Tag 7: 13.03.2023 —> Lykischer Weg: Römer 

Honig spielt im Türkischen Frühstück eine große Rolle. Er wird beim Buffet in großen Schüsseln mit Schöpflöffeln angeboten. Damit ist es für mich schwierig den Honig so zu portionieren, dass ich ein oder zwei Brote bestreichen kann. Ich dachte immer ich esse viel Honig. Ich muss meine Meinung revidieren, es gibt Verbraucher mit deutlich höherem Honig Konsum. Entsprechend sind Bienenstöcke entlang meines Weges überall zu sehen.


Bienenstöcke säumen meinen Weg

Wenn ich schon beim Essen bin, so muss ich noch vom Abendessen gestern berichten. Ich verbringe die Nacht in einem Hotel ohne Restaurant. Allerdings hat man mich schon beim einchecken gefragt, ob ich mit der Familie essen möchte, da sie wie immer Sonntags ein Barbecue machen. Ich habe natürlich nachgefragt, ob ich nicht störe. Das wurde, gastfreundlich wie hier die Menschen sind, natürlich verneint. Also sage ich zu. Es wurde ein sehr netter Abend und ich bin mit Unmengen an Essen verwöhnt worden. Die Kommunikation war unproblematisch, da jeder, der im weitesten Sinne in der Tourismus Branche arbeitet, Englisch kann und das ist somit fast jeder.

 
Das Stadttor von Patara stammt laut den Inschriften vom Römischen Statthalter aus der Kaiserzeit

Der heutige Tag ist geprägt von der Besichtigung Pataras. In der Antike eine Hafenstadt vermutlich gegründet im siebten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung und Teil der Lykischen Völkergemeinschaft. Heute liegt Patara nicht mehr am Meer. Der antike Xanthos bzw. der heutige Eşen Çayı hat so viel Sand angespült, dass der Hafen völlig versandet ist und gefühlt ein Kilometer im Landesinneren liegt. Der Leuchtturm, der durch Neros Statthalter gebaut wurde und gerade wieder restauriert wird: heißt er wird wieder errichtet, steht mitten im Flussdelta.

 
Hafenstraße: heute endet sie im Sand und nicht mehr am Meer

 
Stammt das Schiff aus der Antike? Leider kann ich das nicht herausfinden 

Von den Ausgrabungen in Patara bin ich beeindruckt. Die Türkischen Archäologen beuteln nicht nur die Gebäude aus, sondern errichtet sie wieder. Das Tor zur Stadt mit seinen drei Bögen ist ein solches Beispiel. Die Inschriften deuten daraufhin, dass dieses Stadttor von den Römern in der Kaiserzeit errichtet wurde. Es wird vermutet, dass nur die Inschrift in dieser Zeit angebracht wurde, das Stadttor aber deutlich älter ist.

 
Die Versammlungshalle des Lykischen Völkerbundes im Stil eines Amphitheaters bzw. des Römischen Senats (oben im Inneren des Gebäudes, unten Ansicht des Bauwerks von der Hafenstraße)

Das dominierende Bauwerk ist die Birligi – die Versammlungsstätte des Lykischen Völker Bundes. Als ich eintreten bin ich überwältigt. Ich kann geradezu fühlen, wie hier diskutiert, verhandelt und entschieden wurde. Das Innere gleicht einem kleinen Amphitheater mit Bühne für den Redner und Sitzplätzen für das „Parlament“. In der Mitte der Sitzplätze – mittig sowohl hinsichtlich des Halbrundes als auch hinsichtlich der Höhe – gibt es einen Ehrenplatz. De Res Publica, vom Volk gewählte Senatoren ringen zum Wohle des Volkes um die beste Entscheidung. So habe ich mir das immer vorgestellt. Untergegangen ist diese „Kultur“ trotzdem. Ich hoffe immer, dass diese Kultur mit ihren Werten in uns weiter existiert; auch wenn ich nicht verleugnen kann, dass diese Werte aus einer solchen Kultur, von Autokraten und Diktatoren über Jahrtausende bekämpft und unter Druck gesetzt wurden / werden. Wenn heute von dem WESTEN als ein Macht- und Wertesystem gesprochen wird, dann sollten wir uns immer wieder bewußt machen, dass in Kleinasien, Griechenland und Rom die Wurzeln dieses Wertesystems liegen.

 
Blick von oben auf das Gesamtensemble: im Vordergrund das Theater

Zurück zu meinem Weg. Nach Patara mache ich mich auf den Weg nach Kalkan einem sehr touristischen Ort. Der Ort wirkt ausgestorben zu dieser Jahreszeit. Es gibt ein gravierendes Missverhältnis bezüglich der verfügbaren Wohnflächen und den Einwohnern. Der Weg nach Kalkan ist schwierig und geprägt von Kletterei: wenige Kilometer viel Zeit. Eine Weile wandere ich mal neben mal auf einer riesigen Mauer, die an manchen Stellen an die Chinesische Mauer erinnert. Ich kann nicht herausfinden, was es mit dieser Mauer auf sich hat. Sie wirkt nicht unbedingt antik aber definitiv auch nicht aus neueren Zeit. Auch die Funktion erschließt sich mir nicht.

 
Chinesische Mauer in Lycia 

Hotels gibt es in Kalkan mehr als potenzielle Gäste. Ich suche mir ein Hotel aus, das auf dem Weg liegt und nett aussieht. Das Hotel wird von einem Jungen gemanagt, dessen Vater gerade in Deutschland ist. Der Junge als auch der Vater aus der Ferne sind extrem hilfsbereit. Denn ich muss mir helfen lassen, da ich aufgrund häuslicher und dringender Problemstellungen meinen Weg unterbrechen und auf den Rückweg machen muss.

Tag 6: 12.03.2023 —> Lykischer Weg: Zeus der Schwerenöter

Zeus verführt Leto oder war es umgekehrt? Wer weiß das schon? Fakt ist, die beiden zeugen die Zwillinge Artemis und Apollon. Sicher ist auch: Hera ist not amused. Aber statt Zeus die rote Karte zu zeigen, ist sie mächtig eifersüchtig auf Leto und die ungeborenen Götter. Hera hat schlicht Angst, dass ihre eigenen Kinder an Bedeutung und Macht verlieren. Leto flieht und versteckt sich in Lycia. Die Zwillinge bringt sie in Letoon, im Flussdelta des antiken Xanthos gelegen, zur Welt.


Erste Nebenflüsse des riesigen Flussdeltas


Zum Teil auf schön angelegten Wegen, so,dass man die Gewächshäuser nicht gleich sieht

Leto und ihre beiden Kinder werden von den Lyciern verehrt und im Gegenzug werden die Drei deren Schutzpatrone. Letoon wird zu einem Heiligtum mit einem Orakel, das in Bezug auf den Wahrheitsgehalt es mit Delphi aufnehmen kann. Das Theater ist ganz gut erhalten. Die drei Tempel für Leto, Artemis und Apollon sind für mich als Laien nur mittels der Beschilderung zu erkennen.


Letoon Heiligtum

Von Letoon laufe ich Flussaufwärts; vom Fluss ist nur bei der Überquerung etwas zu sehen. Das komplette Tal ist mit Gewächshäusern zu gepflastert. Es werden Tomaten und Gurken angebaut. Man sieht nur Gewächserhäuser mal in einem bessern mal in einem schlechteren Zustand.


Nekropole von Xanthos: hier das Innere einer Gruft


Nekropole von Xanthos: hier ein Säulengrab

Etwas höher gelegen komme ich nach Xanthos, der antiken Hauptstadt des Völkerbundes Lycia. Xanthos wurde unter anderem berühmt, weil nach Herodot, die komplette Bevölkerung Selbstmord beging als die Stadt von den Persern im vierten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung erobert wurde. Wissenschaftler bezweifeln allerdings dieser Darstellung. Xanthos existierte auch nach der Niederlage weiter und fiel unter Griechische Herrschaft.


Blick auf das Theater und die Akropolis, die bisher nicht wieder hergestellt ist – im Hintergrund das Tal mit Gewächshäusern 


Zugang zum Theater

Die Ausgrabungen haben eine Nekropole mit unterschiedlichen Grabstättentypologien zu Tage gefördert, ein Theater und eine großflächige Akropolis. Nach meiner Einschätzung sind die Grabungen ein keinem guten Zustand.


Gewächshäuser dicht an dicht gedrängt mit Tomaten und Gurken in der gesamten Flussmündung

Von Xanthos wandere ich durch den Gewächshausdschungel weiter zur antiken Hafenstadt Patara. Hier übernachte itching werde mir diese Stadt morgen anschauen. Hier sollen die Restaurierung weit besser sein als in Xanthos.

Tag 5: 11.03.2023 —> Lykischer Weg: Zelten wird nicht mein Herz erobern!

Trotz einer hervorragenden Luftmatratze und einem sehr guten Schlafsack schlafe ich diese Nacht nicht besonders gut. Ich bin todmüde aber tiefer erholsamer Schlaf will sich nicht einstellen. Der Strand wird vom Mond den größten Teil der Nacht hell erleuchtet. Das Zelt ist transparent und ich habe das Gefühl, der Mond schaut mich lächelnd an. Er sagt zwar nicht, warum er mich immer wieder aus dem Schlaf holt, dass er etwas auf dem Herzen hat, geht mir durch den Kopf. Er will, dass ich selbst drauf komme, nur kann ich das Rätsel nicht lösen. Erst gegen fünf Uhr wird es dunkel und ich falle in einen tiefen Schlaf. Der Wecker holt mich um 07:30 Uhr aus einer Tiefschlafphase, so dass ich geraume Zeit brauche, bis ich den Tag tatsächlich beginnen kann.

Nachdem ich in die Gänge gekommen bin, muss ich zunächst einmal 500 Meter den Berg rauf. Wie gestern über kleinste Pfade mit Kletterpartien und nicht erkennbaren Wegen. Nur die enge Wegmarkierung verhindert, dass ich mich verlaufe.

Mit der unglaublichen Geschwindigkeit von deutlich weniger als zwei Kilometer in der Stunde schnaufe ich den Berg hoch. Oben: eine Almlandschaft mit Reisfeldern und der Ankündigung in 150 Meter gibt es eine Bar. Ich freue mich wie Bolle. Denkste – zu!


Bäume mit roten Stämmen habe ich noch nie (bewußt) gesehen

Zu meinem Zwischenziel muss ich über schöne Wege – mit viel Grün und interessanten Bäumen, die Stämme sind ganz rot, noch etwa vier Kilometer laufen. Ich bin völlig erschöpft vom Aufstieg und dem schlechten Schlaf. Zitternd am ganzen Körper, keine vernünftige Blutzirkulation in den Fingern, fröstelnd erreiche ein kleines Dorf und hier gibt es ein kleine, primitive Bar die eine Mutter mit ihrer etwa zehnjährigen Tochter managt. Die Mutter kocht, die Tochter macht den Service; wahrscheinlich auch deshalb, weil die Tochter sich in Englisch artikulieren.

Ich brauche zuckerhaltige Getränke. Zwei Dosen Fanta und fünf Tees erwecken mich aus meiner Starre. Langsam hört das Zittern auf, ich bekomme allmählich wieder Gefühl in meine verschrumpelten Fingerspitzen und auch ein Wärmegefühl durch strömt mich.

Ein weiterer Wanderer wird in die Bar gelockt. Ein Franzose, der ebenfalls den Lykischen Weg geht. Er ist mit einer dünnen kurzen Hose bekleidet. Mich friert gleich wieder, als ich ihn sehe. Er ist ganz erpicht darauf, mit mir weiter zu gehen.

Also laufen wir gemeinsam los. Nach wenigen Kilometern als wieder steil bergauf geht, lasse ich ihn ziehen: der läuft mir zu schnell. Ohne sich zu verabschieden aber mit dem Wissen, wo ich heute übernachten werde zischt er los.

Auf dem nächsten Hochplateau gehe ich davon aus, es mehr oder weniger geschafft zu haben. Denn jetzt muss nur noch 600 Meter runter und es sind keine fünf Kilometer mehr. Nach kurzer Zeit hört der breite und angenehm zu laufende Weg auf und geht wieder in einen steil abfallenden oft völlig zu gewucherten Pfad über. Es wird rutschig da am Nachmittag dicke dunkle Wolken mit viel Feuchtigkeit den Berg umhüllen. Jetzt gilt es höllisch aufzupassen, dass man in der Nebelsuppe, den Weg bzw. die Markierung nicht aus dem Auge verliert und mindestens genauso wichtig auf dem Geröll oder den riesigen oft mehr als 60 Grad geneigten Felsplatten stürzt.


Wo ist der Weg?


Der Pfad ist dicht bewachsen

Der Abstieg zieht sich und zieht sich dadurch ewig hin. Dann treffe ich auf Wegweiser zu meinem Hotel für heute Nacht. Es sind zwar immer noch zwei Kilometer zu gehen, aber ab dem Schild wird es wieder flacher und ich kann ordentlich ausschreiten.

Im Hotel angekommen werde ich nicht nur vom Wirt sondern auch von „meinem“ Franzosen – Pierre – empfangen. 19:30 Uhr ist Abendessen angesagt. Kaum Zeit meine Wäsche zu waschen und mich wieder menschlich herzurichten. Kurz nach halb acht, ich bin noch nicht ganz fertig, werde ich schon gerufen: das Essen steht auf dem Tisch. In der Wohnküche des Wirtes wird gegessen. Der Wirt, der perfekt Englisch spricht und viele Jahre in Holland gearbeitet hat, setzt sich zu uns und wir unterhalten uns prächtig.

Zum Abschluss wird noch vereinbart, wann es Frühstück gibt. Pierre will schon um 07:00 Uhr los. Definitiv zu früh für mich. Unsere Ziele für Morgen sind auch völlig unterschiedlich, so verabschiede ich mich von ihm und wir wünschen uns eine gute Reise.

Tag 4: 10.03.2023 —> Lykischer Weg: Bergetappe

Vom Hotel muss ich zunächst zurück auf den Lykischen Weg, der 400 Meter höher verläuft. Der Trampelpfad ist nicht nur schmal, zeitweise schlecht ausgeschildert sondern vor allem steil. Der Weg hat Klettersteig Charakter. Immer wieder muss ich klettern und höllisch aufpassen, dass ich nicht abstürze, da es auch noch oft ausgesetzt ist. Entlohnt werde ich mit einem sensationellen Blick auf Ölüdeniz Beach.


Atemberaubender Blick

Auf dem Lykischen Weg angekommen, empfängt mich ein schöner, gut ausgebauter Wanderweg. Zu meiner Überraschung kommen gerade zwei Wandergruppen vorbei. Ein älteres Paar und drei junge Leute (2-mal weiblich, 1-mal männlich). Hier ist ja der Teufel los – fast wie auf dem Camino Frances. Die beiden Gruppen treffe ich, trotz völlig unterschiedlicher Laufgeschwindigkeit immer wieder – zumindest bis kurz vor Kabak.


Der Lykische Weg ist gut ausgebaut

Jetzt geht es zum ersten mal tatsächlich in die Berge, bis auf gut 800 Meter hoch. Oben liegt ein kleiner Ort, in dem es zu meinem Erstaunen eine Bar gibt. Hier ruhe ich mich erstmal aus, trinke einen Türkischen Kaffee und eine Limonade.


Zwei Kälber kämpfen: das ist kein Spaß mehr, am Ende stößt edler Stärkere den Schwächern den Berg runter


Hin und wieder steht neben den krüppeligen Kiefern ein imposanter Baum

Hier muss ich auch eine Entscheidung treffen. Es gibt zwei Wegalternativen. Ich wähle, die meine WanderApp vorschlägt auch wenn diese Variante mehr Höhenmeter erfordert. Dies mache ich auch, da ich davon ausgehe heute zelten zu müssen, wenn ich nicht eine sehr kurze Etappe einlegen möchte. Auf meiner Variante komme ich, bevor es so richtig Remote wird durch den Badeort Kabak. Dort werde ich Getränke für den Abend und nächsten Tag kaufen und, obwohl ich dort so gegen drei sein dürfte, so viel essen, dass ich kein Abendessen mehr brauche.


Bergwelt: die Baumgrenze dürfte bei knapp 1.000 Meter liegen

In Kabak angekommen, muss ich feststellen, dass der Ort einer Ruine gleicht und gerade erst wieder aufgebaut wird. Überall wird gearbeitet, um den Ort für die Sommergäste herzurichten. Ich gewinne den Eindruck, dass man einen großen Teil der Gebäude komplett neu baut und andere bis auf den Rohbau entkernt hat. Auf meine Frage, wo ich ein Restaurant finde, werde ich ausgelacht. Ich bekomme aber den Hinweis, dass ich nur wieder den Berg hochlaufen müsse, da sei ein Supermarkt. Also gut, ich gehe den Berg wieder hoch, nur einen Supermarkt finde ich nicht. Diejenigen, denen ich begegne, wissen nichts von einem Supermarkt. Dafür komme ich an einem Hotel vorbei, das fertig aussieht. Ich probiere mein Glück und siehe da, dort sitzen Leute. Doch schnell ist klar, man hat noch geschlossen und die anderen Gäste sind die Inhaberfamilie, die gerade Pause machen. Verschwitzt und fertig wie ich bin, wollen sie dennoch helfen und ich bekomme drei kleine Flaschen Wasser und trinke, um meinen akuten Durst zu löschen einen Liter Eistee. Gute Ratschläge hinsichtlich des Weges bekomme ich auch. Ich soll zum Paradies Beach gehen, da ist es traumhaft schön und nicht mehr soweit vor allem geht es mehr oder weniger immer am Strand entlang, was verspricht nicht mehr so beschwerlich zu sein.

Da der Paradies Beach, ohne dass ich wußte, dass dies der Name der Bucht ist, mein Ziel war, mache ich mich auf den Weg. Zunächst zurück zum Meer nach Kabak. Von dort geht es natürlich nicht am Strand entlang – ich hatte mich schon gewundert, da meine App einen Weg höher vorgeschlagen hatte. Und dies ist auch die einzig Möglichkeit, da die Berge steil zum Meer hin abfallen.

Womit ich nicht gerechnet hatte, dass es sich wie heute Morgen nicht um einen Weg sondern um einen Klettersteig handelt. Mit dem zusätzlichen Gewicht auf dem Rücken sehr beschwerlich. Gefährliche An- wie Abstiege. Das macht mich fertig. Ich muss ständig Pause machen und habe kaum noch Motivation weiter zu klettern. Unter Zeitdruck stehe ich auch, da es um sieben dunkel wird muss ich mich beeilen. Nur mein Körper sagt nein. Es gibt aber keine Alternative zum Strand, da die Berge so steil sind, dass ich noch nicht mal mir ein Bett bauen, geschweige mein Zelt aufstellen zu können. Um kurz vor sieben habe ich es geschafft. Ich bin am Strand. Dort steht bereits ein Zelt und zwei junge Männer sitzen daneben vor einem großen Feuer.


Paradies Beach: meine Schlafstelle für heute – und meine erste Nacht auf einem Strand

Auf Kommunikation habe ich keine Lust mehr. Ich baue schnell das Zelt auf einem anderen Teil des Strandes auf, koche mir einen Tee und anschließend eine Suppe. Das muss reichen. Beim Kochen brauche ich bereits eine Stirnlampe. Das hat schon etwas archaisches an sich. Es wird im Dunklen abrupt kalt. So ziehe ich mich schnell in mein Zelt in den warmen Schlafsack zurück.

Tag 3: 09.03.2023 —> Lykischer Weg: Kayaköy/Levissi

Mein linker Fuß schmerzt. Ich glaube, es ist wieder die Sehne von der zweiten Zehe zum Knöchel – wie schon das eine oder andere mal in der Vergangenheit. Grund war immer ein zu schwerer Rucksack. Also muss ich an mein Proviant ran, der fast 1,5 kg ausmacht. Auch wenn es mir schwer fällt, nicht auf mehrere Übernachtungen ohne Einkaufsmöglichkeiten und Restaurants vorbereitet zu sein, der Rucksack muss leichter werden. Schweren Herzens trenne ich mich von meiner Wurst, Nüssen und einem Teil der Fertignudeln: ein Kilogramm macht das zusammen. Den Gewichtsunterschied merke ich beim Anheben des Rucksacks nicht. Ich weiß aber aus Erfahrung, dass meine Füße es spüren und mir dankbar sein werden.

Da ich in der Mitte von Fethiye übernachtet habe, muss ich noch etwa fünf Kilometer bis an das südöstliche Ende der Stadt auf Straßen laufen. Um meinen linken Fuß etwas zu entlasten, gehe ich auf der rechten Straßenseite. Da Straßen meist etwas zum Straßenrand hin abfallen, steht das linke Bein etwas höher und damit knickt der linke Fuß etwas ab, was ihn entlastet. Am Ende von Fethiye stoße ich dann schließlich auf den offiziellen Beginn des Lykischen Wegs.


Blick zurück auf Fethiye

Jetzt geht es gefühlt querfeldein steil den Berg rauf. Der Weg ist mit rot weißen Zeichen markiert. Ich muss sehr aufpassen, nicht vom Weg abzukommen, da man spärlich mit den Markierungen umgegangen ist. Nach einer halben Stunde klettern, geht der Pfad in eine „Straße“ über. Später am Tag frage ich in einem Restaurant, wo ich eine Kleinigkeit zu Mittag esse, das Personal, was es mit dieser „Straße“ auf sich hat, die sich so weitläufig durch die Berge zieht. Sie ist gepflastert, wie ich dies von Römerstraßen kenne. Sie ist gut erhalten, was dafür spräche, dass sie neuer ist – definitiv vor der Autoära; mit einem Auto kann man sie nicht befahren. In niedrigeren Bereichen ist sie von Oleanderbüschen, die leider noch nicht blühen, gesäumt. Weder das Personal des Restaurants noch die anderen Gäste können mir Auskunft geben. Die Einen kennen sie gar nicht, für die Anderen ist sie schon immer da.


Römerstraße?

Ich stelle die Hypothese auf, weil mir das gefallen würde, dass es sich um eine Römerstraße handelt, die zur Zeit Konstantin des Großen von Byzans nach Efesus und weiter nach Antiochia am Orantes gebaut wurde, um die bedeutendsten Städte des Oströmischen Reiches zu verbinden, wobei ich gar nicht weiß, ob Antiochia zum Oströmischen Reich gehört hat. Genauso wenig kann ich einen Beitrag zur Verifizierung meiner Hypothese leisten – leider. Ich habe allerdings noch einen Schlaumeisen-Beitrag: das Oströmische Reich war das erste Land in der das Christentum Staatsreligion war, weshalb man in Kleinasien auf viele Christliche Spuren stößt.


Antike Grabstelle

Zu Mittag habe ich in Kayaköy gegessen. Ein kleiner unbedeutender Ort. In gewisser Weise ist aber bekannt. Im 18. Jahrhundert haben dort Griechen auf den Ruinen des antiken Ortes Carmylessus eine Stadt mit dem Namen Levissi errichtet. Die Stadt hat um die 3.000 Häuser, zwei Kirchen und eine Kapelle hoch oben auf dem Berg mit Blick aufs Meer, um auf Angriffe vom Meer aus gewappnet zu sein, und ins Tal, so dass man ein anrückendes Heer frühzeitig sehen konnte. Die Stadt wurde vor genau ein hundert Jahren verlassen und die Gebäude verfallen allmählich vor sich hin. In die beiden Kirchen darf man entsprechend aus Sicherheitsgründen nicht mehr rein.


Blick von Westen von der Kapelle auf Levissi

Warum wurde die Stadt verlassen? 1922/1923 wurden die Griechisch Orthodoxen Christen aus der Stadt vertrieben. Basis für die Vertreibung war der Vertrag von Lausanne, der nach dem Griechisch-Türkischen Krieg den Frieden besiegelte.


Low Church (Baustil ist identisch mit der High Church – soweit man das von der Ferne beurteilen kann)

Ich frage mich, warum die türkischen Bewohner des Ortes die vorhandenen Häuser nicht übernommen haben, da die Bausubstanz eine hohe Qualität vermittelt, was man bei den Häusern im Tal nicht uneingeschränkt behaupten kann. Neben der Qualität ist die Hanglage des alten Levissi viel attraktiver.


Blick von Osten auf die High Church

Ich nehme mir fast zwei Stunden Zeit, die Hauptstraßen abzulaufen und mir alles ausführlich anzuschauen. Dabei komme ich ganz schön ins Schwitzen. Aus dem Tal, wo sich die ersten Häuser und die Low Church befinden, bis hoch zur Kapelle sind es sicher 120 bis 150 Höhenmeter. Von der Kapelle gehe ich wieder runter auf etwa halbe Höhe, wo die High Church liegt. Die einzigen Bewohner sind Landschildkröten, die die Ruinen zu ihrem Zuhause gemacht haben.


Die neuen Bewohner von Levissi

Danach mache ich mich auf den Weg. Von Kayaköy / Levissi an ist der Lykische Weg trotz kleinster Trampelpfade bestens markiert. Mein linker Fuß scheint sich erholt zu haben; ich verspüre keine Schmerzen. Hoffentlich bleibt das so. Gut gelaunt komme ich nach Ölüdeniz – Beach, wo ich mir ein Hotelzimmer gebucht habe. Der Ort liegt direkt am Wasser und mein Hotel etwas erhaben am Berg mit Blick auf das Meer. Heute mache ich es mir einfach und esse im Restaurant, das zum Hotel gehört.


Vom Balkon meines Hotelzimmers auf die See

Tag 2: 08.03.2023 —> Lykischer Weg: Fethiye

Meine ersten Erkenntnisse nach zwei Wandertagen:

  • Wege auf einer Karte müssen in der Wirklichkeit nicht unbedingt existieren – selbst Wegweiser können irren. Meine Vermutung: Wege werden gezielt und somit „illegal“ durch Zäune und Buschwerk geschlossen, um diese Wege dem Privatbesitz einzuverleiben. Teilweise sind Pfade aber auch einfach zugewuchert, weil sie nicht benutzt werden. In Summe hat mir das heute etwa drei Kilometer und 200 Höhenmeter zusätzlich eingebracht. Das klingt nicht viel, allerdings sind diese Kilometer und Höhenmeter mit besonders viel Schweiß und Zeit verbunden – am Schlimmsten sind die Dornenbüsche, die immer einen Weg durch die Kleidung finden und sich in Hände und Arme bohren, abbrechen und Splitter hinterlassen, die später wieder rausgepopelt werden müssen. Von Insektenstichen bin ich ebenfalls nicht verschont worden, die ich versuche zu ignorieren, obwohl manche tüchtig jucken.


    Wege nicht nur für Wanderer sondern auch für Mountainbiker
  • Die Wege sind wunderschön und oft so angelegt, dass sie auch von Mountainbikern genutzt werden können. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass vor Kurzem viele Wege extra für Mountainbiker ausgebaut und verbreitert wurden. Sie haben ihre eigenen Wegweiser, die einzigen Wegweiser im übrigen, die ich bisher gesehen habe. Scheinbar will man dadurch seine Attraktivität für Touristen erhöhen. Selten muss ich an einer Straße entlang gehen, außer in den Ortschaften durch die ich immer wieder komme. Ich habe weder gestern noch heute jemanden in den Wäldern getroffen. Nur eine Mountainbikerin kam mir mal entgegen. Es ist so einsam in den Wäldern wie letztes Jahr in Griechenland.



    Das Landschaftsbild von Meer, Berge, Wälder und Inseln ist traumhaft


    Blick aufs Meer von einer Strandbar
  • In den Städten herrscht Trubel. Die Lokale sind gut besucht, eben ganz anders als im Norden Griechenlands. Auf einem Campingplatz, von denen es hier sehr viele gibt, mache ich in einer Strandbar eine ausgiebige Pause und genieße den Blick über den Strand aufs Meer. Die Kombination von Bergen, Wäldern, Stränden und dem Festland vorgelagerten Inseln machen die Gegend zu etwas ganz besonderem.


    An diesem Strand steht Wohnmobil an Wohnmobil und siehe sehen alle nicht so aus, als wären sie vor Kurzem bewegt worden

  • Bisher bin ich mit Englisch gut durchgekommen. Die meisten, mit denen ich Kontakt hatte, haben zumindest rudimentär Englisch gesprochen. Um mich herum wird aber gefühlt mehr Russisch als Türkisch gesprochen.

Heute bin ich nach gut 32 Kilometern und 700 Höhenmetern in Fethiye angekommen. Ab etwa 10:30 Uhr hat die Sonne es geschafft, die dunklen Wolken zu vertreiben und es wurde gleich angenehm warm. Mit dem Sonnenuntergang kommt die Kälte sofort zurück. Auch wenn Viele draußen in dicken Jacken essen, ist mir das definitiv zu kalt.


Fethiye liegt tief in einer Bucht mit großem öffentlichen Strand

Ich habe in beiden Beinen einen mächtigen Muskelkater und laufe etwas steif durch die Stadt, auf der Suche nach einem netten Restaurant. Gottseidank finde ich schon nach ca. 300 Metern ein Lokal, das mir zusagt und verspricht, nicht nur Fastfood anzubieten.

Mit der Überquerung des Murtbeli Deresi, dem antiken Fluss Indus (siehe die Karte von gestern), habe ich die antike Grenze zwischen Caria und Lycia überschritten. In Fethiye fängt konsequenter Weise der offizielle Lykische Weg an, der kurz vor Antalya endet. In den nächsten Tagen werde ich immer mal wieder etwas geschichtliches in mein Tagebuch einfließen lassen.

Tag 1: 07.03.2023 —> Lykischer Weg: Göcek

Ich habe mich unter meine Bettdecke verkrochen. Das Hotelzimmer ist eiskalt, obwohl ich bereits seit mehr als einer Stunde die Klimaanlage auf 30 Grad stehen habe. Auf der Weide direkt vor meinem Fenster sehe ich, eine Herde Schafe grasen. Denen scheint die Kälte nichts auszumachen. Die Temperaturen sind tatsächlich so niedrig, wie es der Wetterbericht vorhergesagt hat. Dazu kommt immer mal wieder ein kalter Nieselregen, der mein Wohlbefinden nicht steigert.

Ich kann mir gut vorstellen, dass Ihr eine Reihe Fragen habt:

(1) Wo ich bin? In Inlice bei Göcek. Göcek an der Türkischen Ägäis kennen viele Segler. Göcek hat eine groß gut geschützt liegende Marina und ein tolles Segelrevier mit vielen Buchten und vorgelagerten kleinen Inseln. Eine sensationell schöne Landschaft. Derzeit bereitet man sich auf die kommende Saison vor. Viele Boote liegen in der an die Mariana angeschlossenen Werft. Trotzdem sind schon fast alle Liegeplätze belegt. Trotz der niedrigen Temperaturen reifen die Zitronen, Mandarinen und Orangen.

(2) Wie bin ich dorthin gekommen?

Ich bin gestern von Frankfurt mit Zwischenlandung in Istanbul nach Dalaman (Marmaris) geflogen. Durch den Stopp in Istanbul und die Zeitverschiebung von zwei Stunden habe ich erst am Abend Dalaman erreicht, wo ich in einem einfachen Hotel übernachtet habe und dessen Zimmer gefühlt kälter waren als draußen. Ich brauchte eine Extradecke für ein warmes Bett. Heute Morgen bin ich von Dalaman über den Götcek-Pass nach Göcek und weiter nach Inlice gelaufen, das auf halben Weg nach Fethiye.



(3) Was mache ich hier?

Mein Ziel ist die Erkundung – wie auch in der Vergangenheit bei meinen Touren – unserer kulturellen Wurzeln diesmal in Kleinasien auf Schusters Rappen: Caria, Lycia und Pisidia —> die Schlachtfelder der Perser und Griechen und dem damit verbunden Untergang lokaler Kulturen, die Christianisierung Kleinasiens, das Erwachen des Osmanischen Reichs und die moderne Türkei. Wo anders kann man besser das Erblühen und den unvermeidbaren Rückzug von Kulturen und damit die Bedeutung von Wandel „studieren“? Ich werde in den nächsten drei bis vier Wochen auf dem Lykischen und dem Paulus Weg von Dalaman über Antalya nach Isparta wandern. Etwa 750 Kilometer und knapp 25.000 Höhenmeter liegen vor mir.

 (Karte aus dem Putzger Atlas)

Zum Abendessen muss ich zurück nach Götcek, da die Restaurants fußläufig zum Hotel geschlossen sind. Also fahre ich mit dem Taxi nach Götcek und nutze die Gelegenheit etwas zum Frühstücken für Morgen einzukaufen, da mein Hotel kein Frühstück anbietet.

Tag 24: 26.10.2022

Das Highlight heute ist das Tal der Tempel. Tatsächlich reihen sich die sieben Tempel, so viele habe ich zumindest gezählt, oben auf einer Hügelkette auf und thronen etwa 100 Meter über dem Meer. Vom heutigen Agrigent aus gesehen, das auf etwa 200 Meter liegt, ist das im Tal. Daher der Name.

Vom Ticketcounter geht man zunächst hoch zum Tempel der Hera, den östlichsten der Tempel.

Von dort läuft man an antiken Befestigungsmauern zum Concordia Tempel, der seinen Namen aufgrund der Herzlichkeit der Bevölkerung erhalten hat, so sagt die Legende. Der Concordia Tempel ist bestens erhalten, was damit erklärt wird, dass er als Kirche geweiht wurde nach Austreibung von Castor und Pollux. Davor liegt eine männliche Bronzestatue.

Von den restlichen Tempeln ist nicht mehr viel übrig, da die Phönizier bei der Eroberung der Stadt, diese zerstört haben. Die Grundmauern des mächtigen Zeus Tempel mit einer Fläche von ca. 6.000 qm und einigen umgeworfenen Säulen zeigen, über welche statischen Fähigkeiten man vor mehr als 2.500 Jahren bereits verfügt haben muss.

Den Abschluss ganz im Westen bildet der Tempel, der dem Gott Vulkan gewidmet ist.

Die Strecke zwischen Hera‘s und Vulkan‘s Tempel beträgt fast vier Kilometer. Große Teile der Befestigungsmauer Richtung Süden zum Meer hin sind noch erhalten. Man darf meist über die antiken Steine an der Mauer entlang marschieren. Zusätzlich gibt es eine Straße, die die Tempel verblindet. Ob diese auch dem Verlauf der antiken Wege entspricht, kann ich nicht erkennen. Dennoch ist die Ausdehnung beeindruckend, die besonders durch diese Straße klar wird.

Zurück am Auto fahre ich etwa 100 Kilometer an der Südküste entlang. Viele Gewächshausanlagen, die einen großen Teil der Fläche bedecken, sind hier in unterschiedlichen Qualitäten aufgebaut. Ich sehe darin Tomaten, Gurken und manchmal auch Bäume. Je weiter ich Richtung Osten komme, werden die Gewächshäuser seltener und werden durch Oliven und Zitrusfrüchte abgelöst.

Da ich auf den Straßen nur sehr langsam vorwärts komme, breche ich mein Vorhaben, an der Küste bis nach Syrakus zu fahren, kurz hinter Gela ab und gebe Catania als neues Ziel ins Navi ein.

Ich übernachte in unmittelbarer Nähe zum Flughafen in einem NH Hotel. Die haben am Montag ein großes Software-Update gemacht und finden meine Reservierung nicht. Ärgerlich, da ich über Booking.com bereits im Voraus bezahlt habe. Am Check-in ist man so freundlich und gibt mir trotzdem ein Zimmer, obwohl sie ausgebucht seien (Never ever). Sie sind dann auch noch der Ansicht, ich habe das mit Booking.com zu klären. Da bin ich ganz sich anderer Meinung und tue das auch kund. Na, mal schauen, wie das weiter geht …

… als ich zum Abendessen gehe und an der Rezeption vorbei komme, spricht mich die Dame an, die mich eingecheckt hat: sie habe die Buchung gefunden und meint, ich solle doch besser direkt bei den Hotels buchen statt über irgendwelche Makler. Gerne, wenn sie nicht über einen längeren Zeitraum offline sind.

Tag 23: 25.10.2022

Mein Ziel, die Kathedrale von Messina, erreiche heute bereits nach 14 Kilometern. Verlaufen kann ich mich nicht. Es geht immer gerade aus von meiner Quartier bis zur Kathedrale mal als Nebenstraße mal als Hauptverkehrsstraße. Santa Magaritha ist bereits ein Vorort von Messina und von dort reiht sich Ort an Ort ohne erkennbare Stadtgrenzen. Offensichtlich wird es immer schmutziger und immer ärmlicher. Das ändert sich erst am Hauptfriedhof von Messina nach ungefähr 12 Kilometern also zwei Kilometer vor dem Zentrum der Stadt.

Der Dom ist äußerlich nicht besonders beeindruckend und könnte auch in einer anderen Kleinstadt Siziliens stehen. Innen sieht das allerdings völlig anders aus. Die Decke des Doms ist ein sensationelles Konstrukt. Der Hauptaltar ist prächtig. Ich traue mich nicht ihn mir von nahem anzuschauen, da gerade eine Messe gelesen wird und dabei möchte ich nicht stören. Ich setze mich in eine der hinteren Reihen und höre zu. Die Handvoll Priester mit der Orgel zusammen erzeugen immer wieder Musikunterbrechungen, die unter die Haut gehen. Vom sonstigen Ritual verstehe ich natürlich nichts. Mal wieder fällt mir auf, dass katholische Gottesdienst ein Spektakel sind. Ob Botschaften übermittelt werden, wie das im evangelischen Gottesdienst der Fall ist, weiß ich nicht.

Die Malereine vor und über dem Hauptaltar unterstreichen meinen Eindruck einer hervorragenden Inszenierung. Ansonsten ist die Ausgestaltung der Kathedrale eher schlicht mit vielen Skulpturen.

Nach einer halben Stunde der Besinnung verlasse ich den Dom und gehe die wenigen Schritte zum Hafen, dessen Einfahrt durchaus Eindruck macht. Leider darf ich nicht das Hafengelände  begehen. Wachleute halten mich zurück, lassen mich aber ein Foto schießen.

So nun auf zur Autovermietung. Ich habe einen Kleinwagen gemietet, um von Messina noch nach Agrigent zu fahren. Das Tal der Tempel ist eine der bedeutendsten antiken Stätte, die die Griechen dort außerhalb Griechenlands errichtet haben. Davon mehr morgen.

In Vorbereitung auf die Besichtigung des Tals der Tempel morgen lesen ich noch etwas über die Geschichte Agrigents, das von den Griechen, wie schon beschrieben, gegründet wurde. Dann haben es sich die Römer unter den Nagel gerissen, bevor die wiederum sich vermutlich selbst zugrunde gerichtet haben und somit es den nordafrikanischen Muslimen leicht gemacht haben sich auf Sizilien breit zumachen. Das war auch nicht von Bestand, dann haben die Normannen nicht nur Agrigent sondern auch ganz Sizilien besiedelt, die haben tiefe Spuren auf ganz Sizilien hinterlassen. Halten konnten die sich aber auch nicht. Spätestens mit Garibaldi wurde dann Sizilien italienisch. Und heute, so sagt man, hat die Mafia die Insel übernommen. Stimmt das? Nicht festzustellen als Außenstehender.

Was sagt uns diese etwa 2,5 Jahrtausende währende Geschichte: es ist schwer festzustellen, wer die Indogenen sind. Nichts hat Bestand, auch wenn es so manche Generation zu einer grundlegenden Veränderung braucht. Ob wir es wollen oder nicht Immigranten übernehmen auf Dauer die Macht und bringen ihre Kultur mit. Lohnt es sich dagegen zu wehren oder ist Kooperation die bessere Strategie, die eigene Kultur zu erhalten? Staatschefin Meloni will auf jeden Fall die Boote aus Nordafrika nicht nach Italien lassen. Na dann müssen wir ja nur warten, dass aus lauter Dekadenz wir uns selbst Garaus machen. 2000 Jahre Christentum bedeutet noch lange nicht, dass diese eine Zukunft hat. Betrachtet man die Anzahl der Kirchenaustritte, habe ich so meine Zweifel. Geschichtlich gesehen richten wir unsere Kultur gerade in Lichtgeschwindigkeit zu Grunde. Hoffen wir mal, dass dadurch Europa wie Phoenix aus der Asche mit „wetterfesten“ Demokratien die Antwort ist und wie Rechte und Autokraten ausschwitzen.

Tag 22: 24.10.2022

Sonnenaufgang: schnell und tief rot steigt die Sonne aus dem Meer in den Himmel. Trotzdem ist es so früh am Morgen noch frisch. Zu kühl für mich, um im Meer zu baden. Zumal die Wassertemperatur bei nur 23 Grad liegen soll.

Heute wandere ich dem Grunde nach die ganze Zeit auf der SS114, die bis nach Messina hinein führt. Etwas höher am Berg klebt die Autobahn. Oft verschwindet sie im Berg. Meist etwas unterhalb der SS114 verläuft die Bahnlinie; Bahnlinie und Straße wechseln allerdings öfter mal die Position.

Auf der sehr schmalen Fläche zwischen Meer und Berg zwängen sich langgelegen Straßendörfer, die meist in einander übergehen, so dass ich die meiste Zeit durch Ortschaften laufe. Dabei kann ich oft wählen, ob ich an der Strandpromenade oder auf der Durchgangsstraße gehe. An der Promenade ist es verkehrstechnisch ruhiger aber auch sonniger. Im Ort werfen die Häuser Schatten und es ist etwas abwechslungsreicher gleichwohl das Stadtbild sich wiederholt. Bars und Geschäfte sind prinzipiell im Ort. An der Promenade stehen hin und wieder LKWs, die von der Ladefläche ihre Waren meist Obst und Gemüse, anbieten.

In manchen Bereichen ist die verfügbare Fläche so gering, dass die Bahntrasse direkt am Meer liegt, dann kommt eine Häuserreihe, danach die SS114, wieder eine Häuserreihe durch deren Gärten sich auch schon die Autobahn quetscht. Schrecklich.

Eigentlich ist die Küste wunderschön mit ihrem hunderte Kilometer langen Strand und den hohen, steilen Bergen. Über das Meer Richtung Osten sieht man bereits Kalabrien. Dennoch ist sie durch die drei Verkehrstrassen völlig verbaut und somit unattraktiv für Touristen. Damit fehlt das Geld, um die Strände und Promenaden so aufzuwerten, dass Gäste aus dem Ausland angelockt werden können. Eine Abwärtsspirale entsteht: die Gebäude zerfallen, da die Renovierung und der Erhalt zu kostspielig sind; und so kommt es, dass hoch über der Autobahn neue riesige Wohnblocks gebaut werden, die große Terrassen und sicher einen fantastischen Blick haben. Nur zur Steigerung der Attraktivität der ohnehin schon verbauten Umgebung tragen sie nicht bei. Im Gegenteil, die Menschen verlassen die Orte und ziehen hoch in die Berge, was wiederum zur Folge hat, dass es niemanden mehr Interesse daran hat, die Städte und Dörfer zu erhalten.


In jedem Garten stehen Bäume voll mit Zitrusfrüchten. Viele der Früchte sind fast reif und verführen, rein zu beißen.

Nach gut 30 Kilometer erreiche ich mein heutiges Ziel. Am angegebenen Ort bzw. GPS Koordinaten gibt es keinen Hinweis auf meine Unterkunft mit dem wohlklingenden Namen: Villetta con terrazza sul mare Santa Magherita Marina. Auch sehe ich meine Gastgeberin nicht, obwohl ich minutengenau ankomme. Ich rufe sie an. Ich versuche klar zu machen, dass ich angekommen bin und beschreibe meinen Standort auf Englisch. Sie antwortet mir in rasantem Italienisch. Einige Worte verstehe ich auch die Frage, ob ich an der Apotheke bereits vorbei bin. Das bejahe ich und schon erhalte ich im schnellst möglichen Italienisch eine Antwort: Bahnhof! Sie legt auf und ich habe keine Ahnung wohin. Sie glaubt wohl, sich bestens ausgedrückt zu haben, was ich nun machen soll.  Ich stelle mich etwas exponiert auf die Straße, so dass man mich von dem Haus, das ich glaube mein Heim für heute Nacht ist, und der Apotheke aus gut sehen kann. Ich erwarte, dass sie mich so sehen kann, wo immer sie sich gerade befindet auch, selbst wenn sie noch auf dem Weg sein sollte. Nichts. Also schicke ich eine SMS, beschreibe, wo ich bin und frage, was ich tun soll. Kaum abgeschickt, ruft sie mich wieder an und brüllt so laut, dass mir klar wird, sie ist in meiner unmittelbare Nähe. Dann sehe ich eine wild winkende Frau auf einem Balkon.

Ich werde überschwänglich begrüßt. Wortschwall über Wortschwall fegt über mich hinweg. Noch einmal sage ich ihr, dass ich kein Italienisch spreche. Jetzt erst spricht sie langsamer und artikulierter. Sie entschuldigt sich, das sie kein Englisch spricht, zeigt mir die Wohnung, fragt, was ich beruflich mache, dass sie Anwältin ist, bedauert, das ich nur eine Nacht bleibe und das Meer nicht ausgiebig genießen kann und und und. Dann verabschiedet sich und saust los. Keine zwei Minuten vergehen und es klopft an der Tür. Sie hat ihre Handtasche vergessen. Meine Herren, was für ein Wirbelwind.

Ich lasse nun erst mal Ruhe einkehren. Ich ziehe mir meine Badehose an und gehe über die Straße zum Strand. Wie überall ist der Sand grau-schwarz und sehr grobkörnig. Zum Liegen lädt der Strand nicht ein, dafür liegt zu viel angespülter Müll herum. Ich will mich sowieso nicht hier hinlegen sondern etwas schwimmen. Puh, ist das Wasser kalt. Mir verschlägt es den Atem und ich werde auch beim Schwimmen nicht warm. Niemals hat das Wasser 23 Grad. Kein Wunder dass ich den ganzen Tag noch niemanden habe schwimmen sehen. Keine fünf Minuten bleibe ich im Wasser. Zitternd komme ich aus dem Meer und trockne mich schnell ab. Jetzt brauche ich eine heiße Dusche.

Tag 21: 23.10.2022

Von Giarre laufe ich die Gerade hinunter zum Meer. Etwa zehn Kilometer kann ich direkt am Wasser entlang wandern. Meist ist der Strand direkt zugänglich. Da Sonntag ist kommen viele Einheimische, parken an der Straße und legen sich in die Sonne.

Schließlich muss ich einen Fluss überqueren: die nächste Brücke liegt einige Kilometer den Berg hoch und da muss ich jetzt hin, vorbei an Gärten voll mit Zitrusbäumen. Jetzt muss ich einer Strada Statale (das entspricht in etwa einer Bundesstraße in Deutschland) folgen. Sie ist zwar stark befahren, trotzdem kann ich gefahrlos – mal auf der einen mal auf der anderen Seite mal mit Bürgersteig mal ohne – marschieren. Eng ist es nur auf Brücken. Diese sind nicht designed worden für die aktuellen Autos und schon gar nicht für eine Kombination von Autos, Fußgängern und Radfahrern. Heute scheint Radfahrtag zu sein. Große und kleinere Gruppen an Rennradfahrern brausen die Straßen entlang.

In den folgenden Ortschaften herrscht ein buntes Treiben. Viele Geschäfte haben offen. Verkauft wird an jeder Ecke frischer Fisch sowie Obst und Gemüse. Die Plätze sind belebt. Nicht nur die Gebäude sind alt auch mancher Baum auf den Plätzen hat schon Vieles kommen und gehen sehn. Reichlich Schatten spenden sie wohl schon so mancher Generation.

Danach erwartet mich ein Highlight. Ich habe in den letzten Wochen mehrere Romane gelesen, die in Taormina spielten. Da will ich jetzt hin. Ich habe aufgrund des Lesestoffs ein klares Bild von der Stadt. Meine Erwartung ist allerdings nicht ganz korrekt. Zunächst einmal liegt die Stadt auf 200 Meter, weit höher als in meiner Vorstellung. Ich komme schwitzend mit völlig durchnässtem Shirt in der Stadt an. Ich werde quasi totgetreten von Touristen. Unmengen an Restaurants, die gerade Mittagessen anbieten mit Tischen auf den steilen Straßen. Ich gewinne den Eindruck, in Taormina gibt es nur Restaurants. Ich hingegen bin auf der Suche nach einer Bar. Ich möchte etwas kaltes trinken und einen Espresso trinken. Es braucht eine Weile, bis ich eine Bar finde. Der Barkeeper überzeugt mich, zum Kaffee noch ein Cannoli zu essen. Ich lasse mich überreden: köstlich süß. Nun möchte ich das antike Theater, das auf einem Felsvorsprung gebaut ist und auf dem höchsten Punkt der Stadt von den Griechen gebaut wurde. Erschrocken muss ich feststellen, dass nicht nur ich mir das anschauen möchte. Einen Offiziellen frage ich, wie lange es dauert, bis ich am Ticketschalter dran bin. Er meint mindestens eine Stunde bräuchte ich. Ok, das ist es mir nicht wert.

Also dann wieder runter ans Meer und auf nach Letojanni, wo ich direkt am Strand eine Wohnung angemietet habe. Letojanni scheint mir einiges vom Lido di Jesolo und Rimini abgeguckt zu haben: langer Strand in der den Händen von Strandbädern mit Restaurants, die allerdings alle spätestens um 20:00 Uhr schließen.

Die Wohnung allerdings liegt in einem Compound mit eigenem Strand. Ich habe einen schönen Blick vom großen Balkon aufs Meer. Heute Nachmittag habe ich nicht so rechte Lust im Meer zu baden. Ich nehme mir vor, Morgen eine halbe Stunde früher aufzustehen und dann schwimmen zu gehen.

Mein Restprogramm meiner Tour nach Messina und Touriprogramm inkl. R

Tag 20: 22.10.2022

Ein Traum von einem Wandertag: die Landschaft überwältigend schön, herausfordernde Wege und zurück im Sommer. So könnte ich den heutigen Tag zusammenfassen.

Aber alles der Reihe nach. Um 07:00 Uhr klingelt der Wecker. Ich habe keine so richtige Lust aufzustehen. Deshalb gammele ich etwas rum und brauche eine drei-viertel Stunde bis ich endlich das Haus verlasse. Ich muss wieder die vier Kilometer und 200 Höhenmeter hoch zum Refugio Sapienzia. Dort gehe ich in die erste beste Bar, die offen hat und frühstücke wie die Italiener mit Croissants und Cappuccino.

Jetzt umrunde ich zunächst den Etna auf der Südseite und gehe wieder hoch bis auf gut 2.000 Meter. Als ich fast oben aus dem Wald komme, eröffnet sich mir ein spektakulärer Blick auf den Etna mit seinem Krater, der vor 20 Jahren entstanden ist, auf eine Lavafeld, das bei einem Ausbruch vor etwa 110 Jahren eine grauenhafte Verwüstung vom Gipfel bis ans Meer angerichtet hat, und auf ein sehr steiles Tal mit Büschen und Bäumen.

Diese Landschaft berührt mich sehr und erzeugt bei mir ein absolutes Glücksgefühl.

Auf dem Grat von Leben und Tod: zur einen Seite das grüne Tal mit altem Baumbestand wie latschenartigen Kiefern, Buchen und vereinzelten Birken und auf der anderen Seite das Lavafeld grau, schwarz und ohne sichtbares Leben führt nun mein Weg. Zu beiden Seiten fällt der Berg extrem steil ab. Der Weg ist schmal, mal auf der einen Seite und mal auf der anderen Seite des Grates geht es bergauf und bergab sehr sehr langsam vorwärts. Manchmal brauche ich Beine und Arme, um die Kletterpartien sicher gehen zu können. Das geht so etwa zwei Kilometer mit etwa 400 Meter hoch und 600 Meter runter, für die ich mehr als zwei Stunden brauche. In den Alpen wäre der Weg als Klettersteig ausgewiesen. Hier gibt es solche Kategorien nicht und Sicherungen fehlen natürlich auch. An vielen Stellen ist auch die Wegführung uneindeutig, was ein Sicheres gehen um so mühevoller macht.

Später komme ich in einen Wald, in dem es steil bergab geht. Allein in dem Wald „verliere“ ich 1.000 Höhenmeter. Der Weg ist steil, voller Pilze aber vor allem schwer zu begehen, nicht nur wegen seiner Steilheit sondern wegen des tiefen Lavasands, der sich mir ständig in die Schuhe spült, des Laubes und der Unmengen an Kastanien, die durch die Schuhe piksen und zusätzlich rutschig machen.

In Summe laufe ich heute 26 Kilometer und verliere 2.250 Höhenmeter. Letztere haben mich ermüdet: meine Knie tuen mir weh, meine Oberschenkelmuskulatur ist ganz hart und der Lendenwirbelbereich schmerzt. Deshalb beschließe ich, Morgen am Meer ohne großes rauf und runter entlang zu laufen. Es soll auch als Test dienen, ob ich bis Messina am Meer entladen wandern kann. Alle Apps zur Planung meines Weges dorthin wollen mich zurück in die Berge leiten. Das würde allerdings den Weg unnötig verlängern und mich zwingen mehrmals hintereinander zu Zelten. Das würde dann auch bedeuten, dass noch mehr Essen und Wasser mitnehmen müsste. Zum Andern führt eine Autobahn und eine Staatsstraße direkt am Meer lang, was so meine Vermutung, auch der Grund ist, durch die Berge zu gehen.

Zurück zu heute: ich habe ein Zimmer in einem B&B in unmittelbarer Nähe des Duomos von Giarre, einer Stadt etwa 100 Höhenmeter oberhalb des Meeres. Die Stadt hat sicher schon bessere Zeiten erlebt. Die Mehrzahl der Häuser zerfällt und sind in einem jämmerlichen Zustand. Mir gefällt aber die Anlage der Stadt mit vormals toll gestalten Plätzen, geraden Linien mit Blick zum Meer und schließlich einem Dom, der die Stadt optisch dominiert bzw. zentriert.

Tag 19: 21.10.2022

Ein Nachtrag zu gestern. Wie ich vermutet habe, handelt es sich bei den Verpuppungen an den Kiefern um Prozessionsspinner. Die Raupen sind eine Plage. Die Kiefern sterben tatsächlich, wenn sie von Prozessionsspinnern zur Verpuppung und Metamorphose genutzt werden.

Das „Basislager“ des Etna rund um das Refugio Sapienzia ist ein absoluter Touristenhotspot. Am Check-in für meine Tour herrscht das reinste Tohuwabohu. Um das riesige Refugio gibt es eine Vielzahl von Bars, Restaurants und vor allem Souvenirläden. Es werden alle möglichen Touren angeboten. Von reinen Lift- und Minibusfahrten mit und ohne Spaziergänge, für die neugierigeren Touristen natürlich auch mit ausgiebigen Wanderung zu vier Kratern. Letzteres. Selbst daran nehmen allein von einem Tourenanbieter eine große Zahl von Begeisterten teil. Man wird nach Sprachen Führern zugeordnet. Die meisten Teilnehmer müssen Schuhe wechseln, da Sneaker nicht als geeignet angesehen werden – mir will man auch mehrmals „richtige“ Wanderschuhe andrehen. Jeder muss einen Helm mitnehmen und wer will bekommt auch Stöcke angeboten.

Die Ordnung des Durcheinanders und des Trubels dauert eine ganze Stunde, dann geht es los. Die ersten 500 Höhenmeter überwinden wir mit einer Seilbahn. Wieder herrscht großer Andrang. Man könnte meinen, wir sind an der Talstation für ein Skigebiet in der Hochsaison. Danach gehen wir endlich zu Fuß weiter. Es dauert keine viertel Stunde, da können die Ersten schon nicht mehr und müssen zurück. Unendlich langsam mit ständigen Trinkpausen steigen wir den Berg hoch. Meine Geduld wird ziemlich strapaziert. Lunchpause wird natürlich auch gemacht. Die Bergsteiger mampfen ihre großen Lunchpakete, die sie mitgebracht haben. Wir kommen bis auf 2.900 Meter. Höher darf man auch mit Führer nicht. Am höchsten Krater auf 3.300 m, der bei einem Ausbruch 2002/2003 entstanden ist, gab es im vergangenen Dezember einen tödlichen Unfall mit einem Guide.

Vom Hauptkrater der etwas östlich und tiefer liegt als der neu entstandene Krater, steigen ständig große Schwaden Wasserdampf auf. Auch aus dem neuen Krater entweicht permanent Rauch allerdings nicht in so großen Wolken.

Der letzte Ausbruch war im Februar. Durch die abgekühlten Steine steigen wir hindurch. Diese strahlen immer noch große Wärme ab. An manchen Stellen ist es noch so heiß, dass sich Papier selbst entzündet. Die Luft ist warm, da der Vulkan fast überall so ab 2.500 m Wärme ab gibt. Das Gestein hat nach meinem Empfinden meist Körpertemperatur.

Die Landschaft ist beeindruckend. Der Ausdruck trifft es nicht: der schwarze Lavasand und dieses dunkle Lavagestein erzeugen den Eindruck einer Mondlandschaft; hier hätten auch Star-Wars Episoden gedreht werden können. Daneben gibt es Bereiche, die gelb sind von Sulfaten und wieder andere rot von Eisenauswürfen. Alles zusammen ist ein einmaliges Landschaftsbild.

Am Nachmittag ziehen Wolken auf, die von oben einen einen ganz besonderen Kontrast zum schwarzen Berg und dem hellen Sonnenlicht bilden.

Trotz der vielen Touristen und des langsamen Wanderns, ist der Ausflug zu den Kratern des Etna ein fantastisches Erlebnis aufgrund der Schönheit der Landschaft und des Wissens um die andauernde Aktivität der Erde, die regelmäßig diesen Berg komplett verändert.

Vom „Basislager“ zurück zu meinem Quartier muss ich die Straße unterqueren. Man hat sich eine ganz besondere Unterführungstechnik ausgedacht. Ich muss durch eine Röhre gehen, die auf mich eher den Eindruck macht, als wolle man Wasser durchleiten. In meinem Zimmer angekommen muss ich mich zu alerts unter die Dusche stellen und meine Klamotten intensiv waschen. In jeder Ritze hat sich der feine schwarze Lavastaub gesetzt.

Tag 18: 20.10.2022

Nachdem ich in einer Bar ein typisch Italienisches Frühstück mit zwei Croissants und einem Cappuccino zu mir genommen habe, verlasse ich Randazzo, das etwa auf 700 Metern ü.NN liegt, nach Süden. Heute werde ich den Etna von Norden kommend im Westen umrunden und bis auf etwa 1.900 Meter ü.NN ansteigen. Genau im Süden werde ich übernachten, da von dort aus der Einstieg in das Kratergebiet zwischen 2.900 und 3.300 Meter ü.NN möglich ist.

Der Anstieg ist stetig aber nie wirklich steil. Zunächst laufe ich eine Straße hinauf, die ich nach nicht einmal 5 Kilometern verlasse. Über Wiesen entlang an Mauern statt an Zäunen geht es nun querfeldein den Berg rauf. Überall liegen Lavabröckchen im Gras und Gebüsch. Diese Bröckchen sehen aus wie Pferdeäpfel und die größeren wie Kuhhaufen, wo für ich sie zunächst auch halte. Erst nach einer Weile fällt mir auf, dass diese Haufen Steine sind.

Weiter oben komme ich wieder auf einen breiten Forstweg. Dieser führt mal durch Wald mal durch Lavalawinen. Die Wege sind aus grobem Lavasand übersäten mit Kiefernnadeln.

Der Baumbestand ist von Kiefern und Birken geprägt. Birken hatte ich bisher auf Sizilien nicht gesehen. Hier sind sie sehr zahlreich und manche Bäume sind dick und wirken sehr alt. Sie wachsen auch zwischen den Lavaabgängen auf den Steinen.

In einem Bereich von wenigen Kilometern sind die Kiefern von verpuppten Insekten befallen. Im Licht sieht das toll aus. Aber bei genauerem Hinsehen, fällt mir auf, dass bereits eine Reihe der Kiefern abgestorben sind. Ich muss Morgen, wenn ich auf Einheimische treffen hinterfragen, um was für Tiere es sich handelt, und ob meine Vermutung korrekt ist, dass die vertrockneten Kiefern von diesen Parasiten getötet wurden.

Vegetation und Landschaftsbild unterscheiden sich deutlich von den bisherigen Bergregionen, die ich auf Sizilien bewandert habe.

Nach knapp 30 Kilometern und 1.250 Höhenmetern erreiche bereits kurz nach drei meine Unterkunft. Ich habe unweit des Ausgangsorts für die morgige Kraterbesteigung in einem größeren Haus, das mitten im Wald liegt, ein Apartment gemietet. Die Vermieterin wohnt nicht hier. Den Schlüssel hat sieben einem Schlüsselkästchen hinterlegt. Damit ich alles finde, hat sie mir per WhatsApp ein Video geschickt. Nachdem ich ihr mitgeteilt habe, dass ich gut angekommen bin. Bietet sie mir an, mich bei der Buchung eines Guides zu helfen. Ich wähle die Option mit der Begehung aller vier Krater und sie übernimmt für mich die komplette Abwicklung.

Das Haus ist typisch für die Region aus massivem Stein – lavagrau – mit kleinen Fenstern. Die Wohnung ist völlig ausgekühlt. Das Thermometer des Elektroofens zeigt 13 Grad an – wie draußen auch. Es dauert bis zum späteren Abend, um die Wohnung einigermaßen auf Temperatur zu bringen. Ich habe Wandersocken und eine lange Unterhose an, andernfalls ist mir selbst an der Heizung sitzend zu kalt.

In der Wohnung gibt es einen Kamin. Feuerholz liegt auch bereit. Mir ist das Anzünden des Kamins zu schmutzig, weshalb ich bisher darauf verzichtet habe. Sollte Morgen, ich werde noch eine zweite Nacht in dieser Wohnung verbringen, da nach der Kraterbesichtigung es mir zu spät wird von hier oben abzusteigen, es immer noch so kalt sein, werde ich den Kamin wohl doch an machen.

Tag 17: 19.10,2022

Ich stehe heute etwas später auf als sonst, da ich bis Randazzo, von wo ich Morgen ins Etna Gebiet starten möchte, keine 20 Kilometer zu wandern habe. Da ich in meine Unterkunft erst um 15:00 Uhr einchecken kann, lasse ich es sehr gemütlich an.

Beim Frühstück treffe ich das Paar aus Amerika mit ihrer Führerin. Ich hatte erwartet, dass die drei schon längst unterwegs sind. Tatsächlich wollen sie erst um 09:00 Uhr aufbrechen.

Ich selbst bin eine viertel Stunde früher bereit zum Aufbruch. Obwohl Sonnenschein für den ganzen Tag angesagt ist, komme ich raus in dichten Nebel. Daher fühlt es sich deutlich kühler an als es ist. Es geht abwärts meist entlang eines Flüsschens, das ein hübsches Tal gebildet hat und langsam vor sich hin plätschert. Das Tal ist sehr feucht, entsprechend ist Vegetation saftig und grün. Die Bäume wirken auf mich, wie aus einem Urwald. Sie wachsen mit ihren langen Ästen in aller möglichen Richtungen und vielen Biegungen. Sie sind oft stark bemoost. Es ist eine Freude hier entlang zu spazieren. Da ich Zeit habe, ist mein Gang dem Spazierengehen ähnlicher als Wandern.

Als der Weg die Flußseite wechselt, gibt es einen Hinweis auf ein Konvent und eine Mühle. Gut, den Umweg gehe ich und schau mir beides an. Es geht über schmale Pfade, die immer wieder zugewuchert sind, erst den Fluß zurück und dann den Berg hinauf. Als ich ankomme, gibt es dort nur ein paar Mauerreste und ich kann nicht erkennen, was das einmal gewesen sein könnte. Nichts lässt auf eine Mühle auch nicht auf ein Konvent schließen. Zurück habe ich mehrmals Schwierigkeiten den Pfad wieder zu finden. So überquere ich an einer völlig andern Stelle den Fluss und komme zurück auf den eigentlichen Wanderweg nur auf der anderen Seite eines Stacheldrahtzauns. Stacheldrahtzäune bzw. Zäune jeder Art gibt es hier viele. Am Zaun kann ich nicht entlang laufen: zu viel dornenreiches Gestrüpp und den Zaun überqueren kann ich, ohne mich zu verletzen und meine Kleidung kaputt zu machen, auch nicht. Ich habe mich schon in den letzten Tagen hinreichend oft an Stacheldraht die Haut aufgeschlitzt. Zwar nicht beim Überkletteren von Zäunen sondern beim Öffnen von „Zauntoren“, die die Wege blockieren. Wege werden gesichert, in dem die Zäune über den Weg weitergeführt werden. Nur die Pfosten werden nicht im Boden verankert: sie stehen auf dem Weg. An einer Seite des Weges sind sie unten mit einer Draht- oder Seilschlaufe mit dem nächsten im Boden verankerten Posten verbunden und oben macht man ebenfalls eine Schlaufe. Will man durch muss man die Schlaufe oben lösen. Danach fällt der gesamte Zaun über dem Weg in sich zusammen. Ist Man durch muss man das gesamte Gebilde wieder aufrichten und mit Aufwendung großer Kraft wieder miteinander verbinden. Dabei habe ich mir bereits mehrfach am Stacheldraht ordentliche Schnittwunden an Händen und Armen zugezogen.

Zurück zu meiner jetzigen Situation: ich muss zurück über den Fluss und auf der anderen Seite einen Weg bahnen. Als ich nach etwa einem halben Kilometer zurück auf die originäre Route kommen meine drei Wandergesellen herbei geschlendert.

Ein Obstbaum, wie es viele gibt. Die Früchte sehen aus wie Miniaturäpfel. Keiner erntet sie. Sie sind extrem sauer und für mich ungenießbar. Was ist das nur?

Die Führerin nimmt dies zum Anlass für sich Werbung zu machen. Mit ihr als Guide wäre mir das nicht passiert. Ich stimme ihr zu, würde aber auch nicht wissen, ob ich etwas verpasst hätte, wäre ich nicht zur Mühle gelaufen. Wir laufen ein Weile, uns unterhaltend, zusammen. Dann verabschiede ich mich endgültig, da selbst mein Spaziergehen zu schnell ist.

Nicht viel später sehe ich von einer erhöhten Position das mittelalterliche Städtchen mit seinen zwei imposanten Kirchen. Bevor ich mich mit meiner Vermieterin treffe, schaue ich mir den Ort ein wenig an und kaufe regionale Wurst und Käse für Morgen Abend, da ich am Etna keine Versorgung zu erwarten habe.


Die engen Gassen von Radazzo: nicht immer sind sie so attraktiv – eine Stadt die verfällt

Auf der Rückseite meines Zimmers ist ein Restaurant. Dort hatte ich mich am Mittag mit meiner Vermieterin getroffen. Es sieht nett aus und sie haben eine gut gestaltete Webseite. Deshalb gehe ich um acht dorthin zum Essen. Wer sitzt dort? Die Dreierkombi. Ich setze mich dazu auch wenn sie bereits fast fertig sind. So habe ich einen unterhaltsamen Abend.

Tag 16: 18.10.2022

Zu allererst muss ich mich korrigieren. Ich habe gestern nicht Wildschweine sondern „Schwarze Nebrodi Schweine“ gesehen. Diese Nebrodi Schweine, so habe ich mir von einem Kellner beim Frühstück erklären lassen, sind dem Wildschwein sehr ähnlich, bilden mehr Fett und sind viel kleiner als ein Hausschwein. Man hält in der Gegend keine Hausschweine sondern jagt ausschließlich Nebrodi Schweine und verarbeitet deren Fleisch zu sehr hochwertiger Wurst, Schinken und Fleisch. Die Produkte sind sensationell, das kann ich bestätigen, da ich gestern Abend zu jedem Kurs Nebrodi Schwein hatte. Da habe ich nicht die Verbindung noch nicht hergestellt zwischen den Schweinen, die ich gesehen habe und meinem Essen. Der Kellner bestätigt, dass die Population dieser Tiere sehr groß sei und sie sich schnell fortpflanzten. Auch heute sehe ich, sobald ich im Wald bin immer, häufig kleinere und größere Gruppen. Einmal dauert es sehr lange, bis mich eine Familie wahrnimmt, so dass ich sie etwas genauer beobachten kann: die Nebrodi Schweine haben kaum erkennbare Hauer, sind viel kürzer als ein Hausschwein, wieselflink und ihr Grunzen hört sich an wie ein sehr tiefes Bellen.

Auch heute gehe ich wieder 35 Kilometer aber nur etwas mehr als 800 Höhenmeter. Nachdem ich nun 5 Tage hintereinander zwischen 30 und 36 km und um die 1.000 Höhenmeter gewandert bin, fühle ich mich ausgepowert. Morgen werde ich daher einen kurzen Trip an den Fuß des Etnas machen. Übermorgen geht es dann hoch zum Etna auf die Höhe der verschiedenen Refugios. Von dort habe ich vor, den Etna bis zu den Kratern zu besteigen.

Die Landschaft heute ist sensationell: Wälder und Almen wechseln sich ab mit Blick zum Etna und zum Meer. Wunderschöne Seen, Bäume und Wiesen erfreuen mich.

Der Weg ist leicht zu finden. Ich treffe kaum auf Menschen. Autos kommen auf den Gravel-Roads gelegentlich vorbei. Auf einer der Almen spricht mich ein älterer Herr an. Er hat gerade seine Tochter hier hoch gebracht, die sich mit zwei Pferden einer Stute mit ihrem Fohlen auf den Weg ins Tal macht. Er selbst hat bei VW in Wolfsburg gearbeitet und lebt nun wieder in seiner Heimat. Über mich kann er nun den Kopf schütteln.

Heute übernachte ich in einem Hotel. Meine Erwartungshaltung ist, dass ich an eine Rezeption komme, mir der Schlüssel ausgehändigt wird und ich so schnell auf mein Zimmer komme. Weit gefehlt: ich komme in ein Geschäft, das Wirst und Käse verkauft. Auf mich als Hotelgast ist man nicht eingerichtet. Es wird wild herum telefoniert. Nach zehn Minuten kommt ein Herr und erklärt mir, dass ich noch zehn Minuten warten muss. Ich werde in einem Raum platziert, der als Trattoria genutzt wird. Irgendwann kommt das „Hausmädchen“, um das Zimmer zu machen. Nach etwa 3/4 Stunde kann ich dann tatsächlich aufs Zimmer. Hier muss ich mich erstmal um die Heizung kümmern: es ist sehr kalt und meine Wäsche wird ohne Heizung sicher nicht trocken. Ich finde zwar alle Schalter – nichts passiert. Jetzt muss ich versuchen mit meinen nicht vorhandenen Italienisch Kenntnissen und Internet Translator klar zu machen, dass das Zimmer zu kalt ist. Im „Hotel“ spricht man nur Sizilianisch und das in einer Geschwindigkeit, dass ich noch nicht mal die Sprache erkennen kann. Das Problem ist allerdings schnell gelöst. Lediglich eine Sicherung am zentralen Schaltschrank muss eingeschaltet werden.

Ich habe mir ein Restaurant heraus gesucht, das offen hat. Als ich runter komme, sitzen drei Englisch sprechende Leute in der Trattoria und essen eine Vorspeise. Also frage ich, ob ich auch hier Abendessen kann. Ich kann und bekomme Antipasti mit den Produkten aus ihrem Laden und anschließend eine Pasta mit Schwarzem Nebrodi Schwein.

Mit dem anderen Tisch komme ich schnell ins Gespräch. Sie sind ebenfalls Hiker: ein Ehepaar aus USA, die eine Führerin aus der Toskana engagiert haben. Ich scheine bereits mehr von Sizilien gesehen zu haben als die Führerin. Sie lässt sich von mir eine Reihe Hinweise geben.

Zum Schluss stellt man dem Dreier-Tisch und auch mir zwei Flaschen Schnapps und selbst gebackene Plätzchen hin. Ich nehme einen selbst gebrannten Mandel-Schnaps. Es wird zwischen den Tischen, die Inhaber sitzen mittlerweile auch an einem, zugeprostet. Wenn ich jetzt nicht schnell gehe, wird morgen der kurze Weg doch möglicherweise sehr lang.

Tag 15: 17.10.2022

Der heutige Tag ist einfach zusammengefasst:

  1. Anstrengend: mehr als 35 Kilometer und 1.400 Höhenmeter, zum Ende hin musste ich sehr schnell gehen, damit ich noch ankomme, bevor es dunkel wird und ich mich im Nebel verirre
  2. Wo ist der Weg: über weite Teile des heutigen Weges ist solcher nicht erkennbar —> ohne GPS wäre ich verloren gewesen
  3. Wildschweine: ideales Jagdrevier für Asterix und Obelix —> ich habe heute mehrere hundert Wildschweine gesehen und noch viel mehr gehört; das Gute ist, sie rennen weg, sobald sie mich hören/sehen und sind sauschnell; sie rennen schneller weg, als ich fotografieren kann; das Schlechte ist, sie pflügen den Wald, so dass Wege nicht mehr erkennbar sind und zu Äckern werden, in denen Wandern schwierig ist
  4. Mitten im „Nichts“ tief in einem riesigen Wald, der in Ost-/Westrichtung fast 100 Kilometer beträgt, habe ich eine sensationelle Herberge reservier: tolles Zimmer und sensationelles Abendessen.

Ach ja, bevor ich in den Wald eingetaucht bin, habe ich noch einen fantastischen Blick auf den Etna gehabt. Übermorgen bin ich am Fuße des Etna.

Tag 14: 16.10.2022

Es ist zwar kalt als ich das Hotel verlasse, deshalb habe ich über dem T-Shirt noch mein Wanderhemd an, aber der Himmel ist wolkenlos und das bleibt den ganzen Tag so.

Das Hemd ziehe ich schon nach einem Kilometer wieder aus. Es geht den Berg hoch und damit fängt mein Körper sofort an, ordentlich Wärme zu erzeugen.

Den Berg hoch geht es eigentlich, so mein Gefühl, den ganzen Tag. Natürlich gibt es auch bergab Passagen, die scheinen immer deutlich kürzer zu sein als die bergauf.

Der Weg heute ist recht abwechslungsreich: Almwiesen, Wald in einem Naturpark, Windräder, Äcker, nur keine Ortschaften. Selten aber doch gelegentlich kommt ein Auto vorbei. Fast alle halten an und bieten an, mich mitzunehmen, nachdem sie erfragt haben, was mein Ziel ist. Es ist nicht einfach zu erklären, dass das Wandern bereits das Ziel ist und nicht bequem sein Hotel zu erreichen.

Als ich etwa 2/3 meiner Strecke geschafft habe, quält mich Hunger. Ich suche mir, nachdem ich das Hungergefühl nicht unterdrückt bekomme, ein Plätzchen, wo ich mir eine Suppe warm machen kann. Auch wenn die Suppe nur lauwarm wird, schmeckt sie herrlich. So nehme ich den Rest des Weges mit gefülltem Bauch in Angriff.

Meine heutige Herberge liegt in Capizzi, das hoch oben im Berg klebt. Das bedeutet zum Ende hin noch einmal ein Anstieg von 250 Metern. Das bringt mich noch einmal ordentlich zum Schwitzen.

So komme ich verschwitzt bei meiner Unterkunft an. Niemand da. Dabei hatte ich doch extra vorher die Uhrzeit meiner Ankunft mit einer Reihe von Chats vereinbart. Auf die Klingel und die WhatsApp, die ich dem Vermieter schicke, reagiert er nicht. Als ich anrufe, versichert er mir, dass jemand in 5 Minuten da ist. Dann erhalte ich zusätzlich eine WhatsApp, dass sein Neffe in 5 Minuten kommen wird. Das tut der Bursche aber nicht. Die Sonne ist weg und im Schatten ist es kalt. Ich kühle sehr schnell ab. Ich habe Sorge, mich zu erkälten. Daher werde ich ungeduldig und melde mich noch einmal. Der Neffe sei doch bereits da, bekomme ich als Antwort. Pustekuchen. In Summe warte ich eine halbe Stunde und bin echt sauer, was der Junge nicht verstehen will. Ich bin alleine im Haus; ich habe ein Deluxe Zimmer gebucht und bezahlt; ich bekomme ein Zimmer, eiskalt, mit einem Bad über den Flur. Im Grunde ist mir das egal, da ich alleine im Haus bin, trotzdem ärgert mich das und das bekommt der junge Mann auch zu spüren und macht sich schnell aus dem Staub. Jetzt muss ich erstmal schauen, wie ich die Heizung zum Laufen bringe. Schnell finde ich das zentrale Bedienpanel fürs Haus und bringe das Zimmer und mein Bad auf Temperatur.

Zum Abendessen gehe ich in eine Tratoria, das einzige Lokal im Ort. Die Einrichtung der Tratoria ist so steril wie ein OP. Der Inhaber steht versteckt hinter einem „Rednerpult“. Ich bekomme steif einen Tisch zugewiesen. Bezüglich des Essens spricht der gute Mann nun in einem Stakkato auf mich ein, so dass ich nicht ein einziges Wort verstehe. Also sage ich meinen Standardsatz für diese Fälle: io non parlo Italiano. Darauf macht er großen Augen und die beiden anderen Tische, die schon besetzt sind, versuchen mit englischen Worten, die sie in den Raum werfen, zu helfen. Die Mama kommt aus der Küche und versucht mit hingeworfenen Italienischen Worten meine Verwirrung zu steigern. Als sich alles beruhigt hat, versuche ich mit meinen eingeübten Sätzen und Worten, zu hinterfragen, ob ich Pizza essen muss, wie die anderen Gäste oder auch eine Vorspeise und anschließend eine Pasta bekommen kann. Könnte ich, wird mir aber abgeraten. Also bestelle ich, eine Pizza Salami picante, einen gemischten Salat, eine Flasche Wasser und Rotwein. Ich werde für mein Italienisch gelobt, mache aber klar, dass mein Italienisch beim Bestellen von Standardgerichten endet. Jetzt wird es voll in dem Lokal, obwohl ich dachte, ich bin um 20:30 Uhr spät dran, denn man schließt bereits um 22:30 Uhr. Erst kommt ein Tisch mit Frauen so zwischen 30 und 40 alle in ihren Super-Fashion-Sonntags-Dress. Sie sind zu Neunt. Dann kommt ein Tisch mit zwei Paaren. Kaum hat die Begrüßung – jeder begrüßt jeden im Restaurant: fehlt nur, dass ich auch von jedem Neuankömmling in den Arm genommen werde und Küsschen links, Küsschen rechts erhalte – dann kommen sieben Jungs in ihren 20igern rein. Same procedure. Jetzt denkt man, jeder redet mit jedem. Das ist nicht der Fall. Man bleibt gesprächsweise untereinander. Nur gelegentlich steht jemand vom einen Tisch auf und unterhält sich mit jemandem vom anderen Tisch. Es herrscht nun eine unglaubliche Lautstärke in dem OP – eine reine Kakophonie. Zwischendurch kommen noch Leute rein, die bestellte Pizzen abholen. Jedesmal das selbe Begrüßungszeremoniell: unglaublich! Btw. der Damentisch ist gekleidet als würde man nach dem Essen in die Oper gehen wollen. Die Tische mit den Paaren sind leger in Jeans und der Männertisch in Traingsanzügen hier – nur zwei haben ein Hemd an. Hier könnte man Gesellschaftsstudien durchführen: der Damentisch trinkt Cola und Wasser, man unterhält sich. Am Männertisch spielt jeder mit seinem Handy, man unterhält sich nur gelegentlich – auch sie trinken nur Cola und Wasser. Mittlerweile sind alle Tische belegt. Nicht an einem wird Alkohol getrunken. Das ist in den Bars ganz anders. Als ich auf meinen Hotelwirt bzw. dessen Neffen gewartet habe, habe ich in einer Bar in Sichtweite zur Unterkunft, Wasser für heute Nacht und Morgen eingekauft. Die Bar war voll und dort wurde Bier, Wein und auch stärkere Alkoholika getrunken.

So, ich muss schlafen. Morgen geht es zurück in die Berge und ich habe mir wieder viel vorgenommen.

Tag 13: 15.10.2022

Das Wichtigste zu erst: kein Regen heute. Auch wenn es immer mal wieder so aus, als würden sich Regenwolken vor den Gipfeln sammeln. Keine musste abregnen und ich bin trocken geblieben. Die Wege sind allerdings meist noch aufgeweicht, so dass ich aufpassen muss, nicht in Schlamm zu treten und auszurutschen, im Großen und Ganzen komme ich heute gut voran.

Mein Weg führt mich durch zwei Städte in den Bergen, so dass ich unterwegs etwas essen kann und Kaffee bekomme. Außerhalb solcher vereinzelter Städte ist es schon eine sehr einsame Gegend. Am Ende erreiche ich nach 33 Kilometern und 1.200 Höhenmeter mein heutiges Quartier: das sind fast identische Daten wie gestern. Es handelt sich nach eigenen Angaben nicht um ein Agritourismo, ist aber doch eine Art Bauernhof mit Hotel und Restaurantbetrieb. Der Hof liegt genauso remote wie gestern das Agritourismo auch.

Es klingt vielleicht negativ, wenn ich die Gegend als remote und einsam bezeichne, das ist nicht so gemeint. Es soll meinen Weg und die Umgebung charakterisieren. Ich wähle meine Route so, dass ich auf der einen Seite das „wirkliche“ Sizilien, und das ist zunächst einmal das Innere der Insel mit seinen Bergen und der Landwirtschaft und nicht nur die Städte an der Küste mit ihren Stränden sehe und auf der anderen Seite so, dass ich möglichst ein Zimmer und ein Abendessen bekomme.

Auf den Bildern sieht man die Weite der Insel. In den Bergen gibt es nur wenige Bäume: meist Oliven- und Kastanienbäume. Gestern bin ich noch an Zitrusbäumen vorbei gekommen, für die dürfte es hier oben zu kalt sein. Wälder, wie im Westen der Insel, gibt es in der Mitte der Insel oder zumindest auf meinem Weg nicht.


Auf mich hat die Gegend einen Almen Charakter: Wiesen mit Kühen, Schaafen und Pferden. Gelegentlich hat auch mal ein Hof Hühner, die ausgezehrt aussehen. Die Kühe sind entweder weiß oder fast schwarz, die ein zotteliges Fell haben. Die Schaafe sind scheu, sie rennen panisch davon, komme ich auch nur ein wenig näher.

Vor dem Abendessen plane ich meine nächsten drei Tage, da ich einen längeren Gebirgszug ohne Orte durchqueren muss. Um Zelten zu vermeiden, weiche ich morgen etwas nach Süden aus. Danach geht es in die Mitte des Gebirges. Ergebnis: weitere drei Tage muss ich jeden Tag deutlich mehr als 30 Kilometer und 1.000 Höhenmeter machen. Ich fühle mich fit genug, das zu schaffen.

Das Wetter scheint, in den kommenden Tagen zu halten. Es hat deutlich abgekühlt gegenüber der ersten Woche. Heute wurde es nicht wärmer als 16 Grad. Es kühlt in der Nacht allerdings auch kaum ab. Damit ist es derzeit in Südtirol 1.200 Kilometer weiter nördlich wärmer als auf Sizilien. Das hatte ich doch etwas anders erhofft.

Tag 12: 14.10.2022

In Montemaggiore starte ich schon um 07:45 Uhr, da ich heute einen längeren Weg plane zu gehen. Aber zunächst trinke ich in der Bar in der Nähe der Kirche einen Cappuccino und esse dazu zwei Croissants. Während ich esse checke ich die Wetterprognosen. Es sieht nach wie vor gut aus. 20% Regenwahrscheinlichkeit am Vormittag mit einer Niederschlagsmenge von weniger als 1 mm.

Auch wenn es nicht regnen wird und wenn nur kleinste Mengen, stelle ich mich auf schlammige Wege ein. Schnelle stelle ich fest, dass die Prognosen nicht korrekt sind. Ich habe die Stadt kaum hinter mir gelassen, schieben sich dicke, dunkle Wolken den Berg hoch. Sie schaffen es nicht über den Berg. Infolge dessen fängt es heftig zu regnen an. Ich ziehe schnell meine Regenjacke an. Es regnet sicher durchgehend zwei Stunden und das recht heftig. Wie vermutet, sind die Wege aufgeweicht und ich sehe schon nach kurzer Zeit genauso dreckig aus wie gestern.

Auf einer abfallenden geteerten Straße läuft so viel Wasser runter, dass meine Schuhe schnell wieder sauber werden. Dann muss ich wieder in den Matsch und durch Bäche, die wegen des Regens zu Flüssen geworden sind. Mal wieder bin ich nass von Kopf bis Fuß.

Am späten Vormittag kommt endlich die Sonne raus. Ich ziehe die Regenjacke aus und beginne schnell trocken zu werden. Ich hoffe, das bleibt jetzt so, da nach der Wettervorhersage ab mittags das Sommerwetter zurück sein soll.

Zu früh gefreut. Der Wind treibt immer wieder Wolken über die Felder und wieder einmal sammeln sie sich vor einem Berg. Schnell ziehe ich wieder meine Regenjacke an und ich habe sie noch nicht richtig zu, geht es wolkenbruchartig los.

Ich bin gar nicht in der Lage die Schönheit der Natur richtig zu genießen. Ich bin umgeben von gewaltigen Bergen, laufe durch Olivenhainen mit uralten Olivenbäumen, die voll hängen mit ihren fetten Früchten. Hier und da färben sie sich bereits dunkel ein. Erstmals komme ich durch einen regelrechten Wald mit Zitrusfrüchten: Zitronen und Mandarinen, leider noch alle unreif. Es riecht fantastisch. Leider vergesse ich davon ein Foto zu machen, zu sehr bin ich damit beschäftigt den Duft trotz des Regens aufzusaugen.

Am Nachmittag ist dann tatsächlich Schluss mit Regen auch wenn sich immer wieder Wolken vor den mächtigen Bergen sammeln, sie regnen nicht mehr ab und so trocknet auch meine Kleidung.

Nach fast 34 Kilometern und über 1.200 Höhenmeter erreiche ich das Agrotourismo, das ich gestern gebucht hatte. Hier kann ich auch zu Abendessen. Ich hatte schon befürchtet, ich müsste heute auf meine Suppen zurückgreifen. Statt dessen bekomme ich einen üppigen Vorspeisenteller, Pasta alla Norma und zum Schluss lokale Früchte – selbstverständlich bekomme ich ein etikettenlose Flasche Rotwein.

Tag 11: 13.10.2022

Das ist nicht mein schönster Tag. Heute fehlt einfach die Sonne. Regenwetter macht diesen Tag trist. Schon als ich mich in Caccamo auf den Weg mache, nieselt es leicht. Vorsichtshalber ziehe ich mein langärmliges und etwas dickeres T-Shirt und die Regenjacke an. Nicht weit außerhalb der Stadt beginnt ein intensiver Landregen. Das ist weiter nicht schlimm. Regenjacke und Kapuze lassen es trotzdem zu, dass ich gut voran komme und der Regen mich nicht stört. Das ändert sich, als ich die befestigten Wege verlassen muss und auf aufgeweichte Feldwege weiterwandere.

Das stimmt so nicht: ich komme in dem Matsch kaum noch vorwärts. Die schwere Erde klebt an meinen Schuhe und machen sie schwer. Der Schlamm drückt sich in meine Schuhe und die Hose hoch. Ich habe das Gefühl, die Mafia hat mir Betonschuhe verpasst und ich versuche mit geringem Erfolg, mich aus dem Zement zu befreien. Da es steil bergab geht, und die Matsche zäh fließt, rutsche ich wie auf Gleitschuhen den Berg runter. Ich kann die Geschwindigkeit kaum kontrollieren. So sehr ich mich auch bemühe, ich kann nicht verhindern, dass ich auch auf meinem Po lande und mich bis zum Rucksack hoch schmutzig mache.

Das geht allerdings nur etwa 5 Kilometer so, bis ich zum Flüsschen im Tal komme. Hoch geht es etwas besser. Ich muss nur einiges an Energie aufwenden, diese aufgeweichten Wege hoch zu gehen und nicht immer wieder auszurutschen. Etwas später erreiche ich wieder weitgehend asphaltierte Wege.

Schon auf dem gesamten Weg seit Trapani fällt mir der schlechte Zustand der Nebenstraßen auf: man macht es sich einfach. Auf festgefahrenem Untergrund wird ohne weitere Befestigung oder Drainage eine Asphaltdecke aufgebracht. An Steigungsstücken bricht der Asphalt aufgrund der Belastung weg. An den Straßenrändern entstehen Löcher, die immer wieder mit zerkleinertem Baumaterial aufgefüllt werden, bis große Teile der Straße nur noch aus Bauschutt bestehen. In Senken fließt das Wasser mit dem Schlamm über die Straßen und reißen sie mit bzw. es entstehen Schlammlöcher. Bei einem intensiven Regen wie wir ihn heute haben, obwohl sicher nicht sehr ergiebig, ist der Mangel an Drainage und einem sachgemäßen Untergrund besonders gut zu erkennen. Mir fließt die Matsche auf dem letzten Anstieg nach Montemaggiore auf der Straße entgegen und ich muss immer wieder durch tiefe Löcher voll mit Wasser waten.

Auf meinem Weg sehe ich den ersten Mandarinenbaum mit Früchten. Ich pflücke eine der reifen Früchte. Ich habe große Schwierigkeiten, sie zu schälen. Ich halbiere sie daher und esse sie direkt aus der Schale – etwas saure aber sehr lecker. Sie hat etwas vom Geschmack der hiesigen Zitronen.

Auch aufgrund der schlechten Wetterprognose habe ich mir für heute keinen langen Weg vorgenommen. Montemaggiore erreiche ich schon nach 17 Kilometern und 700 Höhenmeter bereits um 13:30 Uhr. In meinem sehr einfachen Quartier wasche ich erstmal alles vom Schuh bis zu meinen Haaren. Überall klebt der Dreck.

 Sehr praktisch: Kirche und Stadtverwaltung Seite an Seite, nur die Eingänge sind voneinander getrennt

Nachdem ich wieder sauber bin und mir trockene Sachen angezogen habe, schlendere ich durch den Ort. Inzwischen hat es aufgehört zu regnen und die Sonne blinzelt immer mal wieder durch die dicken Wolken. Ich bin etwa ein Kilometer von meinem Zimmer entfernt, als es wieder anfängt zu regnen. Weiter nicht schlimm, denn ich habe vorsichtshalber meine Regenjacke mitgenommen. Es dauert noch nicht mal zwei Minuten dann sind die Straßen Flüsse und das Wasser fließt knöchelhoch durch die Straßen. Selbst mit hoch gewickelter Hose und Flipflops werde ich pitschnass. Es regnet nicht wirklich heftig, trotzdem steht das Wasser wie in Südostasien bei einem Monsunregen in der Stadt. Obwohl ich im Wasser wate, schaue ich mich um, auf der Suche nach den Ursachen. Das Problem erkenne ich schnell. Alle Regenfallrohre enden kurz über dem Bürgersteig bzw. über der Straße. D. h. die Dachentwässerung erfolgt nicht direkt in die Kanalisation, sondern auf die Straße. Es gibt zwar eine Kanalisation in den Straßen, allerdings viel zu wenige Einlässe, die auch wegen der teilweise steilen Straßen, das Wasser nicht aufnehmen können. Ob die Kanalisation das Wasser abführen könnte, kann ich natürlich nicht erkennen. Das Problem fängt eben schon vorher an.

So komme ich schon wieder aufgeweicht zurück in mein Quartier. Meine komplette Kleidung, die ich bei habe, ist nun nass – toll. Dann lege ich mich halt ins Bett und kann nur hoffen, dass der Trocknungsvorgang nicht zu lange dauert.

Tag 10: 12.10.2022

Zuerst die „technischen Daten“ von heute: 27 Kilometer und 1.100 Höhenmeter. Ich starte zwar in Alta Villa (Hoher Ort), tatsächlich muss ich zwischen zwei Bergzügen durch und es geht stetig aufwärts. Bis zur Passhöhe sind es 700 Höhenmeter. Auf halber Höher habe ich einen Postkarten Blick zurück auf Altavilla und die Strände Palermos Vororte.

Kaum in den Bergen wird es wieder sehr einsam. Gelegentlich komme ich an einem Hof vorbei. Neben Olivenbäumen wird fast ausschließlich Viehzucht betrieben und hier wiederum meist Rinderzucht. Noch nie habe ich Rinder so laut Muhen gehört wie heute. Es klang wie Warnrufe und das man mein Kommen kommuniziert hat. Denn es waren.definitiv nicht Kühe, die gemolken werden wollten, sondern männliche Tiere, die mich immer wieder begleitet haben und ich von Herde zu Herde übergeben wurde. Rinder wirken auf mich eher sehr blöde. Heute habe ich einen ganz anderen Eindruck gewonnen. Vielleicht beide ich mir das aber nur ein.

Mit dem Hirten einer der Herden habe ich versucht zu kommunizieren. Wir konnten uns allerdings nur über meinen Weg etwas verständigen. Meine Fragen hinsichtlich der Rinder Kommunikation hat er nicht verstanden. Dafür hat er mir exakt den Weg beschrieben.

Den Pass erreiche ich am späten Vormittag. Kurze Zeit später erreiche ich eine Eremitage. Hier lege ich mich auf einer Bank und schlafe eine volle Stunde. Mir tut zwar alles weh von der harten und schmalen Bank, bin aber gut erholt. Jetzt geht es steil runter zu einem Stausee mit grünem Wasser. Da es sich eintrübt, wird das Wasser immer grauer. Wie sich die Wasserfarbe mit dem Wetter ändert habe ich so noch nie bewußt wahrgenommen. Der See ist nicht besonders gut gefüllt, daher ist die Staumauer zur Seeseite hoch. Zur andern Seite aber wirklich tief.

Jetzt kommt noch mal ein tougher Part. Von dem Stausee muss ich auf kürzester Distanz fast 400 Meter hoch nach Caccamo. Einem Ort mit etwa 8.000 Einwohner. Hier werde ich heute übernachten. Es gibt nur Ferienwohnungen, kein Hotel. Alle Wohnung werden von Giovanni – so heißen hier wohl alle, die mit Touristen zu tun haben – gemangelt. Er hat sein Büro direkt vor der größten Normannen Burg Siziliens. Dort treffe ich hinschob vor seinem Büro. Er hat aus dem Internet ein Bild von mir ausgedruckt. Als ich vor einer Bar stehe und schaue, wo sein Büro ist, kommt er schon auf mich zu, das Bild in der Hand.

Caccamo ist eine mittelalterliche Stadt. Man vermutet zwar, dass sie schon in der Antike gegründet wurde. Beweise gibt es dafür aber nicht. Wir müssen über steile Treppen und enge Gassen hoch zur Wohnung laufen. Die Wohnung ist hübsch mit einem Wohnraum, Küche und einem Schlafbereich und hat einen tollen Blick auf die Burg, die ich später besichtige.

Für den Abend erhalte ich von meinem Vermieter gleich eine Empfehlung. Diese betrifft nicht nur das Lokal sondern auch das Menü. Ein MUSS ist die preisgekrönte Salsiccia on Caccamo. Das Abendessen ist super und super sättigend. Beim Nachtisch, der für Sizilianer der wichtigstes Kurs eines Menüs ist, streike ich. Ich platze und mir wird auch viel zu viel Wein eingeflößt.

Vor dem Abendessen besichtige ich die Altstadt, in der eben auch mein heutiges Zuhause liegt. Seine berühmteste Persönlichkeit ist Carlo Gambino Mafioso Pate in New York – ich hoffe das hat hier und heute nichts mehr zu bedeuten. Zum Abschluss geht es in den Duomo (8.000 Einwohner brauchen einen Dom und über 20 Kirchen). Im Dom wird Messe gehalten, weshalb ich mich nur kurz dort aufhalte. Von dort gehe ich zur Burg, die seit fast 60 Jahren im Besitz der Stadt ist und in der man ohne Führer in alle Räume darf: mal wieder wird mir klar, wie privilegiert wir heute wohnen mit Heizung und vor allem fließend Wasser. Die Familie, die sicher mal unendlich reich war, hat bis Ende der 50-iger dort gewohnt ohne Toilette und fließend Wasser.

Tag 9: 11.10.2022

Heute hatte ich einen vergleichsweise ruhigen Wandertag mit knapp 30 Kilometern und kaum Steigung. Mein Weg führte mich an der Küste aus Palermo hinaus durch eine Reihe von Vorstädten.

Ist Palermo schmutzig, so sind diese Vorstädte Müllhalden, in denen verfallene Häuser rechts und links der Küstenstraße und riesige Wohnblocks in zweiter und dritter Reihe stehen. Offensichtlich gibt es hier keine funktionierende Müllabfuhr und auch kein Verständnis der Bürger für den Umgang mit Müll. Noch in Palermo beobachte ich eine Frau in meinem Alter, wie sie ihr Auto am Straßenrand stehend aufschließt und als erstes den kompletten Müll in ihrem Auto auf die Straße wirft. Dann erst steigt sie ein und fährt los. Etwas weiter außerhalb fährt ein ebenfalls älteres Paar auf einen Parkplatz, steigen aus, öffnen den Kofferraum und werfen mehrere Müllbeutel einfach mitten auf den Parkplatz. Ähnliches Verhalten und Missstände kenne ich nur aus Ägypten und vom indischen Subkontinent. Schon dort habe ich kein Verständnis dafür, das ein Staat es nicht als seine Aufgabe sieht, für eine passables Müllenhandling zu sorgen. Dass in einem Land, das das Europäische Wertesystem derart intensiv und nachhaltig geprägt hat, solche Zustände herrschen, empfinde ich als Beleidigung.

Anders als in anderen Großstädten gibt es entlang der Ausfallstraße, ich nehme, kaum stereotype moderne Gewerbebauten. Zwar findet Gewerbe auch hier statt vor allem zwischen Straße und Strand meist in Garagen, baufälligen alten Gebäuden hinter Mauern. Ich kann immer nur wieder durch die Einfahrten schauen, wie es dort aussieht. Müll wird dort auf den Höfen gelagert und es sieht aus als wäre man auf einem Schrott- und Müllplatz. Auf der vom Strand abgelegenen Straßenseite gibt es einfache Bars, Obst und Gemüsestände, Trödelläden und vieles mehr.

Das Bild ändert sich erst etwa 15 Kilometer östlich von Palermo. Dort komme ich durch Städte und Dörfer, die durch ihr mittelalterliches Stadtbild mit engen Gassen und historischen Bauten bestechen. Auch der Müll wird hier weniger – aber nur in den Ortschaften selbst. Außerhalb das üblich Bild: Müll und Zerfall. Schön ist anders.

Mein Hotel für heute Nacht liegt oben auf dem Berg mit Blick aufs Meer, auf die Autobahn und die Eisenbahnlinie. Trotz der wenig schönen Infrastruktur, die den Ort komplett vom Wasser abschneidet, ist der Ort liebens- und lebenswert hergerichtet. Die Kirche auf einem Plateau mit umwerfenden Blick gelegen, wird gerade restauriert: sie ist fast komplett entkernt. Aber eine spannende Skulptur verschönt den Vorplatz. Auch hat man sich mit dem einen oder anderen Haus Mühe gegeben, es attraktiv zu gestalten.

Heute gibt es wieder Pizza. Die beiden Restaurants haben dienstags geschlossen. Um mein Abendessen etwas zu pimpen, habe ich mir zwei händevoll Datteltomaten gekauft; voll durchgereift schmecken sie köstlich süß.

Tag 8: 10.10.2022

Ruhetag in Palermo. Wie gestern Abend regnet es auch heute Morgen. Ich bleibe zunächst in meinem Zimmer. Am späten Vormittag ist das Regengebiet endlich durchgezogen und ich wandere mehr oder weniger ziellos durch die Altstadt. Hier liegen Licht und Schatten sehr nah beieinander: Die großen Plätze scheinen im Sonnenlicht und lassen die glorreiche Vergangenheit dieser Stadt erkennen. Fontana Pretoria, Quattro Canti und die Chiesa San Giuseppe di Teatini – diese Kirche ist zumindest innen viel prächtiger als die Kathedrale. Sensationell feine Marmorarbeiten, Fresken und Gemälde beeindrucken mich tief.

Wieder draußen schlendere ich durch engste Gassen, abseits der großen Straßen durch die sich selbst am Montag die Touristenmassen schieben. Hier ist es dunkel und der Zerfall überall erkennbar. Hier wagen sich die Touristen nicht her. Die Menschen wohnen in Ruinen und der Dreck stapelt sich. Trotzdem versuchen die Bewohner, die Straßen und Gebäude durch Malerarbeiten attraktiver zu gestalten. Hier wohnen, nach meinem Eindruck, vor allem  Menschen mit afrikanischen Wurzeln.

Ist Venedig eine morbide Stadt, so wirkt Palermo von seinen Gebäuden und dem Straßenbild bereits tot, so etwa wie gestern in der Gruft. Tot, konserviert für alle Ewigkeit, übrig nur das Skelett mit einigen hübschen Kleidern. Konserviert für die Nachwelt und besuchen kann man die Tote, wenn einem der Sinn nach steht.

Damit möchte ich nicht die Stadt schlecht machen. Ich mag diese Morbidität durch aus. Sie versprüht – gerade mit diesen dunklen engen Gassen und den meist fröhlichen Menschen, die gefühlt jenseits der Armutsgrenze leben – einen ganz besonderen Charme. Ich habe eine große Bandbreite der Stadt erlebt: Gestern Abend habe ich im Hafen, in einer am Abend wirklich dunklen Ecke, mit nicht befestigten Straßen, keiner Straßenbeleuchtung und Türstehern, mit denen ich keinen Konflikt austragen möchte, ein hervorragendes Dinner zu mir genommen. Heute Abend bin ich in ein Restaurant in einem Hinterhof hinter der Chiesa die San Giovanni di Teatini gestolpert (Locanda del Gusto) mit einem sehr schönen Innenhof, zentral eine große Palme, Olivenbäume in riesigen Töpfen, einem Loungebereich, schön gedeckten Tischen. Hier glänzt alles und das Essen ist ebenso gut wie gestern Abend.

Die Gäste heute sind ganz anders als gestern Abend. Gesten Abend waren alle distinguiert. Neben mir z. B. drei Engländerinnen: Mutter mit ihren beiden Töchter, die Töchter über 50 und übergewichtig mit ausgeprägtem Doppelkinn und Oberarmen weit – und ich meine wirklich weit – größer als meine Oberschenkel. Die Mutter dürfte Mitte 80 sein und ist eher zierlich. Die beiden Töchter können leider nicht mit Messer und Gabel umgehen. Furchtbar, mich stört so etwas mittlerweile nicht nur ein wenig sondern sehr. Können die Leute nicht mal ein Minimum an Tischmanieren erlernen? Heute ganz anderes Publikum gemischt Italiener und Touristen. Vor allem einige sehr ungeduldig, wenn sie nicht sofort einen Tisch zugewiesen bekommen, obwohl sie nicht reserviert haben. Die Verweilzeit ist nicht sehr lang, da das Essen typisch für Italien schnell serviert wird, also könnten sich alle locker machen. An einem der Nebentische sitzt ein Deutscher um die 70. Er trinkt mehr Wein als er isst. Er gehört zu einer Reisegruppe, die nicht zusammen ißt. Erst kommt die Reiseleiterin vorbei, anschließend ein Paar aus der Reisegruppe. Er erklärt beide Male, dass er zunächst nur zwei drei Vorspeisen ißt und dann weiter sehe. Nach vier, fünf Gläsern Wein und genau einer Vorspeise geht er. Zwei junge italienisch sprechende Mädchen übernehmen den Tisch. Eine quatscht unentwegt, die andere spricht immer mal wieder und führt offensichtlich das Gespräch unterstütz mit ihrer intensiven Körpersprache. Sie essen zusammen eine Vorspeise und trinken eine Flasche Wasser. Diejenige, die das Gespräch leitet, ist sich bewußt, dass ich mein Umfeld beobachte und gibt mir dies auch zu verstehen. Als ich am Bezahlen bin, lassen sie sich doch nochmal die Karte bringen. Eine gemeinsame Vorspeise reicht den beiden natürlich nicht. Als ich gehe spreche ich kurz mit den beiden, mir gefällt deren Fröhlichkeit. An einem anderen Nebentisch kommt spät das Paar, das genau diesen Tisch reserviert hat. Sie sprechen ebenfalls italienisch, wenn sie sprechen. Eigentlich schweigen sie nur und sie guckt böse, unzufrieden. Wenn sie sich äußert, dann hat ihr Ton immer etwas schnippiges. Sie ist ungeduldig und flammt mehrmals das Servicepersonal an, wozu es nun beim besten Willen keinen Grund gibt, der Service funktioniert super auch im Team. Getrunken wird an dem Tisch nur Wasser. Vorspeisen werden ausgelassen. Man konzentriert sich auf Secondi Piatti.

Nebenbei habe ich heute eingekauft und mich mit dem nötigen Proviant versorgt, um zwei bis drei Tage in den Bergen im Zelt und ohne Supermärkte und Restaurants durchstehen zu können. Dabei sind meine „Lieblingsgerichte“ hergestellt in China, extrem leicht, eine Mahlzeit wiegt gerade mal 60 gr., schmeckt gräßlich, sättigt aber perfekt.

Ich habe den späten Nachmittag auf die Abendessenzeit wartend mit der Planung der nächsten drei Tage verbracht und bereits Zimmer bis einschließlich Donnerstag gebucht. In der Zeit muss ich schon mal nicht auf meine neuen Vorräte zurück greifen. Freitag könnte auch noch klappen mit Fremdversorgung, danach wird es deutlich schwieriger.

Jetzt lasse ich den Abend noch mit einem Zibello ausklingen; gestern hatte ich einen Grillo: typische weiße Rebsorten auf Sizilien. Auf dem Weg zu meinem Zimmer direkt vor der Chiesa San Giovanni macht eine Gruppe Musik im Zentrum eine Geigerin. Es herrscht eine tolle Stimmung auf der Straße. Ich lasse mich in den Bann der Musik und der Menschen um mich herum ziehen. Nach einer Weile gehe ich dann doch in mein B&B; vom Balkon aus kann ich gut die Musik hören und immer noch die Atmosphäre spüren. Hier kann man es aushalten; in Palermo war ich nicht das letzte mal.

Tag 7: 09.10.2022

Gestern Abend habe ich zwar nicht das beste Essen bekommen, aber ich habe hinreichend gesalzen, um so meinen Mineralienhaushalt wieder in den Griff zu bekommen. Nach zwei Tagen ausschließlich Käse mit Brot hat mich ausgezehrt, so dass ich die letzten beiden Tage nicht voll leistungsfähig war. Heute fühle ich mich fit und die Anstiege machen mir viel weniger aus: ich muss darauf achten, dass ich den Verlust von Salz beim Schwitzen abends wieder ausgleiche.

Heute durch wandere ich ein Naturschutzgebiet. Dort gibt es aus Refugios: wie ich mir schon bedachte sind das im besten Fall Schutzhütten. Sie sind nicht bewirtschaftet und Wasser gibt es auch keins, da sie immer auf einem Hochpunkt liegen und Wasser nun mal den Berg runter und nicht hoch fließt. Sie sind innen ausgesprochen muffig. Ich würde darin nicht übernachten wollen. Da würde ich immer mein Zelt vorziehen.

Die Wege in dem Naturschutzgebiet sind gut ausgeschildert und es macht keine Schwierigkeiten, ihnen zu folgen. Außer man findet den Wege doch nicht. Wie konnte das passieren? Am höchsten Punkt beginnend hat es vor einiger Zeit einen Waldbrand gegeben. Mir scheint, danach hat man dort keine Pflege der Wege und des Waldes gegeben. Man hat die Natur ihre Arbeit machen lassen. In manchen Bereichen ist man mit schwerem Gerät in den Wald und hat begonnen, die Bäume zu fällen. Damit entstanden Wege, die es auf den Karten nicht gibt und ehemalige Wege sind zu gewuchert, durch Spuren der Fahrzeuge nicht mehr erkennbar.

An einem solchen Punkt angekommen, finde ich den Weg, den ich zu nehmen habe nicht. Da kommen zwei Fahrradfahrer. Einer von den beiden hat mal in Freiburg gewohnt. Sie zeigen mir den Weg. Nur nach etwa zehn Minuten stellt sich heraus, das ist kein Weg. Ich stehe „im Urwald“. Hier gibt es nur noch verbranntes Gehölz und Dornengestrüpp. Ich komme nicht mehr richtig vorwärts und zurück finde ich auch nicht. Also „gehe“ ich in Richtung meines Weges. Irgendwann muss ich ja darauf stoßen. Es sind vielleicht gerade mal 500 Meter. Die haben es aber in sich. Ich stürze, weil ich den Boden nicht sehen kann, bleibe im Dorngebüsch hängen und komme vor lauter Gestrüpp kaum noch Vorwärtskommen. Die ungefähr 500 Meter kosten mich fast eine Stunde. In meinen Füßen stecken Dornen. Meine Kleidung ist voll Mist allem, was die Vegetation hergibt und meine Hose sieht einfach schrecklich aus. Ich muss sehen, was ich späte machen kann, um das schlimmste zu reparieren.

Als ich auf dem Weg zurück bin, läuft wieder alles prima und etwas später kann ich auf Palermo und das Meer schauen. Weniger schön sind die letzten 15 Kilometer nach Palermo. Ich komme durch runtergekommene Und völlig verdreckte Vorstadtgebiete.

Selbst die Innenstadt macht einen verschmutzten und nicht gerade attraktiven Eindruck. Bis ich dann die wirkliche Innenstadt an einem historischen Tor erreiche. Von da an ist Palermo eine Stadt mit attraktiven Kulturdenkmälern, zwar nicht sauberer aber trotzdem schön.

Da es auf meinem Weg liegt besuche ich als erstes „Le Catacombe del Cappuccini“ – die Kapuzinergruft von Palermo. Dort wurden ab 1599 Personen balsamiertes und aufbewahrt. Zunächst nur Kapuzinermönche später auch Bürger, die es sich leisten konnten. So konnten die Hinterbliebenen ihre Verwandten weiterhin besuchen. Im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde die Balsamierung verboten, nur daran gehalten haben sich die Reichen nicht. So „lagern“ in der Gruft etwa 2.000 Menschen: Kinder, Frauen, Männer. Alle in ihren Kleidern – meist ist nur das Skelett unter den Kleidern übrig. Manche haben aber auch noch Hautpartien, Haare und Zähne. Da die Gruft den Eindruck eines Lagers macht, wirkt das Ensemble sehr skurril.

 Bild von peterstravel.de

Rund um die Kathedrale herrscht mir zu viel Trubel. Massen an Touristen sind in großen Gruppen unterwegs und belagern alles sehenswürdige. So beschließe ich Morgen einen Ruhetage einzulegen und mir die Stadt in Ruhe anzuschauen. Zumal es anfängt heftig zu regnen und das Regenwetter morgen anhalten soll.

Jetzt sitze ich einem schicken Restaurant im Hafengebiet und habe hervorragend gegessen. Um mich herum Deutsche und Engländer, die alle nicht hinreichend Bewegung erhalten. Das Essen war sensationell bzw. ist es noch, da ich zum Abschluss gerade noch ein Dessert vom CHEF serviert bekomme: gefährlich viel Zucker, bedenkend dass ich Morgen einen Ruhetage einlege, zumal ich auch noch eine Flasche Grillo getrunken habe.

Tag 6: 08.10.2022

Ich habe mir den Wecker auf 06:30 Uhr gestellt, damit ich bei Sonnenaufgang weitgehend fertig bin, falls der zusammengefallen Hof doch noch für Feldarbeiter genutzt wird. Um 07:15 habe ich Schlafsack, Luftmatratze, Kopfkissen zurück in ihre Verpackungssäcke gestopft, das Zelt abgebaut, den Rucksack gepackt und meine Morgentoilette erledigt.

Nach etwa 7 Kilometer komme ich durch eine Ansammlung von Häusern, die so weit von einander entfernt stehen, dass ich dies nicht ein Dorf nennen würde. Jedes Grundstück – wie gestern schon beschrieben – von Hunden bewacht. Die vorherrschende Rasse sind diese weißen Hunde: ich vermute einen Marenmanno, denn auch die Schäfer nutzen dieses meist oder Mischungen, die ähnlich aussehen.

Den Hund, den ich hier aufgenommen habe, hat nicht nur mich im Sinn zu verjagen, sondern auch drei weitere Hunde, die so gar nicht in das hiesige Bild passen. Die eine Schäferhund-Hündin ist schwanger. Alle drei folgen mir von nun an die Berge rauf und runter. Meist in Formation: der etwas dickliche weiße Rüde läuft hinter mir, die beiden Schäferhunde, die nicht ausgewachsen wirken, laufen vor mir.

Kurz hinter dem „Ort“ mache ich eine Pause, meine Begleiter auch. Die Pause nutze ich, um meinen finalen Plan für heute zu machen. In die Stadt, in die ich eigentlich möchte, hat keine – zumindest für heute Nacht – Unterkünfte. Die nächsten Übernachtungsmöglivchkeiten mit Bett und Dusche sind mehr als 40 Kilometer von meinem Zeltplatz und viel „schlimmer“ über 1.500 Höhenmeter entfernt. Das schaffe ich auch nicht. Im Zelt möchte ich auch nicht wieder übernachten. Zum Einen aus hygienischen Gründen und zum Anderen, weiß ich nicht, ob ich Wasser unterwegs auffüllen kann. Zu essen habe ich immer noch Käse und etwas altes Brot. Ich entscheide mich, einen Umweg zu laufen. Ich werde nach Piana degli Albanesi wandern. Ich buche dort ein Zimmer in einem B&B: gut 20 Kilometer und 1.100 Höhenmeter. Das schaffe ich.

Die Anstiege durch zum Teil unwegsames Gelände und mit den Hunden, die mir immer wieder zwischen den Beinen rum laufen sind schwieriger als gedacht. Auch muss ich immer wieder den Weg suchen. Alles ist überwuchert durch dornenreiches Gebüsch. Daher muss ich immer wieder zurück, um mir andere Wege zu bahnen.

 

Auf dem ersten Hochplateau angekommen, treffe ich zunächst zwei Jäger. Die ich schon eine geraume Zeit gehört habe – zunächst aufgrund der Schüsse, die sie abgegeben haben. Anschließend kommt eine Schweizerin auf einer Tageswanderung an meinem Rastplatz vorbei. Für 10 Minuten gehen wir zusammen, dann biegt sie ab zu einem Gipfel, den sie erklimmen möchte.

Mein Weg führt mich zu einem nächsten Hochplateau. Dort treffe ich auf die gesamte Jagdgesellschaft. Hier wird mit Kind und Kegel gejagt. Die Jagdgesellschaft steht um ihre Fahrzeuge an einem zerfallenen Gehöft. Um auf die befestigte Straße zu kommen, muss ich durch sumpfiges Gebiet, das zieht mir die Schuhe aus. Ich muss die Schuhe aus dem Matsch ziehen und laufe auf Socken zur Straße und schaue mich um, wo das ganze Wasser her kommt. Denn dort möchte ich Schuhe und mich etwas säubern. Eine der Frauen fragt mich, was ich suche und ich antworte: Wasser. Das versteht sie falsch und glaubt ich suche Trinkwasser. Man bietet mir Wasser an, was ich trotz des Missverständnis gerne annehme und lasse mir meine Falsche auffüllen. Mit Feuchttüchern mache ich meine Hose und Strümpfe etwas sauber. Dann sehe ich auch endlich die Staubehälter mit Wasser. Dockt wasche ich kräftig meine Schuhe.

Jetzt geht es wieder runter. Im Tal überquere ich eine Schnellstraße und gelange in ein kleines Dorf. Auch hier werde ich mit meinen Begleitern angebellt. Das finden meine Begleiter nicht gut und lassen sich auf ein Gebelle ein. Gut so, jetzt bin ich die los und muss mir keine Gedanken machen, wie ich die abschüttele, bevor ich mein Quartier erreiche bzw. noch ein paar Kleinigkeiten einkaufe. Es dauert aber nicht lang, dann hat mich die schwangere Hündin wieder eingeholt. Die beiden anderen bleiben zurück. Kurze Zeit später verschnaufe ich und nehme den Käse mit dem alten Brot aus meinem Rucksack. Das wiegt immer fast ein Kilo zusammen. Ich lasse es ausgepackt liegen in der Hoffnung die Hündin macht sich darüber her und lässt von mir ab. Teil eins funktioniert. Teil zwei leider nicht. Kaum Fünf Minuten später läuft sie schon wieder neben mir her. Auf halber Höhe zum letzten Pass des Tages stoßen wir auf einige Weidende Rinder. Die Stellen sich sofort der Hündin in den Weg und lassen sie nicht durch. Jetzt bin ich sie bestimmt los. Falsch gedacht, sie scheint einen Umweg zu gehen und eine viertel Stunde später, kurz bevor ich auf der Passhöhe ankomme, hat sie mich wieder eingeholt.

 Blick bis nach Palermo

Die Hündin läuft weiter mit mir, als wir in dem Ziel-Städtchen ankommen. Bevor ich ins B&B gehe kauf ich noch schnell etwas ein. Die Hündin muss natürlich draußen warten und ich einer Reihe von Leuten erklären, dass sie nicht mein Hund ist. Kaum aus dem Supermarkt steht das Tier schon wieder neben mir. An meinem B&B gelingt es mir, die Tür vor ihrer Nase zuzuschlagen. Ich hatte schon vermutet, dass sie alles dran setzen wird, mit mir zusammen durch die Tür zu schlüpfen.

 Blick auf den nahegelegenen See und das Städtchen Piana degli Abanesi

Kaum angekommen, ruft mich der Besitzer des B&B an und fragt, ob er in seiner Pizzeria für mich einen Tisch reservieren darf. Das kann ich gar nicht ausschlagen, obwohl mir heute Abend eher nach Frische der Sinn steht, um meine Reserven wieder aufzufüllen.

Die Pizzeria ist ein Höllentempel. Es läuft ein Fernseher auf volle Pulle, ein Musikgerät spielt ebenso laut Popmusik und alle Tisch sind belegt. Damit sich die Gäste miteinander unterhalten können, übertreffen sie in ihrer Lautstärke die elektronischen Geräte. Pizza und Salat sind super.

Tag 5: 07.10.2022

Ich konnte mich gestern Abend nicht entscheiden, wo ich heute hingehen werde. Entweder wäre es zu den nächsten Übernachtungsmöglichkeiten nur 15 oder danach schon 42 Kilometer. In Google Maps habe ich zwar ein Agriturismo nach 32 Kilometer gefunden. Die haben aber weder gestern Abend noch im Laufe des Vormittags geantwortet. Während ich meinen Rucksack packe, entscheide ich mich den übrig gebliebenen Käse mit einzupacken und richte mich auf zelten ein.

Nach 15 Kilometer komme ich auf die hoch am Berg liegende Stadt Alcamo. Dort nehme ich erst einmal mein Frühstück ein. Danach kaufe ich 4 Liter Wasser, 2 Liter kommen in den Rucksack, mit einem Liter fülle ich meine fast leere Flasche auf. Den Rest trinke ich schnell, in der Hoffnung ich kann Wasserreserven wie ein Kamel anlegen. Am Straßenrand erwerbe ich noch drei Pfirsiche: Zucker kann nie schaden.

Mit Ausnahme von Alcamo komme ich weder durch eine weitere Stadt noch durch ein Dorf. Landschaft pur liegt vor mir. Unterwegs mopse ich mir von dem ersten Zitronenbaum, den ich sehe eine Zitrone. Die duftet sehr intensiv, ist aber auch mächtig sauer. Süßer ist da schon die Feige, die ich vom Baum klaue. Leider komme ich nur an eine reife Frucht.

Hier auf dem Land werden die Häuser von Hunden geschützt. Die Besitzer lassen sie frei laufen, wie ich das schon in Griechenland im Mai erlebt habe. Die Hunde kommen meist sehr aggressiv auf mich zu, laufen aber dann immer so, dass in meinem Rücken sind. Wenn ich mich zu ihnen umdrehe, gehen fast alle kläffend auf Distanz. Das ist ganz anders, treffe ich auf Schaaf- und/oder Ziegenherden. Heute gleich dreimal. Im Rudel und trainiert ihre Herde zu schützen, sind diese Hunde nicht nur extrem aggressiv in ihrem Auftreten, sie lassen sich nicht so einfach einschüchtern. Eher bin ich der Eingeschüchterte, wenn da fünf bis zehn Hunde sich um einen rum verteilen.

Nach 35 Kilometern und fast 800 Höhenmeter, bin ich müde – trotz eines ausgiebigen Mittagsschlaf im Schatten eines Olivenhains. Ich komme an einem zusammen gefallenen Hof vorbei. Es gibt zwar Schlösser vor den Türen, die noch intakt sind, aber hier sieht alles verlassen aus. Bereits im Dämmerlicht baue ich mein Zelt auf einer Art Veranda unter einem Schutzdach auf. Damit steht das Zelt schon mal in Waage und  sitzen kann ich dort auch ganz gut.

Nun hoffe ich, dass der Hof tatsächlich verlassen ist und nicht heute Nacht – vielleicht von der Mafia – Besuch bekomme.

Tag 4: 06.10.2022

Tough but nice day: Scopello verlasse ich um 08:00 Uhr mit einem Cappuccino und einem Croissant gefüllt mit Pistaziencreme im Bauch. Gleich geht es wieder hoch in die Berge. Heute quere ich zwei Gebirgszüge und damit habe ich mehr als 1.000 Höhenmeter und 34 Kilometer absolviert.

Die Gegend wirkt einsam und verlassen. Einige Häuser – meist zusammen gestürzt und verlassen – stehen am Weges Rand. Hier und da arbeiten Bauern auf ihren Feldern. Die Ernte ist weitgehend eingebracht und es wird derzeit gepflügt und noch öfter werden die Felder abgeflammt. Einige muss ich queren. Meine Schuhe sind ganz schwarz vom Ruß.

Ich habe das Gefühl, unabhängig wo ich gerade bin, ist im Hintergrund das Meer zu sehen.

Hin und wieder komme ich durch kleine Weiler. In einem gibt es sogar eine Bar. Das nehme ich gleich war, um meinen Flüssigkeitspegel und meinen Zuckerhaushalt mit einem Süßteilchen ordentlich aufzufrischen.

Fast am Ende meines heutigen Weges komme ich nach Segesta einer antiken Stadt gebaut von den Griechen und später von den Karthagern im 5. Jahrhundert vor Christi zerstört. Die Stadt wurde immer wieder aufgebaut und wurde noch im 12. Jahrhundert nach Christi bewährt. Die Festung steht gar auf einer Moschee. Heute sieht man im wesentlichen den Hera-Tempel, der nie fertiggestellt wurde und das Theater, das von den Griechen erbaut und von den Römern später erweitert wurde. Beide Objekte sind in einem sensationell gutem Zustand. Die restlichen Anlagen lassen der Fantasie sehr viel Spielraum.

Unweit von Segesta habe ich ein einfaches Zimmer mit einer hübschen Terrasse gebucht. Da weit und breit kein Restaurant offen hat, habe ich mir in einer nahegelegenen Käserei einen Fromaggio fresco (gesalzener und fester sizilianischer Ricotta) und einen Fromaggio duro gekauft. Nach Google Maps ist dies ein Käseladen, tatsächlich ist es eine Fabrik und die Arbeiter haben mir freundlicherweise etwas Käse verpackt und verkauft. Beim Einchecken habe ich von meiner Wirten noch offenen Rotwein, 1 Liter abgefüllt in einer Plastikwasserflasche, zwei Flaschenwasser und etwas Brot erworben – die hält mich wohl für einen Alkoholiker. Das Brot ist schon etwas älter: ich konzentriere mich auf Käse, Wein und Wasser.

Tag 3: 05.10.2022

Alles im Zelt ist feucht. Es ist nebelig: auch auf Sizilien wird es Herbst, trotz der sehr ansprechenden Temperaturen von nachts um 17 Grad und tags bis 28 Grad.

Lange brauche ich nicht um meine Sachen zusammenzupacken. Um acht bin ich fertig. Frühstück gibt es keins auf dem Campingplatz, was mich nicht weiter stört, da die Pizza von gestern Abend noch immer mich sättigt. Ich hoffe auf eine Bar an einem der Strände, an denen ich in der kommenden Stunde entlang wandere. Alles zu – nicht nur die Restaurants haben zu wenig Gäste auch für die Bars scheint es nicht zu reichen. Also setze ich auf den nächsten Ort, den ich nach gut 16 Kilometern erreiche: Macari.

Um dorthin zu gelangen, muss ich einen Berg, der prominent ins Meer hineinragt umrunden. Im ausgehenden Mittelalter wurde dieser Berg militärisch durch zwei Wachtürme mit Truppen gesichert. Der Weg um diesen Berg ist malerisch. Zwischen diesem und Macari liegt ein breiter Strand, der nur wenig von Badenden genutzt wird.

In Macari angekommen suche ich umgehend die einzige Bar. Leider hat sie Mittwochs ihren Ruhetag und die beiden Restaurants machen erst abends auf. Das erfreut mich nicht besonders. Vor mir liegen weitere 17 Kilometer und fast 900 Höhenmeter. Da ich auch nur eine Flasche Wasser mit habe, muss ich Wasser rationieren.

Nach einer Pause auf dem Kirchplatz mache ich mich an den schweißtreibenden Aufstieg. Die Straße führt senkrecht den Berg hoch und endet etwa nach 200 Höhenmeter. die Straße geht über in einen Trampelpfad, der in einigen wenigen Windungen den Berg hoch führt. Der Blick entschädigt für die Strapazen. Unten sind, während ich den Berg hoch gestiegen bin, drei Boote vor Anker gegangen. Die Gegend ist sicher ein tolles Segelrevier.


Oben komme ich erschöpft an und kann jetzt sowohl auf die Eine wie die andere Seite des Gebirgszugs hinunter aufs Meer schauen. Die „neue“ Seite ist noch beeindruckender. Ich bin überwältigt. Jetzt muss ich Gas geben, sonst wird es spät bis ich in meinem Hotel in Scopello ankomme und außerdem habe ich jetzt tüchtig Hunger.

Um kurz nach 17:00 Uhr habe ich es geschafft. Ich bin in dem autofreien Scopello in einem  hübschen Hotel untergebracht, in dem ich auch gleich einen Tisch auf der Terrasse mit Blick aufs Meer reserviere.

Nach meiner typischen Nachmittags Routine: Wäsche waschen und duschen, schaue ich mir den Ort etwas an und um die Zeit bis zum Abendessen zu verkürzen, mache ich noch ein Nickerchen.

Das Abendessen ist lecker. Ich esse zur Vorspeise gefüllte getrocknete Tomaten mit Käse und danach Schwertfisch. Die Inhaberin des Hotels freut sich über meine Auswahl – vor allem kann ich mit ihr über sizilianische Weißweinreben diskutieren – und meinen Appetit.

Tag 2: 04.10.2022

Wie einige Inseln vor Trapani schauen auch auf dem Festland einige Berge hunderte Meter aus dem sonst flachen Land heraus. Im Nordosten von Trapani liegt hoch oben (ca. 750 ü. NN) auf einem solchen Berg Erice. Erice ist eine antike Stadt, die strategisch gut gelegen war und im 3. vorchristlichen Jahrhundert zwischen Karthago und Rom schwer umkämpft war.

Auf einer von den Römern gebauten Straße wandere ich hoch nach Erice mit teilweise sensationellem Blick auf Trapani. Man kann das Dreieck, das Trapani bildet mit den Hafenanlagen an der Spitze des Dreiecks und die vorgelagerten Inseln, gut erkennen.

Ich hätte auch die Seilbahn wie alle anderen Touristen nutzen können, die sich durch die engen Gassen des mittelalterlich anmutenden Erice schieben. Durchschwitzt wie ich bin, suche ich in der Mitte des Orts erst einmal eine Bar, um zu frühstücken. Nach einem Cappuccino, einem Wasser und zwei Süßteilchen fühle ich mich gleich wieder gestärkt. Bevor ich die Bar verlasse trinke ich noch schnell einen Espresso.

Nach einem Rundgang durch Erice mache ich mich auf der Nordseite des Berges an den Abstieg. Der ist noch mühevoller als der Aufstieg. Steile Wege und sehr viel Geröll bieten wenig Halt. Auch auf dieser Seite von Erice werde ich verwöhnt durch den Blick aufs Meer und die westliche Küstenlinie.

Weder beim Aufstieg noch beim Abstieg treffe ich auf irgendjemanden. Ich scheine der einzig Mensch weit und breit zu sein. Nur auf Esel, die mir ihr kräftiges IA hinter her schreien, treffe ich. Bei diesen Tieren mache ich eine Pause und versuche mir ein Zimmer an einem der Strände, die unter mir liegen, zu buchen. Vergeblich: die beiden B&Bs sind belegt und die Besitzer der Ferienwohnungen/-häuser wollen nicht für eine Nacht vermieten.

Unten angekommen führt mich mein Weg direkt am Meer entlang. Schöne Wege säumen die Küste mit Felsen und einigen Sandstränden.

Als ich an einem Campingplatz vorbei komme, entscheide ich mich heute Nacht zu campen. Mein Zelt steht zwischen Wohnwagen, die wohl noch nie bewegt worden sind. Viele Camper treffe ich nicht – eigentlich nur eine, die ihre Wäsche aufhängt.

Bevor ich mich fürs Abendessen fertig mache, schaue ich mir den Sonnenuntergang auf der Kaimauer sitzend an.

Als ich zu Abendessen möchte, muss ich feststellen, dass auf Grund der Nachsaison weder Bars noch Restaurants geöffnet haben. Die Campingplatz-Betreiberin ruft für mich bei einem Pizza-Delivery-Service an, so muss ich wenigstens nicht hungern. Auf Selbstversorgung bin ich nicht eingestellt, da ich davon ausgegangen bin, dass es in einem Tourismusgebiet in Italien selbstverständlich immer etwas zu essen gibt. Auf die Pizza muss ich eine gute Stunde warten. Ich verschlinge sie, da ich doch hungriger bin als gedacht.

Tag 1: 03.10.2022

Ich habe einen überwältigend schönen Sommer Zuhause verbracht: und das nicht nur des sensationellen Wetters sondern vor allem weil ich schon lange nicht mehr so viel Zeit mit der immer größer werdenden Familie und mit meiner Frau verbracht habe. Ich habe es sehr genossen. Trotzdem erfasst mich immer wieder das Fernweh und die unbändige Lust auf das langsame Reisen: Wandern ist sicher mühselig und nicht immer die reine Freude; aber ich sehe und erlebe ein Land, eine Gegend viel intensiver als mit jeder andern Form des Reisens.

Wo geht es hin? Ich habe mich lange nicht entscheiden können. Letztlich hat Sizilien das Rennen gemacht in der Hoffnung auf gutes Wetter, hervorragendes Essen und fantastischen Wein. Vor mir liegen  650 bis 700 Kilometer und mehr als 20.000 Höhenmeter. Ich starte im Westen und mein Weg wird im äußersten Osten in Messina enden.

Heute Morgen bin ich nach Trapani – unweit von Málaga – geflogen, wo ich mit knapp zwei Stunden Verspätung um kurz vor 11:00 Uhr gelandet bin. Noch am Flughafen habe ich meinen Rucksack eingestellt und habe mich auf den Weg nach Trapani gemacht, das ziemlich genau 20 Kilometer nördlich des Flughafens liegt und wo ich schon vorab ein Hotel gebucht hatte.

Am Anfang musste ich an einer viel befahrenen Straße entlang laufen, dann ging es durch landwirtschaftlich genutzte Bereiche u. a. mit Granatäpfeln und Kaktusfeigen – nicht nur im Ackerbau auch in den Vorgärten – bevor ich die gewerblich genutzten und eher hässlichen Ausläufers von Trapani erreicht habe.

Die Lage am Meer mit Stränden und Hafenanlagen prägt die Stadt. Trapani war und ist eine Kulturstadt mit einer Kathedrale, vielen Museen, Galerien und natürlich Restaurants für die Versorgung der Touristen. Die Saison ist zu Ende, weshalb die Bars und Restaurants nur mäßig besucht sind. Ich esse heute Abend eine kalte Platte mit heimischen Produkten: einfach köstlich.

Athen: 30.05.22

Ich bin in Athen! Eine Stadt in der das Leben pulsiert. Ich habe ein Hotel am Fuße der Akropolis, die ich natürlich besichtige. Nachfolgend einige Impressionen und anschließend eine Zusammenfassung meiner Wanderung durch Nord-Griechenland.


Theater des Dionysus


Dionysus Eleuthereus


Tempel der Athene


Tempel der Athene


Odeon, römisch


Erechtheum 


Erechtheum: wer trägt die Last?


Parthenon 


Parthenon 

Schnell wurde mir klar, den E4, wie er ausgeschildert ist, werde ich nicht laufen. Das hat mehrere Gründe. Bei der Planung des E4 scheint man so vorgegangen zu sein, den Weg möglichst abseits der Zivilisation unter Mitnahme aller Gebirge und fernab jeglicher Infrastruktur anzulegen und dabei alle Städte zu meiden. Das hätte für mich bedeutet, weitgehend zu campen und mein Essen mitzunehmen. Beides gehört nicht zu meiner favorisierten Form des Reisens.

In den Bergen ist es im Mai – vor allem im Norden – noch sehr kalt. Ab etwa 1.400 Höhenmeter liegt noch recht viel Schnee. Die Wege sind aufgrund der Winterschäden, wie umgestürzte Bäume, abgebrochene Äste nur mit Schwierigkeiten passierbar. Ich bin in den Bergen daher nur sehr langsam vorwärts gekommen. Weiter im Süden wurde dies deutlich besser.

Müsli und Instantfood kann ich mal essen aber dies die meiste Zeit machen zu müssen, ist nicht mein Ding. Dafür bin ich dann doch zu sehr Genussmensch. In vielen Dörfern gibt es keine Tavernen und schon gar keine Restaurants. Selbst Einkaufsmöglichkeiten sind nicht die Regel, weshalb ich oft fahrende Händler getroffen habe, die ihre Waren von ihren Pickups herunter verkaufen. Vor allem im Norden konnte ich mich nicht auf die Eintragungen in Google Maps hinsichtlich Restaurants und Bars verlassen. Entweder gab es diese aufgrund von Coronavirus gar nicht mehr oder sie waren Saisonbedingt noch geschlossen. Ab Elassona hat sich das geändert. Die Karteneintragungen waren fast immer korrekt. Auffallend ist die Anzahl Restaurants bzw. Tavernen. Ich erkläre mir das damit, dass die Einheimischen zwar auswärts etwas Trinken aber zuhause Essen.

Die Küche, wie ich sie vor fünfzig Jahren bei meinem ersten Griechenlandaufenthalt, erlebt habe, ist weitgehend ausgestorben. Die Italienische Küche hat auch Griechenland erobert. Überall bekommt man Pizza, Pasta und Risotto. Als Beispiel, die Moussaka früher gefühlt vorherrschend bekommt man fast garnicht mehr.

Ab dem vierten Tag habe ich meinen Weg mit neuen Prioritätsregeln geplant. Gibt es eine Unterkunft, gibt es eine Möglichkeit Abendessen, zu bekommen. Vermeidung von Straßen. Randbedingung: Überquerung des Olymp, Kalambaka/Meteora und Delphi als Ziel. Damit war mein Weg etwas kürzer statt 750 bin ich nur 680 Kilometer gewandert bei ca 14.000 Höhenmeter statt knapp 30.000.

Vergleiche ich meine bisherigen Wandertouren, so ist das Wandern in Griechenland tagsüber eine einsame Angelegenheit. Auf dem Weg selbst bin ich nicht einmal jemanden begegnet. In den Orten sitzen in den Bars die alten Männer scheinbar den ganzen Tag, um sich die Zeit zu vertreiben. Überall, ob in den Bars, in den Unterkünften oder in Geschäften, ist mir höchste Freundlichkeit und eine ebenso große Hilfsbereitschaft entgegengebracht worden. Jeder hat versucht, mit mir zu kommunizieren. In den Dörfern oft in Deutsch, da immer jemand mal in Deutschland gearbeitet hat, in den Städten eher in Englisch. Die Bevölkerung unter 40 scheint durchweg Englisch gelernt zu haben.

Hunde sind definitiv ein Thema. Hunde sind unabhängig ihrer Größe ängstliche Tiere, weshalb sie zwar bellen und die Zähne fletschen, was Ausdruck ihrer Ängstlichkeit ist. Trotzdem ist es nicht angenehm, wenn man von mehreren Hunden umringt wird und diese einen bösartig wirkend ankläffen. Denn man kann sich nie sicher sein, ob einer nicht doch aus seiner Angst heraus zubeißt. Was mich immer wieder massiv geärgert hat, sind die Hundebesitzer, und hier kritisiere ich vornehmlich die Schäfer, die mitbekommen, dass ihre Hunde einen stellen und sich noch nicht einmal die Mühe machen, ihre Hunde zurückzurufen. Größere wilde Tiere habe ich nicht gesehen. Zu Beginn habe ich viele Bärenspuren auf den Wegen gesehen. Meine anfängliche Vermutungen wurden später von einem Einheimischen bestätigt. ImmGras muss man aufpassen, weil es überall Schlangen gibt. Ob diese einen ernsthaft verletzen können, weiß ich nicht, möchte aber nicht von einer gebissen werden. An machen Tagen bin ich von morgens bis abends von Insekten umschwirrt worden, die leider mich öfters gestochen haben. Zeitweise hatte ich an den Oberarmen dicke Pusteln davon.

Anders als in Spanien und Italien hatte ich nicht in einem Ort den Eindruck, dass dies am Sterben sind. Überall bin ich einer großen Lebendigkeit begegnet und immer Generationen übergreifend.

Bürgersteige sind in den Orten fast überall vorhanden. Sie sind nur nicht für den Fußgänger geeignet. Sie sind für die Aufstellung von Laternen, Strommasten, Blumen, Bäume und natürlich Mülltonnen. Müll ist definitiv ein Problem. Wenn der Müll keinen Platz in den öffentlich aufgestellten Mülltonnen hat, wird er am Straßenrand, im Wald und im Feld entsorgt. Ost sieht man am Straßenrand Autowracks, die zusammen mit Müll häufig auf den eignen Grundstücken deponiert werden, was viele Grundstücke wie Müllhalden aussehen lässt. Da man die Terrassen und Veranden prinzipiell zur Straße ausrichtet, kann das Grundstück hinterm Haus gut für den Abfall genutzt werden. Ich bin an sehr vielen Wohnhäusern, Bauernhöfe und Gewerbegebäuden vorbeigekommen, die am zerfallen sind und oft genug Ruinen sind. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie sich auf bewirtschafteten und besiedelten Grundstücken befinden. Müll, Autowracks und Ruinen sind ein Problem.

Griechenland ist die Wiege unsere Kultur und Werte. Wenn ich in Delphi oberhalb des Theaters auf den Apollo Tempel hinunter schaue und auf der Akropolis in Athen vor dem Parthenon stehe, spüre ich diese Wurzeln tief in mir. Mir stellt sich dort immer wieder die Frage, wie war es möglich, dies vor mehr als 2.500 Jahren zu erschaffen. Damit meine ich nicht nur die Gebäude und künstlerischen Arbeiten sondern viel mehr noch ein modernes Leben mit Theater und Musik zu führen, das Demokratie, Philosophie und Naturwissenschaften erschaffen hat. Wollte ich damals gelebt haben? Von der geistig künstlerischen Inspiration unbedingt. Aber unter keinen Umständen, was die restlichen Lebensumstände angeht aus das fängt bei der Hygiene an und hört nicht bei der medizinischen Versorgung auf.

Tag 26: 29.05.22

Ich befinde mich auf dem Fundament unserer Kultur. Bevor Rom die Weltherrschaft übernahm und bevor die Weltreligionen wie das Christentum und der Islam die Macht über alles irdische für sich in Anspruch genommen haben, stand Delphi für das Zentrum von Politik, Finanzen und Kultur. Delphi das Machtzentrum der Antike und nicht nur Ort des Orakels.

Die Ausgrabungen mit den Ausstellungstücken im Museum vermitteln mir ein Bild, wie das Leben Auserwählter in Delphi gewesen sein könnte. Mir gehen die Sagen der Antike durch den Kopf, auch das Wirken der Griechischen Philosophen, Mathematiker und Naturwissenschaftler. Was für eine Hochkultur, in der nicht schon fast jeder Gedanke einmal gedacht und nieder geschrieben wurde. Mich berührt dieser Ort wieder einmal tief in mir.


Schatzhaus Athens


Schlange des Aeskulap


Apollo Tempel von Osten und Sitz des Orakels


Apollo Tempel von Westen


Apollo Tempel vom Theater


Apollo Tempel von oben


Apollo Tempel oben


Apollo Tempel von nah


Theater von der Bühne


Theater mit Apollo Tempel im Hintergrund


Stadion


Sphinx – war auf einer 11 m hohen Säule


Athleten 


Portal

 
Figuren auf Säulenkapitell


Statuen vor Szenenbild


Lenker eines Streitwagens – Streitwagen ist bei einem Erdbeben zerstört worden


Zurück im neuzeitlichen Delphi: Kirche

Tag 25: 28.05.22

Ein Tag der Superlative!

Es gibt ein sensationelles Frühstück mit ausschließlich selbst erzeugten und hergestellten Produkten mit Honig, Marmelade, Ziegen-/Schaafsbutter, Brot, Eiern und nicht zu vergessen Kirschen aus dem Garten. Nur die Orangen für den frisch gepressten Orangensaft kommen aus Lamia.

So gestärkt, fällt es mir nicht schwer, die 650 Höhenmeter über sehr gut zu laufenden Wald- und Wiesenwegen gleich zu Beginn des Tages zu meistern. Oben auf dem Hochplateau wandere ich immer wieder über ausgedehnte fette, grüne Almwiesen. Nur Herden gibt es keine – dafür zwei einsame nicht zusammengehörende Ski.

Das Hochplateau eröffnet mir schliesslich einen Blick auf den höchsten Berg der Gegend, den Parnassus mit seinen knapp 2.500 Metern. Um ihn und die umliegenden Gipfel gibt es ein Skigebiet mit einigen Sesselbahnen und Gondeln.

Danach geht es fast 1.000 Höhenmeter runter nach Delphi, das immer noch 500 Meter über dem Meer mit Blick nach Süden am Berg klebt. Auf einem Weg, der sich nach unten schlängelt, hat man einen überwältigenden Blick auf den Ort und das Meer. Fast 2 Stunden brauche ich für den Abstieg, nicht weil es diese Zeit zum Wandern bräuchte, sondern weil ich immer wieder stehen bleibe oder auf einen Felsvorsprung klettere, um mich an diesem einmaligen Ausblick sattzusehen.

Kurz bevor ich das heutige Delphi erreiche, bekomme ich die Chance, einen ersten Blick auf das antike Delphi zu werfen. Das antike Stadion liegt linker Hand von mir und ist gut zu sehen. Morgen werde ich mir das antike Delphi genauer anschauen. Mal sehen, ob ich zum Orakel vorgelassen werde.

Tag 24: 27.05.22

Eine Asiatische Instant-Nudelsuppe von einem Chinesischen Hersteller ist nicht unbedingt Bestandteil meines typischen Frühstücks. Mangels Alternativen gibt es die heute Morgen. Es ist sicherlich kein kulinarisches Highlight aber die Suppe sättigt und ich halte bis heute Abend – zwar mit knurrendem Magen – durch, was vermutlich an dem Liter Limonade liegt, den ich über den Tag verteilt trinke. Ich liebe beim Wandern, wenn ich ausgepowert bin, eine kalte Limonade zu trinken und den anschließenden Zuckerschub, der mir neue Kraft gibt. Und heute brauche ich mehr als einmal wieder neue Kraft, um mein Ziel zu erreichen.

Auf dem Weg runter fängt alles ganz normal an. Erst eine kurze Strecke auf der Straße, dann auf einen Feldweg und jetzt muss ich mich entscheiden, nehme ich den OpenStreetMap Weg oder den GoogleMaps Weg. Ich entscheide mich für letzteres. Nach den Erfahrungen vom gestrigen Aufstieg, will ich keine Experimente eingehen.

Schnell entpuppt sich die Entscheidung als falsch. Aus dem schönen Feldweg wird ein zugewucherter Wiesenweg und irgendwann gibt es keinen Weg mehr. Aufgrund der Topographie kann es da auch keinen Weg geben. Also versuche ich, mir einen Weg durch das hohe Gras in Richtung des OpenStreetMaps Wegs zu bahnen. Das Wandern durch das hohe Gras ist unangenehm, unter anderem da ich ständig Tiere aufschrecke, die vor mir weglaufen. Ich hoffe nur, dass nicht eine Schlange oder ein anderes unangenehm beißendes Tier aus Angst nach mir schnappt. Das Gras juckt mir auf der Haut.

Tief unter mir liegt ein ausgetrockneter Bachlauf. Da muss ich runter und auf der anderen Seite wieder hoch, um in die angepeilte Richtung zu kommen. Der steile Abstieg in das Bachbett erweist sich mit dem Rucksack gar nicht so einfach. Unten angekommen wird mir klar, hier komme ich auf der anderen Seite nicht hoch. Daher laufe ich, gar nicht so schlecht, in der Hoffnung in dem Bachbett bergab, dass die Böschung irgendwann niedriger wird. Auch das ist eine Täuschung. Kurze Zeit später mündet der ausgetrocknete Bach in ein anderes wasserführendes Flüsschen.

Nächste Entscheidung. was nun. Erneut bemühe ich meine Karte. Der angestrebte Weg ist ungefähr 400 Meter rechts von mir durch einen dichten Wald mit einer kaum zu erklimmenden Böschung. Links von mir gibt es nach 300 Meter eine Bahnlinie. Die Böschung links komme ich hoch und oben ist eine Wiese mit hohem Gras. Damit ist diese Option deutliche einfacher zu gehen als durch den Wald mit seinem Dickicht. Tatsächlich schaffe es die Böschung hoch aus dem Bachbett. Ich bin nicht nur verschwitzt sondern auch völlig verdreckt. Was soll’s, keiner da, den das verwundern könnte. Nach 300 Meter stehe ich wieder vor einer hohen Böschung. Oben ist die erhoffte Bahnlinie. Wenn ich aus einem Bachbett aufsteigen kann, werde ich auch die Bahnlinie erklimmen können. Auf der Bahnlinie ziehe ich erstmal Schuhe und Strümpfe sowie mein Shirt aus und entferne, was ich in den letzen beiden Kilometern alles aufgesammelt habe. Dann kann es weitergehen. Ich laufe auf der Bahnstrecke, bis ich auf eine Straße stoße. Dann ist es auch nicht mehr weit und ich bin zurück auf meinem geplanten Weg.

So komme ich in eine ausgedehnte Hochebene. Die ich von West nach Ost vorbei an einem Ferienhotel mit einer Heerschar von Kindern, wo es einen ersten Kaffee und anschließend zwei Limos gibt, weiter durch den einen und anderen Weiler bis in den Ort, wo es nach Süden in die Berge abgeht. Auf einer wunderschönen Terrasse mit Blick auf die Kirche trinke ich eine zweite Tasse Griechischen Kaffee und natürlich eine Limo. Die Wirtin, die sehr gut Englisch spricht, fragt mich wo es heute hin geht und ich erzähle ihr, das mein Ziel unweit von hier in den Bergen liegt: Eptalofos. Sie lacht und sagt mit dem Auto wäre ich in zehn Minuten oben. Ich frage, wie der Weg zum Laufen sei. Das weiß sie nicht, sie ist noch nie hoch gelaufen. Der Ort sei sehr schön mit vielen Hotels und Restaurants. Nachts könne man dort gut schlafen, da es nicht zu warm sei.

Es geht über einen schönen Forstweg seicht den Berg hoch. Der Weg ist schön, links und rechts mit vielen Lichtungen und immer wieder Wasserstellen. An einer tausche ich mein warmes Wasser gegen frisches kühles aus. Ich komme an einem kleinen Wasserkraftwerk vorbei. Dann ist es vorbei mit dem schön ausgebauten Weg. Erst wird er enger, dann stehen Ginster- und Salbeibüsche im Weg. Schließlich wird es ein Pfad und danach fängt eine Baustelle an: eine Wasserleitung wird auf dem engen und immer steileren Weg (neu?) verlegt. Überall liegt Werkzeug wie Spitzhacken und Schaufeln rum und es ist nicht leicht zu laufen in der Rinne, die durch die Verlegung der der Wasserleitung gebuddelt wurde. Die offene Leitung macht es auch nicht leichter.

Weiter oben ist die Leitung bereits fertig, was es nicht viel einfacher macht, da die Erde noch lose ist und oft sehr ausgesetzt. Ich muss auf jeden einzelnen Schritt achten. Was nicht einfach ist, weil ich vermute, dass ich auf den Ginster allergisch reagiere. Meine Nase läuft und ist völlig verschleimt. Meine Augen sind zugeschwollen. Leider hilft mir mein neues Histamine Präparat, das mir meine HNO Ärztin verschrieben hat, überhaupt nicht. Sie hatte sich geweigert Telfas, was ich bisher immer benutzt habe, zu verordnen, mit dem Hinweis das sei ein altes Präparat, das man heute nicht mehr verwende und zu viele Nebenwirkungen habe. Das, was sie mir verschreibt, sei modern mit besserer Wirkung und ohne müde, zu machen. Das hätte ich mich stutzig machen sollen. Aus meinen Projekterfahrungen mit Traditioneller Chinesischer Medizin und der Homöopathie, weiß ich: ein Produkt ohne Nebenwirkungen hat auch keine Hauptwirkung. So ist das hier auch auch. Ich habe heute bereits die dritte Tablette genommen; keine Wirkung. Nase läuft, Augen zu.


Balancieren oder versuchen einen Weg weiter oben suchen? Kann doch Nadine größere Herausforderung sein als ein Baumstamm. Trotzdem 5 Meter tief fallen möchte ich auch nicht. Trau Dich, Harald!

Noch weiter oben ist die Verlegung der Leitung bereits so lange her, dass die Natur sich den Weg „zurück geholt“ hat. Er ist mit Ginster zu gewachsen. Durchkommen schwierig. Nach vielen Anstrengungen komme ich schließlich in ein sehr schönes Bergdorf mit eine Reihe von Hotels und Restaurants. Alles sieht nett aus. Überall gibt es Wasserstellen. An einer wasche ich mir Hände und Gesicht, bevor ich mein Guesthouse für die Nacht suche.

Ganz am Ende des Ortes, am höchsten Punkt liegt das Haus. Eine ältere Dame, mindestens so alt wie ich, öffnet mir und schenkt mir als Begrüßung einer Kräuterschnaps ein. Da sie nur Griechisch spricht können wir uns nicht verständigen. Trotzdem ist mir klar, sie mir zu versteh geben, dass es ein Schnaps aus dem Dorf sei. Dann kommt ein jüngerer Mann, mit dem ich Englisch sprechen kann. Er kennt sich in den Bergen gut aus. Als er fragt, wie mein Aufstieg war und ich ihm von der Baustelle berichte, sagt er, dass ihm das bewußt und er an dem Projekt beteiligt sei. Es sei auch geplant, den Weg oben wieder begehbar zu machen.

Später im Dorf. Als ich auf dem Dorfplatz köstlich esse, treffe ich ihn wieder und er setzt sich kurz zu mir. Ich frage ihn über den morgigen Weg aus und ob ich auf ähnliche Probleme stoße wie gestern und heute. Das verneint er. Der Weg hoch zu einem Skigebiet und anschließend runter nach Delphi sei anstrengend aber der Weg sei in gutem Zustand. Es gäbe auch unterwegs drei Wasserstellen. Er erzählt weiter, dass die Saison für das Dorf zu Ende sei. Man lebe hier vornehmlich vom Winter. Das erklärt auch, dass die Häuser gut aussehen und nicht verfallen sind. Auch herrscht Ordnung und es gibt keine Grundstücke die zugemüllt sind. Den Touristen und deren Wohlgefallen sei Dank.

Ich esse in einem Restaurant auf dem Hauptplatz, der genauso lebendig ist wie in Lamia. Ich bekomme heute einen Griechischen Salat und Lammkoteletts, alles eine Empfehlung des Wirtes. Die Karte kann ich nicht lesen, nur in Griechisch verfügbar. So verlasse ich mich auf ihn. In einem Mischmasch aus Englisch/Deutsch, das er spricht, verständigen wir uns schnell auf das Menü. Der Salat ist gut und nicht so lieblos, wie ich ihn bisher oft bekommen habe, und die Lammkoteletts sind interessant geschnitten aber wirklich lecker zubereitet. Sie müssen sehr frisch sein, so dass ich sogar das Fett  mit esse, zum Abschluss bekomme ich ein Orangentarte – auch wenn er mit mir übt, ich kann den Namen auf Griechisch nicht wieder geben. Gefühlt dauert es zehn Sekunden, um ihn auszusprechen. Das Wasser holt er an einer Wasserstelle direkt an einer der beiden riesigen Kastanienbäume. Hier fühle ich mich wohl!

Tag 23: 26.05.22

Welch eine hinreißend schöne Landschaft! Wasser fließt überall in Flüssen und Bächen, auf den Wegen und über Felsen hinweg in die Täler. Zusammen mit dem Sonnenschein erzeugt das eine fette Vegetation, die sich in allen Grüntönen präsentiert. Sensationell!

Der Tag hatte es in sich. Obwohl nur gut 27 Kilometer dafür aber 1.100 Höhenmeter, war das heute nach den beiden Olymp-Tagen die schwerste Etappe.


Im Dunst der Mittagshitze kann man die Ägäis erkennen

Mein Ziel liegt genau im Süden von Lamia, hoch oben in den Bergen. Das bedeutet, ich durchquere zunächst die Flussebene, die sich im Osten bis zum Ägäischen Meer hinzieht. Danach wandere ich in die gemächlich ansteigenden Berge. Als ich nach etwa 8 Kilometern an einer Bar vorbei komme, ich hatte befürchtet, heute gibt es keine Versorgungsmöglichkeit, mache ich daher schon eine frühe Rast und „betanke“ meinen Körper.

Vorbei an Wasserquellen und an Klöstern, von denen es eine ganze Reihe gibt – ich vermute, das liegt an dem reichlich vorhandenen Wasser – wird es immer steiler. Da es keine Kneipen mehr gibt, mache ich nach gut 20 Kilometern Halt an einer öffentlichen Wasserstelle, die es in vielen Orten gibt, hier aber überall zu finden sind.

Bisher war mein Weg geprägt von Straßen und gut angelegten Wegen. Das ändert sich, als die landwirtschaftliche Nutzung endet. Kein Mensch braucht in den Bergen Wege. Zum Vergnügen wandern die Einheimischen nicht und beruflich gibt es keinen Nutzen. Der Weg, den selbst Google Maps kennt und vorgeschlagen hat, war wohl mal ein Weg. Jetzt ist er oft völlig zu gewuchert, manchmal von den reißenden Bächen unterspült und gelegentlich einfach nicht da. Weil das Gelände steil ist – nicht nur hoch auch runter – ist nicht nur einen Pfad finden eine Herausforderung sondern auch das Gehen selbst. Die Disteln stechen, die Dornen einiger Sträucher malträtieren mich, der Untergrund ist geröllig oder glatt durch die Nässe, durchzogen mit tiefen Gräben und und und. Das ist nicht nur unangenehm, sondern erfordert meine volle Konzentration. Meine stechenden und mich umschwirrende Freunde begleiten mich ebenfalls seit einiger Zeit wieder. Sie versuchen meine Aufmerksamkeit weg vom Weg, auf sich zu lenken.

Nach einem anstrengenden Abstieg wate ich durch einen breiten dafür langsam dahin plätschernden Fluss. Die Durchquerung ist äußerst schwierig, da die Steine glatt und rutschig sind und beim Auftreten wegrollen. Hier möchte ich mir weder einen Fuß vertreten und schon gar nicht das Bein brechen. Hilfe bekomme ich in diesem Gelände sicher nicht. Meine Quälgeister scheinen das zu wissen und werden am Fluss, und das startet schon beim ausziehen der Strümpfe, immer aggressiver. Mir scheint, es bereitet ihnen größtes Vergnügen, mich bis aufs Blut zu quälen.

Auf der anderen Seite des Flusses finde ich den Weg dann gar nicht mehr. Ich versuche mit dem GPS und meiner Einschätzung des Geländes, meinem Ziel näher zu kommen und frage mich, ob der Weg weiß, dass er hier sein sollte und warum er das nicht ist. Noch einmal 300 Höhenmeter unter diesen Bedingungen verlangen mir alles ab und entziehen mir die letzten Kräfte. Ich bin völlig erschöpft. Oben angekommen, ist der Weg auf einmal wieder da und ich habe einen sensationellen Blick.

Der Ort, in dem ich ein Zimmer gemietet habe, ist tatsächlich so vereinsamt, wie ich schon aus dem Kartenmaterial vermutet hatte. Gut dass ich gestern vorsorglich zwei Nudelsuppen eine für heute Abend und eine Fürs Frühstück und ein Päckchen Nüsse gekauft habe. So muss ich wenigstens nicht hungern. Satt werde ich allerdings auch nicht. So eine Suppe hat am Ende eben nur gut 300 kKalorien und das letzte mal gegessen habe ich heute Morgen im Hotel. Das Frühstück war dort, wie meist in Griechenland, alles andere als üppig. Ich bin sicher, dass ich heute mehr Energie verbraucht als meinem Körper zugeführt habe.


Ist das nicht ein hübsches Waschbecken?

Tag 22: 25.05.22

Die Flussebene, die ich gestern erreicht habe, führt ca. 20 Kilometer östlich von Lamia an die Ägäis. 30 Kilometer sind es vom Hotel bis nach Lamia. In der Ebene zu wandern ist im Normalfall angenehm, weil man ohne allzu viele Mühen ordentlich ausschreiten kann. Nur heute bedeutet es 30 Kilometer neben und auf einer Straße zu gehen, die für hiesige Verhältnisse viel befahren ist, und das macht es dann wieder langweilig und aufgrund des Verkehrs nervig.

Um mich abzulenken, stecke ich gegen meine Gewohnheiten gleich meine Airports ins Ohr und höre fast bis nach Lamia SWR3,.

Vorteil von Ebenen und viel befahrenen Straßen sind die regelmäßig an der Straße liegenden Dörfer und damit Bars, in die ich einkehren und eine Pause machen kann. Oft findet man die Bars nicht an der Hauptstraße sondern am Hauptplatz bei der Kirche. Schön sind die Dörfer meist nicht. Das liegt nicht an den öffentlichen Einrichtungen, sondern daran, dass die privaten Häuser nicht gepflegt werden, die Besitzer ihr Eigentum verfallen lassen und ihre Grundstücke als Müllhalten und Schrottplätze nutzen.

Wie bisher auf meinem Weg durch Griechenland werde ich in den Bars überaus freundlich empfangen, jeder interessiert sich woher ich komme und warum ich mit einem großen Rucksack in der Gegend rumrenne. Scheinbar erzeugt das so viel Mitleid, dass ich fast überall auf einen Kaffee eingeladen werde.

Neben den Bars gibt es einen weiteren Vorteil, in der Ebene zu wandern. Es gibt keine Insekten, die mich piesacken. In den letzten Tagen haben es die stechenden Tierchen vorfallen auf meinen rechten Oberarm abgesehen. Ich habe eine Vielzahl von juckenden, dicken und roten Pusteln, die heute die Chance haben zu heilen ohne, dass neue hinzukommen. Dass es hier so gut wie keine Fliegen und Mücken gibt, erkläre ich mir mit der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung und der damit verbundenen Insektenbekämpfung. Ein klassisches Dilemma. Auf der einen Seite bin ich heilfroh, nicht „verstochen“ zu werden, auf der anderen Seite ist mir bewusst, dass damit die Natur und in diesem Fall mindestens die Insektenvielfalt bzw. -vielzahl leidet: Fluch und Segen. Die Frage nach der Priorität ist alles andere als leicht zu beantworten. Daher sind mir diejenigen in der Gesellschaft, die eine klare und einfache Antwort haben suspekt. Wer bedingungslos nach Naturschutz ruft, muss auch beantworten, ob wir mit dem, was daraus folgt, leben möchten. In diesem speziellen Fall heißt das: viele Insekten = Reduktion von Lebensqualität z. B. in Form von keinen Picknicks auf der Wiese ohne, dass sich Insekten an einem selbst und am Picknick gütlich tun. Ich habe keine Antwort darauf. Ich könnte mir vorstellen, dass die jugendlichen Fridays for Future Anhänger die ersten sind, die hysterisch auf einen Stich einer dicken fetten und schön schmutzigen Bremse reagieren würden. Aber klar ist auch, wir können nicht alles töten, was uns unangenehm ist. Die Natur ist uns alles andere als freundlich gesinnt.

Zurück zu meinem Weg. Kurz vor Lamia überquere ich eine Autobahn: nach links —> kein Verkehr – nach rechts —> kein Verkehr! Ist das Zufall oder ist die Frage zulässig, warum die Griechen Straßen bauen, die keiner nutzt?

Lamia ist eine lebendige Stadt am Nördlichen Ende des Flussdeltas am Berg gelegen. Teilweise geht es steil nach oben. Der Höhenunterschied beträgt bis zu 150 Meter. Wie in den Dörfern auch liegt der Hauptplatz in der direkten Umgebung der Kirche. Der Unterschied zu Dörfern: hier gibt es mehr als eine Bar und die gesamte Bevölkerung sitzt in den Bars und nicht nur die alten Männer. Vergleichbar ist auch, dass ausschließlich Bars um den Platz herum angesiedelt sind. In den Seitenstraßen gibt es Fastfood jeder Art. Eine Griechische Küche, wie ich sie von meinem ersten Besuch als Teenager in Griechenland, was zugegebenermaßen mit einem halben Jahrhundert schon lange her ist, habe ich bisher nur in Kaditsa bekommen.

Ich habe nicht nur das Restaurant sondern auch die komplette Gasse für mich. Heute gibt es frittierte Aubergine und als Hauptgericht einen Hühnchenspiess mit den hier obligatorischen Pommes Frites. Gesellschaft bekomme ich auch. Allerdings eine sehr aufdringliche Gesellschaft.

Tag 21: 24.05.22

Ein ausgesprochen schöner Wandertag. Ich bin noch immer in den Bergen. Erst mein Ziel Ort Makrakomi ist wieder in der Ebene.

Zunächst lauf ich auf einer breiten Passstraße. Der Ginster riecht intensiv. Es ist wunderschön hier in den Bergen. Ich laufe mitten auf der Straße bzw. dort wo ich etwas Schatten finde. Um Verkehr muss ich mir keine Gedanken machen. Es kommt schlicht weg kein Auto. Lediglich, als ich mein Hotel verlasse, treffe kurze Zeit später auf eine Ziegenhirten mit ihren beiden Hunden. Die Hündin ist trächtig und der Rüde so verspielt, dass er an mir hoch springt, um mich zum Spielen zu animieren. Der hat seine Aufgaben noch nicht so richtig begriffen.

Ansonsten bleibt die Straße leer. Nach fünf Kilometern immer noch kein Auto. Die Straße wird ein wenig schmaler, was nichts daran ändert, dass kein Auto vorbei kommt. Nach neun Kilometern endet urplötzlich die Straße und jetzt wundert mich auch nicht mehr, warum hier niemand unterwegs ist. Wohin sollten sie auch fahren oder woher sollte jemand kommen. Eine Weile könnte man vielleicht noch mit einem geländegängigen Auto den Weg passieren. Dann ist auch damit Schluss, denn jetzt geht es auf Trampelpfaden weiter. Wer hat sich dieses Straßenprojekt nur einfallen lassen? Die könnte man im besten Falle als Trainings- oder Rennstrecke nutzen.

Mit meinem vertrauten Tross an Flugtieren vornehmlich Fliegen aber zum Teil auch etwas größere Flugungeheuer überquere ich ein Flüsschen. Etwas oberhalb der Furt, gibt es kleinen Wasserfall mit einer Art Bassin. Durch etwas Gestrüpp gehe ich dort hoch und nehme ein Bad, nicht nur um mich zu erfrischen sondern auch in der Hoffnung, dass ich die Mücken, Fliegen und Bremsen damit zumindest kurzzeitig los werde. Der Plan geht auf. Auf habe ich nicht mit der Kälte des Wassers gerechnet. Die nimmt mir schier den Atem, als ich in das Wasser eintauche. An den Füßen fand ich die Temperatur angenehm erfrischend mein Körper signalisiert allerdings nicht Erfrischung sondern pure Kälte. In der Sonne wärme ich mich auf und trockne meine verschwitzte Kleidung.

Mit frisch gefüllter Wasserflasche laufe ich gut gelaunt den Berg weiter hinunter in das breite Tal. Nach 34 Kilometern erreiche ich mein Hotel in der Kleinstadt Makrakomi. Sie hat einen sehr lebendigen Marktplatz mit vielen Bars. Restaurants gibt es zwar keine aber in einem Gyrosladen bekomme ich ein üppig aufgemachtes Gyros und einen Salat. Alles zusammen esse ich an einem Tisch auf dem Marktplatz. Die wenigsten essen etwas. Die meisten trinken ein Bier oder einen Weißwein immer zusammen mit viel Wasser. Die meisten Griechen scheinen zu Hause zu essen. Der Gyrosshop scheint entsprechend vom Lieferservice zu leben.

Tag 20: 23.05.22

Da ich einen ordentlichen Spiegel habe, fängt der Tag mit einem Fotoshooting an. So sehe ich aus, bevor mein Körper mit Transpiration auf Bewegung und Hitze reagiert.

Der Sommer ist selbst hier in den Bergen angekommen. Der Übergang von spätwinterlichen Verhältnissen im Nordosten zu hochsommerlichen Bedingungen weiter im Süden ist kurz und abrupt. Die Erde ist vor allem in den Wäldern noch sehr feucht, so dass im Wald eine hohe Luftfeuchtigkeit herrscht. Manchmal habe ich das Gefühl ich bin in einem Griechisch-Römischen Dampfbad.

Heute ist trotz der Hitze und der durchgängig scheinenden Sonne perfekt. Es geht bergauf und bergab durch die bewaldeten Berge. Den kompletten Weg komme ich durch keinen Ort mehr. Deshalb werfe ich noch schnell einen Blick zurück auf das Bergdorf, in dem ich übernachtet habe.

Jetzt muss ich den ersten Pass überqueren bevor es wieder in eine Talsenke geht. Entlang des Weges steht ein Bienenstock am anderen. Die zu versorgen, ist im Frühjahr, wenn die Bienen schwärmen und im Herbst, wenn die Völker gefüttert werden müssen, ein Fulltimejob. Im Tal muss eine Art Pilgerstätte sein. Es kommt eine Ausladung mit Touristen an. Wo Touristen sind, gibt es auch eine Bar. So ist es auch hier. Ich trinke erstmal einen Kaffee, bevor ich mich auf den nächsten langen Anstieg mache. Ich muss etwa 600 Meter den Berg auf einem gut angelegten Forstweg hoch laufen, bevor ich die nächste Passhöhe erreiche. Völlig verschwitzt und umschwirrt von Hunderten Fliegen, mache ich eine Pause. Ich lege mich in den Schatten, mit dem Ziel etwas zu schlafen. Die Fliegen nerven, mit denen habe ich mich allerdings arrangiert. Ich habe die Schuhe noch nicht richtig ausgezogen, werden die Fliegen von fetten Bremsen unterstützt, mir meine Ruhe zu rauben. Die Bremsen sind wirklich frech, sie benutzen mich nicht nur als Landeplatz sondern wollen auch noch an mein Blut. Erst sticht mich so ein Vieh durch den Socken in den Fuß, dann durch mein Shirt in die Brust. Wow das tat ganz schön weh. Als mich wieder Eine mit einer riesigen Kanüle als Stachel wieder in den Fuß pikst, was dem nicht wirklich gerecht wird, weil das richtig schmerzt, ist Schluss mit Ruhe. Ich ziehe die Schuhe wieder an und schultere meinen Rucksack. Solche Sau-Biester lassen die mich nicht in Ruhe rasten.

Die Bremsen verschwinden, sobald ich die Schuhe angezogen habe, die Fliegen bleiben in sehr großer Zahl mir auf meinem weiteren Weg erhalten. Nach einem kurzen Abstieg wechsele ich den Weg und es geht über einen unwegsamen Pfad bergauf. Das kommt fast klettern gleich bin ich auch diesen Anstieg geschafft habe und eine Straße erreiche.

An der Straße sehe ich schon von Ferne eine Kappelle. Dort kann ich mich sicher etwas ausruhen. Tatsächlich gibt es dort kühles Wasser. Ich trinke, als wäre ich am Verdursten und fülle meine Wasserflasche auf. Im Schatten ziehe ich wieder die Schuhe aus. Und setze mich etwas in den Schatten. Die Fliegen immer um mich herum. Da mich das stört, schaue ich strumpfig, ob die Kapelle offen ist und ich mich dort in eine der Bänke setzen kann. Tatsächlich seit langer langer Zeit ist die Kirche offen. Drinnen ist es kühl und es riecht nach Weihrauch. Neben den Kerzen, die man gegen eine Spende anzünden kann, steht ein Flakon mit einem nach Weihrauch riechenden Parfüm. Ich mache eine Spende und besprühe meine Hände mit Weihrauch. Nach einer angemessenen Pause, mache ich mich wieder auf den Weg.

Meine Hoffnung trifft zu, den Weihrauch mögen die Fliegen nicht so sehr und sie lassen von mir ab. Jetzt geht es noch ein letztes Mal den Berg rauf auf 1.000 Meter. Oben angekommen steht ein Flugzeug und eine Feuerwehrwagen zusammen mit einigen Helden. Mein heutiges Ziel sehe ich auch etwas den Berg runter.

Auch wenn es ein idealer Wandertag war, freue ich mich sehr, meine heutige Unterkunft zu erreichen. Es ist ein ausgesprochen gut hergerichtetes Gasthaus mit tollem Bad, großem Balkon und aufmerksam eingerichtetem Zimmer. Die Wirtin muss ich anrufen. Sie kommt nach wenigen Minuten. Am Telefon hatte ich den Eindruck sie spreche Englisch. Das ist aber nicht der Fall. Die Kommunikation mit ihr und ihrer Familie, die im Ort auch ein Restaurant betreiben läuft nicht nur beim Check in sondern auch später beim Abendessen über Goggle Translator it Spracheingabe. Das ist eine lustige Form der Kommunikation.

Tag 19: 22.05.22

Fast 20 km an einer schnurgeraden Straße entlang zu laufen in Richtung Süden die Sonne ständig voll im Gesicht, macht keinen Spaß: pure Langeweile. Die Zeit will einfach nicht vergehen. Um mir den Fortschritt gewahr zu machen, schaue ich ständig auf die Uhr: wie viel Zeit ist vergangen, wie viele Kilometer bin ich gelaufen. Mein Eindruck, das steigert die Langeweile. Ich schaue immer öfter auf die Uhr, was den Eindruck vermittelt, ich komme immer langsamer vorwärts.

Nach ca. 20 km dann endlich biege ich ab nach Westen in den Gebirgszug, der mir den Weg nach Süden versperrt. Auf sich windenden Wegen geht es bergauf mal nach Westen, mal nach Süden, viel mehr nach Süden.

Obwohl als nicht mehr existent in Google Maps gekennzeichnet komme ich in einem kleinen Dörfchen auf einer Anhöhe liegend an einer Bar vorbei. Kaffee, Wasser, Limo. Ich fülle meinen Körper mit Flüssigkeit auf. Wie immer sitzen ältere Männer auf der Terrasse der Bar. Einer spricht Englisch – ausnahmsweise niemand Deutsch. Die Männer trinken Bier und Ouzo. Das bei der Hitze.

Ich darf meine Getränke nicht bezahlen. Ich tue den Männern leid, obwohl ich versichere, dass ich aus Vergnügen laufe – ob das stimmt, weiß ich allerdings bei dem Wetter und den Straßenerfahrungen vom Vormittag nicht – was man mir eben auch nicht abnimmt.

Noch 9 km und 500 Höhenmeter. Das kann nicht mehr so schlimm sein. Als ich das Dorf hinter mir lasse, sehe ich hoch oben in den Bergen einen Ort. Richtung passt: da muss ich heute hin. Dort oben ist das Apartment, das ich gemietet habe.

Wenn ich mir das anschaue, ist mir auch klar, warum es in diesem Bergdorf nichts aber auch rein gar nichts gibt und ich deshalb getrocknete Chinesische Nudeln mit Pekingenten Geschmack in meinem Rucksack mitschleppen muss. Die werden mein Abendessen. Fürs Frühstück habe ich eingeschweißte Wurst in Kaditsa gestern gekauft. Alles in allem 220 Gramm. Ich hoffe, davon werde ich hinreichend satt.

Der Weg wird steiler und steiler, oben angekommen ist nichts mehr trocken an mir. Ich muss noch eine viertel Stunde in meinen Klamotten ausharren und sonnengewärmtes Wasser trinken, bis der Besitzer, der in Athen lebt, jemanden mit den Schlüsseln schickt.

Tag 18: 21.05.22

Heute hat mich nicht nur den ganzen Tag die Sonne angestrahlt, es war auch sehr warm. Selbst um 09:00 Uhr heute Abend ist es 25 Grad warm.

Die Wanderung teilt sich in zwei Teile: am Anfang war sie geprägte von Feuchtigkeit und Nässe. Ich musste durch den Fluss, der das Tal gebildet hat, an einer Furt durchwaten. Weit und breit gab es keine Brücke. Trotz der Hitze ist das Wasser ziemlich kühl.

Der Grundwasserspiegel scheint sehr hoch zu sein. Jede Vertiefung, sei es eine Unterführung der Autobahn oder ein Weg in einer kaum erkennbaren Senke und schon ist der Weg geflutet. Ständig werden meine Füße nass, weil ich die „Seen“ auf den Wegen nicht umgehen kann. Die Feuchtigkeit und Wärme lässt alles sprießen. Die Wege wachsen zu. Ich komme kaum noch durch. Zu meinem Leidwesen bin ich scheinbar gegen eines der Gräser oder der Getreide allergisch. Meine Augen schwellen schnell zu.

Daher bin ich froh, dass die letzten zwölf Kilometer ich entlang einer Straße laufe. So dass die allergische Reaktion schnell wieder zurück geht.

Nach 34 Kilometer erreiche ich Karditsa. Eine Kleinstadt. Auf der Hauptstraße, an der auch mein Hotel liegt, laufe ich in die Stadt und alles wirkt runter gekommen und hässlich. Meinen ersten Eindruck muss ich am Abend revidieren. Keine 200 Meter von meinem Hotel ist das eigentliche Zentrum mit einer Fußgängerzone, in der das Leben tobt. Heute Abend wird in vielen Bars ein Fußballspiel übertragen, entsprechend ist der Lärmpegel hoch.

Ich esse in DEM Restaurant am Rande der Fußgängerzone zu Abend. Ich bekomme nur einen Katzentisch, da ab 22:00 Uhr das Restaurant ausgebucht ist. Der Chefkoch, so habe ich recherchiert, steht auf Italienische Küche. So esse ich als Hauptgericht Ossobuco Milanese – ehrlich: das kann ich definitiv besser. Aber tatsächlich ist das Essen und der Wein sehr gut und mal etwas anderes als die typischen Griechischen Gerichte, die ich bisher gegessen habe, ohne damit das Essen von gestern zu schmälern. Morgen wird das anders werden. Ich werde in einem Bergdorf übernachten, denn ich muss mal wieder in die Berge, und dort gibt es kein Restaurant. Ich habe mit dem Vermieter gechattet und es ist klar, Morgen gibt es nichts. Ich habe deshalb einige Trockengerichte gekauft, die ich im Apartment regenerieren kann. Verhungern werde ich also nicht, nur tragen muss ich das Zeug. Daher lasse ich es mir heute umso mehr in der lebendigen Stadt Karditsa gut gehen.

Tag 17: 20.05.22

Als ich am Bahnhof von Kalambaka vorbei bin, gibt es einen Live-Market. Es stehen mehrere LKW von denen herab Hähnchen, lebend natürlich, und Eier verkauft werden. Das erinnert mich an China und Südostasien nicht aber an Europa. Das finde ich sehr faszinierend.

Landwirtschaft prägt die Ebene, die der Fluss bildet. Hier grünt alles. Selbst die Berge changieren in allen Grünfarben. Aber auch in der Ebene, in der Getreide, Obst und auch Gemüse angebaut wird erscheint in vielen verschiedenen Grüntönen.

Aber nicht nur Ackerbau wird betrieben. Wie das Beispiel in Kalambaka zeigt, gibt es auch Viehzucht. Vor allem komme ich an Schaf- und Hühnerfarmen vorbei. Auf einer Schaffarm werden gerade die Schafe geschoren. Ich darf zuschauen und auch Fotos machen. Die Arbeiter amüsieren sich, dass mich das interessiert.


Schafe werden geschoren


Schafe schauen mir interessiert nach


Auch bei Schafen gibt es wohl eine Hackordnung: wer darf in den Schatten

Die Dörfer unterscheiden sich im Erscheinungsbild nicht sehr von den Dörfern weiter im Norden. Die Häuser sind mal schöner mal eher Buden. Viele sind in einem schlechten Pflegezustand. Die Gärten sind meist schön angelegt. Zu dieser Jahreszeit blühen in den Gärten die unterschiedlichsten Blumen, weshalb sie schön bunt sind und damit attraktiv aussehen.

Das Zentrum der Dörfer bildet meist ein großer Platz vor der Kirche mit Spielgeräten für Kinder und etwas Grün. An einem solchen Platz gibt es meist eine Bar. Dort sitzen vornehmlich ältere Männer und trinken Kaffee oder auch alkoholische Getränke wie Bier oder Wein. Mindestens einer der Männer spricht mehr oder weniger gut Deutsch, da er in Deutschland gearbeitet hat. Somit entsteht immer ein Gespräch und der Deutsch Sprechende ist ganz stolz, dass er sich mit mir unterhalten und den anderen übersetzen kann. Häufig werde ich dann eingeladen. Heute will mir einer am Mittag ein Bier ausgeben. Das lehne ich allerdings strikt ab, was der Einladende, der offensichtlich schon sehr angesäuselt ist, gar nicht verstehen kann. Als ich ihm klar mache, dass ich dann nicht mehr in der Lage bin weiterzulaufen, sagt er, dass seiner Frau die benachbarte Apotheke gehöre und sie mir helfen könne, auch mit einem Bier zu wandern. Das bringt selbst alle anderen zum Lachen.

Heute übernachte ich in einem großen Apartment in Fiki bei Trikala, das wohl jemanden in Deutschland gehört. Ich schließe das daraus, da ich mit der Besitzerin/dem Besitzer auf Deutsch über eine Deutsche Handynummer kommuniziere. Sie sind bestens organisiert. Ich komme über Zahlencodes aufs Grundstück und in die Wohnung. Sie ist überraschend gut Instand gehalten. Alles funktioniert: Wasser, Elektrik, Internetanbindung und alles ist tip top. Sogar eine Waschmaschine gibt es: das bedeutet große Wäsche. Die Sonne scheint, so wird alles auch trocken.

In dem wirklich kleinen Ort – hier können keine 500 Leute wohnen – gibt es ein sensationell gutes und riesiges Restaurant. Scheinbar kommen viele Gäste aus der nahegelegenen Stadt, um hier zu essen. Spezialität sind am großen Spieß gegrillte Fleischstücke von Lamm, Hähnchen, Schwein und Innereien. Ich esse das Hühnchen und dazu gegrilltes Gemüse. Anders als ich es in den vergangenen Tagen erlebt habe, ist frisch zu bereitet, was ich sehr genieße. Es fällt mir schwer, alles aufzuessen, was mir auf den Tisch gestellt wird. Zum Schluss wird mir noch Süßes „aufgezwungen“: eine Art Miniberliner und Eis – natürlich selbst gemacht, wie mir stolz erzählt wird.

Ein rundum schöner Tag: knapp 30 Kilometer bei schönstem Sonnenschein durch herrliche Landschaften, ausgesprochen höfliche, offene und hilfsbereite Menschen, leckeres Essen und eine gute Unterkunft – Bettschwere mit einem halben Liter Rotwein!

Tag 16: 19.05.22

Ruhetag! Ohne Rucksack schaue ich mir die Meteora Berge, zwei der Klöster und einige heilige Stätte an. Knapp drei Stunden, zehn Kilometer, 500 Höhenmeter und einige Kletterei später bin ich wieder im Hotel und mache mir einen ruhigen Nachmittag. Mein Körper freut sich!

Hier eine Reihe von Bildern über meine Eindrücke:


Zugänglich sind nur die öffentlichen heiligen Bereiche …


… und einige Kunstgegenstände können besichtigt werden


Hoch oben auf einem ca. 400 Meter hoch ragenden Felsen befindet sich eine Glocke …


… atemberaubend ist der Blick und Schwindel erregend die Höhe – der Wind bläst mich fast von dem Felsen


In einer Grotte direkt unterhalb der Glocke eine verlassene Einsiedelei


Beim Abstieg der Blick auf ein Kloster direkt auf einem direkt gegenüberliegenden Fels

Tag 15: 18.05.22

Die Sonne weckt mich. Ich möchte nicht aus meinem wahren Schlafsack, da ich fürchte, dass es noch frisch ist. Liegenbleiben macht allerdings auch keinen Sinn. Na dann los. Ich suche mir ein Plätzchen, das voll in der Sonne liegt und beginne meine Morgenwäsche.

Danach Schlafsack, Luftmatratze und Kissen zusammenrollen und in die Beutel quetschen. Das ist eine schweißtreibende Aufgabe. Das Zelt ist schnell abgebaut und im Rucksack verstaut. Zwei Bananen und ein paar trockene Kekse spüle ich mit viel Wasser runter. Karges aber hinreichendes Frühstück.

Bis nach Kalambaka geht es weiter runter raus aus den Bergen in ein breites Tal mal auf Feldwegen, mal auf einsamen Straßen. Noch in den Bergen treffe ich auf eine Ziegenherde. Hoch effizient ohne Schäfer. Die Herde wird von sieben Hunden getrieben. Sehr scary: Zunächst werde ich von den beiden , die Herde anführenden Hunden nicht nur angebellt sondern auch zähnefletschend angegangen. Sie kommen außergewöhnlich nah an mich heran. Ich bleibe stehen, noch den Schäfer erwartend, der seine Hunde ruft. Statt dessen kommen drei weitere Hunde auf mich zu, die die Herde flankieren. Sie umkreisen mich und stehen nun hinter mir. Das ist scheinbar das Zeichen, dass die beiden Hunde, die die Herde treiben, die ich bisher gar nicht gesehen habe, von hinten heran gerauscht kommen und eindeutig das Kommando übernehmen. Die beiden sind riesig. Nicht dass die anderen klein wären, diese sind aber noch mal eine ganze andere Größenkategorie. Sie sorgen nun dafür, dass die Herde, die zum stehen gekommen sind, weiterlaufen und drücken mich eindeutig Weg von der Herde. Jetzt ist mir klar, hier gibt es keinen menschlichen Chef. Chef sind die beiden. Sie haben die Herde und die anderen Hunde im Griff. Aufpassen muss ich nur auf die beiden. Solange die beiden die Herde sicher an mir vorbeiführen können, wird mich keiner der anderen Hunde anfallen. Das Gebelle hört entsprechend sofort auf, als die Herde an mir vorbeigezogen ist. Sofort wird wieder Formation eingenommen. Zwei Hunde nach vorn, drei an der Seite und die Chefs hinten. Sie schenken mir nicht die geringste Beachtung mehr.

Vorbei an Bauernhöfen, wie sie hier typisch sind, erreiche ich eine ausladende Ebene mit einigen versprengten steilen und prominent herausragenden Hügeln. Es gibt keine sichtbare Industrie. Die Menschen leben von der Landwirtschaft.

Am Fusse des Berges gibt es tatsächlich zwei Tankstellen, die keine 500 Meter auseinander liegen. Das ist deshalb erstaunlich, da es kaum Verkehr hat. Vielleicht kommt alle 5 Minuten mal ein Fahrzeug vorbei. Die beiden Tankstellen haben eine Bar und zusätzlich gibt es eine weitere Bar an der Straße. Bars sind in den Bergen eher selten gewesen und jetzt drei kurz hintereinander. In der tankstellenfreien Bar trinke ich etwas. Sie wird von einem jungen Paar betrieben. Gelangweilt sitzen sie im Innenraum. Er spielt auf einer Spiele Konsole. Der Kaffee ist super. In der halben Stunde, in der ich mich bei den beiden ausruhe, bleibe ich der einzige Gast. Der doppelte Griechische Kaffee mit einer Flasche Wasser und einer Limonade kosten gerade mal 2,60 Euro. Ich frage mich, wie kann man so wirtschaftlich überleben.

Kurz vor Kalambaka sehe ich Industriebetriebe, die den Wegverlauf, den ich nehme, bestimmen. Leider sind alle Betriebe, an denen ich vorbei komme, stillgelegt. Nicht einer sieht so aus, als könne man jemals wieder etwas mit den Bauten und Anlagen anfangen: es sind Ruinen. Auch wenn Transformationen zum Wirtschaftsleben dazugehören, so ist es doch schrecklich zu sehen, was wirtschaftliches Sterben anrichtet.

Dann erreiche ich endlich mein Ziel. Das Hotel liegt mitten in Kalambaka, direkt an der Hauptstraße, auf der reger Verkehr herrscht. Der schön angelegte Pool grenzt direkt an diese Straße. Dem Grunde nach unbenutzbar. Das Design der Zimmer ist lieblos, steril. Die gepusteten Bilder der Zimmer stimmen in keiner Weise mit der Realität überein. Am Check-In bietet man mir sofort ein kostenloses Storno an. Das ich ebenso umgehend annehme. Ich suche mit ein Hotel, das nicht ganz so modern ist, aber dafür deutlich mehr Charme hat. Zimmer in den man sich aufhalten möchte. Das bedeutet allerdings noch einmal zusätzliche 3 Kilometer und das merklich bergauf, dafür ganz nahe an die typischen Felsmassive von Meteora und damit eine bessere Ausgangslage für mein touristisches Wandern durch die Meteora Felsen.

Tag 14: 17.05.22

Um 6:30 Uhr klingelt der Wecker. Ich koche mir im Wasserkocher drei Eier, die ich gestern im Supermarkt gekauft habe. Obwohl ich die Eier in den Wasserkocher hineinfallen lassen und nach sechs Minuten ins Waschbecken auskippen muss. Bleiben sie heile. Die Eier sind schon mal eine gute Basis für heute. Ich werde durch drei Dörfer kommen, die nach meinen Apps über keine Infrastruktur verfügen. Das bedeutet, ich werde nichts zu essen bekommen, was nicht in meinem Rucksack ist. Ich habe noch ein kleines Stück Wurst aus Düsseldorf übrig, nicht wissend, ob sie noch gut ist, Müsli aus Florina, etwas Gebäck und drei Bananen, in Verdikousa erworben. Ein Zimmer werde ich heute Nacht nicht finden, es sei denn ich schaffe heute mehr als 50 km, was völlig unrealistisch ist.

In Verdikousa gehe ich in die Bar, in der ich gestern Abend gegessen habe. Als ich bezahlt habe, hat sich der Wirt zu mir an den Tisch gesetzt und wir haben uns noch etwas unterhalten. Er ist in Larissa bei einer Spezialeinheit der dortigen Feuerwehr. Diese Spezialeinheit ist so etwas wie ein Bergrettungsdienst. Sein Einsatzgebiet sind die umliegenden Bergwelten einschließlich Olymp. Abschließend lädt er mich für Morgenfrüh auf einen Kaffee ein. Sein Mutter öffne die Bar so gegen sieben Uhr. Er werde ihr Bescheid sagen, dass ich komme. Das nehme ich natürlich wahr. So habe ich nicht nur etwas gegessen sonder habe noch einen warmen Kaffee im Magen.

Verdikousa liegt am Berg, ganz oben ist die Kirche. An der ziehe ich vorbei, da schon die Zaunanlage geschlossen ist. Danach geht es erst wieder runter vom Berg, um anschließend auf Forstwegen wieder auf 1.100 Höhenmeter anzusteigen. Ich wandere mehr als drei Stunden durch den Wald, wo mich Fliegen umschwirren und meine Freude am Wandern versuchen zu schmäleren.

Zurück auf der Straße, die kaum befahren ist. Auf etwa zwanzig Kilometern treffe ich nicht einmal zehn Fahrzeuge. Das erste das mich einholt bleibt stehen. Es sind drei junge Männer, zwei von ihnen leben in Deutschland und sprechen muttersprachlich Deutsch. Nach einigen Minuten fahren sie weiter. Kurz darauf komme ich an einem Stausee vorbei. Die Jungs machen dort halt. Von weitem rufen sie, ich könne mit ihnen zu Mittagessen. Das will ich nicht, da ich bisher keinen Hunger verspüre.

Als ich durch das nächste Dorf komme und mir ein Dorfbewohner, der Rasen mäht, den Weg erklärt – ist ihm ein Bedürfnis – kommen die Drei schon wieder vorbei gefahren, um mir ihre Reste ihres Essens anzubieten. Jetzt finde ich das schon aufdringlich und lehne erneut dankend ab.

Im nächsten Ort gibt es eine offene Bar, in der ich Kaffee und Limo trinke. Zu Essen gibt es, wie zu erwarten, nichts. Nach dreißig Kilometern fange ich so langsam an einen Zeltplatz zu suchen. Erst kommt wieder ein Dorf, wo ich zunächst von zwei Hühnerfarmern auf ein Glaswasser eingeladen werde. Anschließend treffe ich auf ein älteres Ehepaar, die fast zwanzig Jahre ein Griechisches Restaurant in Paderborn betrieben haben und jetzt in dem Ort eine Taverna haben, die sie aber augenscheinlich nur bei Bedarf öffnen. Hier bekomme ich noch eine Limo und Wasser.

So versorgt, muss ich aber tatsächlich schauen, dass ich ein Platz für meine Nacht finde. Am Himmel brauen sich dunkle Wolken zusammen, die das Potenzial auf Regen haben. Ich möchte das Zelt nicht im Regen auf nassem Untergrund aufbauen. Das möchte ich schon lieber im Trockenen machen.

Mit dem Platz für mein Zelt ist das gar nicht so einfach, da die Straße durch eine Schlucht führt. Hier ist nichts eben. So laufe ich weitere fünf Kilometer, bis ich etwas passendes finde. Kaum habe ich das Zelt aufgebaut und meinen Schlafplatz eingerichtet, kommt ein Schäfer vorbei, der mir bedeutet, dass er gleich mit seiner Herde vorbeikommen wird. Ich höre schon von Anfang an Kuhglocken, bin aber nicht davon ausgegangen, dass man auch Kühe von Wiese zu Wiese treibt. Kurze Zeit später kommt die Herde und bringt leider Fliegen mit, die die Tiere nicht komplett mitnehmen. So sausen, wie schon am Morgen, Scharen von Fliegen um mich herum. Selbst Autan beeindruckt diese nervenden Insekten nicht.

Da ich heute am Ende mehr als 35 Kilometer gewandert bin, sind es Morgen nach Kalambaka nur noch gut 20 Kilometer. Dort buche ich in einem hübschen Hotel ein Zimmer mit Blick auf Meteora für zwei Nächte. So habe ich etwas Zeit, mir Meteora anzuschauen und durch die dortigen Berge und Schluchten zu wandern sowie mich etwas zu erholen für die nächste Etappe bis nach Delphi.

Tag 13: 16.05.22

Der Tag fängt gut an: In Elassona komme ich an einer unscheinbaren Apotheke vorbei. Ohne große Hoffnung gehe ich rein und frage, ob sie „meine“ Sonnencreme haben – In Litochoro hatte ich Nachschub erworben, die tut meinen Augen aber garnicht gut. Sie erzeugt, wenn ich schwitze einen schmerzenden Druck im Auge. Ich denke, sie ist zu zäh von ihrer Viskosität – Tatsächlich hat der freundliche Apotheker meine Lieblingscreme, zwar mit der Aufmachung, die vor zwei Jahren bereits geändert wurde, das stört mich aber gar nicht. Der Tag kann nur gut werden.

Ich habe mir in einem Dorf in den Bergen ein Zimmer gebucht. Das einzig auf dem Weg nach Kalambaka. Das bedeutet dreißig km. Zwanzig davon in der Ebene; so auf 150 Höhenmeter, mal auf Feldwegen mal auf einer nicht viel befahrenen Straße. Ich komme gut vorwärts, nachdem ich gestern einen ruhigeren Tag eingelegt hatte. Die letzten zwanzig Kilometer sind allerdings echt tough. Es geht wieder hoch auf ungefähr 900 Höhenmeter. Die Sonne ist heute unerbittlich und es wird 29 Grad warm. Was das in der Sonne bedeutet weiß ich nicht so recht. Ich schwitze als säße ich in der Sauna.

Ich mache daher zweimal Pause. Das erste Mal nach gut zehn Kilometern. In dem einzigen Dorf unterwegs gibt es eine Bar. Auf deren Terrasse eine Vielzahl älterer Männer sitzen und mich anglotzen als ich meinen Rucksack stöhnend absetze und mich auf einen Stuhl fallen lasse. Vom Dach, wo gearbeitet wird, schaut jemand runter und fragt, ob ich Deutscher sei. Erneute Begrüßung auf Deutsch. Die alten Männer, helfen mir die eigentliche Bar zu finden. Die Terasse gehört nicht dazu, was ich so nicht verstanden haben. Keiner von uns versteht ein Wort. Mir ist aber durch Gesten klar, wo ich hin muss. Ich bestelle einen Kaffee und eine Limo. Als der Kaffee fertig ist kommt der Mann vom Dach in die Bar. Er war als Kind Anfang der 70er in Tübingen und spricht dafür, dass er schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr in Deutschland war hervorragend Deutsch. Wie immer werde ich interviewt, was ich zu Fuß mit einem Rucksack mitten in Griechenland mache. Ich muss ausführlich erzählen. Es wird übersetzt und es gibt nur Ungläubigkeit. Das hat mehrere Gründe: So weit freiwillig zu laufen versteht keiner. Radfahrern wäre noch in Ordnung Laufen ist es nicht. Wie kann man so lange alleine unterwegs sein. Wie so ich das alleine mache, ist noch unverständlicher als Wandern. Zum letzten ist ihrer Meinung nach das viel zu gefährlich. Wenn was passiert in den Bergen, mit den wilden Tieren und den freilaufenden Hunden, habe ich keine Hilfe; so was macht man einfach nicht.

Nach fast einer Stunde Palaver gehe ich weiter. Auf den restlichen Kilometern hält jedes vorbeikommende Fahrzeug, unabhängig aus welcher Richtung, an und fragt, ob ich der Deutsche bin der freiwilliges nach Kalambaka wandert. Erstaunlich mit welcher Geschwindigkeit die Geschichte verbreitet hat. Bisher habe ich häufig angeboten bekommen, mich in die nächste Stadt mitzunehmen. Heute bekomme ich stattdessen Daumen hoch und freundliche Worte, die ich nicht verstehe, mit auf den weiteren Weg.

Das zweite mal pausiere ich nach gut zwanzig Kilometer an einem Flüssichen, in dem ich zu aller erst mal meine Füße abkühle und damit Schuhe und Strümpfe zum Trocknen in die Sonne lege kann.

Kurz nach dem ich den Flusslauf hinter mir liegen habe, fängt es an zu Gewittern und erst zu tröpfeln und danach immer wieder stark an zu regnen. Der Regen kommt in Wellen. Nach Kurzem bin ich durch und durch Naß. Das Wasser läuft durch meine Schuhe. Zunächst ist das erfrischend, später fange ich an zu frieren. Als Konsequenz laufe ich immer schneller und komme somit schneller voran als gedacht. Unangenehm finde ich, das entlang meines Weges mal kreuzend, mal parallel, mal näher und mal weiter entfernt Hochleitungskabel verlaufen, in die Blitze mehr als einmal einschlagen.

Kurz vor meinem Ziel beruhigt sich das Wetter wieder. Eine Schildkröte liegt auf dem Weg auf den einige Sonnenstrahlen fallen, krabbelt aber schnell weg als ich näher komme.

In dem Dorf habe ich meine Schwierigkeiten, die Pension zu finden. Ich habe die Geo-Koordinaten eingegeben aber es gibt keinenHinweis, ob ich richtig bin. Ein Nachbar kommt heraus, ich versuche, zu fragen, ob ich richtig bin. Ein Wortschwall geht auf mich wieder und wieder nieder. Ich verstehe lediglich Germania und glaube, der Besitzer, des Hauses sei in Deutschland. Den Namen der Pension selbst in Griechisch kennt er nicht. Ich ruf die Nummer an, die auf Booking.com angegeben ist. Tatsächlich spreche ich mit dem Besitzer. Nach einigen Verwirrungsbeiträgen ist klar, ich bin am richtigen Haus und die Schlüssel liegen bereit. Ich gehe rein: das Ganze ist eine Katastrophe. Das Zimmer ist ein Loch. Ich brauche eine Weile, um das „Badezimmer“ zu finden. Es ist außerhalb in einem Kellerverlies. Im Zimmer gibt es eine Küchenzeile. Dort lasse ich das Wasser laufen, damit ich meine nassen Klamotten gleich in der Spüle waschen kann. Es kommt nur kein Wasser. Es fängt kurz an zu tröpfeln, dann kommt schwarzer Sand und dann nichts mehr. Im Bad das selbe. Hier fehlt der schwarze Sand. Das Abwasserrohr ist mit Klebeband fixiert. Fenster können nicht geschlossen werden, da sie ebenfalls mit Klebeband in offenen Zustand fixiert sind. Der Fußboden ist aufgequollen. Na hier fühle ich mich aber super wohl. Erzürnt, nackt mit Badetuch bekleidet rufe ich wieder den Besitzer an, der so tut als könne das gar nicht sein. Er verrät mir zwar nicht wo er ist aber so weit weg, dass er nicht selbst kommen kann. Aber seine Großmutter wohne im Dorf und würde das Wasserproblem lösen. Was teilweise nach mehr als einer Stunde gelingt. Ich immer noch mit meinem Badetuch umschlungen. Während ich dann dusche, kommt Großmutter immer wieder vorbei, um verschiedene Probleme zu lösen. Es ist ihr völlig egal, dass ich, da sich die Tür nicht schließen lässt, unter der Dusche stehe und geht im Zimmer umher.

Versöhnlich stimmt mich, dass der Ortskern ausgesprochen hübsch hergerichtet ist und ein aktives Leben statt findet. Es gibt sogar einen Supermarkt. Dort kaufe ich ein, was ich für ein Frühstück brauche. Es kann nichts mehr schief gehen. Hoffen wir mal, das die Betten sauber sind und mich keine Tierchen plagen werden.

Tag 12: 15.05.22

 

Ohne Frühstück darf ich nicht weg. Die Frau des Hoteliers – zumindest nehme ich das an – sitzt rauchend auf der Veranda und will mich nicht ohne Frühstück ziehen lassen. Dann kommt der alte Mann, der mir gestern mit dem Telefonieren geholfen hat, um sich zu verabschieden und als ich tatsächlich den Rucksack schultere kommt auch der Hotelier angefahren, um auf wiedersehen zu sagen. Sehr nett!

Obwohl alles sehr einfach gehalten ist, so habe ich mich dennoch im Hotel wohlgefühlt. Jetzt geht es aber nach Kalambaka bzw. zu den Meteora Klöstern. Heute habe ich mir nur einen kurzen Weg ausgesucht, da ich etwas Kraft tanken muss und zum anderen, da es vermutlich nur in Elassona ein Hotel gibt auf dem Weg nach Kalambaka. Ich fürchte, wenn ich nicht große Umwege gehe, dann werde ich wohl zweimal im Zelt kampieren müssen.

Vom Hotel geht es auf einem Feldweg aus dem Ort. Ich muss eine Hügelkette überqueren, um an mein heutiges Ziel, einer Pension am Fluß etwas außerhalb von Elassona zu gelangen. Bis auf 900 Meter muss ich hoch.

Der Weg ist, trotz der gut 500 Höhenmeter, ein Vergnügen. Es geht über Wiesen, durch Wälder vorbei an allen möglichen Getier. Auch eine Schlange kreuzt den Weg.

Da es zur Pension noch einmal tüchtig nach oben geht, komme ich verschwitzt dort an. Es ist richtig hübsch hier: sowohl von der Lage am Fluss als auch vom Haus her selbst. Ich habe ein Zimmer im EG mit einer Terrasse davor, so dass ich den Nachmittag dort verbringen kann. Wifi mit hinreichend Speed gibt es auch. Nur zum Abendessen muss ich zurück in die Stadt.

So jetzt plane ich mal die nächsten Tage bis nach Kalambaka.

Tag 11: 14.05.22

 

Heureka – was für ein Tag!

 Ein Blick zurück auf die Hütte

Nach einer kalten, unruhigen Nacht – Shared Bedrooms und ich, wir werden keine Freunde mehr werden – und einem sehr einfachen Frühstück auf der Hütte, interviewe ich die Hüttenwirtin noch einmal, wie sie die Situation einschätzt. Heute Morgen ist sie deutlich zugänglicher. Sie hält eine Überquerung des Olymp Massivs für möglich aber schwierig. Sie zeigt mir auf der Karte, wo ich im Notfall eine Schutzhütte finde, und bleust mir ein, dass das Wetter schlecht wird. Ich muss mich auf Nebel einstellen und brauche deshalb unbedingt ein GPS und ich soll spätestens um 15:00 Uhr runter vom Berg sein, da zu dieser Uhrzeit heftige Gewitter angekündigt sein.

So mache ich mich auf den Weg: ab der Hütte geht es steil bergan, zunächst überhole ich ein Pärchen, das mir aufgefallen ist, da die beiden voll equipt sind für eine solche Bergtour. Dieses muss natürlich auch genutzt werden: Sie legen bereits ihre Spikes an. Nach einer weiteren halben Stunde schließe ich auf eine 6er Gruppe Polnischer Männer auf, die gestern Abend erzählt haben, dass sie alle 4 Gipfel erklimmen wollen. Ich wünsche ihnen noch viel Spaß und ziehe davon. Kurz darauf trennen sich die Wege. Es scheint bisher niemand in dieser Saison eine Überquerung angegangen zu sein, denn es gibt keine Spuren im Schnee und ich muss mir selbst einen Weg und eine Spur suchen. Der Schnee ist zum Teil sehr tief. Schnell wird mir klar, folge ich dem Weg gemäß meines GPS dann wird mich der Schnee in Kürze fertig gemacht haben. Ich muss mir eine Alternative überlegen. Ich schaue mir den Schnee genau an, wo er gefroren ist, wo sich in Senken der Schnee gesammelt hat etc. Ich beschließe dann einen etwas abgelegeneren Gipfel etwa zu drei viertel zu erklimmen, da es dort immer wieder Geröllfelder gibt. So kann ich einen großen Teil eines etwa drei Kilometerlangen Schneefelds, das sehr tief wirkt, weitgehend umgehen. Etwa hundert Meter muss ich Spuren. Als ich auf dem Kamm ankomme bin ich völlig fertig. Ausruhen kommt aber aufgrund der Wetterlage nicht in Frage. Ich laufe, wie vorhergesagt, oft durch dichten Nebel und dann wird die Gewittervorhersage auch nicht falsch sein.

 Der Weg über das Olymp-Massiv ist kein Zuckerschlecken

 Bis auf über 2.700 Meter muss ich hoch – so angestrengt sehe ich dann aus

Während ich mich durch den Schnee kämpfe und immer wieder auf dem Geröll ausrutsche, geht mir durch den Kopf, dass sich Zeus und Athene nicht gerade einen wirtlichen Ort ausgesucht haben. Ab der Baumgrenze feinstes Geröll und natürlich Schnee, der teils den ganzen Sommer über liegen bleibt. kein Wunder, dass sich die Götter immer wieder in schöneren Gegenden mit Sterblichen vergnügt haben, um all die Halbgötter zu zeugen. Auch wenn ich keinen der Götter gesehen habe, scheinen sie nicht gerne gestört zu werden. Denn es gibt weder auf der einen noch auf der anderen Seite ein Datensignal. Aber so ganz zur Ruhe kommen sie bestimmt nicht, denn es gibt doch eine Reihe Bergsteiger, die die Gipfel erklimmen, was in der Antike wohl nicht der Fall war. Wie gesagt Götter habe ich nicht gesehen aber sie waren am Ende doch sehr wohlwollend mit mir.

Nach drei Stunden Aufstieg bin ich oben auf dem Kamm, den ich überschreiten muss. Auf der Westseite hat es noch mehr Schnee als auf der Ostseite des Massivs. Ich gleite auf meinen Schuhen den Berg hinunter. Das geht prima; hier ist der Schnee meist an der Oberfläche fest gefroren. Ich breche zwar gelegentlich ein, das tut der Freude an der „Abfahrt“ keinen Abbruch.

Kurz unterhalb der Schneegrenze – zumindest ab dem Bereich in dem das Geröll überhand nimmt, komme ich an der Schutzhütte vorbei. Eine Gruppe Jugendlicher Griechen, die das Wochenende in den Bergen verbringen wollen, haben ordentlich Spaß. Sie laden mich ein mit ihnen zu trinken. Das lehne ich dankend ab. Sie wollen hoch auf eine der geschlossenen Hütten. Sie haben Zugang dazu. Allerdings bezweifele ich, dass sie in dem Zustand und bei dem Weg, der noch vor ihnen liegt, in der Hütte ankommen werden. Ich vermute, das Wochenende wird in der Schutzhütte verbracht.

Jetzt geht es steil an einem Lift nach unten. Späte stoße ich auf eine Straße. Es gibt keine Alternative. Fast 20 km muss ich eine Passstraße nach unten. gelegentlich Kürze ich über Almwiesen ab. Die sehe so aus wie in den Alpen auch. müde liegen Kühe auf der Weide und auch immer wieder komme ich an freilaufenden Esel und Pferden vorbei.

Ein Hotel ist heute eigentlich ein Muss. Auf Booking.com finde ich in annehmbarerem Umkreis nichts. Google Maps zeigt ein einzelnes Hotel in einem kleinen Dorf an. Bisher habe ich mich auf die Google Maps Eintragungen in Griechenland nicht verlassen können. Heute baue ich sehr darauf, dass dieses Hotel tatsächlich existiert. Als ich es nach 27 km erreiche, sieht das Hotel zwar bewohnt aus, ist ist nur niemand da. Ich laufe trotzdem auf das Gelände, vielleicht sitzt jemand im Schatten und genießt den Samstag Nachmittag. Aber tatsächlich hier ist niemand, die Türen hängen schief in den Angeln, Plastikfolie schützt einen Restaurantbereich. Ich mache mich auf eine Nacht im Zelt bereit. Ich suche das Restaurant, das in Google Maps eingetragen ist. Das existiert nicht. Ich gehe die Hauptstraße weiter. Ich komme an einem Haus mit einer Kühltruhe und zwei Frauen, die sich an einem windschiefen Tisch sitzend unterhalten vorbei. Die Kühltruhe lässt mich fragen, ob ich Wasser kaufen kann, denn das brauche ich dringend, wenn ich im Zelt schlafen muss. Eigentlich auch Strom und Essen. Ich frage, ob ich eine Chance auf ein Restaurant habe. Das wird bejaht. Drei Kilometer außerhalb des Ortes. Da bin ich tatsächlich vorbeigekommen. Das sah für mich eher nach einem Grillplatz aus. Ich frage, nach dem Hotel und warum das geschlossen ist – btw. die Unterläuft auf Griechisch Deutsch: d. h. DeepL als Übersetzer – ich bekomme die Empfehlung um 18:00 Uhr es noch einmal zu versuchen. Dann sei der Besitzer sicher da. Ich mache mich schon mal auf den Weg. Das Wasser und die Fantas, die ich gekauft habe, kann ich im Garten des Hotels schon mal trinken. Als ich wieder zurück bin, sehe ich einen alten Mann mit Gartenpflege beschäftigt. Ich versuche ihn anzusprechen, er ist allerdings schwer hörig. So muss ich schon antippen damit er mich wahrnimmt. Er macht klar wir sollen uns auf die Mauer setzen und dann versucht er mit meinem Handy, das ihn völlig überfordert einen Anruf zu tätigen. Das bekommt Slapstick Charakter, da er immer und immer wieder die selbe Nummer anruft, aber die Ansage lautet, „die Nummer ist nicht vergeben“. Das kann er natürlich nicht verstehen. Ich muss ihm das Handy regelrecht entreißen, um ihm mit DeepL mitzuteilen, was die Dame sagt. Denn versucht immer wieder auch mit ihr zu sprechen. Letztlich funktioniert es, als ich die Landesvorwahl eingeben darf. Fünf Minuten später kommt der Besitzer, der behauptet er spreche Deutsch, d er Tübingen, Stuttgart und Wuppertal gearbeitet habe. Deutsch ist das jedenfalls nicht. Anyway ich bekomme  ein Zimmer. Sehr einfach aber mit warmen Wasser, so dass ich Wäsche waschen kann, was nach der letzten Nacht, in der ich alles was ich mit habe, anhatte, unbedingt notwendig ist und Strom gibt es auch, so dass ich alle Geräte und Powerbanks wieder laden kann. Wifi gibt es auch. Das ist die nächste Herausforderung: wie schreibt man das Passwort in lateinischen Buchstaben. Ist belanglos, das Wifi ist genauso langsam wie die Handy Verbindung und damit ist an Bilder hochladen garnicht zu denken. Die Götter wollen wohl nicht, dass im umliegenden Land sich die Menschen ablenken lassen von den modernen Medien.

 Das Hotel von der Straße

 Der Innenhof des Hotels

Der Wirt bietet auch Abendessen ab 20:00 Uhr an. Sensationell!

So und Morgen gibt es tatsächlich mal einen ganz einfachen Wandertag, der mich näher an Kalabaka (Meteora Klöster) bringt. Aber so weit will ich noch gar nicht denken.

Tag 10: 13.05.22


Wie geplant mache ich mich um kurz nach sieben an den Aufstieg. Ich brauche über vier Stunden bis zu meinem Zwischenziel auf 1.100 Meter. Das Restaurant dort hat heute zum erstgenannten in dieser Saison offen. Mein Glück, so bekomme ich eine Bohnensuppe und auch hinreichend zu trinken.

 Ein Blick zurück: das Meer

 Ein Blick nach vorn: der Olymp

Es schwirren viele Touristen rum, da man mit dem Auto bis hier hoch fahren kann. Interessant was ich alles so beobachten kann: eine Familie ich gehe von drei Generationen aus wollen offensichtlich eine Wanderung unternehmen. Bis zum Aufbruch dauert es allerdings. Erst wird ein Kleinkind in den Kinderwagen gesetzt und der Vater trägt zwei Rucksäcke und schiebt den Kinderwagen. Nach nicht einmal fünf Minuten kommen alle wieder zurück und der Kinderwagen wird ins Auto gebracht. Das Kleinkind wird vor dem Bauch getragen. Die Mutter – im übrigen – trägt Plateauschuhe und hat ein Shirt mit einem schon fast obszönen Ausschnitt an. Jetzt geht es aber wirklich los. Nicht lange kommen Mutter und Oma zurück. Oma wird ins Restaurant verfrachtet: nächster Aufbruch. In der Zwischenzeit läuft eine Frau in Flipflops an meinem Tisch vorbei und macht sich an den Aufstieg. Super: einmal Plateauschuhe und einmal Flipflops. Ungefähr zwanzig Minuten später breche ich auf. Die Familie hole ich nach knapp zehn Minuten ein. Mutter hat keine Lust mehr und keift Mann und zweites Kind an. Ich grüße freundlich und bin sicher, es wäre für alle besser sie gingen zurück. Nach weiteren zehn Minuten kommt mir Frau Flipflop entgegen. Ich bin überrascht, wie weit sie mit diesen „Schuhen“ gekommen ist.

 Mein Weg entlang eines Flusses. Mal wild …

 … mal ganz langsam

 … und mal muss er überquert werden

Erstaunlich viele Leute aus vielen Europäischen Ländern kommen mir entgegen. Ich werde auf Italienisch, Französisch, Englisch und natürlich auf Deutsch gegrüßt. Auch ein Grieche ist dabei, er reitet auf einem Esel und vier weitere Tiere im Schlepptau. Wie später erfahre wird die Hütte über diesen Weg versorgt. Man kann auch einen Esel auf der Zwischenstation in der Saison mieten, damit er das Gepäck nach oben auf die Hütte trägt. Ich muss meinen schweren Rucksack, da keine Saison ist, selber tragen.

 Die Supply Chain zur Hütte funktioniert

Nach weiteren drei Stunden bin ich oben auf 2.100 Meter. Hier hängen erstaunlich viele Leute rum. Zu meiner Überraschung bleiben die meisten für die Nacht und , während ich mich im Aufenthaltsraum versuche aufzuwärmen, kommen weitere Übernachtungsgäste an.

Die Hütte ist ziemlich primitiv und kalt. Sie hat zwei Aufenthaltsräume. In beiden brennt ein Kaminfeuer, trotzdem bleiben die Räume kalt. In meinen Fingern habe ich kaum Gefühl.

Die Hüttenmannschaft spricht fließend eine Reihe der wichtigen Europäischen Sprachen. Ich werde sofort auf Deutsch angesprochen. Man ist freundlich aber es ist klar, hier handelt es sich um eine Massenabfertigungseinrichtung und alles ist ausgesprochen unpersönlich. Ich muss immer wieder feststellen, das können die Österreicher und Südtiroler einfach besser.

Es gibt zwar Wifi, das System scheint so überlastet zu sein, dass ich keinen stabilen Zugang aufbauen kann. Meine Geräte zeigen zwar 4G mit einem Balken Signalstärke an. Trotzdem habe ich dem Grunde nach keinen Internetzugang, nichtmal Google-Maps baut eine Karte auf, weshalb ich keine Planung für Morgen machen kann.

Mit der Hüttenwirtin habe ich kurz gesprochen, ob ich den E4 weiter gehen kann. Außer dass viel Schnee liege, erfahre nicht wirklich etwas Neues. Dass viel Schnee liegt, weiß ich natürlich selbst: ich brauche nur nach draußen zu gehen und schon stehe ich mitten im Schnee. Auf dem Weg zur Hütte ging der Weg die letzten ca. 150 Höhenmeter fast ausschließlich durch den Schnee.

Ich habe also keine Ahnung, was ich Morgen mache: riskiere ich eine Überquerung des Olymp-Massivs oder kehre ich um und umlaufe das Bergmassiv.

Tag 9: 12.05.22

 

Das Ehepaar, das das Hotel, on dem ich übernachtet habe, betreibt, bereitet mir ein tolles Frühstück mit dem hier typischen Toast: mit Schinken und Käse dazu Spiegelei und gebratenem Speck. Frisches Obst mit Griechischem Joghurt bekomme ich auch noch. So gestärkt ist meine Stimmung gut.

Ich bin noch nicht richtig aus dem Strandbad raus treffe ich auf einen älteren Mann, der seine beiden Hunde spazieren führt. Ich grüße höflich. Das führt dazu, dass mich der Mann in ein Gespräch verwickelt und mir erzählt, dass er 40 Jahre in Hamburg gelebt hat und froh ist jetzt wieder zurück in Seiner Heimat zu sein. Ihm war in Deutschland alles zu geordnet und reguliert. Böse ist er auch, dass zu Beginn seiner Zeit in Deutschland, er deutlich schlechter bezahlt wurde als die Deutschen Kollegen. Später hat er sich selbständig gemacht und gibt zu, es war eine gute Zeit. Auf die Griechischen Politiker ist noch verärgerter als über die Deutschen. Was er beklagt, klingt als hätte ein Deutscher gesprochen. Vierzig Jahre hinterlassen halt doch ihre Spuren, auch wenn er das nicht gerne zuzugeben scheint.

 Der Olymp kommt immer näher

 Zwischen Autobahn und Strand: Flüsse

Heute laufe ich zwischen Autobahn und Strand – mal näher an der Autobahn, mal näher am Strand. Außer dem einen oder anderen Bauernhof ist hier nichts. Ich rieche schon von Ferne, ob auch Tiere gehalten werden. Es scheint mir, dass es hier reichlich Augias Ställe gibt, die Herkules ausmisten müsste.

Nach 20 km komme ich wieder an einen breiten Strand, an dem ein toll in die Landschaft eingebundenes Hotel liegt. Der weiblich Teil der Familie ist am Putzen und Streichen. Ich frage, ob ich etwas zu trinken bekommen kann. Es scheint man freut sich einen Gast bedienen und die Streicharbeiten unterbrechen zu können. Ich mache es mir auf der Terrasse gemütlich und trinke neben einer Limo einen Griechischen Kaffee.

 Auf dem Weg nach Litochoro …

 … eine Herde Ziegen – ein Selfie mögen sie nicht …

Danach überquere ich die Autobahn und es geht stetig bergauf zurück in die Berge. Mein Ziel ist Litochoro. Von hier aus geht es in das Olymp Massiv. Eine Hütte, die einzige, die bisher offen hat, liegt auf etwas über 2.000 Meter. Dort habe ich schon mal ein Bett gebucht. Den Weg hoch überlege ich mir wie ich den Olymp angehe:

Variante 1: ich gehe in einem Zug von Litochoro auf die Hütte, ich bin mir allerdings nicht sicher, ob ich das schaffe

Variante 2: ich gehe zu dem Restaurant, das auf 1.100 Meter liegt und der typische Ausgangspunkt ist, da man bis dorthinauf mit dem Auto fahren kann. Dort könnte ich sicher kampieren und dann am nächsten Tag die restlichen 1.000 Meter angehen. Als Konsequenz müsste ich meine Übernachtung auf der Hütte verschieben, was sicher möglich ist

Variante 3: ich fahre mit dem Taxi bis zum Parkplatz/Restaurant auf 1.100 Meter und gehe von dort den restlichen Weg

Variant 2 und 3 gefallen mir nicht, sind aber kräftetechnisch die sichere Lösung. Ich schwanke hin und her. Im Hotel in Litochoro wird mir quasi die Entscheidung abgerungen. Es gibt Frühstück erst ab 08:00 Uhr. Mit Frühstück kann ich erst um 08:30 Uhr starten und dann gibt es nur noch V2/V3. D. h. V1 würde nicht mehr in Frage kommen. Entsprechend entscheide ich mich, auf das Frühstück zu verzichten und um 07:00 Uhr aufzubrechen. Dann sollte ich um 11:00 Uhr am Restaurant sein. D. h. Dort kann ich ein verspätetes Frühstück einnehmen und bekomme dadurch hinreichend Pause für den zweiten Abschnitt. Das bedeutet, damit meine Stimmung am Morgen gut wird, muss ich mir ein paar Kleinigkeiten besorgen, die ich vor dem Start essen kann. So soll es sein.

 … Litochoro in den Berg gegen das gleitende Licht

Im Ort gehe ich in ein Bergsportgeschäft, um mal zu hören, ob der Olymp überquert werden kann. Dabei erfahre ich, dass die Hütte gestern erst aufgemacht hat und die Wirt informiert hat, dass es noch viel Schnee hat – es habe außergewöhnlich viel Schnee im Winter gegeben und das hätte bis heute Auswirkungen. Weiter höre ich, dass die Weg bereits vom Bruchholz, so viel gab es wohl auch noch nie, geräumt sei und man einen Weg durch den Schnee zur Hütte bereitet habe. Nachdem ich erzählt habe, dass ich das Massiv auf dem E4 überqueren möchte, wird mir eine Aufbesserung meines Equipments strengstens nahegelegt. Da ich keine wasserfesten  Schuhe habe bekomme ich Gorotexstrümpfe – so etwas habe ich bisher noch nicht gesehen, wirken eher wie weiche Schuhe als Strümpfe – und Spikes. Die hasse ich schon jetzt, da die bestimmt ein Kilo wiegen. Entweder verstehen die Inhaber des Geschäftes wie man verkauft oder die Überquerung des Olymp wird nicht nur Freude bereiten.

 … der zentrale Platz 

 … im Ort: endlich ein Ort, de sich adrett präsentiert 

Jetzt schaue ich mir das Städtchen noch ein bisschen an, während ich auch meine Einkäufe erledige. Es sieht deutlich adretter aus als die bisherigen Orte durch die ich gekommen bin. Die Lage ist natürlich sensationell~ kaum 5 km vom Meer entfernt und am Fuße eines 3000er auf etwa 300Meter gelegen. Der Blick in welche Richtung auch immer ist sensationell.

 Vom Hotelzimmer-Balkon im Abendlicht ein Blick aufs Meer