wieder. Das Tor zur Stadt mit seinen drei Bögen ist ein solches Beispiel. Die Inschriften deuten daraufhin, dass dieses Stadttor von den Römern in der Kaiserzeit errichtet wurde. Es wird vermutet, dass nur die Inschrift in dieser Zeit angebracht wurde, das Stadttor aber deutlich älter ist.

 
Die Versammlungshalle des Lykischen Völkerbundes im Stil eines Amphitheaters bzw. des Römischen Senats (oben im Inneren des Gebäudes, unten Ansicht des Bauwerks von der Hafenstraße)

Das dominierende Bauwerk ist die Birligi – die Versammlungsstätte des Lykischen Völker Bundes. Als ich eintreten bin ich überwältigt. Ich kann geradezu fühlen, wie hier diskutiert, verhandelt und entschieden wurde. Das Innere gleicht einem kleinen Amphitheater mit Bühne für den Redner und Sitzplätzen für das „Parlament“. In der Mitte der Sitzplätze – mittig sowohl hinsichtlich des Halbrundes als auch hinsichtlich der Höhe – gibt es einen Ehrenplatz. De Res Publica, vom Volk gewählte Senatoren ringen zum Wohle des Volkes um die beste Entscheidung. So habe ich mir das immer vorgestellt. Untergegangen ist diese „Kultur“ trotzdem. Ich hoffe immer, dass diese Kultur mit ihren Werten in uns weiter existiert; auch wenn ich nicht verleugnen kann, dass diese Werte aus einer solchen Kultur, von Autokraten und Diktatoren über Jahrtausende bekämpft und unter Druck gesetzt wurden / werden. Wenn heute von dem WESTEN als ein Macht- und Wertesystem gesprochen wird, dann sollten wir uns immer wieder bewußt machen, dass in Kleinasien, Griechenland und Rom die Wurzeln dieses Wertesystems liegen.

 
Blick von oben auf das Gesamtensemble: im Vordergrund das Theater

Zurück zu meinem Weg. Nach Patara mache ich mich auf den Weg nach Kalkan einem sehr touristischen Ort. Der Ort wirkt ausgestorben zu dieser Jahreszeit. Es gibt ein gravierendes Missverhältnis bezüglich der verfügbaren Wohnflächen und den Einwohnern. Der Weg nach Kalkan ist schwierig und geprägt von Kletterei: wenige Kilometer viel Zeit. Eine Weile wandere ich mal neben mal auf einer riesigen Mauer, die an manchen Stellen an die Chinesische Mauer erinnert. Ich kann nicht herausfinden, was es mit dieser Mauer auf sich hat. Sie wirkt nicht unbedingt antik aber definitiv auch nicht aus neueren Zeit. Auch die Funktion erschließt sich mir nicht.

 
Chinesische Mauer in Lycia 

Hotels gibt es in Kalkan mehr als potenzielle Gäste. Ich suche mir ein Hotel aus, das auf dem Weg liegt und nett aussieht. Das Hotel wird von einem Jungen gemanagt, dessen Vater gerade in Deutschland ist. Der Junge als auch der Vater aus der Ferne sind extrem hilfsbereit. Denn ich muss mir helfen lassen, da ich aufgrund häuslicher und dringender Problemstellungen meinen Weg unterbrechen und auf den Rückweg machen muss.

Tag 6: 12.03.2023 —> Lykischer Weg: Zeus der Schwerenöter

Zeus verführt Leto oder war es umgekehrt? Wer weiß das schon? Fakt ist, die beiden zeugen die Zwillinge Artemis und Apollon. Sicher ist auch: Hera ist not amused. Aber statt Zeus die rote Karte zu zeigen, ist sie mächtig eifersüchtig auf Leto und die ungeborenen Götter. Hera hat schlicht Angst, dass ihre eigenen Kinder an Bedeutung und Macht verlieren. Leto flieht und versteckt sich in Lycia. Die Zwillinge bringt sie in Letoon, im Flussdelta des antiken Xanthos gelegen, zur Welt.


Erste Nebenflüsse des riesigen Flussdeltas


Zum Teil auf schön angelegten Wegen, so,dass man die Gewächshäuser nicht gleich sieht

Leto und ihre beiden Kinder werden von den Lyciern verehrt und im Gegenzug werden die Drei deren Schutzpatrone. Letoon wird zu einem Heiligtum mit einem Orakel, das in Bezug auf den Wahrheitsgehalt es mit Delphi aufnehmen kann. Das Theater ist ganz gut erhalten. Die drei Tempel für Leto, Artemis und Apollon sind für mich als Laien nur mittels der Beschilderung zu erkennen.


Letoon Heiligtum

Von Letoon laufe ich Flussaufwärts; vom Fluss ist nur bei der Überquerung etwas zu sehen. Das komplette Tal ist mit Gewächshäusern zu gepflastert. Es werden Tomaten und Gurken angebaut. Man sieht nur Gewächserhäuser mal in einem bessern mal in einem schlechteren Zustand.


Nekropole von Xanthos: hier das Innere einer Gruft


Nekropole von Xanthos: hier ein Säulengrab

Etwas höher gelegen komme ich nach Xanthos, der antiken Hauptstadt des Völkerbundes Lycia. Xanthos wurde unter anderem berühmt, weil nach Herodot, die komplette Bevölkerung Selbstmord beging als die Stadt von den Persern im vierten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung erobert wurde. Wissenschaftler bezweifeln allerdings dieser Darstellung. Xanthos existierte auch nach der Niederlage weiter und fiel unter Griechische Herrschaft.


Blick auf das Theater und die Akropolis, die bisher nicht wieder hergestellt ist – im Hintergrund das Tal mit Gewächshäusern 


Zugang zum Theater

Die Ausgrabungen haben eine Nekropole mit unterschiedlichen Grabstättentypologien zu Tage gefördert, ein Theater und eine großflächige Akropolis. Nach meiner Einschätzung sind die Grabungen ein keinem guten Zustand.


Gewächshäuser dicht an dicht gedrängt mit Tomaten und Gurken in der gesamten Flussmündung

Von Xanthos wandere ich durch den Gewächshausdschungel weiter zur antiken Hafenstadt Patara. Hier übernachte itching werde mir diese Stadt morgen anschauen. Hier sollen die Restaurierung weit besser sein als in Xanthos.

Tag 5: 11.03.2023 —> Lykischer Weg: Zelten wird nicht mein Herz erobern!

Trotz einer hervorragenden Luftmatratze und einem sehr guten Schlafsack schlafe ich diese Nacht nicht besonders gut. Ich bin todmüde aber tiefer erholsamer Schlaf will sich nicht einstellen. Der Strand wird vom Mond den größten Teil der Nacht hell erleuchtet. Das Zelt ist transparent und ich habe das Gefühl, der Mond schaut mich lächelnd an. Er sagt zwar nicht, warum er mich immer wieder aus dem Schlaf holt, dass er etwas auf dem Herzen hat, geht mir durch den Kopf. Er will, dass ich selbst drauf komme, nur kann ich das Rätsel nicht lösen. Erst gegen fünf Uhr wird es dunkel und ich falle in einen tiefen Schlaf. Der Wecker holt mich um 07:30 Uhr aus einer Tiefschlafphase, so dass ich geraume Zeit brauche, bis ich den Tag tatsächlich beginnen kann.

Nachdem ich in die Gänge gekommen bin, muss ich zunächst einmal 500 Meter den Berg rauf. Wie gestern über kleinste Pfade mit Kletterpartien und nicht erkennbaren Wegen. Nur die enge Wegmarkierung verhindert, dass ich mich verlaufe.

Mit der unglaublichen Geschwindigkeit von deutlich weniger als zwei Kilometer in der Stunde schnaufe ich den Berg hoch. Oben: eine Almlandschaft mit Reisfeldern und der Ankündigung in 150 Meter gibt es eine Bar. Ich freue mich wie Bolle. Denkste – zu!


Bäume mit roten Stämmen habe ich noch nie (bewußt) gesehen

Zu meinem Zwischenziel muss ich über schöne Wege – mit viel Grün und interessanten Bäumen, die Stämme sind ganz rot, noch etwa vier Kilometer laufen. Ich bin völlig erschöpft vom Aufstieg und dem schlechten Schlaf. Zitternd am ganzen Körper, keine vernünftige Blutzirkulation in den Fingern, fröstelnd erreiche ein kleines Dorf und hier gibt es ein kleine, primitive Bar die eine Mutter mit ihrer etwa zehnjährigen Tochter managt. Die Mutter kocht, die Tochter macht den Service; wahrscheinlich auch deshalb, weil die Tochter sich in Englisch artikulieren.

Ich brauche zuckerhaltige Getränke. Zwei Dosen Fanta und fünf Tees erwecken mich aus meiner Starre. Langsam hört das Zittern auf, ich bekomme allmählich wieder Gefühl in meine verschrumpelten Fingerspitzen und auch ein Wärmegefühl durch strömt mich.

Ein weiterer Wanderer wird in die Bar gelockt. Ein Franzose, der ebenfalls den Lykischen Weg geht. Er ist mit einer dünnen kurzen Hose bekleidet. Mich friert gleich wieder, als ich ihn sehe. Er ist ganz erpicht darauf, mit mir weiter zu gehen.

Also laufen wir gemeinsam los. Nach wenigen Kilometern als wieder steil bergauf geht, lasse ich ihn ziehen: der läuft mir zu schnell. Ohne sich zu verabschieden aber mit dem Wissen, wo ich heute übernachten werde zischt er los.

Auf dem nächsten Hochplateau gehe ich davon aus, es mehr oder weniger geschafft zu haben. Denn jetzt muss nur noch 600 Meter runter und es sind keine fünf Kilometer mehr. Nach kurzer Zeit hört der breite und angenehm zu laufende Weg auf und geht wieder in einen steil abfallenden oft völlig zu gewucherten Pfad über. Es wird rutschig da am Nachmittag dicke dunkle Wolken mit viel Feuchtigkeit den Berg umhüllen. Jetzt gilt es höllisch aufzupassen, dass man in der Nebelsuppe, den Weg bzw. die Markierung nicht aus dem Auge verliert und mindestens genauso wichtig auf dem Geröll oder den riesigen oft mehr als 60 Grad geneigten Felsplatten stürzt.


Wo ist der Weg?


Der Pfad ist dicht bewachsen

Der Abstieg zieht sich und zieht sich dadurch ewig hin. Dann treffe ich auf Wegweiser zu meinem Hotel für heute Nacht. Es sind zwar immer noch zwei Kilometer zu gehen, aber ab dem Schild wird es wieder flacher und ich kann ordentlich ausschreiten.

Im Hotel angekommen werde ich nicht nur vom Wirt sondern auch von „meinem“ Franzosen – Pierre – empfangen. 19:30 Uhr ist Abendessen angesagt. Kaum Zeit meine Wäsche zu waschen und mich wieder menschlich herzurichten. Kurz nach halb acht, ich bin noch nicht ganz fertig, werde ich schon gerufen: das Essen steht auf dem Tisch. In der Wohnküche des Wirtes wird gegessen. Der Wirt, der perfekt Englisch spricht und viele Jahre in Holland gearbeitet hat, setzt sich zu uns und wir unterhalten uns prächtig.

Zum Abschluss wird noch vereinbart, wann es Frühstück gibt. Pierre will schon um 07:00 Uhr los. Definitiv zu früh für mich. Unsere Ziele für Morgen sind auch völlig unterschiedlich, so verabschiede ich mich von ihm und wir wünschen uns eine gute Reise.

Tag 4: 10.03.2023 —> Lykischer Weg: Bergetappe

Vom Hotel muss ich zunächst zurück auf den Lykischen Weg, der 400 Meter höher verläuft. Der Trampelpfad ist nicht nur schmal, zeitweise schlecht ausgeschildert sondern vor allem steil. Der Weg hat Klettersteig Charakter. Immer wieder muss ich klettern und höllisch aufpassen, dass ich nicht abstürze, da es auch noch oft ausgesetzt ist. Entlohnt werde ich mit einem sensationellen Blick auf Ölüdeniz Beach.


Atemberaubender Blick

Auf dem Lykischen Weg angekommen, empfängt mich ein schöner, gut ausgebauter Wanderweg. Zu meiner Überraschung kommen gerade zwei Wandergruppen vorbei. Ein älteres Paar und drei junge Leute (2-mal weiblich, 1-mal männlich). Hier ist ja der Teufel los – fast wie auf dem Camino Frances. Die beiden Gruppen treffe ich, trotz völlig unterschiedlicher Laufgeschwindigkeit immer wieder – zumindest bis kurz vor Kabak.


Der Lykische Weg ist gut ausgebaut

Jetzt geht es zum ersten mal tatsächlich in die Berge, bis auf gut 800 Meter hoch. Oben liegt ein kleiner Ort, in dem es zu meinem Erstaunen eine Bar gibt. Hier ruhe ich mich erstmal aus, trinke einen Türkischen Kaffee und eine Limonade.


Zwei Kälber kämpfen: das ist kein Spaß mehr, am Ende stößt edler Stärkere den Schwächern den Berg runter


Hin und wieder steht neben den krüppeligen Kiefern ein imposanter Baum

Hier muss ich auch eine Entscheidung treffen. Es gibt zwei Wegalternativen. Ich wähle, die meine WanderApp vorschlägt auch wenn diese Variante mehr Höhenmeter erfordert. Dies mache ich auch, da ich davon ausgehe heute zelten zu müssen, wenn ich nicht eine sehr kurze Etappe einlegen möchte. Auf meiner Variante komme ich, bevor es so richtig Remote wird durch den Badeort Kabak. Dort werde ich Getränke für den Abend und nächsten Tag kaufen und, obwohl ich dort so gegen drei sein dürfte, so viel essen, dass ich kein Abendessen mehr brauche.


Bergwelt: die Baumgrenze dürfte bei knapp 1.000 Meter liegen

In Kabak angekommen, muss ich feststellen, dass der Ort einer Ruine gleicht und gerade erst wieder aufgebaut wird. Überall wird gearbeitet, um den Ort für die Sommergäste herzurichten. Ich gewinne den Eindruck, dass man einen großen Teil der Gebäude komplett neu baut und andere bis auf den Rohbau entkernt hat. Auf meine Frage, wo ich ein Restaurant finde, werde ich ausgelacht. Ich bekomme aber den Hinweis, dass ich nur wieder den Berg hochlaufen müsse, da sei ein Supermarkt. Also gut, ich gehe den Berg wieder hoch, nur einen Supermarkt finde ich nicht. Diejenigen, denen ich begegne, wissen nichts von einem Supermarkt. Dafür komme ich an einem Hotel vorbei, das fertig aussieht. Ich probiere mein Glück und siehe da, dort sitzen Leute. Doch schnell ist klar, man hat noch geschlossen und die anderen Gäste sind die Inhaberfamilie, die gerade Pause machen. Verschwitzt und fertig wie ich bin, wollen sie dennoch helfen und ich bekomme drei kleine Flaschen Wasser und trinke, um meinen akuten Durst zu löschen einen Liter Eistee. Gute Ratschläge hinsichtlich des Weges bekomme ich auch. Ich soll zum Paradies Beach gehen, da ist es traumhaft schön und nicht mehr soweit vor allem geht es mehr oder weniger immer am Strand entlang, was verspricht nicht mehr so beschwerlich zu sein.

Da der Paradies Beach, ohne dass ich wußte, dass dies der Name der Bucht ist, mein Ziel war, mache ich mich auf den Weg. Zunächst zurück zum Meer nach Kabak. Von dort geht es natürlich nicht am Strand entlang – ich hatte mich schon gewundert, da meine App einen Weg höher vorgeschlagen hatte. Und dies ist auch die einzig Möglichkeit, da die Berge steil zum Meer hin abfallen.

Womit ich nicht gerechnet hatte, dass es sich wie heute Morgen nicht um einen Weg sondern um einen Klettersteig handelt. Mit dem zusätzlichen Gewicht auf dem Rücken sehr beschwerlich. Gefährliche An- wie Abstiege. Das macht mich fertig. Ich muss ständig Pause machen und habe kaum noch Motivation weiter zu klettern. Unter Zeitdruck stehe ich auch, da es um sieben dunkel wird muss ich mich beeilen. Nur mein Körper sagt nein. Es gibt aber keine Alternative zum Strand, da die Berge so steil sind, dass ich noch nicht mal mir ein Bett bauen, geschweige mein Zelt aufstellen zu können. Um kurz vor sieben habe ich es geschafft. Ich bin am Strand. Dort steht bereits ein Zelt und zwei junge Männer sitzen daneben vor einem großen Feuer.


Paradies Beach: meine Schlafstelle für heute – und meine erste Nacht auf einem Strand

Auf Kommunikation habe ich keine Lust mehr. Ich baue schnell das Zelt auf einem anderen Teil des Strandes auf, koche mir einen Tee und anschließend eine Suppe. Das muss reichen. Beim Kochen brauche ich bereits eine Stirnlampe. Das hat schon etwas archaisches an sich. Es wird im Dunklen abrupt kalt. So ziehe ich mich schnell in mein Zelt in den warmen Schlafsack zurück.

Tag 3: 09.03.2023 —> Lykischer Weg: Kayaköy/Levissi

Mein linker Fuß schmerzt. Ich glaube, es ist wieder die Sehne von der zweiten Zehe zum Knöchel – wie schon das eine oder andere mal in der Vergangenheit. Grund war immer ein zu schwerer Rucksack. Also muss ich an mein Proviant ran, der fast 1,5 kg ausmacht. Auch wenn es mir schwer fällt, nicht auf mehrere Übernachtungen ohne Einkaufsmöglichkeiten und Restaurants vorbereitet zu sein, der Rucksack muss leichter werden. Schweren Herzens trenne ich mich von meiner Wurst, Nüssen und einem Teil der Fertignudeln: ein Kilogramm macht das zusammen. Den Gewichtsunterschied merke ich beim Anheben des Rucksacks nicht. Ich weiß aber aus Erfahrung, dass meine Füße es spüren und mir dankbar sein werden.

Da ich in der Mitte von Fethiye übernachtet habe, muss ich noch etwa fünf Kilometer bis an das südöstliche Ende der Stadt auf Straßen laufen. Um meinen linken Fuß etwas zu entlasten, gehe ich auf der rechten Straßenseite. Da Straßen meist etwas zum Straßenrand hin abfallen, steht das linke Bein etwas höher und damit knickt der linke Fuß etwas ab, was ihn entlastet. Am Ende von Fethiye stoße ich dann schließlich auf den offiziellen Beginn des Lykischen Wegs.


Blick zurück auf Fethiye

Jetzt geht es gefühlt querfeldein steil den Berg rauf. Der Weg ist mit rot weißen Zeichen markiert. Ich muss sehr aufpassen, nicht vom Weg abzukommen, da man spärlich mit den Markierungen umgegangen ist. Nach einer halben Stunde klettern, geht der Pfad in eine „Straße“ über. Später am Tag frage ich in einem Restaurant, wo ich eine Kleinigkeit zu Mittag esse, das Personal, was es mit dieser „Straße“ auf sich hat, die sich so weitläufig durch die Berge zieht. Sie ist gepflastert, wie ich dies von Römerstraßen kenne. Sie ist gut erhalten, was dafür spräche, dass sie neuer ist – definitiv vor der Autoära; mit einem Auto kann man sie nicht befahren. In niedrigeren Bereichen ist sie von Oleanderbüschen, die leider noch nicht blühen, gesäumt. Weder das Personal des Restaurants noch die anderen Gäste können mir Auskunft geben. Die Einen kennen sie gar nicht, für die Anderen ist sie schon immer da.


Römerstraße?

Ich stelle die Hypothese auf, weil mir das gefallen würde, dass es sich um eine Römerstraße handelt, die zur Zeit Konstantin des Großen von Byzans nach Efesus und weiter nach Antiochia am Orantes gebaut wurde, um die bedeutendsten Städte des Oströmischen Reiches zu verbinden, wobei ich gar nicht weiß, ob Antiochia zum Oströmischen Reich gehört hat. Genauso wenig kann ich einen Beitrag zur Verifizierung meiner Hypothese leisten – leider. Ich habe allerdings noch einen Schlaumeisen-Beitrag: das Oströmische Reich war das erste Land in der das Christentum Staatsreligion war, weshalb man in Kleinasien auf viele Christliche Spuren stößt.


Antike Grabstelle

Zu Mittag habe ich in Kayaköy gegessen. Ein kleiner unbedeutender Ort. In gewisser Weise ist aber bekannt. Im 18. Jahrhundert haben dort Griechen auf den Ruinen des antiken Ortes Carmylessus eine Stadt mit dem Namen Levissi errichtet. Die Stadt hat um die 3.000 Häuser, zwei Kirchen und eine Kapelle hoch oben auf dem Berg mit Blick aufs Meer, um auf Angriffe vom Meer aus gewappnet zu sein, und ins Tal, so dass man ein anrückendes Heer frühzeitig sehen konnte. Die Stadt wurde vor genau ein hundert Jahren verlassen und die Gebäude verfallen allmählich vor sich hin. In die beiden Kirchen darf man entsprechend aus Sicherheitsgründen nicht mehr rein.


Blick von Westen von der Kapelle auf Levissi

Warum wurde die Stadt verlassen? 1922/1923 wurden die Griechisch Orthodoxen Christen aus der Stadt vertrieben. Basis für die Vertreibung war der Vertrag von Lausanne, der nach dem Griechisch-Türkischen Krieg den Frieden besiegelte.


Low Church (Baustil ist identisch mit der High Church – soweit man das von der Ferne beurteilen kann)

Ich frage mich, warum die türkischen Bewohner des Ortes die vorhandenen Häuser nicht übernommen haben, da die Bausubstanz eine hohe Qualität vermittelt, was man bei den Häusern im Tal nicht uneingeschränkt behaupten kann. Neben der Qualität ist die Hanglage des alten Levissi viel attraktiver.


Blick von Osten auf die High Church

Ich nehme mir fast zwei Stunden Zeit, die Hauptstraßen abzulaufen und mir alles ausführlich anzuschauen. Dabei komme ich ganz schön ins Schwitzen. Aus dem Tal, wo sich die ersten Häuser und die Low Church befinden, bis hoch zur Kapelle sind es sicher 120 bis 150 Höhenmeter. Von der Kapelle gehe ich wieder runter auf etwa halbe Höhe, wo die High Church liegt. Die einzigen Bewohner sind Landschildkröten, die die Ruinen zu ihrem Zuhause gemacht haben.


Die neuen Bewohner von Levissi

Danach mache ich mich auf den Weg. Von Kayaköy / Levissi an ist der Lykische Weg trotz kleinster Trampelpfade bestens markiert. Mein linker Fuß scheint sich erholt zu haben; ich verspüre keine Schmerzen. Hoffentlich bleibt das so. Gut gelaunt komme ich nach Ölüdeniz – Beach, wo ich mir ein Hotelzimmer gebucht habe. Der Ort liegt direkt am Wasser und mein Hotel etwas erhaben am Berg mit Blick auf das Meer. Heute mache ich es mir einfach und esse im Restaurant, das zum Hotel gehört.


Vom Balkon meines Hotelzimmers auf die See

Tag 2: 08.03.2023 —> Lykischer Weg: Fethiye

Meine ersten Erkenntnisse nach zwei Wandertagen:

  • Wege auf einer Karte müssen in der Wirklichkeit nicht unbedingt existieren – selbst Wegweiser können irren. Meine Vermutung: Wege werden gezielt und somit „illegal“ durch Zäune und Buschwerk geschlossen, um diese Wege dem Privatbesitz einzuverleiben. Teilweise sind Pfade aber auch einfach zugewuchert, weil sie nicht benutzt werden. In Summe hat mir das heute etwa drei Kilometer und 200 Höhenmeter zusätzlich eingebracht. Das klingt nicht viel, allerdings sind diese Kilometer und Höhenmeter mit besonders viel Schweiß und Zeit verbunden – am Schlimmsten sind die Dornenbüsche, die immer einen Weg durch die Kleidung finden und sich in Hände und Arme bohren, abbrechen und Splitter hinterlassen, die später wieder rausgepopelt werden müssen. Von Insektenstichen bin ich ebenfalls nicht verschont worden, die ich versuche zu ignorieren, obwohl manche tüchtig jucken.


    Wege nicht nur für Wanderer sondern auch für Mountainbiker
  • Die Wege sind wunderschön und oft so angelegt, dass sie auch von Mountainbikern genutzt werden können. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass vor Kurzem viele Wege extra für Mountainbiker ausgebaut und verbreitert wurden. Sie haben ihre eigenen Wegweiser, die einzigen Wegweiser im übrigen, die ich bisher gesehen habe. Scheinbar will man dadurch seine Attraktivität für Touristen erhöhen. Selten muss ich an einer Straße entlang gehen, außer in den Ortschaften durch die ich immer wieder komme. Ich habe weder gestern noch heute jemanden in den Wäldern getroffen. Nur eine Mountainbikerin kam mir mal entgegen. Es ist so einsam in den Wäldern wie letztes Jahr in Griechenland.



    Das Landschaftsbild von Meer, Berge, Wälder und Inseln ist traumhaft


    Blick aufs Meer von einer Strandbar
  • In den Städten herrscht Trubel. Die Lokale sind gut besucht, eben ganz anders als im Norden Griechenlands. Auf einem Campingplatz, von denen es hier sehr viele gibt, mache ich in einer Strandbar eine ausgiebige Pause und genieße den Blick über den Strand aufs Meer. Die Kombination von Bergen, Wäldern, Stränden und dem Festland vorgelagerten Inseln machen die Gegend zu etwas ganz besonderem.


    An diesem Strand steht Wohnmobil an Wohnmobil und siehe sehen alle nicht so aus, als wären sie vor Kurzem bewegt worden

  • Bisher bin ich mit Englisch gut durchgekommen. Die meisten, mit denen ich Kontakt hatte, haben zumindest rudimentär Englisch gesprochen. Um mich herum wird aber gefühlt mehr Russisch als Türkisch gesprochen.

Heute bin ich nach gut 32 Kilometern und 700 Höhenmetern in Fethiye angekommen. Ab etwa 10:30 Uhr hat die Sonne es geschafft, die dunklen Wolken zu vertreiben und es wurde gleich angenehm warm. Mit dem Sonnenuntergang kommt die Kälte sofort zurück. Auch wenn Viele draußen in dicken Jacken essen, ist mir das definitiv zu kalt.


Fethiye liegt tief in einer Bucht mit großem öffentlichen Strand

Ich habe in beiden Beinen einen mächtigen Muskelkater und laufe etwas steif durch die Stadt, auf der Suche nach einem netten Restaurant. Gottseidank finde ich schon nach ca. 300 Metern ein Lokal, das mir zusagt und verspricht, nicht nur Fastfood anzubieten.

Mit der Überquerung des Murtbeli Deresi, dem antiken Fluss Indus (siehe die Karte von gestern), habe ich die antike Grenze zwischen Caria und Lycia überschritten. In Fethiye fängt konsequenter Weise der offizielle Lykische Weg an, der kurz vor Antalya endet. In den nächsten Tagen werde ich immer mal wieder etwas geschichtliches in mein Tagebuch einfließen lassen.

Tag 1: 07.03.2023 —> Lykischer Weg: Göcek

Ich habe mich unter meine Bettdecke verkrochen. Das Hotelzimmer ist eiskalt, obwohl ich bereits seit mehr als einer Stunde die Klimaanlage auf 30 Grad stehen habe. Auf der Weide direkt vor meinem Fenster sehe ich, eine Herde Schafe grasen. Denen scheint die Kälte nichts auszumachen. Die Temperaturen sind tatsächlich so niedrig, wie es der Wetterbericht vorhergesagt hat. Dazu kommt immer mal wieder ein kalter Nieselregen, der mein Wohlbefinden nicht steigert.

Ich kann mir gut vorstellen, dass Ihr eine Reihe Fragen habt:

(1) Wo ich bin? In Inlice bei Göcek. Göcek an der Türkischen Ägäis kennen viele Segler. Göcek hat eine groß gut geschützt liegende Marina und ein tolles Segelrevier mit vielen Buchten und vorgelagerten kleinen Inseln. Eine sensationell schöne Landschaft. Derzeit bereitet man sich auf die kommende Saison vor. Viele Boote liegen in der an die Mariana angeschlossenen Werft. Trotzdem sind schon fast alle Liegeplätze belegt. Trotz der niedrigen Temperaturen reifen die Zitronen, Mandarinen und Orangen.

(2) Wie bin ich dorthin gekommen?

Ich bin gestern von Frankfurt mit Zwischenlandung in Istanbul nach Dalaman (Marmaris) geflogen. Durch den Stopp in Istanbul und die Zeitverschiebung von zwei Stunden habe ich erst am Abend Dalaman erreicht, wo ich in einem einfachen Hotel übernachtet habe und dessen Zimmer gefühlt kälter waren als draußen. Ich brauchte eine Extradecke für ein warmes Bett. Heute Morgen bin ich von Dalaman über den Götcek-Pass nach Göcek und weiter nach Inlice gelaufen, das auf halben Weg nach Fethiye.



(3) Was mache ich hier?

Mein Ziel ist die Erkundung – wie auch in der Vergangenheit bei meinen Touren – unserer kulturellen Wurzeln diesmal in Kleinasien auf Schusters Rappen: Caria, Lycia und Pisidia —> die Schlachtfelder der Perser und Griechen und dem damit verbunden Untergang lokaler Kulturen, die Christianisierung Kleinasiens, das Erwachen des Osmanischen Reichs und die moderne Türkei. Wo anders kann man besser das Erblühen und den unvermeidbaren Rückzug von Kulturen und damit die Bedeutung von Wandel „studieren“? Ich werde in den nächsten drei bis vier Wochen auf dem Lykischen und dem Paulus Weg von Dalaman über Antalya nach Isparta wandern. Etwa 750 Kilometer und knapp 25.000 Höhenmeter liegen vor mir.

 (Karte aus dem Putzger Atlas)

Zum Abendessen muss ich zurück nach Götcek, da die Restaurants fußläufig zum Hotel geschlossen sind. Also fahre ich mit dem Taxi nach Götcek und nutze die Gelegenheit etwas zum Frühstücken für Morgen einzukaufen, da mein Hotel kein Frühstück anbietet.

Tag 24: 26.10.2022

Das Highlight heute ist das Tal der Tempel. Tatsächlich reihen sich die sieben Tempel, so viele habe ich zumindest gezählt, oben auf einer Hügelkette auf und thronen etwa 100 Meter über dem Meer. Vom heutigen Agrigent aus gesehen, das auf etwa 200 Meter liegt, ist das im Tal. Daher der Name.

Vom Ticketcounter geht man zunächst hoch zum Tempel der Hera, den östlichsten der Tempel.

Von dort läuft man an antiken Befestigungsmauern zum Concordia Tempel, der seinen Namen aufgrund der Herzlichkeit der Bevölkerung erhalten hat, so sagt die Legende. Der Concordia Tempel ist bestens erhalten, was damit erklärt wird, dass er als Kirche geweiht wurde nach Austreibung von Castor und Pollux. Davor liegt eine männliche Bronzestatue.

Von den restlichen Tempeln ist nicht mehr viel übrig, da die Phönizier bei der Eroberung der Stadt, diese zerstört haben. Die Grundmauern des mächtigen Zeus Tempel mit einer Fläche von ca. 6.000 qm und einigen umgeworfenen Säulen zeigen, über welche statischen Fähigkeiten man vor mehr als 2.500 Jahren bereits verfügt haben muss.

Den Abschluss ganz im Westen bildet der Tempel, der dem Gott Vulkan gewidmet ist.

Die Strecke zwischen Hera‘s und Vulkan‘s Tempel beträgt fast vier Kilometer. Große Teile der Befestigungsmauer Richtung Süden zum Meer hin sind noch erhalten. Man darf meist über die antiken Steine an der Mauer entlang marschieren. Zusätzlich gibt es eine Straße, die die Tempel verblindet. Ob diese auch dem Verlauf der antiken Wege entspricht, kann ich nicht erkennen. Dennoch ist die Ausdehnung beeindruckend, die besonders durch diese Straße klar wird.

Zurück am Auto fahre ich etwa 100 Kilometer an der Südküste entlang. Viele Gewächshausanlagen, die einen großen Teil der Fläche bedecken, sind hier in unterschiedlichen Qualitäten aufgebaut. Ich sehe darin Tomaten, Gurken und manchmal auch Bäume. Je weiter ich Richtung Osten komme, werden die Gewächshäuser seltener und werden durch Oliven und Zitrusfrüchte abgelöst.

Da ich auf den Straßen nur sehr langsam vorwärts komme, breche ich mein Vorhaben, an der Küste bis nach Syrakus zu fahren, kurz hinter Gela ab und gebe Catania als neues Ziel ins Navi ein.

Ich übernachte in unmittelbarer Nähe zum Flughafen in einem NH Hotel. Die haben am Montag ein großes Software-Update gemacht und finden meine Reservierung nicht. Ärgerlich, da ich über Booking.com bereits im Voraus bezahlt habe. Am Check-in ist man so freundlich und gibt mir trotzdem ein Zimmer, obwohl sie ausgebucht seien (Never ever). Sie sind dann auch noch der Ansicht, ich habe das mit Booking.com zu klären. Da bin ich ganz sich anderer Meinung und tue das auch kund. Na, mal schauen, wie das weiter geht …

… als ich zum Abendessen gehe und an der Rezeption vorbei komme, spricht mich die Dame an, die mich eingecheckt hat: sie habe die Buchung gefunden und meint, ich solle doch besser direkt bei den Hotels buchen statt über irgendwelche Makler. Gerne, wenn sie nicht über einen längeren Zeitraum offline sind.

Tag 23: 25.10.2022

Mein Ziel, die Kathedrale von Messina, erreiche heute bereits nach 14 Kilometern. Verlaufen kann ich mich nicht. Es geht immer gerade aus von meiner Quartier bis zur Kathedrale mal als Nebenstraße mal als Hauptverkehrsstraße. Santa Magaritha ist bereits ein Vorort von Messina und von dort reiht sich Ort an Ort ohne erkennbare Stadtgrenzen. Offensichtlich wird es immer schmutziger und immer ärmlicher. Das ändert sich erst am Hauptfriedhof von Messina nach ungefähr 12 Kilometern also zwei Kilometer vor dem Zentrum der Stadt.

Der Dom ist äußerlich nicht besonders beeindruckend und könnte auch in einer anderen Kleinstadt Siziliens stehen. Innen sieht das allerdings völlig anders aus. Die Decke des Doms ist ein sensationelles Konstrukt. Der Hauptaltar ist prächtig. Ich traue mich nicht ihn mir von nahem anzuschauen, da gerade eine Messe gelesen wird und dabei möchte ich nicht stören. Ich setze mich in eine der hinteren Reihen und höre zu. Die Handvoll Priester mit der Orgel zusammen erzeugen immer wieder Musikunterbrechungen, die unter die Haut gehen. Vom sonstigen Ritual verstehe ich natürlich nichts. Mal wieder fällt mir auf, dass katholische Gottesdienst ein Spektakel sind. Ob Botschaften übermittelt werden, wie das im evangelischen Gottesdienst der Fall ist, weiß ich nicht.

Die Malereine vor und über dem Hauptaltar unterstreichen meinen Eindruck einer hervorragenden Inszenierung. Ansonsten ist die Ausgestaltung der Kathedrale eher schlicht mit vielen Skulpturen.

Nach einer halben Stunde der Besinnung verlasse ich den Dom und gehe die wenigen Schritte zum Hafen, dessen Einfahrt durchaus Eindruck macht. Leider darf ich nicht das Hafengelände  begehen. Wachleute halten mich zurück, lassen mich aber ein Foto schießen.

So nun auf zur Autovermietung. Ich habe einen Kleinwagen gemietet, um von Messina noch nach Agrigent zu fahren. Das Tal der Tempel ist eine der bedeutendsten antiken Stätte, die die Griechen dort außerhalb Griechenlands errichtet haben. Davon mehr morgen.

In Vorbereitung auf die Besichtigung des Tals der Tempel morgen lesen ich noch etwas über die Geschichte Agrigents, das von den Griechen, wie schon beschrieben, gegründet wurde. Dann haben es sich die Römer unter den Nagel gerissen, bevor die wiederum sich vermutlich selbst zugrunde gerichtet haben und somit es den nordafrikanischen Muslimen leicht gemacht haben sich auf Sizilien breit zumachen. Das war auch nicht von Bestand, dann haben die Normannen nicht nur Agrigent sondern auch ganz Sizilien besiedelt, die haben tiefe Spuren auf ganz Sizilien hinterlassen. Halten konnten die sich aber auch nicht. Spätestens mit Garibaldi wurde dann Sizilien italienisch. Und heute, so sagt man, hat die Mafia die Insel übernommen. Stimmt das? Nicht festzustellen als Außenstehender.

Was sagt uns diese etwa 2,5 Jahrtausende währende Geschichte: es ist schwer festzustellen, wer die Indogenen sind. Nichts hat Bestand, auch wenn es so manche Generation zu einer grundlegenden Veränderung braucht. Ob wir es wollen oder nicht Immigranten übernehmen auf Dauer die Macht und bringen ihre Kultur mit. Lohnt es sich dagegen zu wehren oder ist Kooperation die bessere Strategie, die eigene Kultur zu erhalten? Staatschefin Meloni will auf jeden Fall die Boote aus Nordafrika nicht nach Italien lassen. Na dann müssen wir ja nur warten, dass aus lauter Dekadenz wir uns selbst Garaus machen. 2000 Jahre Christentum bedeutet noch lange nicht, dass diese eine Zukunft hat. Betrachtet man die Anzahl der Kirchenaustritte, habe ich so meine Zweifel. Geschichtlich gesehen richten wir unsere Kultur gerade in Lichtgeschwindigkeit zu Grunde. Hoffen wir mal, dass dadurch Europa wie Phoenix aus der Asche mit „wetterfesten“ Demokratien die Antwort ist und wie Rechte und Autokraten ausschwitzen.

Tag 22: 24.10.2022

Sonnenaufgang: schnell und tief rot steigt die Sonne aus dem Meer in den Himmel. Trotzdem ist es so früh am Morgen noch frisch. Zu kühl für mich, um im Meer zu baden. Zumal die Wassertemperatur bei nur 23 Grad liegen soll.

Heute wandere ich dem Grunde nach die ganze Zeit auf der SS114, die bis nach Messina hinein führt. Etwas höher am Berg klebt die Autobahn. Oft verschwindet sie im Berg. Meist etwas unterhalb der SS114 verläuft die Bahnlinie; Bahnlinie und Straße wechseln allerdings öfter mal die Position.

Auf der sehr schmalen Fläche zwischen Meer und Berg zwängen sich langgelegen Straßendörfer, die meist in einander übergehen, so dass ich die meiste Zeit durch Ortschaften laufe. Dabei kann ich oft wählen, ob ich an der Strandpromenade oder auf der Durchgangsstraße gehe. An der Promenade ist es verkehrstechnisch ruhiger aber auch sonniger. Im Ort werfen die Häuser Schatten und es ist etwas abwechslungsreicher gleichwohl das Stadtbild sich wiederholt. Bars und Geschäfte sind prinzipiell im Ort. An der Promenade stehen hin und wieder LKWs, die von der Ladefläche ihre Waren meist Obst und Gemüse, anbieten.

In manchen Bereichen ist die verfügbare Fläche so gering, dass die Bahntrasse direkt am Meer liegt, dann kommt eine Häuserreihe, danach die SS114, wieder eine Häuserreihe durch deren Gärten sich auch schon die Autobahn quetscht. Schrecklich.

Eigentlich ist die Küste wunderschön mit ihrem hunderte Kilometer langen Strand und den hohen, steilen Bergen. Über das Meer Richtung Osten sieht man bereits Kalabrien. Dennoch ist sie durch die drei Verkehrstrassen völlig verbaut und somit unattraktiv für Touristen. Damit fehlt das Geld, um die Strände und Promenaden so aufzuwerten, dass Gäste aus dem Ausland angelockt werden können. Eine Abwärtsspirale entsteht: die Gebäude zerfallen, da die Renovierung und der Erhalt zu kostspielig sind; und so kommt es, dass hoch über der Autobahn neue riesige Wohnblocks gebaut werden, die große Terrassen und sicher einen fantastischen Blick haben. Nur zur Steigerung der Attraktivität der ohnehin schon verbauten Umgebung tragen sie nicht bei. Im Gegenteil, die Menschen verlassen die Orte und ziehen hoch in die Berge, was wiederum zur Folge hat, dass es niemanden mehr Interesse daran hat, die Städte und Dörfer zu erhalten.


In jedem Garten stehen Bäume voll mit Zitrusfrüchten. Viele der Früchte sind fast reif und verführen, rein zu beißen.

Nach gut 30 Kilometer erreiche ich mein heutiges Ziel. Am angegebenen Ort bzw. GPS Koordinaten gibt es keinen Hinweis auf meine Unterkunft mit dem wohlklingenden Namen: Villetta con terrazza sul mare Santa Magherita Marina. Auch sehe ich meine Gastgeberin nicht, obwohl ich minutengenau ankomme. Ich rufe sie an. Ich versuche klar zu machen, dass ich angekommen bin und beschreibe meinen Standort auf Englisch. Sie antwortet mir in rasantem Italienisch. Einige Worte verstehe ich auch die Frage, ob ich an der Apotheke bereits vorbei bin. Das bejahe ich und schon erhalte ich im schnellst möglichen Italienisch eine Antwort: Bahnhof! Sie legt auf und ich habe keine Ahnung wohin. Sie glaubt wohl, sich bestens ausgedrückt zu haben, was ich nun machen soll.  Ich stelle mich etwas exponiert auf die Straße, so dass man mich von dem Haus, das ich glaube mein Heim für heute Nacht ist, und der Apotheke aus gut sehen kann. Ich erwarte, dass sie mich so sehen kann, wo immer sie sich gerade befindet auch, selbst wenn sie noch auf dem Weg sein sollte. Nichts. Also schicke ich eine SMS, beschreibe, wo ich bin und frage, was ich tun soll. Kaum abgeschickt, ruft sie mich wieder an und brüllt so laut, dass mir klar wird, sie ist in meiner unmittelbare Nähe. Dann sehe ich eine wild winkende Frau auf einem Balkon.

Ich werde überschwänglich begrüßt. Wortschwall über Wortschwall fegt über mich hinweg. Noch einmal sage ich ihr, dass ich kein Italienisch spreche. Jetzt erst spricht sie langsamer und artikulierter. Sie entschuldigt sich, das sie kein Englisch spricht, zeigt mir die Wohnung, fragt, was ich beruflich mache, dass sie Anwältin ist, bedauert, das ich nur eine Nacht bleibe und das Meer nicht ausgiebig genießen kann und und und. Dann verabschiedet sich und saust los. Keine zwei Minuten vergehen und es klopft an der Tür. Sie hat ihre Handtasche vergessen. Meine Herren, was für ein Wirbelwind.

Ich lasse nun erst mal Ruhe einkehren. Ich ziehe mir meine Badehose an und gehe über die Straße zum Strand. Wie überall ist der Sand grau-schwarz und sehr grobkörnig. Zum Liegen lädt der Strand nicht ein, dafür liegt zu viel angespülter Müll herum. Ich will mich sowieso nicht hier hinlegen sondern etwas schwimmen. Puh, ist das Wasser kalt. Mir verschlägt es den Atem und ich werde auch beim Schwimmen nicht warm. Niemals hat das Wasser 23 Grad. Kein Wunder dass ich den ganzen Tag noch niemanden habe schwimmen sehen. Keine fünf Minuten bleibe ich im Wasser. Zitternd komme ich aus dem Meer und trockne mich schnell ab. Jetzt brauche ich eine heiße Dusche.

Tag 21: 23.10.2022

Von Giarre laufe ich die Gerade hinunter zum Meer. Etwa zehn Kilometer kann ich direkt am Wasser entlang wandern. Meist ist der Strand direkt zugänglich. Da Sonntag ist kommen viele Einheimische, parken an der Straße und legen sich in die Sonne.

Schließlich muss ich einen Fluss überqueren: die nächste Brücke liegt einige Kilometer den Berg hoch und da muss ich jetzt hin, vorbei an Gärten voll mit Zitrusbäumen. Jetzt muss ich einer Strada Statale (das entspricht in etwa einer Bundesstraße in Deutschland) folgen. Sie ist zwar stark befahren, trotzdem kann ich gefahrlos – mal auf der einen mal auf der anderen Seite mal mit Bürgersteig mal ohne – marschieren. Eng ist es nur auf Brücken. Diese sind nicht designed worden für die aktuellen Autos und schon gar nicht für eine Kombination von Autos, Fußgängern und Radfahrern. Heute scheint Radfahrtag zu sein. Große und kleinere Gruppen an Rennradfahrern brausen die Straßen entlang.

In den folgenden Ortschaften herrscht ein buntes Treiben. Viele Geschäfte haben offen. Verkauft wird an jeder Ecke frischer Fisch sowie Obst und Gemüse. Die Plätze sind belebt. Nicht nur die Gebäude sind alt auch mancher Baum auf den Plätzen hat schon Vieles kommen und gehen sehn. Reichlich Schatten spenden sie wohl schon so mancher Generation.

Danach erwartet mich ein Highlight. Ich habe in den letzten Wochen mehrere Romane gelesen, die in Taormina spielten. Da will ich jetzt hin. Ich habe aufgrund des Lesestoffs ein klares Bild von der Stadt. Meine Erwartung ist allerdings nicht ganz korrekt. Zunächst einmal liegt die Stadt auf 200 Meter, weit höher als in meiner Vorstellung. Ich komme schwitzend mit völlig durchnässtem Shirt in der Stadt an. Ich werde quasi totgetreten von Touristen. Unmengen an Restaurants, die gerade Mittagessen anbieten mit Tischen auf den steilen Straßen. Ich gewinne den Eindruck, in Taormina gibt es nur Restaurants. Ich hingegen bin auf der Suche nach einer Bar. Ich möchte etwas kaltes trinken und einen Espresso trinken. Es braucht eine Weile, bis ich eine Bar finde. Der Barkeeper überzeugt mich, zum Kaffee noch ein Cannoli zu essen. Ich lasse mich überreden: köstlich süß. Nun möchte ich das antike Theater, das auf einem Felsvorsprung gebaut ist und auf dem höchsten Punkt der Stadt von den Griechen gebaut wurde. Erschrocken muss ich feststellen, dass nicht nur ich mir das anschauen möchte. Einen Offiziellen frage ich, wie lange es dauert, bis ich am Ticketschalter dran bin. Er meint mindestens eine Stunde bräuchte ich. Ok, das ist es mir nicht wert.

Also dann wieder runter ans Meer und auf nach Letojanni, wo ich direkt am Strand eine Wohnung angemietet habe. Letojanni scheint mir einiges vom Lido di Jesolo und Rimini abgeguckt zu haben: langer Strand in der den Händen von Strandbädern mit Restaurants, die allerdings alle spätestens um 20:00 Uhr schließen.

Die Wohnung allerdings liegt in einem Compound mit eigenem Strand. Ich habe einen schönen Blick vom großen Balkon aufs Meer. Heute Nachmittag habe ich nicht so rechte Lust im Meer zu baden. Ich nehme mir vor, Morgen eine halbe Stunde früher aufzustehen und dann schwimmen zu gehen.

Mein Restprogramm meiner Tour nach Messina und Touriprogramm inkl. R

Tag 20: 22.10.2022

Ein Traum von einem Wandertag: die Landschaft überwältigend schön, herausfordernde Wege und zurück im Sommer. So könnte ich den heutigen Tag zusammenfassen.

Aber alles der Reihe nach. Um 07:00 Uhr klingelt der Wecker. Ich habe keine so richtige Lust aufzustehen. Deshalb gammele ich etwas rum und brauche eine drei-viertel Stunde bis ich endlich das Haus verlasse. Ich muss wieder die vier Kilometer und 200 Höhenmeter hoch zum Refugio Sapienzia. Dort gehe ich in die erste beste Bar, die offen hat und frühstücke wie die Italiener mit Croissants und Cappuccino.

Jetzt umrunde ich zunächst den Etna auf der Südseite und gehe wieder hoch bis auf gut 2.000 Meter. Als ich fast oben aus dem Wald komme, eröffnet sich mir ein spektakulärer Blick auf den Etna mit seinem Krater, der vor 20 Jahren entstanden ist, auf eine Lavafeld, das bei einem Ausbruch vor etwa 110 Jahren eine grauenhafte Verwüstung vom Gipfel bis ans Meer angerichtet hat, und auf ein sehr steiles Tal mit Büschen und Bäumen.

Diese Landschaft berührt mich sehr und erzeugt bei mir ein absolutes Glücksgefühl.

Auf dem Grat von Leben und Tod: zur einen Seite das grüne Tal mit altem Baumbestand wie latschenartigen Kiefern, Buchen und vereinzelten Birken und auf der anderen Seite das Lavafeld grau, schwarz und ohne sichtbares Leben führt nun mein Weg. Zu beiden Seiten fällt der Berg extrem steil ab. Der Weg ist schmal, mal auf der einen Seite und mal auf der anderen Seite des Grates geht es bergauf und bergab sehr sehr langsam vorwärts. Manchmal brauche ich Beine und Arme, um die Kletterpartien sicher gehen zu können. Das geht so etwa zwei Kilometer mit etwa 400 Meter hoch und 600 Meter runter, für die ich mehr als zwei Stunden brauche. In den Alpen wäre der Weg als Klettersteig ausgewiesen. Hier gibt es solche Kategorien nicht und Sicherungen fehlen natürlich auch. An vielen Stellen ist auch die Wegführung uneindeutig, was ein Sicheres gehen um so mühevoller macht.

Später komme ich in einen Wald, in dem es steil bergab geht. Allein in dem Wald „verliere“ ich 1.000 Höhenmeter. Der Weg ist steil, voller Pilze aber vor allem schwer zu begehen, nicht nur wegen seiner Steilheit sondern wegen des tiefen Lavasands, der sich mir ständig in die Schuhe spült, des Laubes und der Unmengen an Kastanien, die durch die Schuhe piksen und zusätzlich rutschig machen.

In Summe laufe ich heute 26 Kilometer und verliere 2.250 Höhenmeter. Letztere haben mich ermüdet: meine Knie tuen mir weh, meine Oberschenkelmuskulatur ist ganz hart und der Lendenwirbelbereich schmerzt. Deshalb beschließe ich, Morgen am Meer ohne großes rauf und runter entlang zu laufen. Es soll auch als Test dienen, ob ich bis Messina am Meer entladen wandern kann. Alle Apps zur Planung meines Weges dorthin wollen mich zurück in die Berge leiten. Das würde allerdings den Weg unnötig verlängern und mich zwingen mehrmals hintereinander zu Zelten. Das würde dann auch bedeuten, dass noch mehr Essen und Wasser mitnehmen müsste. Zum Andern führt eine Autobahn und eine Staatsstraße direkt am Meer lang, was so meine Vermutung, auch der Grund ist, durch die Berge zu gehen.

Zurück zu heute: ich habe ein Zimmer in einem B&B in unmittelbarer Nähe des Duomos von Giarre, einer Stadt etwa 100 Höhenmeter oberhalb des Meeres. Die Stadt hat sicher schon bessere Zeiten erlebt. Die Mehrzahl der Häuser zerfällt und sind in einem jämmerlichen Zustand. Mir gefällt aber die Anlage der Stadt mit vormals toll gestalten Plätzen, geraden Linien mit Blick zum Meer und schließlich einem Dom, der die Stadt optisch dominiert bzw. zentriert.

Tag 19: 21.10.2022

Ein Nachtrag zu gestern. Wie ich vermutet habe, handelt es sich bei den Verpuppungen an den Kiefern um Prozessionsspinner. Die Raupen sind eine Plage. Die Kiefern sterben tatsächlich, wenn sie von Prozessionsspinnern zur Verpuppung und Metamorphose genutzt werden.

Das „Basislager“ des Etna rund um das Refugio Sapienzia ist ein absoluter Touristenhotspot. Am Check-in für meine Tour herrscht das reinste Tohuwabohu. Um das riesige Refugio gibt es eine Vielzahl von Bars, Restaurants und vor allem Souvenirläden. Es werden alle möglichen Touren angeboten. Von reinen Lift- und Minibusfahrten mit und ohne Spaziergänge, für die neugierigeren Touristen natürlich auch mit ausgiebigen Wanderung zu vier Kratern. Letzteres. Selbst daran nehmen allein von einem Tourenanbieter eine große Zahl von Begeisterten teil. Man wird nach Sprachen Führern zugeordnet. Die meisten Teilnehmer müssen Schuhe wechseln, da Sneaker nicht als geeignet angesehen werden – mir will man auch mehrmals „richtige“ Wanderschuhe andrehen. Jeder muss einen Helm mitnehmen und wer will bekommt auch Stöcke angeboten.

Die Ordnung des Durcheinanders und des Trubels dauert eine ganze Stunde, dann geht es los. Die ersten 500 Höhenmeter überwinden wir mit einer Seilbahn. Wieder herrscht großer Andrang. Man könnte meinen, wir sind an der Talstation für ein Skigebiet in der Hochsaison. Danach gehen wir endlich zu Fuß weiter. Es dauert keine viertel Stunde, da können die Ersten schon nicht mehr und müssen zurück. Unendlich langsam mit ständigen Trinkpausen steigen wir den Berg hoch. Meine Geduld wird ziemlich strapaziert. Lunchpause wird natürlich auch gemacht. Die Bergsteiger mampfen ihre großen Lunchpakete, die sie mitgebracht haben. Wir kommen bis auf 2.900 Meter. Höher darf man auch mit Führer nicht. Am höchsten Krater auf 3.300 m, der bei einem Ausbruch 2002/2003 entstanden ist, gab es im vergangenen Dezember einen tödlichen Unfall mit einem Guide.

Vom Hauptkrater der etwas östlich und tiefer liegt als der neu entstandene Krater, steigen ständig große Schwaden Wasserdampf auf. Auch aus dem neuen Krater entweicht permanent Rauch allerdings nicht in so großen Wolken.

Der letzte Ausbruch war im Februar. Durch die abgekühlten Steine steigen wir hindurch. Diese strahlen immer noch große Wärme ab. An manchen Stellen ist es noch so heiß, dass sich Papier selbst entzündet. Die Luft ist warm, da der Vulkan fast überall so ab 2.500 m Wärme ab gibt. Das Gestein hat nach meinem Empfinden meist Körpertemperatur.

Die Landschaft ist beeindruckend. Der Ausdruck trifft es nicht: der schwarze Lavasand und dieses dunkle Lavagestein erzeugen den Eindruck einer Mondlandschaft; hier hätten auch Star-Wars Episoden gedreht werden können. Daneben gibt es Bereiche, die gelb sind von Sulfaten und wieder andere rot von Eisenauswürfen. Alles zusammen ist ein einmaliges Landschaftsbild.

Am Nachmittag ziehen Wolken auf, die von oben einen einen ganz besonderen Kontrast zum schwarzen Berg und dem hellen Sonnenlicht bilden.

Trotz der vielen Touristen und des langsamen Wanderns, ist der Ausflug zu den Kratern des Etna ein fantastisches Erlebnis aufgrund der Schönheit der Landschaft und des Wissens um die andauernde Aktivität der Erde, die regelmäßig diesen Berg komplett verändert.

Vom „Basislager“ zurück zu meinem Quartier muss ich die Straße unterqueren. Man hat sich eine ganz besondere Unterführungstechnik ausgedacht. Ich muss durch eine Röhre gehen, die auf mich eher den Eindruck macht, als wolle man Wasser durchleiten. In meinem Zimmer angekommen muss ich mich zu alerts unter die Dusche stellen und meine Klamotten intensiv waschen. In jeder Ritze hat sich der feine schwarze Lavastaub gesetzt.

Tag 18: 20.10.2022

Nachdem ich in einer Bar ein typisch Italienisches Frühstück mit zwei Croissants und einem Cappuccino zu mir genommen habe, verlasse ich Randazzo, das etwa auf 700 Metern ü.NN liegt, nach Süden. Heute werde ich den Etna von Norden kommend im Westen umrunden und bis auf etwa 1.900 Meter ü.NN ansteigen. Genau im Süden werde ich übernachten, da von dort aus der Einstieg in das Kratergebiet zwischen 2.900 und 3.300 Meter ü.NN möglich ist.

Der Anstieg ist stetig aber nie wirklich steil. Zunächst laufe ich eine Straße hinauf, die ich nach nicht einmal 5 Kilometern verlasse. Über Wiesen entlang an Mauern statt an Zäunen geht es nun querfeldein den Berg rauf. Überall liegen Lavabröckchen im Gras und Gebüsch. Diese Bröckchen sehen aus wie Pferdeäpfel und die größeren wie Kuhhaufen, wo für ich sie zunächst auch halte. Erst nach einer Weile fällt mir auf, dass diese Haufen Steine sind.

Weiter oben komme ich wieder auf einen breiten Forstweg. Dieser führt mal durch Wald mal durch Lavalawinen. Die Wege sind aus grobem Lavasand übersäten mit Kiefernnadeln.

Der Baumbestand ist von Kiefern und Birken geprägt. Birken hatte ich bisher auf Sizilien nicht gesehen. Hier sind sie sehr zahlreich und manche Bäume sind dick und wirken sehr alt. Sie wachsen auch zwischen den Lavaabgängen auf den Steinen.

In einem Bereich von wenigen Kilometern sind die Kiefern von verpuppten Insekten befallen. Im Licht sieht das toll aus. Aber bei genauerem Hinsehen, fällt mir auf, dass bereits eine Reihe der Kiefern abgestorben sind. Ich muss Morgen, wenn ich auf Einheimische treffen hinterfragen, um was für Tiere es sich handelt, und ob meine Vermutung korrekt ist, dass die vertrockneten Kiefern von diesen Parasiten getötet wurden.

Vegetation und Landschaftsbild unterscheiden sich deutlich von den bisherigen Bergregionen, die ich auf Sizilien bewandert habe.

Nach knapp 30 Kilometern und 1.250 Höhenmetern erreiche bereits kurz nach drei meine Unterkunft. Ich habe unweit des Ausgangsorts für die morgige Kraterbesteigung in einem größeren Haus, das mitten im Wald liegt, ein Apartment gemietet. Die Vermieterin wohnt nicht hier. Den Schlüssel hat sieben einem Schlüsselkästchen hinterlegt. Damit ich alles finde, hat sie mir per WhatsApp ein Video geschickt. Nachdem ich ihr mitgeteilt habe, dass ich gut angekommen bin. Bietet sie mir an, mich bei der Buchung eines Guides zu helfen. Ich wähle die Option mit der Begehung aller vier Krater und sie übernimmt für mich die komplette Abwicklung.

Das Haus ist typisch für die Region aus massivem Stein – lavagrau – mit kleinen Fenstern. Die Wohnung ist völlig ausgekühlt. Das Thermometer des Elektroofens zeigt 13 Grad an – wie draußen auch. Es dauert bis zum späteren Abend, um die Wohnung einigermaßen auf Temperatur zu bringen. Ich habe Wandersocken und eine lange Unterhose an, andernfalls ist mir selbst an der Heizung sitzend zu kalt.

In der Wohnung gibt es einen Kamin. Feuerholz liegt auch bereit. Mir ist das Anzünden des Kamins zu schmutzig, weshalb ich bisher darauf verzichtet habe. Sollte Morgen, ich werde noch eine zweite Nacht in dieser Wohnung verbringen, da nach der Kraterbesichtigung es mir zu spät wird von hier oben abzusteigen, es immer noch so kalt sein, werde ich den Kamin wohl doch an machen.

Tag 17: 19.10,2022

Ich stehe heute etwas später auf als sonst, da ich bis Randazzo, von wo ich Morgen ins Etna Gebiet starten möchte, keine 20 Kilometer zu wandern habe. Da ich in meine Unterkunft erst um 15:00 Uhr einchecken kann, lasse ich es sehr gemütlich an.

Beim Frühstück treffe ich das Paar aus Amerika mit ihrer Führerin. Ich hatte erwartet, dass die drei schon längst unterwegs sind. Tatsächlich wollen sie erst um 09:00 Uhr aufbrechen.

Ich selbst bin eine viertel Stunde früher bereit zum Aufbruch. Obwohl Sonnenschein für den ganzen Tag angesagt ist, komme ich raus in dichten Nebel. Daher fühlt es sich deutlich kühler an als es ist. Es geht abwärts meist entlang eines Flüsschens, das ein hübsches Tal gebildet hat und langsam vor sich hin plätschert. Das Tal ist sehr feucht, entsprechend ist Vegetation saftig und grün. Die Bäume wirken auf mich, wie aus einem Urwald. Sie wachsen mit ihren langen Ästen in aller möglichen Richtungen und vielen Biegungen. Sie sind oft stark bemoost. Es ist eine Freude hier entlang zu spazieren. Da ich Zeit habe, ist mein Gang dem Spazierengehen ähnlicher als Wandern.

Als der Weg die Flußseite wechselt, gibt es einen Hinweis auf ein Konvent und eine Mühle. Gut, den Umweg gehe ich und schau mir beides an. Es geht über schmale Pfade, die immer wieder zugewuchert sind, erst den Fluß zurück und dann den Berg hinauf. Als ich ankomme, gibt es dort nur ein paar Mauerreste und ich kann nicht erkennen, was das einmal gewesen sein könnte. Nichts lässt auf eine Mühle auch nicht auf ein Konvent schließen. Zurück habe ich mehrmals Schwierigkeiten den Pfad wieder zu finden. So überquere ich an einer völlig andern Stelle den Fluss und komme zurück auf den eigentlichen Wanderweg nur auf der anderen Seite eines Stacheldrahtzauns. Stacheldrahtzäune bzw. Zäune jeder Art gibt es hier viele. Am Zaun kann ich nicht entlang laufen: zu viel dornenreiches Gestrüpp und den Zaun überqueren kann ich, ohne mich zu verletzen und meine Kleidung kaputt zu machen, auch nicht. Ich habe mich schon in den letzten Tagen hinreichend oft an Stacheldraht die Haut aufgeschlitzt. Zwar nicht beim Überkletteren von Zäunen sondern beim Öffnen von „Zauntoren“, die die Wege blockieren. Wege werden gesichert, in dem die Zäune über den Weg weitergeführt werden. Nur die Pfosten werden nicht im Boden verankert: sie stehen auf dem Weg. An einer Seite des Weges sind sie unten mit einer Draht- oder Seilschlaufe mit dem nächsten im Boden verankerten Posten verbunden und oben macht man ebenfalls eine Schlaufe. Will man durch muss man die Schlaufe oben lösen. Danach fällt der gesamte Zaun über dem Weg in sich zusammen. Ist Man durch muss man das gesamte Gebilde wieder aufrichten und mit Aufwendung großer Kraft wieder miteinander verbinden. Dabei habe ich mir bereits mehrfach am Stacheldraht ordentliche Schnittwunden an Händen und Armen zugezogen.

Zurück zu meiner jetzigen Situation: ich muss zurück über den Fluss und auf der anderen Seite einen Weg bahnen. Als ich nach etwa einem halben Kilometer zurück auf die originäre Route kommen meine drei Wandergesellen herbei geschlendert.

Ein Obstbaum, wie es viele gibt. Die Früchte sehen aus wie Miniaturäpfel. Keiner erntet sie. Sie sind extrem sauer und für mich ungenießbar. Was ist das nur?

Die Führerin nimmt dies zum Anlass für sich Werbung zu machen. Mit ihr als Guide wäre mir das nicht passiert. Ich stimme ihr zu, würde aber auch nicht wissen, ob ich etwas verpasst hätte, wäre ich nicht zur Mühle gelaufen. Wir laufen ein Weile, uns unterhaltend, zusammen. Dann verabschiede ich mich endgültig, da selbst mein Spaziergehen zu schnell ist.

Nicht viel später sehe ich von einer erhöhten Position das mittelalterliche Städtchen mit seinen zwei imposanten Kirchen. Bevor ich mich mit meiner Vermieterin treffe, schaue ich mir den Ort ein wenig an und kaufe regionale Wurst und Käse für Morgen Abend, da ich am Etna keine Versorgung zu erwarten habe.


Die engen Gassen von Radazzo: nicht immer sind sie so attraktiv – eine Stadt die verfällt

Auf der Rückseite meines Zimmers ist ein Restaurant. Dort hatte ich mich am Mittag mit meiner Vermieterin getroffen. Es sieht nett aus und sie haben eine gut gestaltete Webseite. Deshalb gehe ich um acht dorthin zum Essen. Wer sitzt dort? Die Dreierkombi. Ich setze mich dazu auch wenn sie bereits fast fertig sind. So habe ich einen unterhaltsamen Abend.

Tag 16: 18.10.2022

Zu allererst muss ich mich korrigieren. Ich habe gestern nicht Wildschweine sondern „Schwarze Nebrodi Schweine“ gesehen. Diese Nebrodi Schweine, so habe ich mir von einem Kellner beim Frühstück erklären lassen, sind dem Wildschwein sehr ähnlich, bilden mehr Fett und sind viel kleiner als ein Hausschwein. Man hält in der Gegend keine Hausschweine sondern jagt ausschließlich Nebrodi Schweine und verarbeitet deren Fleisch zu sehr hochwertiger Wurst, Schinken und Fleisch. Die Produkte sind sensationell, das kann ich bestätigen, da ich gestern Abend zu jedem Kurs Nebrodi Schwein hatte. Da habe ich nicht die Verbindung noch nicht hergestellt zwischen den Schweinen, die ich gesehen habe und meinem Essen. Der Kellner bestätigt, dass die Population dieser Tiere sehr groß sei und sie sich schnell fortpflanzten. Auch heute sehe ich, sobald ich im Wald bin immer, häufig kleinere und größere Gruppen. Einmal dauert es sehr lange, bis mich eine Familie wahrnimmt, so dass ich sie etwas genauer beobachten kann: die Nebrodi Schweine haben kaum erkennbare Hauer, sind viel kürzer als ein Hausschwein, wieselflink und ihr Grunzen hört sich an wie ein sehr tiefes Bellen.

Auch heute gehe ich wieder 35 Kilometer aber nur etwas mehr als 800 Höhenmeter. Nachdem ich nun 5 Tage hintereinander zwischen 30 und 36 km und um die 1.000 Höhenmeter gewandert bin, fühle ich mich ausgepowert. Morgen werde ich daher einen kurzen Trip an den Fuß des Etnas machen. Übermorgen geht es dann hoch zum Etna auf die Höhe der verschiedenen Refugios. Von dort habe ich vor, den Etna bis zu den Kratern zu besteigen.

Die Landschaft heute ist sensationell: Wälder und Almen wechseln sich ab mit Blick zum Etna und zum Meer. Wunderschöne Seen, Bäume und Wiesen erfreuen mich.

Der Weg ist leicht zu finden. Ich treffe kaum auf Menschen. Autos kommen auf den Gravel-Roads gelegentlich vorbei. Auf einer der Almen spricht mich ein älterer Herr an. Er hat gerade seine Tochter hier hoch gebracht, die sich mit zwei Pferden einer Stute mit ihrem Fohlen auf den Weg ins Tal macht. Er selbst hat bei VW in Wolfsburg gearbeitet und lebt nun wieder in seiner Heimat. Über mich kann er nun den Kopf schütteln.

Heute übernachte ich in einem Hotel. Meine Erwartungshaltung ist, dass ich an eine Rezeption komme, mir der Schlüssel ausgehändigt wird und ich so schnell auf mein Zimmer komme. Weit gefehlt: ich komme in ein Geschäft, das Wirst und Käse verkauft. Auf mich als Hotelgast ist man nicht eingerichtet. Es wird wild herum telefoniert. Nach zehn Minuten kommt ein Herr und erklärt mir, dass ich noch zehn Minuten warten muss. Ich werde in einem Raum platziert, der als Trattoria genutzt wird. Irgendwann kommt das „Hausmädchen“, um das Zimmer zu machen. Nach etwa 3/4 Stunde kann ich dann tatsächlich aufs Zimmer. Hier muss ich mich erstmal um die Heizung kümmern: es ist sehr kalt und meine Wäsche wird ohne Heizung sicher nicht trocken. Ich finde zwar alle Schalter – nichts passiert. Jetzt muss ich versuchen mit meinen nicht vorhandenen Italienisch Kenntnissen und Internet Translator klar zu machen, dass das Zimmer zu kalt ist. Im „Hotel“ spricht man nur Sizilianisch und das in einer Geschwindigkeit, dass ich noch nicht mal die Sprache erkennen kann. Das Problem ist allerdings schnell gelöst. Lediglich eine Sicherung am zentralen Schaltschrank muss eingeschaltet werden.

Ich habe mir ein Restaurant heraus gesucht, das offen hat. Als ich runter komme, sitzen drei Englisch sprechende Leute in der Trattoria und essen eine Vorspeise. Also frage ich, ob ich auch hier Abendessen kann. Ich kann und bekomme Antipasti mit den Produkten aus ihrem Laden und anschließend eine Pasta mit Schwarzem Nebrodi Schwein.

Mit dem anderen Tisch komme ich schnell ins Gespräch. Sie sind ebenfalls Hiker: ein Ehepaar aus USA, die eine Führerin aus der Toskana engagiert haben. Ich scheine bereits mehr von Sizilien gesehen zu haben als die Führerin. Sie lässt sich von mir eine Reihe Hinweise geben.

Zum Schluss stellt man dem Dreier-Tisch und auch mir zwei Flaschen Schnapps und selbst gebackene Plätzchen hin. Ich nehme einen selbst gebrannten Mandel-Schnaps. Es wird zwischen den Tischen, die Inhaber sitzen mittlerweile auch an einem, zugeprostet. Wenn ich jetzt nicht schnell gehe, wird morgen der kurze Weg doch möglicherweise sehr lang.

Tag 15: 17.10.2022

Der heutige Tag ist einfach zusammengefasst:

  1. Anstrengend: mehr als 35 Kilometer und 1.400 Höhenmeter, zum Ende hin musste ich sehr schnell gehen, damit ich noch ankomme, bevor es dunkel wird und ich mich im Nebel verirre
  2. Wo ist der Weg: über weite Teile des heutigen Weges ist solcher nicht erkennbar —> ohne GPS wäre ich verloren gewesen
  3. Wildschweine: ideales Jagdrevier für Asterix und Obelix —> ich habe heute mehrere hundert Wildschweine gesehen und noch viel mehr gehört; das Gute ist, sie rennen weg, sobald sie mich hören/sehen und sind sauschnell; sie rennen schneller weg, als ich fotografieren kann; das Schlechte ist, sie pflügen den Wald, so dass Wege nicht mehr erkennbar sind und zu Äckern werden, in denen Wandern schwierig ist
  4. Mitten im „Nichts“ tief in einem riesigen Wald, der in Ost-/Westrichtung fast 100 Kilometer beträgt, habe ich eine sensationelle Herberge reservier: tolles Zimmer und sensationelles Abendessen.

Ach ja, bevor ich in den Wald eingetaucht bin, habe ich noch einen fantastischen Blick auf den Etna gehabt. Übermorgen bin ich am Fuße des Etna.

Tag 14: 16.10.2022

Es ist zwar kalt als ich das Hotel verlasse, deshalb habe ich über dem T-Shirt noch mein Wanderhemd an, aber der Himmel ist wolkenlos und das bleibt den ganzen Tag so.

Das Hemd ziehe ich schon nach einem Kilometer wieder aus. Es geht den Berg hoch und damit fängt mein Körper sofort an, ordentlich Wärme zu erzeugen.

Den Berg hoch geht es eigentlich, so mein Gefühl, den ganzen Tag. Natürlich gibt es auch bergab Passagen, die scheinen immer deutlich kürzer zu sein als die bergauf.

Der Weg heute ist recht abwechslungsreich: Almwiesen, Wald in einem Naturpark, Windräder, Äcker, nur keine Ortschaften. Selten aber doch gelegentlich kommt ein Auto vorbei. Fast alle halten an und bieten an, mich mitzunehmen, nachdem sie erfragt haben, was mein Ziel ist. Es ist nicht einfach zu erklären, dass das Wandern bereits das Ziel ist und nicht bequem sein Hotel zu erreichen.

Als ich etwa 2/3 meiner Strecke geschafft habe, quält mich Hunger. Ich suche mir, nachdem ich das Hungergefühl nicht unterdrückt bekomme, ein Plätzchen, wo ich mir eine Suppe warm machen kann. Auch wenn die Suppe nur lauwarm wird, schmeckt sie herrlich. So nehme ich den Rest des Weges mit gefülltem Bauch in Angriff.

Meine heutige Herberge liegt in Capizzi, das hoch oben im Berg klebt. Das bedeutet zum Ende hin noch einmal ein Anstieg von 250 Metern. Das bringt mich noch einmal ordentlich zum Schwitzen.

So komme ich verschwitzt bei meiner Unterkunft an. Niemand da. Dabei hatte ich doch extra vorher die Uhrzeit meiner Ankunft mit einer Reihe von Chats vereinbart. Auf die Klingel und die WhatsApp, die ich dem Vermieter schicke, reagiert er nicht. Als ich anrufe, versichert er mir, dass jemand in 5 Minuten da ist. Dann erhalte ich zusätzlich eine WhatsApp, dass sein Neffe in 5 Minuten kommen wird. Das tut der Bursche aber nicht. Die Sonne ist weg und im Schatten ist es kalt. Ich kühle sehr schnell ab. Ich habe Sorge, mich zu erkälten. Daher werde ich ungeduldig und melde mich noch einmal. Der Neffe sei doch bereits da, bekomme ich als Antwort. Pustekuchen. In Summe warte ich eine halbe Stunde und bin echt sauer, was der Junge nicht verstehen will. Ich bin alleine im Haus; ich habe ein Deluxe Zimmer gebucht und bezahlt; ich bekomme ein Zimmer, eiskalt, mit einem Bad über den Flur. Im Grunde ist mir das egal, da ich alleine im Haus bin, trotzdem ärgert mich das und das bekommt der junge Mann auch zu spüren und macht sich schnell aus dem Staub. Jetzt muss ich erstmal schauen, wie ich die Heizung zum Laufen bringe. Schnell finde ich das zentrale Bedienpanel fürs Haus und bringe das Zimmer und mein Bad auf Temperatur.

Zum Abendessen gehe ich in eine Tratoria, das einzige Lokal im Ort. Die Einrichtung der Tratoria ist so steril wie ein OP. Der Inhaber steht versteckt hinter einem „Rednerpult“. Ich bekomme steif einen Tisch zugewiesen. Bezüglich des Essens spricht der gute Mann nun in einem Stakkato auf mich ein, so dass ich nicht ein einziges Wort verstehe. Also sage ich meinen Standardsatz für diese Fälle: io non parlo Italiano. Darauf macht er großen Augen und die beiden anderen Tische, die schon besetzt sind, versuchen mit englischen Worten, die sie in den Raum werfen, zu helfen. Die Mama kommt aus der Küche und versucht mit hingeworfenen Italienischen Worten meine Verwirrung zu steigern. Als sich alles beruhigt hat, versuche ich mit meinen eingeübten Sätzen und Worten, zu hinterfragen, ob ich Pizza essen muss, wie die anderen Gäste oder auch eine Vorspeise und anschließend eine Pasta bekommen kann. Könnte ich, wird mir aber abgeraten. Also bestelle ich, eine Pizza Salami picante, einen gemischten Salat, eine Flasche Wasser und Rotwein. Ich werde für mein Italienisch gelobt, mache aber klar, dass mein Italienisch beim Bestellen von Standardgerichten endet. Jetzt wird es voll in dem Lokal, obwohl ich dachte, ich bin um 20:30 Uhr spät dran, denn man schließt bereits um 22:30 Uhr. Erst kommt ein Tisch mit Frauen so zwischen 30 und 40 alle in ihren Super-Fashion-Sonntags-Dress. Sie sind zu Neunt. Dann kommt ein Tisch mit zwei Paaren. Kaum hat die Begrüßung – jeder begrüßt jeden im Restaurant: fehlt nur, dass ich auch von jedem Neuankömmling in den Arm genommen werde und Küsschen links, Küsschen rechts erhalte – dann kommen sieben Jungs in ihren 20igern rein. Same procedure. Jetzt denkt man, jeder redet mit jedem. Das ist nicht der Fall. Man bleibt gesprächsweise untereinander. Nur gelegentlich steht jemand vom einen Tisch auf und unterhält sich mit jemandem vom anderen Tisch. Es herrscht nun eine unglaubliche Lautstärke in dem OP – eine reine Kakophonie. Zwischendurch kommen noch Leute rein, die bestellte Pizzen abholen. Jedesmal das selbe Begrüßungszeremoniell: unglaublich! Btw. der Damentisch ist gekleidet als würde man nach dem Essen in die Oper gehen wollen. Die Tische mit den Paaren sind leger in Jeans und der Männertisch in Traingsanzügen hier – nur zwei haben ein Hemd an. Hier könnte man Gesellschaftsstudien durchführen: der Damentisch trinkt Cola und Wasser, man unterhält sich. Am Männertisch spielt jeder mit seinem Handy, man unterhält sich nur gelegentlich – auch sie trinken nur Cola und Wasser. Mittlerweile sind alle Tische belegt. Nicht an einem wird Alkohol getrunken. Das ist in den Bars ganz anders. Als ich auf meinen Hotelwirt bzw. dessen Neffen gewartet habe, habe ich in einer Bar in Sichtweite zur Unterkunft, Wasser für heute Nacht und Morgen eingekauft. Die Bar war voll und dort wurde Bier, Wein und auch stärkere Alkoholika getrunken.

So, ich muss schlafen. Morgen geht es zurück in die Berge und ich habe mir wieder viel vorgenommen.

Tag 13: 15.10.2022

Das Wichtigste zu erst: kein Regen heute. Auch wenn es immer mal wieder so aus, als würden sich Regenwolken vor den Gipfeln sammeln. Keine musste abregnen und ich bin trocken geblieben. Die Wege sind allerdings meist noch aufgeweicht, so dass ich aufpassen muss, nicht in Schlamm zu treten und auszurutschen, im Großen und Ganzen komme ich heute gut voran.

Mein Weg führt mich durch zwei Städte in den Bergen, so dass ich unterwegs etwas essen kann und Kaffee bekomme. Außerhalb solcher vereinzelter Städte ist es schon eine sehr einsame Gegend. Am Ende erreiche ich nach 33 Kilometern und 1.200 Höhenmeter mein heutiges Quartier: das sind fast identische Daten wie gestern. Es handelt sich nach eigenen Angaben nicht um ein Agritourismo, ist aber doch eine Art Bauernhof mit Hotel und Restaurantbetrieb. Der Hof liegt genauso remote wie gestern das Agritourismo auch.

Es klingt vielleicht negativ, wenn ich die Gegend als remote und einsam bezeichne, das ist nicht so gemeint. Es soll meinen Weg und die Umgebung charakterisieren. Ich wähle meine Route so, dass ich auf der einen Seite das „wirkliche“ Sizilien, und das ist zunächst einmal das Innere der Insel mit seinen Bergen und der Landwirtschaft und nicht nur die Städte an der Küste mit ihren Stränden sehe und auf der anderen Seite so, dass ich möglichst ein Zimmer und ein Abendessen bekomme.

Auf den Bildern sieht man die Weite der Insel. In den Bergen gibt es nur wenige Bäume: meist Oliven- und Kastanienbäume. Gestern bin ich noch an Zitrusbäumen vorbei gekommen, für die dürfte es hier oben zu kalt sein. Wälder, wie im Westen der Insel, gibt es in der Mitte der Insel oder zumindest auf meinem Weg nicht.


Auf mich hat die Gegend einen Almen Charakter: Wiesen mit Kühen, Schaafen und Pferden. Gelegentlich hat auch mal ein Hof Hühner, die ausgezehrt aussehen. Die Kühe sind entweder weiß oder fast schwarz, die ein zotteliges Fell haben. Die Schaafe sind scheu, sie rennen panisch davon, komme ich auch nur ein wenig näher.

Vor dem Abendessen plane ich meine nächsten drei Tage, da ich einen längeren Gebirgszug ohne Orte durchqueren muss. Um Zelten zu vermeiden, weiche ich morgen etwas nach Süden aus. Danach geht es in die Mitte des Gebirges. Ergebnis: weitere drei Tage muss ich jeden Tag deutlich mehr als 30 Kilometer und 1.000 Höhenmeter machen. Ich fühle mich fit genug, das zu schaffen.

Das Wetter scheint, in den kommenden Tagen zu halten. Es hat deutlich abgekühlt gegenüber der ersten Woche. Heute wurde es nicht wärmer als 16 Grad. Es kühlt in der Nacht allerdings auch kaum ab. Damit ist es derzeit in Südtirol 1.200 Kilometer weiter nördlich wärmer als auf Sizilien. Das hatte ich doch etwas anders erhofft.

Tag 12: 14.10.2022

In Montemaggiore starte ich schon um 07:45 Uhr, da ich heute einen längeren Weg plane zu gehen. Aber zunächst trinke ich in der Bar in der Nähe der Kirche einen Cappuccino und esse dazu zwei Croissants. Während ich esse checke ich die Wetterprognosen. Es sieht nach wie vor gut aus. 20% Regenwahrscheinlichkeit am Vormittag mit einer Niederschlagsmenge von weniger als 1 mm.

Auch wenn es nicht regnen wird und wenn nur kleinste Mengen, stelle ich mich auf schlammige Wege ein. Schnelle stelle ich fest, dass die Prognosen nicht korrekt sind. Ich habe die Stadt kaum hinter mir gelassen, schieben sich dicke, dunkle Wolken den Berg hoch. Sie schaffen es nicht über den Berg. Infolge dessen fängt es heftig zu regnen an. Ich ziehe schnell meine Regenjacke an. Es regnet sicher durchgehend zwei Stunden und das recht heftig. Wie vermutet, sind die Wege aufgeweicht und ich sehe schon nach kurzer Zeit genauso dreckig aus wie gestern.

Auf einer abfallenden geteerten Straße läuft so viel Wasser runter, dass meine Schuhe schnell wieder sauber werden. Dann muss ich wieder in den Matsch und durch Bäche, die wegen des Regens zu Flüssen geworden sind. Mal wieder bin ich nass von Kopf bis Fuß.

Am späten Vormittag kommt endlich die Sonne raus. Ich ziehe die Regenjacke aus und beginne schnell trocken zu werden. Ich hoffe, das bleibt jetzt so, da nach der Wettervorhersage ab mittags das Sommerwetter zurück sein soll.

Zu früh gefreut. Der Wind treibt immer wieder Wolken über die Felder und wieder einmal sammeln sie sich vor einem Berg. Schnell ziehe ich wieder meine Regenjacke an und ich habe sie noch nicht richtig zu, geht es wolkenbruchartig los.

Ich bin gar nicht in der Lage die Schönheit der Natur richtig zu genießen. Ich bin umgeben von gewaltigen Bergen, laufe durch Olivenhainen mit uralten Olivenbäumen, die voll hängen mit ihren fetten Früchten. Hier und da färben sie sich bereits dunkel ein. Erstmals komme ich durch einen regelrechten Wald mit Zitrusfrüchten: Zitronen und Mandarinen, leider noch alle unreif. Es riecht fantastisch. Leider vergesse ich davon ein Foto zu machen, zu sehr bin ich damit beschäftigt den Duft trotz des Regens aufzusaugen.

Am Nachmittag ist dann tatsächlich Schluss mit Regen auch wenn sich immer wieder Wolken vor den mächtigen Bergen sammeln, sie regnen nicht mehr ab und so trocknet auch meine Kleidung.

Nach fast 34 Kilometern und über 1.200 Höhenmeter erreiche ich das Agrotourismo, das ich gestern gebucht hatte. Hier kann ich auch zu Abendessen. Ich hatte schon befürchtet, ich müsste heute auf meine Suppen zurückgreifen. Statt dessen bekomme ich einen üppigen Vorspeisenteller, Pasta alla Norma und zum Schluss lokale Früchte – selbstverständlich bekomme ich ein etikettenlose Flasche Rotwein.

Tag 11: 13.10.2022

Das ist nicht mein schönster Tag. Heute fehlt einfach die Sonne. Regenwetter macht diesen Tag trist. Schon als ich mich in Caccamo auf den Weg mache, nieselt es leicht. Vorsichtshalber ziehe ich mein langärmliges und etwas dickeres T-Shirt und die Regenjacke an. Nicht weit außerhalb der Stadt beginnt ein intensiver Landregen. Das ist weiter nicht schlimm. Regenjacke und Kapuze lassen es trotzdem zu, dass ich gut voran komme und der Regen mich nicht stört. Das ändert sich, als ich die befestigten Wege verlassen muss und auf aufgeweichte Feldwege weiterwandere.

Das stimmt so nicht: ich komme in dem Matsch kaum noch vorwärts. Die schwere Erde klebt an meinen Schuhe und machen sie schwer. Der Schlamm drückt sich in meine Schuhe und die Hose hoch. Ich habe das Gefühl, die Mafia hat mir Betonschuhe verpasst und ich versuche mit geringem Erfolg, mich aus dem Zement zu befreien. Da es steil bergab geht, und die Matsche zäh fließt, rutsche ich wie auf Gleitschuhen den Berg runter. Ich kann die Geschwindigkeit kaum kontrollieren. So sehr ich mich auch bemühe, ich kann nicht verhindern, dass ich auch auf meinem Po lande und mich bis zum Rucksack hoch schmutzig mache.

Das geht allerdings nur etwa 5 Kilometer so, bis ich zum Flüsschen im Tal komme. Hoch geht es etwas besser. Ich muss nur einiges an Energie aufwenden, diese aufgeweichten Wege hoch zu gehen und nicht immer wieder auszurutschen. Etwas später erreiche ich wieder weitgehend asphaltierte Wege.

Schon auf dem gesamten Weg seit Trapani fällt mir der schlechte Zustand der Nebenstraßen auf: man macht es sich einfach. Auf festgefahrenem Untergrund wird ohne weitere Befestigung oder Drainage eine Asphaltdecke aufgebracht. An Steigungsstücken bricht der Asphalt aufgrund der Belastung weg. An den Straßenrändern entstehen Löcher, die immer wieder mit zerkleinertem Baumaterial aufgefüllt werden, bis große Teile der Straße nur noch aus Bauschutt bestehen. In Senken fließt das Wasser mit dem Schlamm über die Straßen und reißen sie mit bzw. es entstehen Schlammlöcher. Bei einem intensiven Regen wie wir ihn heute haben, obwohl sicher nicht sehr ergiebig, ist der Mangel an Drainage und einem sachgemäßen Untergrund besonders gut zu erkennen. Mir fließt die Matsche auf dem letzten Anstieg nach Montemaggiore auf der Straße entgegen und ich muss immer wieder durch tiefe Löcher voll mit Wasser waten.

Auf meinem Weg sehe ich den ersten Mandarinenbaum mit Früchten. Ich pflücke eine der reifen Früchte. Ich habe große Schwierigkeiten, sie zu schälen. Ich halbiere sie daher und esse sie direkt aus der Schale – etwas saure aber sehr lecker. Sie hat etwas vom Geschmack der hiesigen Zitronen.

Auch aufgrund der schlechten Wetterprognose habe ich mir für heute keinen langen Weg vorgenommen. Montemaggiore erreiche ich schon nach 17 Kilometern und 700 Höhenmeter bereits um 13:30 Uhr. In meinem sehr einfachen Quartier wasche ich erstmal alles vom Schuh bis zu meinen Haaren. Überall klebt der Dreck.

 Sehr praktisch: Kirche und Stadtverwaltung Seite an Seite, nur die Eingänge sind voneinander getrennt

Nachdem ich wieder sauber bin und mir trockene Sachen angezogen habe, schlendere ich durch den Ort. Inzwischen hat es aufgehört zu regnen und die Sonne blinzelt immer mal wieder durch die dicken Wolken. Ich bin etwa ein Kilometer von meinem Zimmer entfernt, als es wieder anfängt zu regnen. Weiter nicht schlimm, denn ich habe vorsichtshalber meine Regenjacke mitgenommen. Es dauert noch nicht mal zwei Minuten dann sind die Straßen Flüsse und das Wasser fließt knöchelhoch durch die Straßen. Selbst mit hoch gewickelter Hose und Flipflops werde ich pitschnass. Es regnet nicht wirklich heftig, trotzdem steht das Wasser wie in Südostasien bei einem Monsunregen in der Stadt. Obwohl ich im Wasser wate, schaue ich mich um, auf der Suche nach den Ursachen. Das Problem erkenne ich schnell. Alle Regenfallrohre enden kurz über dem Bürgersteig bzw. über der Straße. D. h. die Dachentwässerung erfolgt nicht direkt in die Kanalisation, sondern auf die Straße. Es gibt zwar eine Kanalisation in den Straßen, allerdings viel zu wenige Einlässe, die auch wegen der teilweise steilen Straßen, das Wasser nicht aufnehmen können. Ob die Kanalisation das Wasser abführen könnte, kann ich natürlich nicht erkennen. Das Problem fängt eben schon vorher an.

So komme ich schon wieder aufgeweicht zurück in mein Quartier. Meine komplette Kleidung, die ich bei habe, ist nun nass – toll. Dann lege ich mich halt ins Bett und kann nur hoffen, dass der Trocknungsvorgang nicht zu lange dauert.

Tag 10: 12.10.2022

Zuerst die „technischen Daten“ von heute: 27 Kilometer und 1.100 Höhenmeter. Ich starte zwar in Alta Villa (Hoher Ort), tatsächlich muss ich zwischen zwei Bergzügen durch und es geht stetig aufwärts. Bis zur Passhöhe sind es 700 Höhenmeter. Auf halber Höher habe ich einen Postkarten Blick zurück auf Altavilla und die Strände Palermos Vororte.

Kaum in den Bergen wird es wieder sehr einsam. Gelegentlich komme ich an einem Hof vorbei. Neben Olivenbäumen wird fast ausschließlich Viehzucht betrieben und hier wiederum meist Rinderzucht. Noch nie habe ich Rinder so laut Muhen gehört wie heute. Es klang wie Warnrufe und das man mein Kommen kommuniziert hat. Denn es waren.definitiv nicht Kühe, die gemolken werden wollten, sondern männliche Tiere, die mich immer wieder begleitet haben und ich von Herde zu Herde übergeben wurde. Rinder wirken auf mich eher sehr blöde. Heute habe ich einen ganz anderen Eindruck gewonnen. Vielleicht beide ich mir das aber nur ein.

Mit dem Hirten einer der Herden habe ich versucht zu kommunizieren. Wir konnten uns allerdings nur über meinen Weg etwas verständigen. Meine Fragen hinsichtlich der Rinder Kommunikation hat er nicht verstanden. Dafür hat er mir exakt den Weg beschrieben.

Den Pass erreiche ich am späten Vormittag. Kurze Zeit später erreiche ich eine Eremitage. Hier lege ich mich auf einer Bank und schlafe eine volle Stunde. Mir tut zwar alles weh von der harten und schmalen Bank, bin aber gut erholt. Jetzt geht es steil runter zu einem Stausee mit grünem Wasser. Da es sich eintrübt, wird das Wasser immer grauer. Wie sich die Wasserfarbe mit dem Wetter ändert habe ich so noch nie bewußt wahrgenommen. Der See ist nicht besonders gut gefüllt, daher ist die Staumauer zur Seeseite hoch. Zur andern Seite aber wirklich tief.

Jetzt kommt noch mal ein tougher Part. Von dem Stausee muss ich auf kürzester Distanz fast 400 Meter hoch nach Caccamo. Einem Ort mit etwa 8.000 Einwohner. Hier werde ich heute übernachten. Es gibt nur Ferienwohnungen, kein Hotel. Alle Wohnung werden von Giovanni – so heißen hier wohl alle, die mit Touristen zu tun haben – gemangelt. Er hat sein Büro direkt vor der größten Normannen Burg Siziliens. Dort treffe ich hinschob vor seinem Büro. Er hat aus dem Internet ein Bild von mir ausgedruckt. Als ich vor einer Bar stehe und schaue, wo sein Büro ist, kommt er schon auf mich zu, das Bild in der Hand.

Caccamo ist eine mittelalterliche Stadt. Man vermutet zwar, dass sie schon in der Antike gegründet wurde. Beweise gibt es dafür aber nicht. Wir müssen über steile Treppen und enge Gassen hoch zur Wohnung laufen. Die Wohnung ist hübsch mit einem Wohnraum, Küche und einem Schlafbereich und hat einen tollen Blick auf die Burg, die ich später besichtige.

Für den Abend erhalte ich von meinem Vermieter gleich eine Empfehlung. Diese betrifft nicht nur das Lokal sondern auch das Menü. Ein MUSS ist die preisgekrönte Salsiccia on Caccamo. Das Abendessen ist super und super sättigend. Beim Nachtisch, der für Sizilianer der wichtigstes Kurs eines Menüs ist, streike ich. Ich platze und mir wird auch viel zu viel Wein eingeflößt.

Vor dem Abendessen besichtige ich die Altstadt, in der eben auch mein heutiges Zuhause liegt. Seine berühmteste Persönlichkeit ist Carlo Gambino Mafioso Pate in New York – ich hoffe das hat hier und heute nichts mehr zu bedeuten. Zum Abschluss geht es in den Duomo (8.000 Einwohner brauchen einen Dom und über 20 Kirchen). Im Dom wird Messe gehalten, weshalb ich mich nur kurz dort aufhalte. Von dort gehe ich zur Burg, die seit fast 60 Jahren im Besitz der Stadt ist und in der man ohne Führer in alle Räume darf: mal wieder wird mir klar, wie privilegiert wir heute wohnen mit Heizung und vor allem fließend Wasser. Die Familie, die sicher mal unendlich reich war, hat bis Ende der 50-iger dort gewohnt ohne Toilette und fließend Wasser.

Tag 9: 11.10.2022

Heute hatte ich einen vergleichsweise ruhigen Wandertag mit knapp 30 Kilometern und kaum Steigung. Mein Weg führte mich an der Küste aus Palermo hinaus durch eine Reihe von Vorstädten.

Ist Palermo schmutzig, so sind diese Vorstädte Müllhalden, in denen verfallene Häuser rechts und links der Küstenstraße und riesige Wohnblocks in zweiter und dritter Reihe stehen. Offensichtlich gibt es hier keine funktionierende Müllabfuhr und auch kein Verständnis der Bürger für den Umgang mit Müll. Noch in Palermo beobachte ich eine Frau in meinem Alter, wie sie ihr Auto am Straßenrand stehend aufschließt und als erstes den kompletten Müll in ihrem Auto auf die Straße wirft. Dann erst steigt sie ein und fährt los. Etwas weiter außerhalb fährt ein ebenfalls älteres Paar auf einen Parkplatz, steigen aus, öffnen den Kofferraum und werfen mehrere Müllbeutel einfach mitten auf den Parkplatz. Ähnliches Verhalten und Missstände kenne ich nur aus Ägypten und vom indischen Subkontinent. Schon dort habe ich kein Verständnis dafür, das ein Staat es nicht als seine Aufgabe sieht, für eine passables Müllenhandling zu sorgen. Dass in einem Land, das das Europäische Wertesystem derart intensiv und nachhaltig geprägt hat, solche Zustände herrschen, empfinde ich als Beleidigung.

Anders als in anderen Großstädten gibt es entlang der Ausfallstraße, ich nehme, kaum stereotype moderne Gewerbebauten. Zwar findet Gewerbe auch hier statt vor allem zwischen Straße und Strand meist in Garagen, baufälligen alten Gebäuden hinter Mauern. Ich kann immer nur wieder durch die Einfahrten schauen, wie es dort aussieht. Müll wird dort auf den Höfen gelagert und es sieht aus als wäre man auf einem Schrott- und Müllplatz. Auf der vom Strand abgelegenen Straßenseite gibt es einfache Bars, Obst und Gemüsestände, Trödelläden und vieles mehr.

Das Bild ändert sich erst etwa 15 Kilometer östlich von Palermo. Dort komme ich durch Städte und Dörfer, die durch ihr mittelalterliches Stadtbild mit engen Gassen und historischen Bauten bestechen. Auch der Müll wird hier weniger – aber nur in den Ortschaften selbst. Außerhalb das üblich Bild: Müll und Zerfall. Schön ist anders.

Mein Hotel für heute Nacht liegt oben auf dem Berg mit Blick aufs Meer, auf die Autobahn und die Eisenbahnlinie. Trotz der wenig schönen Infrastruktur, die den Ort komplett vom Wasser abschneidet, ist der Ort liebens- und lebenswert hergerichtet. Die Kirche auf einem Plateau mit umwerfenden Blick gelegen, wird gerade restauriert: sie ist fast komplett entkernt. Aber eine spannende Skulptur verschönt den Vorplatz. Auch hat man sich mit dem einen oder anderen Haus Mühe gegeben, es attraktiv zu gestalten.

Heute gibt es wieder Pizza. Die beiden Restaurants haben dienstags geschlossen. Um mein Abendessen etwas zu pimpen, habe ich mir zwei händevoll Datteltomaten gekauft; voll durchgereift schmecken sie köstlich süß.

Tag 8: 10.10.2022

Ruhetag in Palermo. Wie gestern Abend regnet es auch heute Morgen. Ich bleibe zunächst in meinem Zimmer. Am späten Vormittag ist das Regengebiet endlich durchgezogen und ich wandere mehr oder weniger ziellos durch die Altstadt. Hier liegen Licht und Schatten sehr nah beieinander: Die großen Plätze scheinen im Sonnenlicht und lassen die glorreiche Vergangenheit dieser Stadt erkennen. Fontana Pretoria, Quattro Canti und die Chiesa San Giuseppe di Teatini – diese Kirche ist zumindest innen viel prächtiger als die Kathedrale. Sensationell feine Marmorarbeiten, Fresken und Gemälde beeindrucken mich tief.

Wieder draußen schlendere ich durch engste Gassen, abseits der großen Straßen durch die sich selbst am Montag die Touristenmassen schieben. Hier ist es dunkel und der Zerfall überall erkennbar. Hier wagen sich die Touristen nicht her. Die Menschen wohnen in Ruinen und der Dreck stapelt sich. Trotzdem versuchen die Bewohner, die Straßen und Gebäude durch Malerarbeiten attraktiver zu gestalten. Hier wohnen, nach meinem Eindruck, vor allem  Menschen mit afrikanischen Wurzeln.

Ist Venedig eine morbide Stadt, so wirkt Palermo von seinen Gebäuden und dem Straßenbild bereits tot, so etwa wie gestern in der Gruft. Tot, konserviert für alle Ewigkeit, übrig nur das Skelett mit einigen hübschen Kleidern. Konserviert für die Nachwelt und besuchen kann man die Tote, wenn einem der Sinn nach steht.

Damit möchte ich nicht die Stadt schlecht machen. Ich mag diese Morbidität durch aus. Sie versprüht – gerade mit diesen dunklen engen Gassen und den meist fröhlichen Menschen, die gefühlt jenseits der Armutsgrenze leben – einen ganz besonderen Charme. Ich habe eine große Bandbreite der Stadt erlebt: Gestern Abend habe ich im Hafen, in einer am Abend wirklich dunklen Ecke, mit nicht befestigten Straßen, keiner Straßenbeleuchtung und Türstehern, mit denen ich keinen Konflikt austragen möchte, ein hervorragendes Dinner zu mir genommen. Heute Abend bin ich in ein Restaurant in einem Hinterhof hinter der Chiesa die San Giovanni di Teatini gestolpert (Locanda del Gusto) mit einem sehr schönen Innenhof, zentral eine große Palme, Olivenbäume in riesigen Töpfen, einem Loungebereich, schön gedeckten Tischen. Hier glänzt alles und das Essen ist ebenso gut wie gestern Abend.

Die Gäste heute sind ganz anders als gestern Abend. Gesten Abend waren alle distinguiert. Neben mir z. B. drei Engländerinnen: Mutter mit ihren beiden Töchter, die Töchter über 50 und übergewichtig mit ausgeprägtem Doppelkinn und Oberarmen weit – und ich meine wirklich weit – größer als meine Oberschenkel. Die Mutter dürfte Mitte 80 sein und ist eher zierlich. Die beiden Töchter können leider nicht mit Messer und Gabel umgehen. Furchtbar, mich stört so etwas mittlerweile nicht nur ein wenig sondern sehr. Können die Leute nicht mal ein Minimum an Tischmanieren erlernen? Heute ganz anderes Publikum gemischt Italiener und Touristen. Vor allem einige sehr ungeduldig, wenn sie nicht sofort einen Tisch zugewiesen bekommen, obwohl sie nicht reserviert haben. Die Verweilzeit ist nicht sehr lang, da das Essen typisch für Italien schnell serviert wird, also könnten sich alle locker machen. An einem der Nebentische sitzt ein Deutscher um die 70. Er trinkt mehr Wein als er isst. Er gehört zu einer Reisegruppe, die nicht zusammen ißt. Erst kommt die Reiseleiterin vorbei, anschließend ein Paar aus der Reisegruppe. Er erklärt beide Male, dass er zunächst nur zwei drei Vorspeisen ißt und dann weiter sehe. Nach vier, fünf Gläsern Wein und genau einer Vorspeise geht er. Zwei junge italienisch sprechende Mädchen übernehmen den Tisch. Eine quatscht unentwegt, die andere spricht immer mal wieder und führt offensichtlich das Gespräch unterstütz mit ihrer intensiven Körpersprache. Sie essen zusammen eine Vorspeise und trinken eine Flasche Wasser. Diejenige, die das Gespräch leitet, ist sich bewußt, dass ich mein Umfeld beobachte und gibt mir dies auch zu verstehen. Als ich am Bezahlen bin, lassen sie sich doch nochmal die Karte bringen. Eine gemeinsame Vorspeise reicht den beiden natürlich nicht. Als ich gehe spreche ich kurz mit den beiden, mir gefällt deren Fröhlichkeit. An einem anderen Nebentisch kommt spät das Paar, das genau diesen Tisch reserviert hat. Sie sprechen ebenfalls italienisch, wenn sie sprechen. Eigentlich schweigen sie nur und sie guckt böse, unzufrieden. Wenn sie sich äußert, dann hat ihr Ton immer etwas schnippiges. Sie ist ungeduldig und flammt mehrmals das Servicepersonal an, wozu es nun beim besten Willen keinen Grund gibt, der Service funktioniert super auch im Team. Getrunken wird an dem Tisch nur Wasser. Vorspeisen werden ausgelassen. Man konzentriert sich auf Secondi Piatti.

Nebenbei habe ich heute eingekauft und mich mit dem nötigen Proviant versorgt, um zwei bis drei Tage in den Bergen im Zelt und ohne Supermärkte und Restaurants durchstehen zu können. Dabei sind meine „Lieblingsgerichte“ hergestellt in China, extrem leicht, eine Mahlzeit wiegt gerade mal 60 gr., schmeckt gräßlich, sättigt aber perfekt.

Ich habe den späten Nachmittag auf die Abendessenzeit wartend mit der Planung der nächsten drei Tage verbracht und bereits Zimmer bis einschließlich Donnerstag gebucht. In der Zeit muss ich schon mal nicht auf meine neuen Vorräte zurück greifen. Freitag könnte auch noch klappen mit Fremdversorgung, danach wird es deutlich schwieriger.

Jetzt lasse ich den Abend noch mit einem Zibello ausklingen; gestern hatte ich einen Grillo: typische weiße Rebsorten auf Sizilien. Auf dem Weg zu meinem Zimmer direkt vor der Chiesa San Giovanni macht eine Gruppe Musik im Zentrum eine Geigerin. Es herrscht eine tolle Stimmung auf der Straße. Ich lasse mich in den Bann der Musik und der Menschen um mich herum ziehen. Nach einer Weile gehe ich dann doch in mein B&B; vom Balkon aus kann ich gut die Musik hören und immer noch die Atmosphäre spüren. Hier kann man es aushalten; in Palermo war ich nicht das letzte mal.

Tag 7: 09.10.2022

Gestern Abend habe ich zwar nicht das beste Essen bekommen, aber ich habe hinreichend gesalzen, um so meinen Mineralienhaushalt wieder in den Griff zu bekommen. Nach zwei Tagen ausschließlich Käse mit Brot hat mich ausgezehrt, so dass ich die letzten beiden Tage nicht voll leistungsfähig war. Heute fühle ich mich fit und die Anstiege machen mir viel weniger aus: ich muss darauf achten, dass ich den Verlust von Salz beim Schwitzen abends wieder ausgleiche.

Heute durch wandere ich ein Naturschutzgebiet. Dort gibt es aus Refugios: wie ich mir schon bedachte sind das im besten Fall Schutzhütten. Sie sind nicht bewirtschaftet und Wasser gibt es auch keins, da sie immer auf einem Hochpunkt liegen und Wasser nun mal den Berg runter und nicht hoch fließt. Sie sind innen ausgesprochen muffig. Ich würde darin nicht übernachten wollen. Da würde ich immer mein Zelt vorziehen.

Die Wege in dem Naturschutzgebiet sind gut ausgeschildert und es macht keine Schwierigkeiten, ihnen zu folgen. Außer man findet den Wege doch nicht. Wie konnte das passieren? Am höchsten Punkt beginnend hat es vor einiger Zeit einen Waldbrand gegeben. Mir scheint, danach hat man dort keine Pflege der Wege und des Waldes gegeben. Man hat die Natur ihre Arbeit machen lassen. In manchen Bereichen ist man mit schwerem Gerät in den Wald und hat begonnen, die Bäume zu fällen. Damit entstanden Wege, die es auf den Karten nicht gibt und ehemalige Wege sind zu gewuchert, durch Spuren der Fahrzeuge nicht mehr erkennbar.

An einem solchen Punkt angekommen, finde ich den Weg, den ich zu nehmen habe nicht. Da kommen zwei Fahrradfahrer. Einer von den beiden hat mal in Freiburg gewohnt. Sie zeigen mir den Weg. Nur nach etwa zehn Minuten stellt sich heraus, das ist kein Weg. Ich stehe „im Urwald“. Hier gibt es nur noch verbranntes Gehölz und Dornengestrüpp. Ich komme nicht mehr richtig vorwärts und zurück finde ich auch nicht. Also „gehe“ ich in Richtung meines Weges. Irgendwann muss ich ja darauf stoßen. Es sind vielleicht gerade mal 500 Meter. Die haben es aber in sich. Ich stürze, weil ich den Boden nicht sehen kann, bleibe im Dorngebüsch hängen und komme vor lauter Gestrüpp kaum noch Vorwärtskommen. Die ungefähr 500 Meter kosten mich fast eine Stunde. In meinen Füßen stecken Dornen. Meine Kleidung ist voll Mist allem, was die Vegetation hergibt und meine Hose sieht einfach schrecklich aus. Ich muss sehen, was ich späte machen kann, um das schlimmste zu reparieren.

Als ich auf dem Weg zurück bin, läuft wieder alles prima und etwas später kann ich auf Palermo und das Meer schauen. Weniger schön sind die letzten 15 Kilometer nach Palermo. Ich komme durch runtergekommene Und völlig verdreckte Vorstadtgebiete.

Selbst die Innenstadt macht einen verschmutzten und nicht gerade attraktiven Eindruck. Bis ich dann die wirkliche Innenstadt an einem historischen Tor erreiche. Von da an ist Palermo eine Stadt mit attraktiven Kulturdenkmälern, zwar nicht sauberer aber trotzdem schön.

Da es auf meinem Weg liegt besuche ich als erstes „Le Catacombe del Cappuccini“ – die Kapuzinergruft von Palermo. Dort wurden ab 1599 Personen balsamiertes und aufbewahrt. Zunächst nur Kapuzinermönche später auch Bürger, die es sich leisten konnten. So konnten die Hinterbliebenen ihre Verwandten weiterhin besuchen. Im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde die Balsamierung verboten, nur daran gehalten haben sich die Reichen nicht. So „lagern“ in der Gruft etwa 2.000 Menschen: Kinder, Frauen, Männer. Alle in ihren Kleidern – meist ist nur das Skelett unter den Kleidern übrig. Manche haben aber auch noch Hautpartien, Haare und Zähne. Da die Gruft den Eindruck eines Lagers macht, wirkt das Ensemble sehr skurril.

 Bild von peterstravel.de

Rund um die Kathedrale herrscht mir zu viel Trubel. Massen an Touristen sind in großen Gruppen unterwegs und belagern alles sehenswürdige. So beschließe ich Morgen einen Ruhetage einzulegen und mir die Stadt in Ruhe anzuschauen. Zumal es anfängt heftig zu regnen und das Regenwetter morgen anhalten soll.

Jetzt sitze ich einem schicken Restaurant im Hafengebiet und habe hervorragend gegessen. Um mich herum Deutsche und Engländer, die alle nicht hinreichend Bewegung erhalten. Das Essen war sensationell bzw. ist es noch, da ich zum Abschluss gerade noch ein Dessert vom CHEF serviert bekomme: gefährlich viel Zucker, bedenkend dass ich Morgen einen Ruhetage einlege, zumal ich auch noch eine Flasche Grillo getrunken habe.

Tag 6: 08.10.2022

Ich habe mir den Wecker auf 06:30 Uhr gestellt, damit ich bei Sonnenaufgang weitgehend fertig bin, falls der zusammengefallen Hof doch noch für Feldarbeiter genutzt wird. Um 07:15 habe ich Schlafsack, Luftmatratze, Kopfkissen zurück in ihre Verpackungssäcke gestopft, das Zelt abgebaut, den Rucksack gepackt und meine Morgentoilette erledigt.

Nach etwa 7 Kilometer komme ich durch eine Ansammlung von Häusern, die so weit von einander entfernt stehen, dass ich dies nicht ein Dorf nennen würde. Jedes Grundstück – wie gestern schon beschrieben – von Hunden bewacht. Die vorherrschende Rasse sind diese weißen Hunde: ich vermute einen Marenmanno, denn auch die Schäfer nutzen dieses meist oder Mischungen, die ähnlich aussehen.

Den Hund, den ich hier aufgenommen habe, hat nicht nur mich im Sinn zu verjagen, sondern auch drei weitere Hunde, die so gar nicht in das hiesige Bild passen. Die eine Schäferhund-Hündin ist schwanger. Alle drei folgen mir von nun an die Berge rauf und runter. Meist in Formation: der etwas dickliche weiße Rüde läuft hinter mir, die beiden Schäferhunde, die nicht ausgewachsen wirken, laufen vor mir.

Kurz hinter dem „Ort“ mache ich eine Pause, meine Begleiter auch. Die Pause nutze ich, um meinen finalen Plan für heute zu machen. In die Stadt, in die ich eigentlich möchte, hat keine – zumindest für heute Nacht – Unterkünfte. Die nächsten Übernachtungsmöglivchkeiten mit Bett und Dusche sind mehr als 40 Kilometer von meinem Zeltplatz und viel „schlimmer“ über 1.500 Höhenmeter entfernt. Das schaffe ich auch nicht. Im Zelt möchte ich auch nicht wieder übernachten. Zum Einen aus hygienischen Gründen und zum Anderen, weiß ich nicht, ob ich Wasser unterwegs auffüllen kann. Zu essen habe ich immer noch Käse und etwas altes Brot. Ich entscheide mich, einen Umweg zu laufen. Ich werde nach Piana degli Albanesi wandern. Ich buche dort ein Zimmer in einem B&B: gut 20 Kilometer und 1.100 Höhenmeter. Das schaffe ich.

Die Anstiege durch zum Teil unwegsames Gelände und mit den Hunden, die mir immer wieder zwischen den Beinen rum laufen sind schwieriger als gedacht. Auch muss ich immer wieder den Weg suchen. Alles ist überwuchert durch dornenreiches Gebüsch. Daher muss ich immer wieder zurück, um mir andere Wege zu bahnen.

 

Auf dem ersten Hochplateau angekommen, treffe ich zunächst zwei Jäger. Die ich schon eine geraume Zeit gehört habe – zunächst aufgrund der Schüsse, die sie abgegeben haben. Anschließend kommt eine Schweizerin auf einer Tageswanderung an meinem Rastplatz vorbei. Für 10 Minuten gehen wir zusammen, dann biegt sie ab zu einem Gipfel, den sie erklimmen möchte.

Mein Weg führt mich zu einem nächsten Hochplateau. Dort treffe ich auf die gesamte Jagdgesellschaft. Hier wird mit Kind und Kegel gejagt. Die Jagdgesellschaft steht um ihre Fahrzeuge an einem zerfallenen Gehöft. Um auf die befestigte Straße zu kommen, muss ich durch sumpfiges Gebiet, das zieht mir die Schuhe aus. Ich muss die Schuhe aus dem Matsch ziehen und laufe auf Socken zur Straße und schaue mich um, wo das ganze Wasser her kommt. Denn dort möchte ich Schuhe und mich etwas säubern. Eine der Frauen fragt mich, was ich suche und ich antworte: Wasser. Das versteht sie falsch und glaubt ich suche Trinkwasser. Man bietet mir Wasser an, was ich trotz des Missverständnis gerne annehme und lasse mir meine Falsche auffüllen. Mit Feuchttüchern mache ich meine Hose und Strümpfe etwas sauber. Dann sehe ich auch endlich die Staubehälter mit Wasser. Dockt wasche ich kräftig meine Schuhe.

Jetzt geht es wieder runter. Im Tal überquere ich eine Schnellstraße und gelange in ein kleines Dorf. Auch hier werde ich mit meinen Begleitern angebellt. Das finden meine Begleiter nicht gut und lassen sich auf ein Gebelle ein. Gut so, jetzt bin ich die los und muss mir keine Gedanken machen, wie ich die abschüttele, bevor ich mein Quartier erreiche bzw. noch ein paar Kleinigkeiten einkaufe. Es dauert aber nicht lang, dann hat mich die schwangere Hündin wieder eingeholt. Die beiden anderen bleiben zurück. Kurze Zeit später verschnaufe ich und nehme den Käse mit dem alten Brot aus meinem Rucksack. Das wiegt immer fast ein Kilo zusammen. Ich lasse es ausgepackt liegen in der Hoffnung die Hündin macht sich darüber her und lässt von mir ab. Teil eins funktioniert. Teil zwei leider nicht. Kaum Fünf Minuten später läuft sie schon wieder neben mir her. Auf halber Höhe zum letzten Pass des Tages stoßen wir auf einige Weidende Rinder. Die Stellen sich sofort der Hündin in den Weg und lassen sie nicht durch. Jetzt bin ich sie bestimmt los. Falsch gedacht, sie scheint einen Umweg zu gehen und eine viertel Stunde später, kurz bevor ich auf der Passhöhe ankomme, hat sie mich wieder eingeholt.

 Blick bis nach Palermo

Die Hündin läuft weiter mit mir, als wir in dem Ziel-Städtchen ankommen. Bevor ich ins B&B gehe kauf ich noch schnell etwas ein. Die Hündin muss natürlich draußen warten und ich einer Reihe von Leuten erklären, dass sie nicht mein Hund ist. Kaum aus dem Supermarkt steht das Tier schon wieder neben mir. An meinem B&B gelingt es mir, die Tür vor ihrer Nase zuzuschlagen. Ich hatte schon vermutet, dass sie alles dran setzen wird, mit mir zusammen durch die Tür zu schlüpfen.

 Blick auf den nahegelegenen See und das Städtchen Piana degli Abanesi

Kaum angekommen, ruft mich der Besitzer des B&B an und fragt, ob er in seiner Pizzeria für mich einen Tisch reservieren darf. Das kann ich gar nicht ausschlagen, obwohl mir heute Abend eher nach Frische der Sinn steht, um meine Reserven wieder aufzufüllen.

Die Pizzeria ist ein Höllentempel. Es läuft ein Fernseher auf volle Pulle, ein Musikgerät spielt ebenso laut Popmusik und alle Tisch sind belegt. Damit sich die Gäste miteinander unterhalten können, übertreffen sie in ihrer Lautstärke die elektronischen Geräte. Pizza und Salat sind super.

Tag 5: 07.10.2022

Ich konnte mich gestern Abend nicht entscheiden, wo ich heute hingehen werde. Entweder wäre es zu den nächsten Übernachtungsmöglichkeiten nur 15 oder danach schon 42 Kilometer. In Google Maps habe ich zwar ein Agriturismo nach 32 Kilometer gefunden. Die haben aber weder gestern Abend noch im Laufe des Vormittags geantwortet. Während ich meinen Rucksack packe, entscheide ich mich den übrig gebliebenen Käse mit einzupacken und richte mich auf zelten ein.

Nach 15 Kilometer komme ich auf die hoch am Berg liegende Stadt Alcamo. Dort nehme ich erst einmal mein Frühstück ein. Danach kaufe ich 4 Liter Wasser, 2 Liter kommen in den Rucksack, mit einem Liter fülle ich meine fast leere Flasche auf. Den Rest trinke ich schnell, in der Hoffnung ich kann Wasserreserven wie ein Kamel anlegen. Am Straßenrand erwerbe ich noch drei Pfirsiche: Zucker kann nie schaden.

Mit Ausnahme von Alcamo komme ich weder durch eine weitere Stadt noch durch ein Dorf. Landschaft pur liegt vor mir. Unterwegs mopse ich mir von dem ersten Zitronenbaum, den ich sehe eine Zitrone. Die duftet sehr intensiv, ist aber auch mächtig sauer. Süßer ist da schon die Feige, die ich vom Baum klaue. Leider komme ich nur an eine reife Frucht.

Hier auf dem Land werden die Häuser von Hunden geschützt. Die Besitzer lassen sie frei laufen, wie ich das schon in Griechenland im Mai erlebt habe. Die Hunde kommen meist sehr aggressiv auf mich zu, laufen aber dann immer so, dass in meinem Rücken sind. Wenn ich mich zu ihnen umdrehe, gehen fast alle kläffend auf Distanz. Das ist ganz anders, treffe ich auf Schaaf- und/oder Ziegenherden. Heute gleich dreimal. Im Rudel und trainiert ihre Herde zu schützen, sind diese Hunde nicht nur extrem aggressiv in ihrem Auftreten, sie lassen sich nicht so einfach einschüchtern. Eher bin ich der Eingeschüchterte, wenn da fünf bis zehn Hunde sich um einen rum verteilen.

Nach 35 Kilometern und fast 800 Höhenmeter, bin ich müde – trotz eines ausgiebigen Mittagsschlaf im Schatten eines Olivenhains. Ich komme an einem zusammen gefallenen Hof vorbei. Es gibt zwar Schlösser vor den Türen, die noch intakt sind, aber hier sieht alles verlassen aus. Bereits im Dämmerlicht baue ich mein Zelt auf einer Art Veranda unter einem Schutzdach auf. Damit steht das Zelt schon mal in Waage und  sitzen kann ich dort auch ganz gut.

Nun hoffe ich, dass der Hof tatsächlich verlassen ist und nicht heute Nacht – vielleicht von der Mafia – Besuch bekomme.

Tag 4: 06.10.2022

Tough but nice day: Scopello verlasse ich um 08:00 Uhr mit einem Cappuccino und einem Croissant gefüllt mit Pistaziencreme im Bauch. Gleich geht es wieder hoch in die Berge. Heute quere ich zwei Gebirgszüge und damit habe ich mehr als 1.000 Höhenmeter und 34 Kilometer absolviert.

Die Gegend wirkt einsam und verlassen. Einige Häuser – meist zusammen gestürzt und verlassen – stehen am Weges Rand. Hier und da arbeiten Bauern auf ihren Feldern. Die Ernte ist weitgehend eingebracht und es wird derzeit gepflügt und noch öfter werden die Felder abgeflammt. Einige muss ich queren. Meine Schuhe sind ganz schwarz vom Ruß.

Ich habe das Gefühl, unabhängig wo ich gerade bin, ist im Hintergrund das Meer zu sehen.

Hin und wieder komme ich durch kleine Weiler. In einem gibt es sogar eine Bar. Das nehme ich gleich war, um meinen Flüssigkeitspegel und meinen Zuckerhaushalt mit einem Süßteilchen ordentlich aufzufrischen.

Fast am Ende meines heutigen Weges komme ich nach Segesta einer antiken Stadt gebaut von den Griechen und später von den Karthagern im 5. Jahrhundert vor Christi zerstört. Die Stadt wurde immer wieder aufgebaut und wurde noch im 12. Jahrhundert nach Christi bewährt. Die Festung steht gar auf einer Moschee. Heute sieht man im wesentlichen den Hera-Tempel, der nie fertiggestellt wurde und das Theater, das von den Griechen erbaut und von den Römern später erweitert wurde. Beide Objekte sind in einem sensationell gutem Zustand. Die restlichen Anlagen lassen der Fantasie sehr viel Spielraum.

Unweit von Segesta habe ich ein einfaches Zimmer mit einer hübschen Terrasse gebucht. Da weit und breit kein Restaurant offen hat, habe ich mir in einer nahegelegenen Käserei einen Fromaggio fresco (gesalzener und fester sizilianischer Ricotta) und einen Fromaggio duro gekauft. Nach Google Maps ist dies ein Käseladen, tatsächlich ist es eine Fabrik und die Arbeiter haben mir freundlicherweise etwas Käse verpackt und verkauft. Beim Einchecken habe ich von meiner Wirten noch offenen Rotwein, 1 Liter abgefüllt in einer Plastikwasserflasche, zwei Flaschenwasser und etwas Brot erworben – die hält mich wohl für einen Alkoholiker. Das Brot ist schon etwas älter: ich konzentriere mich auf Käse, Wein und Wasser.

Tag 3: 05.10.2022

Alles im Zelt ist feucht. Es ist nebelig: auch auf Sizilien wird es Herbst, trotz der sehr ansprechenden Temperaturen von nachts um 17 Grad und tags bis 28 Grad.

Lange brauche ich nicht um meine Sachen zusammenzupacken. Um acht bin ich fertig. Frühstück gibt es keins auf dem Campingplatz, was mich nicht weiter stört, da die Pizza von gestern Abend noch immer mich sättigt. Ich hoffe auf eine Bar an einem der Strände, an denen ich in der kommenden Stunde entlang wandere. Alles zu – nicht nur die Restaurants haben zu wenig Gäste auch für die Bars scheint es nicht zu reichen. Also setze ich auf den nächsten Ort, den ich nach gut 16 Kilometern erreiche: Macari.

Um dorthin zu gelangen, muss ich einen Berg, der prominent ins Meer hineinragt umrunden. Im ausgehenden Mittelalter wurde dieser Berg militärisch durch zwei Wachtürme mit Truppen gesichert. Der Weg um diesen Berg ist malerisch. Zwischen diesem und Macari liegt ein breiter Strand, der nur wenig von Badenden genutzt wird.

In Macari angekommen suche ich umgehend die einzige Bar. Leider hat sie Mittwochs ihren Ruhetag und die beiden Restaurants machen erst abends auf. Das erfreut mich nicht besonders. Vor mir liegen weitere 17 Kilometer und fast 900 Höhenmeter. Da ich auch nur eine Flasche Wasser mit habe, muss ich Wasser rationieren.

Nach einer Pause auf dem Kirchplatz mache ich mich an den schweißtreibenden Aufstieg. Die Straße führt senkrecht den Berg hoch und endet etwa nach 200 Höhenmeter. die Straße geht über in einen Trampelpfad, der in einigen wenigen Windungen den Berg hoch führt. Der Blick entschädigt für die Strapazen. Unten sind, während ich den Berg hoch gestiegen bin, drei Boote vor Anker gegangen. Die Gegend ist sicher ein tolles Segelrevier.


Oben komme ich erschöpft an und kann jetzt sowohl auf die Eine wie die andere Seite des Gebirgszugs hinunter aufs Meer schauen. Die „neue“ Seite ist noch beeindruckender. Ich bin überwältigt. Jetzt muss ich Gas geben, sonst wird es spät bis ich in meinem Hotel in Scopello ankomme und außerdem habe ich jetzt tüchtig Hunger.

Um kurz nach 17:00 Uhr habe ich es geschafft. Ich bin in dem autofreien Scopello in einem  hübschen Hotel untergebracht, in dem ich auch gleich einen Tisch auf der Terrasse mit Blick aufs Meer reserviere.

Nach meiner typischen Nachmittags Routine: Wäsche waschen und duschen, schaue ich mir den Ort etwas an und um die Zeit bis zum Abendessen zu verkürzen, mache ich noch ein Nickerchen.

Das Abendessen ist lecker. Ich esse zur Vorspeise gefüllte getrocknete Tomaten mit Käse und danach Schwertfisch. Die Inhaberin des Hotels freut sich über meine Auswahl – vor allem kann ich mit ihr über sizilianische Weißweinreben diskutieren – und meinen Appetit.

Tag 2: 04.10.2022

Wie einige Inseln vor Trapani schauen auch auf dem Festland einige Berge hunderte Meter aus dem sonst flachen Land heraus. Im Nordosten von Trapani liegt hoch oben (ca. 750 ü. NN) auf einem solchen Berg Erice. Erice ist eine antike Stadt, die strategisch gut gelegen war und im 3. vorchristlichen Jahrhundert zwischen Karthago und Rom schwer umkämpft war.

Auf einer von den Römern gebauten Straße wandere ich hoch nach Erice mit teilweise sensationellem Blick auf Trapani. Man kann das Dreieck, das Trapani bildet mit den Hafenanlagen an der Spitze des Dreiecks und die vorgelagerten Inseln, gut erkennen.

Ich hätte auch die Seilbahn wie alle anderen Touristen nutzen können, die sich durch die engen Gassen des mittelalterlich anmutenden Erice schieben. Durchschwitzt wie ich bin, suche ich in der Mitte des Orts erst einmal eine Bar, um zu frühstücken. Nach einem Cappuccino, einem Wasser und zwei Süßteilchen fühle ich mich gleich wieder gestärkt. Bevor ich die Bar verlasse trinke ich noch schnell einen Espresso.

Nach einem Rundgang durch Erice mache ich mich auf der Nordseite des Berges an den Abstieg. Der ist noch mühevoller als der Aufstieg. Steile Wege und sehr viel Geröll bieten wenig Halt. Auch auf dieser Seite von Erice werde ich verwöhnt durch den Blick aufs Meer und die westliche Küstenlinie.

Weder beim Aufstieg noch beim Abstieg treffe ich auf irgendjemanden. Ich scheine der einzig Mensch weit und breit zu sein. Nur auf Esel, die mir ihr kräftiges IA hinter her schreien, treffe ich. Bei diesen Tieren mache ich eine Pause und versuche mir ein Zimmer an einem der Strände, die unter mir liegen, zu buchen. Vergeblich: die beiden B&Bs sind belegt und die Besitzer der Ferienwohnungen/-häuser wollen nicht für eine Nacht vermieten.

Unten angekommen führt mich mein Weg direkt am Meer entlang. Schöne Wege säumen die Küste mit Felsen und einigen Sandstränden.

Als ich an einem Campingplatz vorbei komme, entscheide ich mich heute Nacht zu campen. Mein Zelt steht zwischen Wohnwagen, die wohl noch nie bewegt worden sind. Viele Camper treffe ich nicht – eigentlich nur eine, die ihre Wäsche aufhängt.

Bevor ich mich fürs Abendessen fertig mache, schaue ich mir den Sonnenuntergang auf der Kaimauer sitzend an.

Als ich zu Abendessen möchte, muss ich feststellen, dass auf Grund der Nachsaison weder Bars noch Restaurants geöffnet haben. Die Campingplatz-Betreiberin ruft für mich bei einem Pizza-Delivery-Service an, so muss ich wenigstens nicht hungern. Auf Selbstversorgung bin ich nicht eingestellt, da ich davon ausgegangen bin, dass es in einem Tourismusgebiet in Italien selbstverständlich immer etwas zu essen gibt. Auf die Pizza muss ich eine gute Stunde warten. Ich verschlinge sie, da ich doch hungriger bin als gedacht.

Tag 1: 03.10.2022

Ich habe einen überwältigend schönen Sommer Zuhause verbracht: und das nicht nur des sensationellen Wetters sondern vor allem weil ich schon lange nicht mehr so viel Zeit mit der immer größer werdenden Familie und mit meiner Frau verbracht habe. Ich habe es sehr genossen. Trotzdem erfasst mich immer wieder das Fernweh und die unbändige Lust auf das langsame Reisen: Wandern ist sicher mühselig und nicht immer die reine Freude; aber ich sehe und erlebe ein Land, eine Gegend viel intensiver als mit jeder andern Form des Reisens.

Wo geht es hin? Ich habe mich lange nicht entscheiden können. Letztlich hat Sizilien das Rennen gemacht in der Hoffnung auf gutes Wetter, hervorragendes Essen und fantastischen Wein. Vor mir liegen  650 bis 700 Kilometer und mehr als 20.000 Höhenmeter. Ich starte im Westen und mein Weg wird im äußersten Osten in Messina enden.

Heute Morgen bin ich nach Trapani – unweit von Málaga – geflogen, wo ich mit knapp zwei Stunden Verspätung um kurz vor 11:00 Uhr gelandet bin. Noch am Flughafen habe ich meinen Rucksack eingestellt und habe mich auf den Weg nach Trapani gemacht, das ziemlich genau 20 Kilometer nördlich des Flughafens liegt und wo ich schon vorab ein Hotel gebucht hatte.

Am Anfang musste ich an einer viel befahrenen Straße entlang laufen, dann ging es durch landwirtschaftlich genutzte Bereiche u. a. mit Granatäpfeln und Kaktusfeigen – nicht nur im Ackerbau auch in den Vorgärten – bevor ich die gewerblich genutzten und eher hässlichen Ausläufers von Trapani erreicht habe.

Die Lage am Meer mit Stränden und Hafenanlagen prägt die Stadt. Trapani war und ist eine Kulturstadt mit einer Kathedrale, vielen Museen, Galerien und natürlich Restaurants für die Versorgung der Touristen. Die Saison ist zu Ende, weshalb die Bars und Restaurants nur mäßig besucht sind. Ich esse heute Abend eine kalte Platte mit heimischen Produkten: einfach köstlich.

Athen: 30.05.22

Ich bin in Athen! Eine Stadt in der das Leben pulsiert. Ich habe ein Hotel am Fuße der Akropolis, die ich natürlich besichtige. Nachfolgend einige Impressionen und anschließend eine Zusammenfassung meiner Wanderung durch Nord-Griechenland.


Theater des Dionysus


Dionysus Eleuthereus


Tempel der Athene


Tempel der Athene


Odeon, römisch


Erechtheum 


Erechtheum: wer trägt die Last?


Parthenon 


Parthenon 

Schnell wurde mir klar, den E4, wie er ausgeschildert ist, werde ich nicht laufen. Das hat mehrere Gründe. Bei der Planung des E4 scheint man so vorgegangen zu sein, den Weg möglichst abseits der Zivilisation unter Mitnahme aller Gebirge und fernab jeglicher Infrastruktur anzulegen und dabei alle Städte zu meiden. Das hätte für mich bedeutet, weitgehend zu campen und mein Essen mitzunehmen. Beides gehört nicht zu meiner favorisierten Form des Reisens.

In den Bergen ist es im Mai – vor allem im Norden – noch sehr kalt. Ab etwa 1.400 Höhenmeter liegt noch recht viel Schnee. Die Wege sind aufgrund der Winterschäden, wie umgestürzte Bäume, abgebrochene Äste nur mit Schwierigkeiten passierbar. Ich bin in den Bergen daher nur sehr langsam vorwärts gekommen. Weiter im Süden wurde dies deutlich besser.

Müsli und Instantfood kann ich mal essen aber dies die meiste Zeit machen zu müssen, ist nicht mein Ding. Dafür bin ich dann doch zu sehr Genussmensch. In vielen Dörfern gibt es keine Tavernen und schon gar keine Restaurants. Selbst Einkaufsmöglichkeiten sind nicht die Regel, weshalb ich oft fahrende Händler getroffen habe, die ihre Waren von ihren Pickups herunter verkaufen. Vor allem im Norden konnte ich mich nicht auf die Eintragungen in Google Maps hinsichtlich Restaurants und Bars verlassen. Entweder gab es diese aufgrund von Coronavirus gar nicht mehr oder sie waren Saisonbedingt noch geschlossen. Ab Elassona hat sich das geändert. Die Karteneintragungen waren fast immer korrekt. Auffallend ist die Anzahl Restaurants bzw. Tavernen. Ich erkläre mir das damit, dass die Einheimischen zwar auswärts etwas Trinken aber zuhause Essen.

Die Küche, wie ich sie vor fünfzig Jahren bei meinem ersten Griechenlandaufenthalt, erlebt habe, ist weitgehend ausgestorben. Die Italienische Küche hat auch Griechenland erobert. Überall bekommt man Pizza, Pasta und Risotto. Als Beispiel, die Moussaka früher gefühlt vorherrschend bekommt man fast garnicht mehr.

Ab dem vierten Tag habe ich meinen Weg mit neuen Prioritätsregeln geplant. Gibt es eine Unterkunft, gibt es eine Möglichkeit Abendessen, zu bekommen. Vermeidung von Straßen. Randbedingung: Überquerung des Olymp, Kalambaka/Meteora und Delphi als Ziel. Damit war mein Weg etwas kürzer statt 750 bin ich nur 680 Kilometer gewandert bei ca 14.000 Höhenmeter statt knapp 30.000.

Vergleiche ich meine bisherigen Wandertouren, so ist das Wandern in Griechenland tagsüber eine einsame Angelegenheit. Auf dem Weg selbst bin ich nicht einmal jemanden begegnet. In den Orten sitzen in den Bars die alten Männer scheinbar den ganzen Tag, um sich die Zeit zu vertreiben. Überall, ob in den Bars, in den Unterkünften oder in Geschäften, ist mir höchste Freundlichkeit und eine ebenso große Hilfsbereitschaft entgegengebracht worden. Jeder hat versucht, mit mir zu kommunizieren. In den Dörfern oft in Deutsch, da immer jemand mal in Deutschland gearbeitet hat, in den Städten eher in Englisch. Die Bevölkerung unter 40 scheint durchweg Englisch gelernt zu haben.

Hunde sind definitiv ein Thema. Hunde sind unabhängig ihrer Größe ängstliche Tiere, weshalb sie zwar bellen und die Zähne fletschen, was Ausdruck ihrer Ängstlichkeit ist. Trotzdem ist es nicht angenehm, wenn man von mehreren Hunden umringt wird und diese einen bösartig wirkend ankläffen. Denn man kann sich nie sicher sein, ob einer nicht doch aus seiner Angst heraus zubeißt. Was mich immer wieder massiv geärgert hat, sind die Hundebesitzer, und hier kritisiere ich vornehmlich die Schäfer, die mitbekommen, dass ihre Hunde einen stellen und sich noch nicht einmal die Mühe machen, ihre Hunde zurückzurufen. Größere wilde Tiere habe ich nicht gesehen. Zu Beginn habe ich viele Bärenspuren auf den Wegen gesehen. Meine anfängliche Vermutungen wurden später von einem Einheimischen bestätigt. ImmGras muss man aufpassen, weil es überall Schlangen gibt. Ob diese einen ernsthaft verletzen können, weiß ich nicht, möchte aber nicht von einer gebissen werden. An machen Tagen bin ich von morgens bis abends von Insekten umschwirrt worden, die leider mich öfters gestochen haben. Zeitweise hatte ich an den Oberarmen dicke Pusteln davon.

Anders als in Spanien und Italien hatte ich nicht in einem Ort den Eindruck, dass dies am Sterben sind. Überall bin ich einer großen Lebendigkeit begegnet und immer Generationen übergreifend.

Bürgersteige sind in den Orten fast überall vorhanden. Sie sind nur nicht für den Fußgänger geeignet. Sie sind für die Aufstellung von Laternen, Strommasten, Blumen, Bäume und natürlich Mülltonnen. Müll ist definitiv ein Problem. Wenn der Müll keinen Platz in den öffentlich aufgestellten Mülltonnen hat, wird er am Straßenrand, im Wald und im Feld entsorgt. Ost sieht man am Straßenrand Autowracks, die zusammen mit Müll häufig auf den eignen Grundstücken deponiert werden, was viele Grundstücke wie Müllhalden aussehen lässt. Da man die Terrassen und Veranden prinzipiell zur Straße ausrichtet, kann das Grundstück hinterm Haus gut für den Abfall genutzt werden. Ich bin an sehr vielen Wohnhäusern, Bauernhöfe und Gewerbegebäuden vorbeigekommen, die am zerfallen sind und oft genug Ruinen sind. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie sich auf bewirtschafteten und besiedelten Grundstücken befinden. Müll, Autowracks und Ruinen sind ein Problem.

Griechenland ist die Wiege unsere Kultur und Werte. Wenn ich in Delphi oberhalb des Theaters auf den Apollo Tempel hinunter schaue und auf der Akropolis in Athen vor dem Parthenon stehe, spüre ich diese Wurzeln tief in mir. Mir stellt sich dort immer wieder die Frage, wie war es möglich, dies vor mehr als 2.500 Jahren zu erschaffen. Damit meine ich nicht nur die Gebäude und künstlerischen Arbeiten sondern viel mehr noch ein modernes Leben mit Theater und Musik zu führen, das Demokratie, Philosophie und Naturwissenschaften erschaffen hat. Wollte ich damals gelebt haben? Von der geistig künstlerischen Inspiration unbedingt. Aber unter keinen Umständen, was die restlichen Lebensumstände angeht aus das fängt bei der Hygiene an und hört nicht bei der medizinischen Versorgung auf.

Tag 26: 29.05.22

Ich befinde mich auf dem Fundament unserer Kultur. Bevor Rom die Weltherrschaft übernahm und bevor die Weltreligionen wie das Christentum und der Islam die Macht über alles irdische für sich in Anspruch genommen haben, stand Delphi für das Zentrum von Politik, Finanzen und Kultur. Delphi das Machtzentrum der Antike und nicht nur Ort des Orakels.

Die Ausgrabungen mit den Ausstellungstücken im Museum vermitteln mir ein Bild, wie das Leben Auserwählter in Delphi gewesen sein könnte. Mir gehen die Sagen der Antike durch den Kopf, auch das Wirken der Griechischen Philosophen, Mathematiker und Naturwissenschaftler. Was für eine Hochkultur, in der nicht schon fast jeder Gedanke einmal gedacht und nieder geschrieben wurde. Mich berührt dieser Ort wieder einmal tief in mir.


Schatzhaus Athens


Schlange des Aeskulap


Apollo Tempel von Osten und Sitz des Orakels


Apollo Tempel von Westen


Apollo Tempel vom Theater


Apollo Tempel von oben


Apollo Tempel oben


Apollo Tempel von nah


Theater von der Bühne


Theater mit Apollo Tempel im Hintergrund


Stadion


Sphinx – war auf einer 11 m hohen Säule


Athleten 


Portal

 
Figuren auf Säulenkapitell


Statuen vor Szenenbild


Lenker eines Streitwagens – Streitwagen ist bei einem Erdbeben zerstört worden


Zurück im neuzeitlichen Delphi: Kirche

Tag 25: 28.05.22

Ein Tag der Superlative!

Es gibt ein sensationelles Frühstück mit ausschließlich selbst erzeugten und hergestellten Produkten mit Honig, Marmelade, Ziegen-/Schaafsbutter, Brot, Eiern und nicht zu vergessen Kirschen aus dem Garten. Nur die Orangen für den frisch gepressten Orangensaft kommen aus Lamia.

So gestärkt, fällt es mir nicht schwer, die 650 Höhenmeter über sehr gut zu laufenden Wald- und Wiesenwegen gleich zu Beginn des Tages zu meistern. Oben auf dem Hochplateau wandere ich immer wieder über ausgedehnte fette, grüne Almwiesen. Nur Herden gibt es keine – dafür zwei einsame nicht zusammengehörende Ski.

Das Hochplateau eröffnet mir schliesslich einen Blick auf den höchsten Berg der Gegend, den Parnassus mit seinen knapp 2.500 Metern. Um ihn und die umliegenden Gipfel gibt es ein Skigebiet mit einigen Sesselbahnen und Gondeln.

Danach geht es fast 1.000 Höhenmeter runter nach Delphi, das immer noch 500 Meter über dem Meer mit Blick nach Süden am Berg klebt. Auf einem Weg, der sich nach unten schlängelt, hat man einen überwältigenden Blick auf den Ort und das Meer. Fast 2 Stunden brauche ich für den Abstieg, nicht weil es diese Zeit zum Wandern bräuchte, sondern weil ich immer wieder stehen bleibe oder auf einen Felsvorsprung klettere, um mich an diesem einmaligen Ausblick sattzusehen.

Kurz bevor ich das heutige Delphi erreiche, bekomme ich die Chance, einen ersten Blick auf das antike Delphi zu werfen. Das antike Stadion liegt linker Hand von mir und ist gut zu sehen. Morgen werde ich mir das antike Delphi genauer anschauen. Mal sehen, ob ich zum Orakel vorgelassen werde.

Tag 24: 27.05.22

Eine Asiatische Instant-Nudelsuppe von einem Chinesischen Hersteller ist nicht unbedingt Bestandteil meines typischen Frühstücks. Mangels Alternativen gibt es die heute Morgen. Es ist sicherlich kein kulinarisches Highlight aber die Suppe sättigt und ich halte bis heute Abend – zwar mit knurrendem Magen – durch, was vermutlich an dem Liter Limonade liegt, den ich über den Tag verteilt trinke. Ich liebe beim Wandern, wenn ich ausgepowert bin, eine kalte Limonade zu trinken und den anschließenden Zuckerschub, der mir neue Kraft gibt. Und heute brauche ich mehr als einmal wieder neue Kraft, um mein Ziel zu erreichen.

Auf dem Weg runter fängt alles ganz normal an. Erst eine kurze Strecke auf der Straße, dann auf einen Feldweg und jetzt muss ich mich entscheiden, nehme ich den OpenStreetMap Weg oder den GoogleMaps Weg. Ich entscheide mich für letzteres. Nach den Erfahrungen vom gestrigen Aufstieg, will ich keine Experimente eingehen.

Schnell entpuppt sich die Entscheidung als falsch. Aus dem schönen Feldweg wird ein zugewucherter Wiesenweg und irgendwann gibt es keinen Weg mehr. Aufgrund der Topographie kann es da auch keinen Weg geben. Also versuche ich, mir einen Weg durch das hohe Gras in Richtung des OpenStreetMaps Wegs zu bahnen. Das Wandern durch das hohe Gras ist unangenehm, unter anderem da ich ständig Tiere aufschrecke, die vor mir weglaufen. Ich hoffe nur, dass nicht eine Schlange oder ein anderes unangenehm beißendes Tier aus Angst nach mir schnappt. Das Gras juckt mir auf der Haut.

Tief unter mir liegt ein ausgetrockneter Bachlauf. Da muss ich runter und auf der anderen Seite wieder hoch, um in die angepeilte Richtung zu kommen. Der steile Abstieg in das Bachbett erweist sich mit dem Rucksack gar nicht so einfach. Unten angekommen wird mir klar, hier komme ich auf der anderen Seite nicht hoch. Daher laufe ich, gar nicht so schlecht, in der Hoffnung in dem Bachbett bergab, dass die Böschung irgendwann niedriger wird. Auch das ist eine Täuschung. Kurze Zeit später mündet der ausgetrocknete Bach in ein anderes wasserführendes Flüsschen.

Nächste Entscheidung. was nun. Erneut bemühe ich meine Karte. Der angestrebte Weg ist ungefähr 400 Meter rechts von mir durch einen dichten Wald mit einer kaum zu erklimmenden Böschung. Links von mir gibt es nach 300 Meter eine Bahnlinie. Die Böschung links komme ich hoch und oben ist eine Wiese mit hohem Gras. Damit ist diese Option deutliche einfacher zu gehen als durch den Wald mit seinem Dickicht. Tatsächlich schaffe es die Böschung hoch aus dem Bachbett. Ich bin nicht nur verschwitzt sondern auch völlig verdreckt. Was soll’s, keiner da, den das verwundern könnte. Nach 300 Meter stehe ich wieder vor einer hohen Böschung. Oben ist die erhoffte Bahnlinie. Wenn ich aus einem Bachbett aufsteigen kann, werde ich auch die Bahnlinie erklimmen können. Auf der Bahnlinie ziehe ich erstmal Schuhe und Strümpfe sowie mein Shirt aus und entferne, was ich in den letzen beiden Kilometern alles aufgesammelt habe. Dann kann es weitergehen. Ich laufe auf der Bahnstrecke, bis ich auf eine Straße stoße. Dann ist es auch nicht mehr weit und ich bin zurück auf meinem geplanten Weg.

So komme ich in eine ausgedehnte Hochebene. Die ich von West nach Ost vorbei an einem Ferienhotel mit einer Heerschar von Kindern, wo es einen ersten Kaffee und anschließend zwei Limos gibt, weiter durch den einen und anderen Weiler bis in den Ort, wo es nach Süden in die Berge abgeht. Auf einer wunderschönen Terrasse mit Blick auf die Kirche trinke ich eine zweite Tasse Griechischen Kaffee und natürlich eine Limo. Die Wirtin, die sehr gut Englisch spricht, fragt mich wo es heute hin geht und ich erzähle ihr, das mein Ziel unweit von hier in den Bergen liegt: Eptalofos. Sie lacht und sagt mit dem Auto wäre ich in zehn Minuten oben. Ich frage, wie der Weg zum Laufen sei. Das weiß sie nicht, sie ist noch nie hoch gelaufen. Der Ort sei sehr schön mit vielen Hotels und Restaurants. Nachts könne man dort gut schlafen, da es nicht zu warm sei.

Es geht über einen schönen Forstweg seicht den Berg hoch. Der Weg ist schön, links und rechts mit vielen Lichtungen und immer wieder Wasserstellen. An einer tausche ich mein warmes Wasser gegen frisches kühles aus. Ich komme an einem kleinen Wasserkraftwerk vorbei. Dann ist es vorbei mit dem schön ausgebauten Weg. Erst wird er enger, dann stehen Ginster- und Salbeibüsche im Weg. Schließlich wird es ein Pfad und danach fängt eine Baustelle an: eine Wasserleitung wird auf dem engen und immer steileren Weg (neu?) verlegt. Überall liegt Werkzeug wie Spitzhacken und Schaufeln rum und es ist nicht leicht zu laufen in der Rinne, die durch die Verlegung der der Wasserleitung gebuddelt wurde. Die offene Leitung macht es auch nicht leichter.

Weiter oben ist die Leitung bereits fertig, was es nicht viel einfacher macht, da die Erde noch lose ist und oft sehr ausgesetzt. Ich muss auf jeden einzelnen Schritt achten. Was nicht einfach ist, weil ich vermute, dass ich auf den Ginster allergisch reagiere. Meine Nase läuft und ist völlig verschleimt. Meine Augen sind zugeschwollen. Leider hilft mir mein neues Histamine Präparat, das mir meine HNO Ärztin verschrieben hat, überhaupt nicht. Sie hatte sich geweigert Telfas, was ich bisher immer benutzt habe, zu verordnen, mit dem Hinweis das sei ein altes Präparat, das man heute nicht mehr verwende und zu viele Nebenwirkungen habe. Das, was sie mir verschreibt, sei modern mit besserer Wirkung und ohne müde, zu machen. Das hätte ich mich stutzig machen sollen. Aus meinen Projekterfahrungen mit Traditioneller Chinesischer Medizin und der Homöopathie, weiß ich: ein Produkt ohne Nebenwirkungen hat auch keine Hauptwirkung. So ist das hier auch auch. Ich habe heute bereits die dritte Tablette genommen; keine Wirkung. Nase läuft, Augen zu.


Balancieren oder versuchen einen Weg weiter oben suchen? Kann doch Nadine größere Herausforderung sein als ein Baumstamm. Trotzdem 5 Meter tief fallen möchte ich auch nicht. Trau Dich, Harald!

Noch weiter oben ist die Verlegung der Leitung bereits so lange her, dass die Natur sich den Weg „zurück geholt“ hat. Er ist mit Ginster zu gewachsen. Durchkommen schwierig. Nach vielen Anstrengungen komme ich schließlich in ein sehr schönes Bergdorf mit eine Reihe von Hotels und Restaurants. Alles sieht nett aus. Überall gibt es Wasserstellen. An einer wasche ich mir Hände und Gesicht, bevor ich mein Guesthouse für die Nacht suche.

Ganz am Ende des Ortes, am höchsten Punkt liegt das Haus. Eine ältere Dame, mindestens so alt wie ich, öffnet mir und schenkt mir als Begrüßung einer Kräuterschnaps ein. Da sie nur Griechisch spricht können wir uns nicht verständigen. Trotzdem ist mir klar, sie mir zu versteh geben, dass es ein Schnaps aus dem Dorf sei. Dann kommt ein jüngerer Mann, mit dem ich Englisch sprechen kann. Er kennt sich in den Bergen gut aus. Als er fragt, wie mein Aufstieg war und ich ihm von der Baustelle berichte, sagt er, dass ihm das bewußt und er an dem Projekt beteiligt sei. Es sei auch geplant, den Weg oben wieder begehbar zu machen.

Später im Dorf. Als ich auf dem Dorfplatz köstlich esse, treffe ich ihn wieder und er setzt sich kurz zu mir. Ich frage ihn über den morgigen Weg aus und ob ich auf ähnliche Probleme stoße wie gestern und heute. Das verneint er. Der Weg hoch zu einem Skigebiet und anschließend runter nach Delphi sei anstrengend aber der Weg sei in gutem Zustand. Es gäbe auch unterwegs drei Wasserstellen. Er erzählt weiter, dass die Saison für das Dorf zu Ende sei. Man lebe hier vornehmlich vom Winter. Das erklärt auch, dass die Häuser gut aussehen und nicht verfallen sind. Auch herrscht Ordnung und es gibt keine Grundstücke die zugemüllt sind. Den Touristen und deren Wohlgefallen sei Dank.

Ich esse in einem Restaurant auf dem Hauptplatz, der genauso lebendig ist wie in Lamia. Ich bekomme heute einen Griechischen Salat und Lammkoteletts, alles eine Empfehlung des Wirtes. Die Karte kann ich nicht lesen, nur in Griechisch verfügbar. So verlasse ich mich auf ihn. In einem Mischmasch aus Englisch/Deutsch, das er spricht, verständigen wir uns schnell auf das Menü. Der Salat ist gut und nicht so lieblos, wie ich ihn bisher oft bekommen habe, und die Lammkoteletts sind interessant geschnitten aber wirklich lecker zubereitet. Sie müssen sehr frisch sein, so dass ich sogar das Fett  mit esse, zum Abschluss bekomme ich ein Orangentarte – auch wenn er mit mir übt, ich kann den Namen auf Griechisch nicht wieder geben. Gefühlt dauert es zehn Sekunden, um ihn auszusprechen. Das Wasser holt er an einer Wasserstelle direkt an einer der beiden riesigen Kastanienbäume. Hier fühle ich mich wohl!

Tag 23: 26.05.22

Welch eine hinreißend schöne Landschaft! Wasser fließt überall in Flüssen und Bächen, auf den Wegen und über Felsen hinweg in die Täler. Zusammen mit dem Sonnenschein erzeugt das eine fette Vegetation, die sich in allen Grüntönen präsentiert. Sensationell!

Der Tag hatte es in sich. Obwohl nur gut 27 Kilometer dafür aber 1.100 Höhenmeter, war das heute nach den beiden Olymp-Tagen die schwerste Etappe.


Im Dunst der Mittagshitze kann man die Ägäis erkennen

Mein Ziel liegt genau im Süden von Lamia, hoch oben in den Bergen. Das bedeutet, ich durchquere zunächst die Flussebene, die sich im Osten bis zum Ägäischen Meer hinzieht. Danach wandere ich in die gemächlich ansteigenden Berge. Als ich nach etwa 8 Kilometern an einer Bar vorbei komme, ich hatte befürchtet, heute gibt es keine Versorgungsmöglichkeit, mache ich daher schon eine frühe Rast und „betanke“ meinen Körper.

Vorbei an Wasserquellen und an Klöstern, von denen es eine ganze Reihe gibt – ich vermute, das liegt an dem reichlich vorhandenen Wasser – wird es immer steiler. Da es keine Kneipen mehr gibt, mache ich nach gut 20 Kilometern Halt an einer öffentlichen Wasserstelle, die es in vielen Orten gibt, hier aber überall zu finden sind.

Bisher war mein Weg geprägt von Straßen und gut angelegten Wegen. Das ändert sich, als die landwirtschaftliche Nutzung endet. Kein Mensch braucht in den Bergen Wege. Zum Vergnügen wandern die Einheimischen nicht und beruflich gibt es keinen Nutzen. Der Weg, den selbst Google Maps kennt und vorgeschlagen hat, war wohl mal ein Weg. Jetzt ist er oft völlig zu gewuchert, manchmal von den reißenden Bächen unterspült und gelegentlich einfach nicht da. Weil das Gelände steil ist – nicht nur hoch auch runter – ist nicht nur einen Pfad finden eine Herausforderung sondern auch das Gehen selbst. Die Disteln stechen, die Dornen einiger Sträucher malträtieren mich, der Untergrund ist geröllig oder glatt durch die Nässe, durchzogen mit tiefen Gräben und und und. Das ist nicht nur unangenehm, sondern erfordert meine volle Konzentration. Meine stechenden und mich umschwirrende Freunde begleiten mich ebenfalls seit einiger Zeit wieder. Sie versuchen meine Aufmerksamkeit weg vom Weg, auf sich zu lenken.

Nach einem anstrengenden Abstieg wate ich durch einen breiten dafür langsam dahin plätschernden Fluss. Die Durchquerung ist äußerst schwierig, da die Steine glatt und rutschig sind und beim Auftreten wegrollen. Hier möchte ich mir weder einen Fuß vertreten und schon gar nicht das Bein brechen. Hilfe bekomme ich in diesem Gelände sicher nicht. Meine Quälgeister scheinen das zu wissen und werden am Fluss, und das startet schon beim ausziehen der Strümpfe, immer aggressiver. Mir scheint, es bereitet ihnen größtes Vergnügen, mich bis aufs Blut zu quälen.

Auf der anderen Seite des Flusses finde ich den Weg dann gar nicht mehr. Ich versuche mit dem GPS und meiner Einschätzung des Geländes, meinem Ziel näher zu kommen und frage mich, ob der Weg weiß, dass er hier sein sollte und warum er das nicht ist. Noch einmal 300 Höhenmeter unter diesen Bedingungen verlangen mir alles ab und entziehen mir die letzten Kräfte. Ich bin völlig erschöpft. Oben angekommen, ist der Weg auf einmal wieder da und ich habe einen sensationellen Blick.

Der Ort, in dem ich ein Zimmer gemietet habe, ist tatsächlich so vereinsamt, wie ich schon aus dem Kartenmaterial vermutet hatte. Gut dass ich gestern vorsorglich zwei Nudelsuppen eine für heute Abend und eine Fürs Frühstück und ein Päckchen Nüsse gekauft habe. So muss ich wenigstens nicht hungern. Satt werde ich allerdings auch nicht. So eine Suppe hat am Ende eben nur gut 300 kKalorien und das letzte mal gegessen habe ich heute Morgen im Hotel. Das Frühstück war dort, wie meist in Griechenland, alles andere als üppig. Ich bin sicher, dass ich heute mehr Energie verbraucht als meinem Körper zugeführt habe.


Ist das nicht ein hübsches Waschbecken?

Tag 22: 25.05.22

Die Flussebene, die ich gestern erreicht habe, führt ca. 20 Kilometer östlich von Lamia an die Ägäis. 30 Kilometer sind es vom Hotel bis nach Lamia. In der Ebene zu wandern ist im Normalfall angenehm, weil man ohne allzu viele Mühen ordentlich ausschreiten kann. Nur heute bedeutet es 30 Kilometer neben und auf einer Straße zu gehen, die für hiesige Verhältnisse viel befahren ist, und das macht es dann wieder langweilig und aufgrund des Verkehrs nervig.

Um mich abzulenken, stecke ich gegen meine Gewohnheiten gleich meine Airports ins Ohr und höre fast bis nach Lamia SWR3,.

Vorteil von Ebenen und viel befahrenen Straßen sind die regelmäßig an der Straße liegenden Dörfer und damit Bars, in die ich einkehren und eine Pause machen kann. Oft findet man die Bars nicht an der Hauptstraße sondern am Hauptplatz bei der Kirche. Schön sind die Dörfer meist nicht. Das liegt nicht an den öffentlichen Einrichtungen, sondern daran, dass die privaten Häuser nicht gepflegt werden, die Besitzer ihr Eigentum verfallen lassen und ihre Grundstücke als Müllhalten und Schrottplätze nutzen.

Wie bisher auf meinem Weg durch Griechenland werde ich in den Bars überaus freundlich empfangen, jeder interessiert sich woher ich komme und warum ich mit einem großen Rucksack in der Gegend rumrenne. Scheinbar erzeugt das so viel Mitleid, dass ich fast überall auf einen Kaffee eingeladen werde.

Neben den Bars gibt es einen weiteren Vorteil, in der Ebene zu wandern. Es gibt keine Insekten, die mich piesacken. In den letzten Tagen haben es die stechenden Tierchen vorfallen auf meinen rechten Oberarm abgesehen. Ich habe eine Vielzahl von juckenden, dicken und roten Pusteln, die heute die Chance haben zu heilen ohne, dass neue hinzukommen. Dass es hier so gut wie keine Fliegen und Mücken gibt, erkläre ich mir mit der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung und der damit verbundenen Insektenbekämpfung. Ein klassisches Dilemma. Auf der einen Seite bin ich heilfroh, nicht „verstochen“ zu werden, auf der anderen Seite ist mir bewusst, dass damit die Natur und in diesem Fall mindestens die Insektenvielfalt bzw. -vielzahl leidet: Fluch und Segen. Die Frage nach der Priorität ist alles andere als leicht zu beantworten. Daher sind mir diejenigen in der Gesellschaft, die eine klare und einfache Antwort haben suspekt. Wer bedingungslos nach Naturschutz ruft, muss auch beantworten, ob wir mit dem, was daraus folgt, leben möchten. In diesem speziellen Fall heißt das: viele Insekten = Reduktion von Lebensqualität z. B. in Form von keinen Picknicks auf der Wiese ohne, dass sich Insekten an einem selbst und am Picknick gütlich tun. Ich habe keine Antwort darauf. Ich könnte mir vorstellen, dass die jugendlichen Fridays for Future Anhänger die ersten sind, die hysterisch auf einen Stich einer dicken fetten und schön schmutzigen Bremse reagieren würden. Aber klar ist auch, wir können nicht alles töten, was uns unangenehm ist. Die Natur ist uns alles andere als freundlich gesinnt.

Zurück zu meinem Weg. Kurz vor Lamia überquere ich eine Autobahn: nach links —> kein Verkehr – nach rechts —> kein Verkehr! Ist das Zufall oder ist die Frage zulässig, warum die Griechen Straßen bauen, die keiner nutzt?

Lamia ist eine lebendige Stadt am Nördlichen Ende des Flussdeltas am Berg gelegen. Teilweise geht es steil nach oben. Der Höhenunterschied beträgt bis zu 150 Meter. Wie in den Dörfern auch liegt der Hauptplatz in der direkten Umgebung der Kirche. Der Unterschied zu Dörfern: hier gibt es mehr als eine Bar und die gesamte Bevölkerung sitzt in den Bars und nicht nur die alten Männer. Vergleichbar ist auch, dass ausschließlich Bars um den Platz herum angesiedelt sind. In den Seitenstraßen gibt es Fastfood jeder Art. Eine Griechische Küche, wie ich sie von meinem ersten Besuch als Teenager in Griechenland, was zugegebenermaßen mit einem halben Jahrhundert schon lange her ist, habe ich bisher nur in Kaditsa bekommen.

Ich habe nicht nur das Restaurant sondern auch die komplette Gasse für mich. Heute gibt es frittierte Aubergine und als Hauptgericht einen Hühnchenspiess mit den hier obligatorischen Pommes Frites. Gesellschaft bekomme ich auch. Allerdings eine sehr aufdringliche Gesellschaft.