Tag 19: 26.06.19

Castro —> Santa Maria Di Leuca (Santa Maria de Finibus Terrae)

Heute ist mein letzter Wandertag und es wird einer der schönsten, was den Weg und das Landschaftsbild angeht. Lange Zeit pilgere ich hoch über der Küste mit Blick aufs Meer. Hier gibt es Pflanzen, die ich bisher noch nie gesehen habe. Klar dominiert der Olivenbaum, viele Nussbäume gibt es und zum Ersten mal sehe ich, dass unterschiedlichste Gemüse wie Zucchini und Cherrytomaten angebaut werden. Die eine oder andere reife Tomate wandert in meinen Mund: lecker.

Auch wenn es das eine oder andere bunte Haus gibt, so sind die Gebäude eher alle weiß bzw. ein vom Wetter vergilbtes weiß. Die Gebäude sind kubisch – der rechte Winkel bestimmt das Bild. Die Fenster sind klein. Das Stadtbild ist so gar nicht mehr Italienisch.

Der dreirädrige Pickup als Lastentransportmittel mit Zweitaktmotor ist hier nicht tot zu kriegen, obwohl er stinkt, ungeheuerlich lärmt und sicher auch alles andere als komfortabel ist. Es scheint ein Fahrzeug ausschließlich für Männer zu sein. Nicht einmal sehe ich eine Frau ein solches Dreirad fahren.

 

Nach gut 30 Kilometer sehe ich vor mir den weißen Leuchtturm auf der linken und Leuca auf der rechten Seite. Zunächst gehe ich nach links auf den Leuchtturm zu, wo die Basilika Santuario Santa Maria hoch über dem Meer schwebt und das Ende der Welt markiert. Neben der Basilika steht eine Statue von „unserem“ Papst – Benedikt der XVI. Der Platz ist beeindruckend, warum er als das Ende der Welt bezeichnet wird, kann man verstehen, obwohl man schon in der Antike wußte, dass die Welt hier sicher nicht zu Ende ist und auf der anderen Seite des Mittelmeers zu erobernde Länder existieren.

Hier also endet meine Pilgerschaft. Ich bin ein Pilger, ein peregrinus im Sinne des Lateinischen Wortes Fremder bzw. jemand der sich in der Fremde befindet. So möchte ich den Begriff Pilger verstanden wissen und nicht im Sinne des Kirchenrechtes, jemand der Buße tut oder eine Reliquie verehrt. Auch wenn eine solche Pilgerschaft mit Entbehrungen, Schmerzen und einer gewissen Form der Selbstkasteiung zu tun hat, hat sie für mich nichts religiöses und schon gar nichts kirchliches. Für mich ist es eher eine Reinigung des Gehirns mit der Möglichkeit allen Unrat, der sich im Kopf gesammelt hat, raus zu waschen. Dem kann man selbstverständlich auch etwas religiöses zusprechen, das will ich nicht leugnen. Ich frage mich nicht zum ersten mal auf einer Tour durch die Natur, wer hat dafür die Spielregeln aufgestellt. Die Natur ist so wunderschön und doch auch so grausam. Uns ist oft nicht bewußt, wie fragil unsere Gesundheit und unser Leben ist, da wir keine natürlichen Feinde mehr haben und in dem Glauben leben, eine rundum Versicherung für unser Leben und alle Lebenslagen zu besitzen, in der es keine Risiken gibt bzw. tritt ein Risiko ein, so muss jemand anderes schuld sein.

Reist man, wie ich das gelegentlich tue, mit 5 km/h, setzt man sich der Natur aus und spürt, wie klein und verletzlich man doch ist im Vergleich zur Unendlichkeit der Natur. Das erdet und ich zumindest lerne wieder „to be humble“. Was nichts anderes bedeutet, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen, sich mit dem Fremden auseinanderzusetzen und sich auf die Grundbedürfnisse wie essen, trinken, schlafen zu konzentrieren. Bei mir erzeugt das ein Reset und ein Reboot: der Cache wird gelöscht und alle Systeme funktionieren wieder.

Damit beantwortet sich die Frage, warum mache ich das und lege mich nicht z. B. auf Phuket am Strand in die Sonne, was ich natürlich auch gerne mache. So und nun geht es wieder nach Hause!

Tag 18: 25.06.19

Martano —> Castro

Heute ist der Weg durch kleine, meist nicht sehr gepflegte, mittelalterlich wirkende Ortschaften gekennzeichnet. Die Dörfer haben einen anderes Stadtbild wie bisher. Auf mich wirken sie wie Mexikanische Städte in einem Italo-Western.

Die Sträßlein sind fast alle asphaltiert; doch muss ich mir manchmal meinen Weg durch Oliven- und Feigenbäume suchen. Auffällig ist, dass im Süden Italiens alle Wege, auf denen ein Auto fahren könnte, asphaltiert sind. Das war vor zwei Jahren in der Toskana und im Lazio ganz anders. Dort sind die Nebenstraßen Staubpisten. Diese haben mir damals sehr zugesetzt, da die Autofahrer rücksichtslos an mir vorbei gerauscht sind und mich in dicke Staubwolken eingehüllt haben. Die Vermutung liegt nahe, dass der Struktur schwache Süden strak subventioniert wird und nicht unbedingt immer das Geld in die besten Projekte investiert wird.

Während meines Frühstücks buche ich endlich auch für Donnerstag einen Mietwagen in Lecce. Noch immer weiß ich nicht wie ich dort hin komme. Laut Google Maps gibt es eine Busverbindung. Google schreibt allerdings auch: „we don’t have the most recent timetables for this area“. Was auch immer das bedeutet. Ich kann sonst im Internet keine Verbindung nach Lecce finden. Ein Ticket kann ich also auch nicht erwerben. Also buche ich vorsichtshalber in Leuca ein „richtiges“ Hotel, das auf deren Homepage hinweist, dass sie Airport Shuttle Services anbieten. Ich hoffe, dass mir das Hotel entweder bei der Buchung eines Bustickets oder bei der Organisation eines Shuttle Services, zwar nicht zu einem Flughafen, behilflich sein kann. 

In der ländlichen Gegend sind scheinbar Einkaufsmärkte a la Kaufland ein Publikumsmagnet. Zu meiner Überraschung nimmt nämlich der Verkehr stark zu und ich kann mir das aufgrund der Straße nicht erklären – bis ich zu einem Einkaufszentrum komme. Sternförmig fahren für die Gegend ungewöhnlich viele Autos in Richtung des Einkaufszentrums. Ich muss beim Wandern höllisch aufpassen, dass ich nicht von Autos erfasst werde. Es wird schnell gefahren und überall, unabhängig, ob der Verkehr oder die Sicht es zu lassen, überholt. Da ich auf den schmalen Straßen damit ein Hindernis für die kaufwilligen Fahrer(innen) bin, werde ich permanent angehupt. 

Da mir das zu bunt wird, weiche ich wieder durch Olivenhaine aus. Das kostet mich zwar am Ende. Fast zwei Kilometer, macht das Pilgern aber deutlich angenehmer. Wie ich so zwischen den Olivenbäumen durch gehe, fällt mir erst jetzt auf, dass ich ich abends zum Essen erstaunlich wenige Oliven erhalte. Man müsste erwarten, dass es zu allem, passend oder nicht, Oliven gibt. Das ist aber nicht der Fall. Im besten Fall gibt es mal die eine oder andere als Deko. Auch das Olivenöl, das zum Salat gereicht wird, ist meistens ein Industrieprodukt. 

Castro ist ein schöner Ort, der etwas erhaben über dem Meer liegt, sehr touristisch aber eben deshalb auch sehr nett. Am Abend, als ich zum Essen gehe, wunderschön von der untergehenden Sonne angestrahlt mit einem ausnehmend fantastischen Blick auf die Adria.

Tag 17 – 24.06.19

Masseria Solicara-Gelsi —> Martano

Heute ist es windig. Nur selten setzt der Wind aus. Er bläst kräftig von Osten bzw. Süd-Osten. Das ist angenehm und macht es mir leicht mein Tagesziel Martano zu erreichen. Knapp 37 Kilometer mache ich heute. 

Erstes Zwischenziel ist Lecce. Auf die Stadt hatte ich mich gefreut, da es sich um eine sehr schöne mittelalterliche Stadt handelt und gut erhalten ist. Allerdings muss ich feststellen, dass die berühmte Basilika Di Santa Croce, vollständig mit einer bedruckten Folien eingehüllt ist, da sie renoviert wird. Hinein darf man auch nicht – schade. Dann gehe ich zur Kathedrale. Um diese zu dürfen, muss man erst noch eine Ticket irgendwo kaufen. Darauf habe ich nun wirklich keine Lust. Dann frühstücke ich lieber und esse ein leckeres Panino mit Pecorino und Prosiutto Cotto. Das gleiche will das Deutsche Paar am Nebentisch auch haben als sie mein Panino sehen. Er scheint Italiener und sie Deutsch – sehr hellhäutig mit zwei Kleinkindern ebenfalls hellhäutig. Den Dreien setzt sichtbar die Sonne zu und scheinen sich nicht wohl zu fühlen.

Nach Lecce geht es immer gerade aus durch Orte die eher Griechisch als Italienisch klingen wie zum Beispiel Calimera oder Greco nach Martano. Die Straße ist mal breiter und mal schmaler. Schmal würde völlig ausreichen. Hier fährt einfach niemand lang. kommt eine Auto, kommt garantier auch eins entgangen und treffen sich auf meiner Höhe, so dass ich auch noch ins Gras bzw. in den Müll, den die Straßen säumen, ausweichen.

Ich bekomme ein Zimmer in einem wunderschönen B&B, das von einem Pärchen geführt und wie er mir stolz berichtet, gerade selbst renoviert hat. Es ist tatsächlich ein Kleinod. Ich bekomme gleich auch per WhatsApp eine Besichtigungstour für den kleinen Ort, der einfach toll ist, zusammengestellt so wie Empfehlungen für Eis und das Abendessen.

Ich muss mich dringend um meine Rückreise kümmern, denn ich bin mir sicher, dass ich Übermorgen in Santa Maria Di Leuca ankommen werde und die Rückreise sich kompliziert darstellt, da es in Di Leuca weder Bahnhof noch Mietwagen gibt. Von einem Flughafen will ich erst gar nicht sprechen. Schau‘n wir mal, wie ich das organisiert bekomme.

Tag 16: 23.06.19

Brindisi —> Masseria Solicara-Gelsi

Als ich heute Morgen aufstehe kann ich es kaum glauben, es hat heute Nacht geregnet. Zumindest sind die Straßen naß und es sind dunkle Wolken am Himmel, die die Sonne aber bald vertreibt. Die Feuchtigkeit verdunstet schnell und erzeugt eine Dampfbad Atmosphäre.

Als ich eine Allee entlang wandere, werde ich zum Massenmörder: scheinbar ist so ein Dampfbad ideal für Mücken. Ich lauf durch Mückenschwärme, die auf meiner verschwitzten Haut und Klamotten kleben bleiben und sofort verenden. Ich bin bald schwarz von diesen Viechern und bekomme die vor allem ganz schlecht von der Haut runter. Sie ist durch Sonnencreme und Schweiß besonders klebrig.

Sobald ich raus bin aus den Ortschaften und runter von den Straßen wird die Natur erschreckend laut. Über all zirpt es, Käfer brummen, Vögel zwitschern, Echsen wuseln durch das Gras und alle möglichen Insekten geben Geräusche von sich – hier zumindest kann von Insektensterben nicht die Rede sein. Es gibt ein Insekt, das scheinbar nicht gut sehen kann, denn ich werde von diesem im Flug immer wieder getroffen und dieses Insekt heult dann regelrecht auf. Es sieht mir wie ein Käfer aus, bin mir aber nicht sicher. Das Geräusch, das es macht, wenn es mich trifft, habe ich vorher noch nie gehört und hat tatsächlich etwas von einem aufheulen und nicht nur von einem veränderten Brummen.

Obwohl ich heute nicht sehr motiviert aufgestanden bin und dachte ich mach mal etwas langsamer und vielleicht nur gut 25 Kilometer kann ich mich weder so richtig entscheiden, wo mein Ziel für ist und damit auch nicht so wirklich für den Weg. In einer Strandbar sitzend muss ich mich am frühen Nachmittag endlich entscheiden, bleibe ich an der Küste, dann ist übernachten kein Problem, oder, was eigentlich besser wäre, möglichst weit in Richtung Lecce pilgere, dann muss ich jetzt eine Übernachtung buchen, denn diese sind rar. Außerdem ist Sonntag und ich weiß nicht, ob die Leute ihre Buchungen lesen und ich Sie Vorort antreffe. Das ist mit den B&Bs immer so eine Sache. Schließlich entscheide ich mich für ein Agroturismo zwischen meiner Strandbar und Lecce.

Der Agroturismo, den ich nach 36 Kilometern erreiche, liegt im absoluten nichts. Um so mehr bin ich überrascht, was sich vor mir auftut, als ich durch das Tor trete. Hinter den hohen Mauern vor den Augen der Vorbeikommenden – fragt sich nur, wer hier vorbei kommt – liegt nicht ein Bauernhof mit Zimmern und Restaurant sondern eine Ferien- und Großveranstaltungsanlage mit Swimmingpool, Gästehaus, einer Reihe von Restaurants, Laubengänge mit Pavillons und und und.

Ich bin der einzige Gast heute. Ängstlich frage ich, ob ich hier auch Abendessen kann, da ich fürchte, dass für einen Gast niemand den Herd anwirft. Das ist aber kein Problem – Personal ist genug da und die müssen, wie mir versichert wird auch versorgt werden. Ich muss nur Vorlieb nehmen, mit dem was heute auf dem Speiseplan steht. Alleine in einem großen Restaurant bekomme ich ein viergängiges Menü serviert.

Tag 15 – 22.06.19

Torre Santa Sabina —> Brindisi 

Windig ist es heute und einige Wolken sind zu sehen. Das bedeutet aber nicht, dass das Pilgern weniger Schweiß treibend ist. Die Luftfeuchtigkeit scheint höher zu sein. 

Der Weg führt mich die ersten Kilometer durch Dünen und über Strände. Das ist zwar schön aber anstrengend. Meinen Füßen gefällt das ganz und gar nicht. Immer wieder habe ich Berge von Sand in den Schuhen. Das macht nicht nur die Füße schwer sondern reibt auf der eh schon gereizten Haut. Früh mache ich heute Pause, da ich später wieder an der Autobahn entlang wandern muss und dort es keine Bars gibt. 

Da habe ich mich getäuscht. Denn erst komme ich an einem Agriturismo vorbei. Als ich frage, bekomme ich selbst verständlich Café und auch Wasser. Einer der Herren setzt sich zu mir und fragt, warum ich mit Rucksack hier entlang laufe. Als ich ihm erkläre, dass ich nach Santa Maria di Leuca Pilger ist er ganz begeistert. Ich bekomme Kekse aufgefahren und muss mit ihm in seinen Garten, wo er eine Reihe von Obstbäumen stehen hat. Er fordert mich auf zu pflücken, was immer ich gerne hätte. Bescheiden nehme ich mir drei Aprikosen. Das geht für ihn gar nicht und er fängt an zu ernten und stopft mir anschließend das Obst in meinen Rucksack. 

Ich verabschiede mich und bedanke mich für die Gastfreundschaft. Ich werde mit bin einem Buon Camino auf die Reise geschickt. Es dauert keine fünf Kilometer und ich komme zu einer Autobahn Tankstelle mit Bar natürlich. Dort kehre ich erneut ein, trinke einen Café sowie einen Liter Wasser. Ein Einheimischer setzt sich zu mir an den Tisch mit einer Bierflasche in der Hand und redet auf mich ein, obwohl ich ihm gesagt habe, dass ich kein Italienisch kann nur „un poco“. Das stört ihn nicht, führt lediglich dazu, dass er jeden Satz dreimal sagt. Ich glaube zu verstehen, dass er arbeitslos ist und das Leben schwer ist. Er rückt ständig näher an mich heran und will nun auch noch wissen, ob ich Arbeit habe. Mir wird der Bursche zu aufdringlich und ich mache mich lieber davon, obwohl ich gerne noch einen Café getrunken hätte.

Von Brundisium, der Lateinische Name von Brindisi, bin ich enttäuscht. Viel ist nicht mehr von dem historischen Kern übrig. Ein Stadttor, die Kathedrale und die Säule, die das Ende der Via Appia markiert. Und die steht so versteckt zwischen Häusern, dass ich fast vorbeigelaufen wäre. Von hier ist nur die Sicht auf den größten natürlichen Hafen des Mittelmeers gut. Auch wenn man nicht mehr erkennen kann, dass es sich um eine natürliche Hafensituation handelt.

Auch wenn ich heute eine Reihe von Pausen gemacht habe und mehr als ausreichend zu trinken hatte, bin ich erschöpft und freue mich auf meine Unterkunft. Schnell schreibe ich meiner heutigen Vermieterin, dass ich bereits in Brindisi bin und in wenigen Minuten bei ihrem B&B sein kann. Wir verabreden uns in zwanzig Minuten. Wie sooft wirkt das Haus von außen heruntergekommen. Innen ist es toll hergerichtet mit einem großzügigen Eingang und einer sehr schön angelegten Treppe. Das Zimmer geht über zwei Etagen ist spartanisch aber mit einem gewissen Chic eingerichtet. Auf beiden Etagen habe ich einen Balkon und kann vom oberen hinunter zum Hafen schauen.

Tag 14: 21.06.19

Savelletri —> Torre Santa Sabina

Heute gilt es Kilometer zu machen. Um mich unter Druck zu setzen, habe ich gestern bereits ein Hotel für heute in Torre S. Sabina und für Morgen in Brindisi gebucht. Also suche ich mir den kürzesten Weg. Das bedeutet vermutlich aber keine Bärs und damit Versorgung. Knapp 35 Kilometer stehen an.

Nach dem ich Savelletri verlassen habe, kommt nach gut 5 Kilometer ein Campingplatz. Ich frage am Eingang, ob es eine Bar gibt. Sie macht gerade auf. Man ist noch nicht fertig und lässt mich erst einmal einige Minuten warten. Dann darf ich meine Bestellung aufgeben. Puh, freundlich geht anders. 

Aber gut, so bekomme ich wenigstens ein Frühstück und kann mir noch etwas Wasser mitnehmen. Danach pilgere ich – muss pilgern eigentlich mit Quälen verbunden sein? – schwitzend entlang der Autobahn unter sengender Sonne. Ich bin gerade mal zwölf Kilometer gelaufen und fix und fertig. Das Wasser muss ich rationieren. Da mein Körper sich mal wieder als artesischer Brunnen betätigt, kann ich die Wasserbilanz nicht in Waage halten.

Einen kleinen Umweg in Kauf nehmend komme ich wieder zu meinen bestaunten uralten Olivenbäumen. Heute nutze ich nur ihren Schatten, um unter einem großen Olivenbaum mich auszuruhen und ein Stündchen zu schlafen. Inspiration mag von ihnen ausgehen aber mein Körper ist zu gequält, um mir ernsthafte Gedanken zu machen. Mir imponiert, dass jeder einzelne Baum eine Nummer hat. Ich hoffe, sie sind auch registriert und es gibt regelmäßige Kontrollen, dass sie nicht „versehentlich“ gefällt wurden. Denn das Umweltbewusstsein ist nicht besonders ausgeprägt, was ich daran fest mache, dass überall Müllbeutel, leere Flaschen und sonstiger Unrat die Wege säumen. Wer an den Strand will, fährt trotz hinreichender Parkplätze in die Dünen oder auf den Strand, um ja keinen Meter zu viel laufen zu müssen. Wenn ich mir die Körperumfänge selbst der Kinder anschaue, bekomme ich oft das Gefühl, ich wäre in den USA.

Nach dem erquickenden Schlaf wird mal wieder, was selten genug vorkommt, angezeigt, dass ich auf der Via Traiana unterwegs bin. Das motiviert und ich komme wieder besser voran. Als ich endlich Torre S. Sabina erreiche, komme ich als erstes an einer Pasticcerina vorbei. Ich habe so Hunger und Durst, dass ich hier Halt machen muss, obwohl ich keine 800 Meter mehr zum Hotel habe.

Torre S. Sabina ist dem Grunde nach ein hübscher Ort mit einem kleinen Strand, einem alten Wehrturm und vielen Booten in der Bucht. Aber man so viele häßliche Gebäude errichtet, dass der Ort dadurch alles andere als schön wirkt. Trotzdem gibt es viele Touristen. Beim Abendessen bin ich umzingelt von Deutschen Touristen, die so bejahrt sind, dass ich den Altersdurchschnitt (deutlich) Senke.

An der Rezeption werde ich, nach dem ich meinen Führerschein als Ausweisdokument vorweise in Deutsch mit bayrischen Zügen von einer jungen Frau begrüßt. Sie erzählt mir später nach dem Abendessen, dass sie in München geboren wurde und erst als Jugendliche mit ihren Eltern zurück in die Heimat ihrer Vorfahren gezogen ist. Sie möchte Architektur studieren und weg aus dieser dörflichen Umgebung. Viel Erfolg kann ich ihr nur wünschen.

Tag 13: 20.06.19

San Vito —> Savelletri

Was für ein toller Wandertag! Kaum habe ich mein Hotel verlassen, komme ich an einer Trutzburg vorbei, die direkt am Meer steht. Davor ein malerischer Strand mit bunten Booten. Heute führt mich mein Weg direkt entlang des Meeres ruf auf die Klippen runter an den Strand und wieder hinauf – Schweiß treibend aber einfach eine fantastische Landschaft mit traumhaft gelegenen Dörfern.

Körperlich bringt mich der heutige Tag an meine Leistungsgrenzen. Es sind weniger die 33 km, sondern der Weg selbst. Es geht oft durch Sand am Strand, der die Beine schwer macht. Es ist das rauf und runter bei fast 35 Grad Celsius und ohne schattenspendende Bäume. Heute kehre ich daher gleich zweimal ein. Am frühen Nachmittag brauche ich dringend Zucker. Ich trinke also zwei Aranciata, was zu meinem Lieblingsgetränke geworden ist. Anschließend noch einen Café zum munter machen. Danach nehme ich die letzten Kilometer in Angriff.

Ich komme an einer Necropolis, einer antiken Begräbnisstätte und anschließend an einem Golfplatz vorbei. Gibt es da einen Zusammenhang? Was mich allerdings viel mehr fasziniert, sind die uralten Olivenbäume die rechts und links des Weges auf großzügig angelegten Feldern mal isoliert und mal zwischen Kartoffeln gepflegt werden.

Was haben diese Bäume alles schon „gesehen“? Wie alt mögen diese Bäume sein, die mal gerade und brächten gewachsen sind und mal sich dem Wetter gebeugt haben? Fragen die bei mir sofort eine Reihe unwiderstehlicher Gedanken los treten: was ist Geschichte und warum fasziniert mich Geschichte so sehr. darüber muss ich in den nächsten Tagen mal intensiver nachdenken. Ich hoffe, die Sonne lässt mein Gehirn dies durchdenken.

Ein anderer Gedanke, der mir beim Anblick dieser Olivenbäume durch den Kopf geht, ist, wie wird man alt. Was bedeutet altern für mich und wie gehe ich damit um, wie hat mich mein Leben gezeichnet. Stehe stolz wie viele der Olivenbäume da oder bin ich von den äußeren Umständen gebeutelt, bin knorrig, schief, gebeugt von den Unbilden des Lebens. 

Natürlich bin ich alt. Das ist mal klar. Ich bin Großvater. Gemäß der üblichen Definition im Seniorenalter. Fühle ich mich auch so? Eigentlich nicht. Ich fühle mich körperlich fit. Mir tut morgens beim Aufstehen nichts weh. Gut ich bekomme beim Wandern in dieser Hitze Blasen. Ich glaube das hat nichts mit Alter zu tun. Auch bin ich überzeugt, dass ich geistig fit bin, mich immer noch bestens motivieren kann und für eine Reihe von Aufgaben immer noch brenne wie früher auch. Ich kann mich noch immer daran begeistern, eine Benchmark setzende Fabrik zu planen und zu realisieren. Zu sehen wie eine solche Fabrik in Betrieb geht und tolle Arbeitsplätze schafft, die besser sind als sie in anderen Fabriken existieren. Ich kann mich daran begeistern, neue Wege in der IT bzw. der Digitalisierung der gesamten Value-Chain zu gehen. Ich kann nicht leugnen, wenn ich in den Spiegel schaue, dass ich mir mein Alter ansehe. Das sieht man den Olivenbäumen auch an, trotzdem stehen sie da wie eine Eins und tragen noch immer Oliven, wie ein junger Baum auch.

Ich bin zu verschwitzt, meine komplette Kleidung ist durch und durch naß, ich muss den Gedanken Morgen noch einmal aufnehmen.

In Savelletri Habe ich ein kleines Zimmer mit einer riesigen Dachterrasse mit Blick aufs Meer und das Dörfchen. Die Eigentümerin hat mir eine klare Anweisung gegeben, wo ich heute Abend essen muss. Hoffen mir, dass das Restaurant so gut ist, wie sie behauptet.

Tag 12: 19.09.19

Bari —> San Vito

So nun weiß ich, dass ich Santa Maria di Leuca aus Zeitgründen erreichen werde. Wenn ich so weiter laufe bin ich am Samstag in Brindisi und von dort habe ich noch gut 120 Kilometer. Also alles machbar. Mein Körper kommt nun mit der Hitze und der Sonne zu recht. Die Blasen an meinen Füßen heilen ab. Sie sehen zwar nicht wirklich gut aus und brauchen nach wie vor schützende Blasenpflaster aber ich bekomme keinen neuen Blasen mehr.

Heute habe ich 35 Kilometer entlang der Küste der Adria zurück gelegt. Mal auf Promenaden, mal entlang der Autobahn, mal auf Dorfstraßen. An jeder Ecke gibt es Fischgeschäfte und fischverarbeitende Betrieb, die wohl kaum den EU-Standards entsprechen. Oft sehe ich Angler, die einen Pulpo gefangen haben und diesen auf den Steinen, die das Meer säumen, weich klopfen.

Mal ist es der Weg schön und mit Oleanderbüschen gesäumt, mal häßlich. Am Nachmittag erreiche ich einen kleinen Ort, San Vito, wo ich ein Zimmer in einem Hotel, das direkt am Meer gelegen ist, dem Strand von San Giovanni. An der Bar oberhalb des Meeres lösche ich zunächst meinen Durst, um anschließend im Meer baden zu gehen.

Aufgrund der Hitze und der permanenten Sonneneinstrahlung ohne jeden Schatten wird die Denkleistung deutlich gesenkt. Ich konzentriere mich aufs Laufen, das Hirn schaltet ab. Versuche ich etwas zu durchdenken, lenkt mein Gehirn sofort von der Aufgabe ab und versetzt sich selbst in reinen Überlebensmodus. Der Nachteil: ich bringe kaum einen vernünftigen Gedanken zusammen; der Vorteil: die Zeit geht schnell um, da das Gehirn auch das Zeitgefühl abschaltet.

Tag 11: 18.06.19

Bitonto —> Bari

Kein wirklich schöner Weg führt aus Bitonto heraus. Kaum habe ich den Ort verlassen erreiche ich die Vorstädte von Bari, eine recht große Stadt mir viel Industrie. Bari hat etwa so viele Einwohner wie Mannheim. 

Nach knapp vier Stunden und zwanzig Kilometern bin ich an der Adria und habe Italien einmal von West nach Ost von einem Meer zum anderen durchquert. Die Adria empfängt mich stinkend. Trotzdem liegen die Menschen am Meer. Ich sehe zu, dass ich nach Bari in die Innenstadt komme, um dem Gestank schnellstens zu entkommen.

Die Innenstadt empfängt mich mit kleinen Gassen, herum wuselnden Menschen. Auch Deutsch höre ich hier und da. Da ich noch früh dran bin, besichtige ich zunächst die Stadt, bevor ich im Hotel einchecke.

Die Festung, gebaut von Friedrich II, ist meine erste Station. Danach geht es in den Dom, San Sabino. Von dort in die Basilika San Nicola und da natürlich zum Grab des heiligen Nikolaus. 

Der Rest des Tages ist der Körperpflege und hier vor allem der Pflege meiner Füße gewidmet: ich lasse es mir einfach gut gehen.

Tag 10: 17.06.19

Corato —> Bitonto

Meine erste Etappe führt mich nach Terlazzi, das knapp 15 km von Corato entfernt liegt. Am Landschaftsbild ändert sich nichts, Olivenbäume und noch mehr Olivenbäume. Eine Zypressenallee führt zu dem Friedhof von Ruvo di Puglia, das ich „rechts liegen lasse“. 

Immer wieder komme ich an niedrigen Kuppelbauten vorbei. Mal befinden sie sich am Rande eines Gartens und mal in Olivenhainen. Zunächst dachte ich es handelt sich um begehbare Pizzaöfen. Nachdem ich aber mal in einen hinein geschaut habe, kann ich mir das nicht vorstellen. Sie haben meist einen Eingang und keine Fenster. Manche sind nach oben entlüftet, die meisten sind allerdings geschlossen. 

In Terlazzi, das eine sehr schönen Innenstadt hat, nachdem ich durch hässliche Industrie- und Gewerbegebiete gelaufen bin, besichtige ich die Kirche und ruhe mich dort etwas aus. Die Kirche ist innen schön kühl. Anschließend nehme ich in einer Bar direkt auf dem Hauptplatz mein Frühstück ein. 

Nach Bitoni sind es nur noch gut zehn Kilometer. Mir begegnet auf dem Weg niemand. Der Weg führt durch sehr gepflegte Oliven- und Obstplantagen. Leider wird der einsame Weg auch als Müllablage benutzt. Ein fast blinder Spiegel steht auch am Wegesrand, den ein Scherzbold nicht einfach weggeworfen sondern aufgestellt hat. Unter einem Olivenbaum mache ich meine zur Gewohnheit gewordenen Siesta.

Während ich meinen Olivenbaum anschaue, frage ich mich, was hat Petrus eigentlich aus Jerusalem nach Rom getrieben. Ist er auf direktem Weg von Nazareth nach Santa Mari Di Leuca gereist oder hat er den Weg über Vorderasien und Griechenland genommen. Wenn letzteres, warum reiste er dann nicht nach Brindisi, dem damals größten Hafen und dem Tor nach Griechenland. Die Legende sagt, er kam in dem heutigen Santa Maria di Leuca von Bord eines Schiffes und ging von dort über die Via Appia Traiana nach Rom. Ich will das mal glauben und mir damit eine Rechtfertigung meiner Pilgerreise erhalten.

Das klärt aber noch nicht das warum. Hat Petrus tatsächlich geglaubt, wenn er in die größte Machtmetropole der damaligen Welt reist und dem Kaiser bzw. dem Senat von Rom von Jesus erzählt, sind die Römer so Feuer und Flamme für die neue Religion ihre Religion und wechseln zum Christentum? Selbst bei einem sendungsbewussten Mann, der Petrus sicher war, kann ich mir nicht vorstellen, dass er so vermessen war, an einen solchen Erfolg zu glauben. Trotzdem muss der Mann getrieben davon gewesen sein, die Botschaft für ein anderes menschlicheres Lebenskonzept zu verbreiten – muss das ein Charismatiker gewesen sein.

Was ich mich frage, ist so eine solche charismatische Persönlichkeit zu Fuß durch Apulien, Kampanien und durch das Lazio tausend Kilometer gelaufen? Hat er in den Orten, durch die er kam, Vorträge gehalten bzw. Geschichten erzählt und dabei seine Anhängerschaft vergrößert. Was haben die Menschen in diesen Gegenden über so eine Type gedacht?

Tag 9: 16.06.19

Canosa Di Puglia —> Corato

Der Tag fängt ja gut an. Wie vereinbart lege ich die Schlüssel auf den Schreibtisch und ziehe die Tür hinter mir zu. Soweit so gut. Dummerweise hat jemand die Etagentür abgeschlossen und es gibt keine Möglichkeit sie ohne Schlüssel zu öffnen. Ich bin gefangen in der Diele. Nun gut muss die arme Vermieterin heute am Sonntag halt mal um 07:00 Uhr aufstehen. Ich rufe sie an. Es dauert eine Weile bis sie ans Telefon geht, verspricht, als sie abnimmt, sich sofort auf den Weg zu machen.

Als sie eintrifft entschuldige ich nochmals dafür, dass ich sie aus dem Bett geworfen habe. Erst jetzt klärt sich auf, dass ich nicht wieder in mein Zimmer will sondern nicht aus dem Apartment konnte. Jetzt entschuldigt sie sich, dass sie den anderen Gästen nicht gesagt hat, die nicht abzuschließen. Das Ganze hat mich am Ende eine gute halbe Stunde gekostet. Was mir gerade heute arg ist, da ich weiß, dass mein heutiger Weg mich durch keinen Ort führen wird und ich damit nichts zu essen und zu trinken bekommen werde. Gerade Hunger und Durst sind eben auch eine Funktion der Zeit.

Zu trinken habe ich genug mitgenommen. Ich habe nicht nur meine beiden Trinkflaschen gefüllt sondern zusätzlich zwei weitere Flaschen Wasser eingepackt. Dort bleiben sie aber nicht lange. Nach knapp zehn Kilometer treffe ich Selena, die Pilgerin aus Venedig. Wie die schon bisher gekommen ist mit ihrem Schlendergang, ist mir ein Rätsel. Wir unterhalten uns ein bisschen. Dabei fällt mir auf, dass nicht Ihr Rucksack so riesig ist, sondern sie so klein. Darüber hinaus hat sie eine ganze Flaschenbatterie vor die Brust geschnallt. Allerdings sind sie schon alle leer. Sie fragt mich, ob ich ihr mit Wasser aushelfen kann. Nun gut, ich gebe ihr die beiden extra Flaschen und düse wieder los.

Es geht heute fast nur durch Olivenhaine. Gelegentlich gibt es auch ein Feld mit Weinreben. Zwischen den Olivenbäumen stehen immer wieder Feigenbäume, die voll mit Feigen hängen, leider noch unreif. Zweimal habe ich Glück und es gibt einen Baum mit Nektarinen und einmal stehen mehrere Aprikosen- und Pflaumenbäume zwischen den Oliven. Ich pflücke mir jeweils einige Früchte und bilden eine gute Ergänzung meines Wassers dar mit dem ich von nun an Haushalten muss. Der gute Liter Wasser muss meinen Weg halten und ich laufe heute gut 35 Kilometer.

Um kurz nach Vier bin ich dann endlich in Corato. Die Stadt ist tot. Nichts hat offen – erst nach längerem Suchen finde ich eine geöffnete Bar. Kamelartig trinke ich Wasser und eisgekühlte Aranciata. Nach zweimal Liter Flüssigkeit fühle ich wieder wie ein Mensch und ruf jetzt in dem Albergo an, das ich unterwegs gebucht hatte.

Wie mir der Inhaber nach dem Buchen des Zimmers bereits geschrieben hatte, ist die Rezeption Sonntags nicht geöffnet. Nach kurzer Zeit kommt ein junger Polizist mit Pistole im Holster und erledigt die Formalitäten. Er muss zweimal mit dem Inhaber telefonieren, da ich nicht mein letztes Dokument – meinen Führerschein – auch noch in einem Hotel an der Rezeption liegen lassen. Denn der Hotelier ist wenigsten heute so ehrlich und sagt dass er Morgen nicht um sieben im Hotel sein wird. Dem Polizisten ist es arg, dass er mir keine Rechnung mit gegeben kann. Mir ist das egal, nur weiß ich, dass in Italien das Pflicht ist und ohne Ricevuto man aus keiner Bar, keinem Restaurant und schon gar nicht aus einem Hotel gehen darf. Lässt man diese liegen, wird sie einem hinter her getragen.

Nach etwas Erholung und der obligatorischen Wäsche setze ich mich um halb sieben in eine Bar auf dem Hauptplatz und lasse es mir mit weiterer Flüssigkeitszufuhr gut gehen. Von hier beobachte ich wie die Stadt aus dem Nachmittagskoma allmählich erwacht. Um ist der Platz voll mit Menschen, die herumlaufen, auf Bänken sitzen und sich unterhalten. Mir fällt nicht zum ersten mal auf meiner Pilgerfahrt auf, dass hier das Smartphone eine deutlich geringere Rolle im Leben der Leute zu spielen scheint. Lediglich Kinder werden mit dem Gerät ruhig gehalten. Kinder in Elektroautos gibt es dafür öfter. 

Einen Plan für die nächsten beiden Tage habe ich auch schon. Übermorgen werde ich Bari erreichen und dort habe ich ein „richtiges“ Hotel gebucht. Ich brauche mal wieder ein bisschen Erholung und hoffe, dass ich mir mal alle meine Sachen richtig reinigen lassen kann.

Tag 8: 15.06.19

Stornara —> Canosa Di Puglia

Heute Morgen ist es bedeckt, trotzdem schwitze ich schon während des Packens. Es ist schon wieder am Morgen 27 Grad. Die Luftfeuchtigkeit ist deutlich höher als die vergangenen Tage. Es wird, obwohl die Sonne sich nie so richtig durchsetzen kann der heißeste Tag mit 39 Grad. Da oft ein leichter Wind weht fühlt es sich an als würde man ständig warm angepustet. 

Nach gut 15 Kilometer komme ich Cerigola, seit langem eine richtig Stadt, nicht besonders attraktiv – alles wirkt etwas heruntergekommen. Zunächst kaufe ich in einer Apotheke eine antibiotische Creme und leichtes Verbandsmaterial, da meine Problemzehe schrecklich aussieht: ich habe heute Morgen die alten Compeed Pflaster abgemacht und dabei feststellen müssen, dass sich der Nagel unter dem Pflaster aufgelöst hat und eine Blase aufgerissen ist. Ich kann sie mit einem neuen Blasenpflaster nicht gänzlich schließen, weshalb ich befürchte sie könnte sich entzünden. 

Danach nehme ich mein typisches Frühstück in einem Café auf dem zentralen Platz ein. Menschen wuselten um mich herum. Es tobt das Leben hier: Menschen und Autos überall um mich herum. 

Aus Cerigola führt mein Weg zunächst entlang einer stark frequentierten Straße Richtung meines Ziels Canosa Di Puglia. Hier gibt es keine Getreidefelder mehr sondern nur noch Wein, Oliven und neu Aprikosen. Gelegentlich klaue ich die eine oder ander Reife Aprikose.

Später kann ich auf einem Feldweg meinen Weg fortsetzen. Als ich einFlüsschen überqueren muss nehme ich die Ponte Roma – so sagt es meine Wanderapp – allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass diese Brücke von den Römern erbaut wurde. Auf der anderen Flussseite steht ein hölzerner Aussichtsturm. Ich erklimme ihn und lege mich auf der „Aussichtsplattform“ schlafen.

Nach Canosa geht es zunächst durch ein Industriegebiet bergauf in die Stadt. Der Hügel treibt mir den Schweiß aus dem Leib. Das Stadtzentrum ist um drei Uhr ausgestorben. Sogar die Bars sind hier um diese Uhrzeit geschlossen. Ich finde eine Gelateria, wo ich eine Aranciata trinke und ein Eis esse bis ich einigermaßen wieder abgekühlt bin und zu meinen B&B gehen kann.

Das Haus sieht von außen häßlich aus wie die restliche tote Stadt. Als ich klingele, werde ich in die zweite Etage gebeten, wo mir eine Matrone die Tür öffnet. Mir schwant Übles, werde allerdings positiv überrascht. Ich bekomme ein großzügig geschnittenes Zimmer, das geschmackvoll eingerichtet ist und ein vollfunktionsfähiges Bad hat. Nicht mal die Brause der Dusche ist verkalkt und hat einen für hiesige Verhältnisse hohen Wasserdruck. Der Balkon ist schattig und zeigt in eine Gartenanlage. Das tollste, das Zimmer ist klimatisiert und die Klimaanlage macht weder unangenehme Geräusche noch zieht es. Hier bewege ich mich nicht mehr fort.

Um halb neun meldet sich mein Hunger und ich gehe in eine nahegelegenen Osteria, wo ich ein hervorragendes Abendessen serviert bekomme. Es gibt keine Karte. Der Inhaber klärt mit mir das Menü ab. Da mir das meiste nichts sagt, sage ich fast immer si si. mein Verhalten zahlt sich aus. Es handelt sich um lokale Produkte, die alle frisch zubereitet werden. Einfach lecker! Nachdem sich so ab neun das Lokal sich zu füllen beginnt, wird es laut. Es wird sich über Tische hinweg lautstark unterhalten. Man versucht mich mit einzubinden, ich verstehe aber eigentlich nur Bahnhof, wenn es um mehr geht als woher ich komme, was ich hier mache und was ich vom Süden Italiens halte. Eins ist mal klar, hier hält man vom Norden, und der beginnt südlich von Rom, mal gar nichts. Hier ist Neapel der Ankerpunkt.

Tag 6: 13.06.19

 

Troia —> Castelluccio dei Sauri

Die Straßen von Troia sind wie leergefegt als ich um viertel nach sieben durch die Stadt laufe. Der Ort befindet sich noch im Tiefschlaf. Er zieht sich schmal und lang auf dem Bergrücken entlang. Ganz am Ende des Städtchens komme ich an einer Bar vorbei. Hier ist der Teufel los. Die Bar scheint ein Seniorentreff zu sein – oder alle, die an seniler Bettflucht leiden, haben sich vor der Bar versammelt.

Ich wandere von der Anhöhe, auf der Troia liegt, hinunter ins Tal. Das Landschaftsbild heute ähnelt dem von gestern: Felder so weit das Auge reicht, hier und da erhebt sich ein sanfter Hügel. Angebaut wird vor allem Getreide: Hafer, Gerste, Weizen. Gelegentlich komme ich an einem Gemüseacker vor bei.

Mein heutiges Ziel, Castelluccio dei Sauri, liegt ebenfalls auf einem Hügel, der bestellt ist mit Olivenbäume; die wenigen Bäume weit und breit, die ein wenig Schatten spenden.

Castelluccio erreiche ich nach ca. 20 km zur Mittagszeit. Bevor ich zu dem reservierten B&B gehe, gönne ich mir einen Café und eine eiskalte Fanta. Während ich im Schatten vor der Bar sitzend das Süßgetränk genieße, kommt eine Pilgerin vorbei – es gibt doch noch weitere Aliens, die zu Fuß durch Italien reisen. Sie winkt nur kurz und geht im Schneckentempo vorbei. Sie wechselt kein Wort mit mir: ich glaube ich habe sie verärgert:

Etwa zehn Kilometer hinter Troia, sehe ich in weiter Entfernung jemanden – vermute ich. Schon mehrfach habe ich bei dem flimmernden Sonnenschein geglaubt, einen Menschen wahrgenommen zu haben, tatsächlich war es aber meist ein Schild oder ein mannshohes Bäumchen. Also bin ich nicht sicher – aber es bewegt sich: vielleicht ein Feldarbeiter, der am Rand seines Ackers arbeitet. Etwa zehn Minuten später und einen Kilometer weiter bin ich sicher vor mir schlendert jemand mit Rucksack die Straße entlang. Kurz drauf hole ich die Wanderin ein, auch weil sie bei jedem Fahrzeug, das vorbei kommt, stehen bleibt und anschließend langsam wieder losläuft. Ihr Rucksack ist gemessen an meinem gigantisch; sie wirkt, als wäre sie dick angezogen: lange steife Hose, T-Shirt, knöchelhohe Schuhe und Mütze, so dass nur das Gesicht herausschaut. 

Sie ist Italienerin und kommt aus Venedig und hat wie ich Santa Maria di Leuca zum Ziel. Sie ist vor 22 Tagen in Rom gestartet. Ich erzähle ihr, dass ich in Capua meinen Weg begonnen habe und heute mein sechster Tag ist. Das findet sie doch sehr schnell. Was mich verleitet, zu sagen, dass ich in gut vierzehn Tagen in Santa Maria di Leuca sein möchte und deshalb etwas Gas geben muss. Das bekommt sie wohl in den falschen Hals und denkt vermutlich, ich wolle nicht länger mit ihr reden. Also verabschiedet sie sich mit einem Bon Camino. 

Ich nehme dann halt wieder meine Normalgeschwindigkeit von 5 km/h auf. Nach gut einem Kilometer komme ich durch eine Ansiedlung mit einer Bar, gerade wird frisches Brot geliefert. Toll, jetzt bekomme ich ein frisches Panino und lasse es mir Salami mit Pecorino belegen, dazu gibt es den obligatorischen Cappuccino und viel Wasser. Nachdem ich mein Brot aufgegessen habe, kommt auch die Italienerin, trinkt in der Bar einen Café, geht zur Toilette und geht weiter. 

Ich bin überrascht, obwohl ich noch etwa eine halbe Stunde geblieben bin – mich treibt heute nichts, da ich meinen Füßen einen zweiten ruhigen Tag gönne – die Pilgerin nicht vor Castelluccio eingeholt habe. Sie scheint eine andere Wegvariante gewählt zu haben. Als sie nun in Castelluccio an der Bar vorbeikommt, spricht sie auch jetzt nicht mit mir und nickt nur mit dem Kopf, was nach meiner Erfahrung für Italiener sehr ungewöhnlich ist.

So genug über eine Pilgerin geplaudert. Jetzt geht es zu meiner heutigen Unterkunft. Der Vermieter ist nicht Vorort und ich rufe ihn an; ein nicht ganz einfaches Gespräch, da er nur Italienisch kann. Wenn ich richtig verstanden habe, kommt er erst um 18:00 Uhr. Also muss meine Wunderwaffe Giuseppe herhalten, ich bitte ihn, noch einmal bei Vermieter anzurufen. Tatsächlich handelt er ihn auf 16:00 Uhr runter. 

Ich suche mir ein paar Straßen weiter eine schattige Parkbank und mache es mir gemütlich. Kurz nach drei hält ein Auto neben mir und fragt, ob ich Harald Jakob bin. Prima dann hat eine Siesta gereicht, bis ich mein heutiges Zimmer beziehen kann und es ist so früh, dass ich meine Wanderhose, die vor Dreck steht, waschen kann und trocken kriegen werde.

So Morgen muss ich wieder angreifen und meine Etappenlänge auf 30 km plus bringen. Ich habe für mindestens die nächsten beiden Tage beschlossen, den Weg etwas zu begradigen und so viel abzukürzen, dass ich mit durchschnittlich 30 km pro Tag mein Ziel on Time erreichen kann.

Tag 5: 12.06.19

 

Faeto —> Troia

Ich habe beschlossen heute einen kürzen Wandertag einzulegen. Das hat gleich mehrere Gründe:

(1) meine Füße und mein von der Sonne malträtierte Körper brauchen eine Erholungsphase. Ich habe mittlerweile sogar auf dem Kopf einen leichten Sonnenbrand. 

(2) Troia mein nächstes Ziel ist ein e wunderschöne Kleinstadt mit Einkaufsmöglichkeiten, die ich unbedingt besichtigen und für meinen geschunden Kopf eine Mütze erwerben möchte

(3) die nächste Übernachtungsmöglichkeit über 40 km entfernt ist

Meine Wanderapp führt mich über kleinste Wege in einen nahegelegenes Dörfchen auf einem Bergkamm; es erinnert mich an Castefalfi in der Toskana. Wirklich schön – nur es gibt keine Bar. Das bedeutet für mich, dass ich mit meinem Wasser bis nach Troia kommen muss und ich bis dahin auch kein Frühstück bekommen werde.

Hinter dem Bergdorf komme ich am Friedhof vorbei und der Weg führt mich durch hüfthohes Gras. Schlangen und Gekos Rascheln über den nicht sichtbaren Boden. Ich gehe mutig davon aus, dass keines der Tiere für eine veritable Beute hält und mir deshalb auch nichts tun wird. An einem Bach endet der Weg. Super: zurück möchte ich nicht und durch dennBach natürlich auch nicht. Anhand des GPS gehe ich also ohne Weg direkt Richtung der nächsten Straße querfeldein. Das führt mich durch Unterholz, quer durch Getreidefelder, entlang von Ackerrainen. 

Nach einer Stunde stoße ich auf einen Feldweg, der zumindest mal nicht in die falsche Richtung führt und immer noch besser ist als die Option weiter durchs Gestrüpp zu tigern. Unter dem nächsten schattenspendenden Baum mache ich eine Pause, um meinen Körper von dem aufgesammelten Gestrüpp, Gras und Getreide zu säubern. Das Zeug klebt überall an mir, da es sich  durch Schuhe und Kleidung durchgearbeitet hat.

Zwei Stunden sind rum und nur gut sechs Kilometer geschafft; gut dass ich nur in Summe zwanzig Kilometer zu bewältigen habe. Der Feldweg führt mich ständig bergab. Wie ich Google Maps entnehme habe ich den Apennin geschafft oder besser gesagt er, hat er mich geschafft. Troia liegt zwar auf einer Anhöhe aber ich bin bereits in der Tiefebene, die sich bis zur Adria erstreckt.

Von weitem sehe ich Troia. Ich freue mich auf die erste Bar. Ich habe einen Bärenhunger und unbändige Lust auf eine Aranciata – eiskalt und hoch zuckerhaltig.  Erst danach suche ich meine heutige Unterkunft. Ich habe mitten in der Stadt in einer sehr engen Gasse ein B&B angemietet. Ich muss eine sehr steile und schmale Treppe rauf und erreiche im 1. OG eine Wohnung, die ich für mich habe. 

Bevor ich mich um Wäsche waschen kümmere und dusche, haue ich mich auf‘s Sofa und schlafe eine Stunde.

Gegen Abend besichtige ich die Stadt, die immerhin eine Kathedrale hat und besorge mir eine Baseballmütze zum Schutz meines Hauptes vor der Sonne. 

Heute fühle ich mich aufgrund der doch deutlich geringeren Anzahl Kilometer viel besser. Morgen lege ich gezwungenermaßen noch einen easygoing Tag ein, da es auch weiterhin wenig Unterkünfte gibt. 

Es ist noch keine elf Uhr und ich bin so müde, dass ich beim Schreiben meines Tagebuches immer wieder einschlafe.

Tag 4: 11.06.19

 

Casalbore —> Faeto

Heute bin ich rauf und runter durch den Apennin gewandert – deutlich mehr rauf als runter – über schmale Straßen, staubige Pisten und Wiesenwege. Hier ist es ganz schön einsam. Entsprechend sehe ich kaum Autos und Menschen. Traktoren sind deutlich in der Mehrzahl. Hier ist für manche Getreideart bereits Erntezeit.

Treffe ich auf jemanden, werde ich zunächst angestarrt als wäre ich ein Alien. Dann sprechen mich die meisten an und wollen wissen, ob ich ein Pilger bin, wo ich herkomme und wo mein Ziel ist. Immer muss ich mich entschuldigen, dass ich kein Italienisch spreche, das stört aber niemanden, es wird erzählt und gefragt. Auch die Autofahrer halten oft an, um ein zwei Sätze zu wechseln. Ein höfliches Völkchen, die Menschen vom Apennin. 

In einem Miniort gibt es einen Agroturismo: an der Straße steht ein völlig verwittertes Tabacchi Schild. Sofort vermute ich eine Bar. Ich gehe hin und frage eine Gruppe von laut redenden Frauen, ob ich ein Panino, einen Café und ein Wasser bekommen kann. Die Antwort ist ein si, si, si und man bedeutet mir, an einem Tisch im Schatten Platz zu nehmen. Eine alte klapprige Frau bringt mir das gewünschte und ich lasse es mir gut gehen.

Kaum habe ich begonnen zu essen, kommt ein Priester oder Mönch angetrabt und setzt sich zu mir. Er hat bei der Hitze eine Kutte mit einem ganz schweren Material an; sie ist schmutzig und schwitzen muss der arme Kerl sicher auch. Lächelnd begrüßt er mich, den Pellegrino, Er gibt mir seine Hand, obwohl er Arbeitshandschuhe an hat. Bis nach Santa Maria di Leuca möchte er auch mal pilgern. Er mutmaßt, dass ich schon sechzig bin – so eine Unverschämtheit: ich sehe doch nicht aus wie sechzig oder – und meint, wenn ich das schaffte, dann würde er, da er doch noch deutlich jünger ist, das auch schaffen. Er will genau wissen, wo ich gestartet bin, wo mich mein Weg entlang führen wird, wie lange ich denke zu brauchen und und und. Puh, den krieg ich gar nicht mehr los. Auch er spricht mit mir Italienisch und will wissen, wieso ich ihn verstehen kann. Ich erzähle ihm, dass ich in der Schule Latein hatte und die eine oder andere Vokabel mir im Kopf geblieben ist. Nun beginnt er doch glatt Latein zu sprechen und ich verstehe nur Bahnhof. Nach meinem Verständnis ist Italienisch Latein ohne Grammatik und mit der stand ich schon in der Schule auf Kriegsfuß. Ich muss den Typ stoppen, sonst sitze ich nicht nur den ganzen Tag hier, sondern muss am Ende noch eine Lateinprüfung ablegen.

So jetzt kommt der große Aufstieg. Belohnt wird der mit der Ankunft in einem Bergdorf, in dem es nicht nur eine Bar sondern auch eine Apotheke und einen Tante-Emma-Laden gibt. Ich kaufe 50er Sonnencreme, Blasenpflaster und Wasser. 

Es sind nur noch gut acht Kilometer bis zum meinem heutigen Ziel, Faeto, wo ich eine Ferienwohnung mit 90 qm gemietet habe – das ist für einen verschwitzten und völlig fertigen Pilger doch ein schönes Quartier. Ich freue mich auf die übersichtliche Reststrecke. Faeto liegt etwas niedriger als Castelfranco, wo ich mich gerade befinde, und nach meiner App sehe ich keine gravierenden Höhenunterschiede – das wird ganz easy. Denkste, ich habe wohl nicht richtig hingeschaut. Direkt nach Castelfranco geht es steil bergab – das mögen meine mit Blasen überzogenen Füße nun so gar nicht und anschließend geht es auf kürzester Distanz wieder genauso hoch – man macht mich das fertig. Mehrere Pausen sind von Nöten, um meinen Körper samt Rucksack den Berg hoch zu wuchten: Ich muss dringend drei Kilo Körpergewicht los werden.

Als ich fast oben bin, quält sich ein kleines Auto den Berg rauf und hält neben mir an. Der Fahrer lässt mich wissen, dass die Straße oben endet und ich nicht weiter kommen werde. Ich danke ihm für die Information und denke mir, wenn Du glaubst, ich gehe da wieder runter und laufe einen Umweg von mehreren Kilometern hast Du Dich aber schwer getäuscht. Nach meiner Wanderkartenapp endet die Straße zwar aber ein Pfad müsste weiter gehen und wenn nicht gehe ich quer durch die Felder – zurück ist keine Option. Die Wanderkarte hat recht, es gibt einen Wiesenweg, nur ist dieser weniger ein Weg als ein Bachbett. Mühevoll muss ich mal durch das flache Wasser, mal am Rand entlang bis ich nach knapp einem Kilometer wieder auf einer Schotterpiste lande. Nach dem ich die nassen Socken durch trockene Ersetzt habe geht es zügig nach Faeto.

Tag 3: 10.06.19

 

Benevento —> Casalbore

Heute muss ich unbedingt etwas kürzer treten. ich nehme mir knapp 30 km vor – meine Füße sehen nicht gut aus: mein zweiter Zeh am rechten Fuß ist einfach zu lang geraten: wie fast immer beim Wandern bedeutet das dicke fette Blase an der Spitze des Zehs mit Verlust des Zehennagels. Noch ist der Nagel dran, sieht aber nicht gut aus: nächstes Blasenpflaster. Die Hitze und der Schweiß haben meiner Haut auch nicht gerade gute Dienste geleistet. Nun heißt es auf die Zähne beißen.

Um Punkt sieben stehe ich an der Rezeption. Wer ist nicht da: mein verehrter Hotelwirt. Ich höre aber einen Wecker im Nebenraum zur Rezeption klingeln. Es tut sich aber nichts. Also schaue ich nach. Auf einem Bett nur mit einem T-Shirt bekleidet liegt der feiste Wirt und schläft. Das Klingeln stört ihn wenig. Ich rufe und klopfe – nichts. Rein gehen möchte ich nicht: das ist mir einfach zu unappetitlich.

Also lege ich das Geld mit dem Schlüssel auf den Tresen und verschwinde. Das Bild mit dem Wirt und seinem nackten Hintern auf dem Bett liegend bleibt in meinem Kopf.

Um sieben ist es tatsächlich deutlich kühler: nur 19 Grad. Die Temperaturkurve ist allerdings steil. Heute führt mein Weg hoch in den Apennin. Ich komme nur noch durch vereinzelt liegende Bauernhöfe, gelegentlich ein Betrieb, der Marmor bearbeitet. Es geht auf und ab mehr rauf als runter. Vorfällen das runter mögen meine Füße nicht. Bergauf wandelt Sol meinen Körper jedesmal wieder in einen Artesischen Brunnen. 

Ich nehme einen kleinen Umweg in Kauf, um an einer Bar vorbeizukommen. Um zehn bekomme ich endlich mein Frühstück. Panini hat man nicht dafür Pizza, was zwar nicht unbedingt meine Lieblingsspeise zum Frühstück ist aber ich habe Hunger.

Ich bleibe eineinhalb Stunden: dann habe ich genug gegessen und getrunken. Auch sind mein Körper und meine Klamotten wieder trocken. Als ich aufbrechen möchte kommt ein Pilgerpärchen, ich denke mein Alter, herein. Die beiden hatte ich schon kurz hinter Benevento getroffen. Wir unterhalten uns kurz, dann nehme ich die letzten 13 Kilometer in Angriff. Mir graut davor, da es noch deutlich die Berge rauf gehen wird.

Nach knapp acht Kilometern bin ich fertig. Die Sonne – oder sollte ich besser sagen der Sonnengott – presst mich aus. Ich bin völlig kraftlos. Auf einem Hügel vor mir sehe ich einen Hof vor dem ein Baum steht. Da muss ich hin. Nach dem ich ihn erreicht habe lege ich mich auf die Straße, Rucksack unter meinen Kopf, Hintern auf meine Schuhe und ich schlafe umgehend ein. Aber mein Nickerchen wehrt nur kurz. Der Bauer bringt mit seinem Traktor einen Wasseranhänger. Diesen schließt er an ein Bewässerungssystem an. Dann pumpt er das Wasser mit lautem Getöse langsam ab. Ich tue so als würde mich das nicht stören. Das scheint den Bauern zu inspirieren und kommt zu mir rüber. Er zwängt mir ein Gespräch auf. Ich verstehe nur Wortelemente, das stört ihn nicht. Er unterhält sich mit mir prächtig. Nach einem Monolog von vermutlich zehn Minuten und einige si si von mir verabschiedet er sich freundlich von mir mit einem Buon Camino. 

Trotzdem bin ich erfrischt und sehe auf meinem Handy, dass ich nur noch sechs Kilometer vor mir habe. Das ist ein Klacks, denke ich. Nach drei Kilometern habe ich brennenden Durst. Meine letzte Wasserflasche muss dran glauben. Mit der Wasserflasche in der Hand und Schluck für Schluck schleppe ich mich bis nach Casalbore. In der Bar in der Dorfmitte frage ich, ob es eine Übernachtungsmöglichkeit gibt. Der Barmann telefoniert kurz und schickt mich den Berg rauf. Er erjklärt mir, dass ich Glück habe nach Casalbore gekommen zu sein, da es außerhalb des Dorfes weit und breit keine Herbergen gibt. Na dann werde ich später gleich booking.com bemühen müssen, damit ich mich Morgen nicht wieder auf mein Glück verlassen muss, denn die nächsten Tage komme ich durch keine größeren Ortschaften mehr.

Hoch über Casalbore komme ich zu einem Agroturismo. Das ist gut, hier kann ich im Schatten im garten sitzen und auch zu Abendessen, ohne noch einmal runter ins Dorf zu müssen. Ich werde freundlich zunächst von drei Hunden empfangen. Dann kommt aber auch schon die Gastgeberin heraus. Vor den Formalitäten bekomme ich zunächst eine Flasche kaltes Wasser. Ich bekomme ein großes Zimmer mit ganz kleinen Fenstern. Es ist schön kalt – super.

Später setze ich mich in den Garten und führe mein Tagebuch, das ich bisher sträflich vernachlässigt haben. Die Hunde kommen und animieren mich, mit ihnen zu spielen. Hier wimmelt es von Tieren: Gekos wuseln überall herum, eine Natter – bestimmt einen Meter lang – schaut vorbei und die Hunde rasten aus als ein Pferd in den Stall geführt wird.

Hier oben weht ein angenehmer Wind, im Hintergrund donnert es – vielleicht zieht noch ein Gewitter auf, das die Temperaturen drücken könnte. Schau‘n wir mal. Besser ich kümmere mich um meine Wanderroute für die nächsten Tage, so dass ich bei ungefähr 30 Kilometertagesleistung auch ein Bett finde. Für Morgen buche ich eine Ferienwohnung etwas abseits der Route, da es tatsächlich nichts anderes gibt. Übermorgen kann ich dann in Troia sein, dort gibt es mehrere Übernachtungsmöglichkeiten. Damit sind die beiden nächsten Tage mal klar.

Weniger erfreulich: beim Ausfüllen des Anmeldescheins fällt mir auf, dass der Depp von einem Wirt in Benevento noch meinen Personalausweis hat. Ich hatte ganz vergessen, dass er mir den gestern nicht zurück gegeben hatte. Ok, da muss ich mir noch etwas einfallen lassen. Ich werde Morgen mal mit Giuseppe telefonieren, um ihn zu bitten mir mit seinen Italienischkenntnissen zu helfen.

Tag 2: 09.06.19

 

Forchia —> Benevento 

Ich nutze die Morgenstunden, um der Hitze etwas zu entkommen und starte um 08:00 Uhr. Es ist Pfingstsonntag und niemand ist auf der Straße. Allein wandere ich nach Montesarchio.

Unterhalb der mittelalterlichen Stadt, die, wie der Name sagt, auf dem Berg liegt, mache ich gegen 10:00 Uhr Pause und esse in einer Bar ein Panino – mein Frühstück. Da ich heute unbedingt noch bis Benevento will, buche ich vorsichtshalber mal ein Zimmer in einem kleinen Hotel über booking.com mitten in der Stadt, so dass ich diese nach meiner Ankunft besichtigen kann. Benevento war von großer Bedeutung für Rom in der Antike – also ein Muss für mich. Hier wurde der Punische Krieg gewonnen. Wie ich bei Wikipedia nachlese – bedeutet der Name Benevento nicht der gute Wind, so meine Annahme, sondern gutes Ereignis. So haben die Römer nach dem Sieg im Punischen Krieg Beneventum genannt. Vorher hieß die Stadt Maleventum – das wirkt auf mich wie ein Witz. Heute ist Benevento den meisten wohl aus dem Kino bekannt. In Benevento haben sich die Sklaven unter der Führung von Spartakus gegen Rom aufgelehnt. Der Aufstand wurde in Benevento niedergeschlagen und alle überlebenden Sklaven entlang der Via Appia von Benevento bis nach Capua als Abschreckung an Kreuze genagelt.

Zurück nach Montesarchio: nach einer Stunde und zwei Cappuccini, einem Café und 1,5 Liter Wasser bin ich bereit, den Berg zu erklimmen. Um acht war es „nur“ 22 Grad warm, jetzt um elf sind es bereits wieder 32 Grad.

Kurz hinter Montesarchio komme ich an einer Kapelle vorbei. Man feiert Pfingsten. Jemand von den Feierenden spricht mich an, ob ich auf der Via Francigena pilgere, dem Weg den Petrus angeblich nahm, als er aus Griechenland in Santa Maria di Leuca in Italien an Land ging, um nach Rom zu gelangen. Ich bestätige seine Annahme und dass Santa Maria di Leuca mein Ziel ist. Jetzt komme ich hier nicht mehr weg. Mit Händen und Füssen, ein bisschen Englisch und noch weniger Italienisch unterhalten wir uns. Ich muss mit der Gemeinde selbstgemachte Gebäck essen. Ich kann gerade noch verhindern ohne allzu unhöflich zu werden, auch noch mit Ihnen Wein zu trinken – dann wäre mein Wandertag bereits kurz hinter Montesarchio zu Ende gegangen. Zum Schluss schenkt man mir noch eine Tonpfeife, die ich gleich an meinen Rucksack hänge. 

Eine halbe Stunde später und vom heiligen Geist beseelt geht es weiter. Sol – der Sonnengott – scheint von meinem Heiligen Geist Erlebnis nicht besonders begeistert zu sein: er macht meinen Körper mit seiner Strahlkraft zu einem Artesischen Brunnen. Ich kann nicht so schnell trinken, wie die Flüssigkeit aus meinem Körper sprudelt. 

Kurz vor Benevento gehe ich einen Feldweg entlang. Mit einmal raschelt es links und rechts von mir – und schon springen zwei Wildschweinfrischlinge aus dem Gebüsch. Wo zwei Frischlinge sind, sind auch weitere Tiere – das hat mir noch gefehlt, von einer Rotte Wildscheine angegriffen zu werden. Da nach den Geräuschen auf beiden Seiten des Weges die Tiere sich aufhalten, kann ich mich nicht vorsichtig auf einer Seite vorbei schleichen. Ich gestehe: ich habe Angst – wenn mich ein Muttertier angreift, ist mein Weg hier heute zu Ende. Ich warte – stehen bleiben macht auch keinen Sinn: die haben mindestens genauso Angst vor mir wie ich vor ihnen. Also gehe ich ganz langsam weiter: Geraschel, aber keine Tiere, dann kommen drei Frischlinge und wechseln die Seite. Ruhe. Ich gehe weiter. Lautes Geraschel und schon rennen drei Alttiere über den Weg und hauen ab ins Feld. Jetzt gehe ich etwas beruhigter weiter. Vor lauter Angst habe ich nur von weitem von den ersten beiden Frischlingen ein Foto gemacht – schade.

Gut 32 km sind es bis ich in Benevento ankomme und das bei 34 Grad ohne auch nur einen Hauch von Schatten. Ich bin fertig als ich im Hotel ankomme. Der Inhaber ist zu allem Überfluss auch noch ein komischer Kautz, der mich am liebsten in die kleinste Kammer seines Establishments verbannt hätte. Mein Geld will er auch nicht. Zweimal bitte ich ihn bezahlen zu dürfen. Nein er will unbedingt erst bei Abreise bezahlt werden. Ich hoffte ihn mit dem Hinweis umzustimmen, dass ich am nächsten Tag bereits um 07:00 Uhr aufbrechen möchte – denkste, no problemo sette hore. 

Nach dem Duschen geht es in die Stadt: zum Arco di Traiano, in den Dom und zum Schluss in die Chiesa di Santa Sofia. Der Altstadtkern von Benevento ist definitiv grandios. Die Anlage der Straßen mit ihren Fluchten sowie dem Tor nach Osten (Arco di Traiano), dem Duomo als Zentrum und dem Ensemble um die Chiesa Di Santa Sofia sind beeindruckend.

 

Nach der Stadtbesichtigung esse ich noch eine Antipasta (Klöse aus Polpettae in einer Tomatensoße) und danach eine Prima Piatta (Fusilli mit Auberginen in gesalzenem Ricotta) dazu einen Greco di Benevento. 

Im Hotel frage ich gleich noch einmal, ob es nicht besser wäre, jetzt zu bezahlen. Der Wirt verweigert das erneut. 

Tag 1: 08.06.19

 

Santa Maria Capua Veteri —> Forchia

Um 05:00 Uhr klingelt der Wecker. Widerwillig stehe ich auf und mache mich fertig. Im Taxi checke ich noch schnell ein, um mich nicht auch noch um eine Boardkarte kümmern zu müssen. Meinen Rucksack, der weniger als 9 kg wiegt, gebe ich beim Sperrgepäckschalter auf. So nun kann es los gehen: ich fliege nach Neapel und werde die nächsten drei Wochen auf der Via Appia und der Via Traiana wandern. 

Am Flughafen in Neapel nehme ich mir ein Taxi nach Santa Maria Capua Veteri ca. 30 km nordöstlich von Neapel. Dort angekommen muss ich mich mit dem Taxifahrer herumärgern: er möchte den doppelten Fahrpreis und argumentiert mit der Rückfahrt, für die er hier keinen Fahrgast finden wird – nach 5 Minuten lautstarker Diskussion und meiner Drohung die Carabineri zu rufen, gibt er nach und wir einigen uns auf den Preis gem. Taxameter plus üppigem Trinkgeld. 

 

In der nächstgelegenen Bar ziehe ich mich um und um 11:00 Uhr – schön in der Mittagshitze geht es am Hadrianstor los. Keine fünf Minuten später komme ich am Gladitoren-Stadion, dem zweitgrößten Italiens nach dem Koloseum in Rom, vorbei. Sowohl das Hadrianstor als auch das Stadion sind von der Stadt so „vereinnahmt“, dass man diese antiken Bauwerke gar nicht hinreichend in ihrer Pracht wahrnimmt.

Und was kommt schon nach nicht einmal zwei Kilometern: ein Lidl Markt – aber ohne Spontaneis aus unserer Produktion.

Die nächsten ca. 20 km geht es vornehmlich durch hässliche Vororte von Neapel, das hatte ich aufgrund der Bedeutung der Orte wie Capua und Caserta in der Antike bis ins späte Mittelalter nicht erwartet. In Caserta steht ein beeindruckendes Schloss der Bourbonen. Trotzdem bleibt der Eindruck: es gibt schönere Gegenden zu wandern.

Erst ab Maddaloni ändert sich das Umfeld und deshalb hänge ich nochmal gut 10 km dran. Es geht weiterhin durch die pralle Sonne, nun auch noch bergauf in den Apennin. Völlig ausgelaugt suche ich mir eine Übernachtungsgelegenheit in Forchia, einem kleinen hübschen Örtchen. In dem Bed & Breakfast stelle ich fest, ich hätte es besser mal langsamer angehen lassen sollen: die erste Blase, Muskelkater in den Oberschenkeln und zu allem Überfluss krampft während des Duschens meiner linker Oberschenkel: Voltaren und Blasenpflaster kommen schon am ersten Tag zum Einsatz.

Ich wusste zwar es ist schön warm im Süden Italiens. Dass es so heiß ist und, aufgrund des niedrigen Bewuchses, es sehr selten Schatten gibt, war mir nicht so richtig klar. Kein Wunder dass man in Südeuropa Sol, den Sonnengott, angebetet hat. Ich glaub‘ ich muss mit dem Burschen mal ein Wörtchen reden, sonst schaffe ich nie und nimmer im Schnitt 32 km pro Tag.

Schinken mit gesalzenem Büffelmozzarella auf Rucola und danach eine Pizza Margherita bringen mich wieder auf Touren. Der nächste Tag kann kommen.