Sonnenaufgang: schnell und tief rot steigt die Sonne aus dem Meer in den Himmel. Trotzdem ist es so früh am Morgen noch frisch. Zu kühl für mich, um im Meer zu baden. Zumal die Wassertemperatur bei nur 23 Grad liegen soll.
Heute wandere ich dem Grunde nach die ganze Zeit auf der SS114, die bis nach Messina hinein führt. Etwas höher am Berg klebt die Autobahn. Oft verschwindet sie im Berg. Meist etwas unterhalb der SS114 verläuft die Bahnlinie; Bahnlinie und Straße wechseln allerdings öfter mal die Position.
Auf der sehr schmalen Fläche zwischen Meer und Berg zwängen sich langgelegen Straßendörfer, die meist in einander übergehen, so dass ich die meiste Zeit durch Ortschaften laufe. Dabei kann ich oft wählen, ob ich an der Strandpromenade oder auf der Durchgangsstraße gehe. An der Promenade ist es verkehrstechnisch ruhiger aber auch sonniger. Im Ort werfen die Häuser Schatten und es ist etwas abwechslungsreicher gleichwohl das Stadtbild sich wiederholt. Bars und Geschäfte sind prinzipiell im Ort. An der Promenade stehen hin und wieder LKWs, die von der Ladefläche ihre Waren meist Obst und Gemüse, anbieten.
In manchen Bereichen ist die verfügbare Fläche so gering, dass die Bahntrasse direkt am Meer liegt, dann kommt eine Häuserreihe, danach die SS114, wieder eine Häuserreihe durch deren Gärten sich auch schon die Autobahn quetscht. Schrecklich.
Eigentlich ist die Küste wunderschön mit ihrem hunderte Kilometer langen Strand und den hohen, steilen Bergen. Über das Meer Richtung Osten sieht man bereits Kalabrien. Dennoch ist sie durch die drei Verkehrstrassen völlig verbaut und somit unattraktiv für Touristen. Damit fehlt das Geld, um die Strände und Promenaden so aufzuwerten, dass Gäste aus dem Ausland angelockt werden können. Eine Abwärtsspirale entsteht: die Gebäude zerfallen, da die Renovierung und der Erhalt zu kostspielig sind; und so kommt es, dass hoch über der Autobahn neue riesige Wohnblocks gebaut werden, die große Terrassen und sicher einen fantastischen Blick haben. Nur zur Steigerung der Attraktivität der ohnehin schon verbauten Umgebung tragen sie nicht bei. Im Gegenteil, die Menschen verlassen die Orte und ziehen hoch in die Berge, was wiederum zur Folge hat, dass es niemanden mehr Interesse daran hat, die Städte und Dörfer zu erhalten.
In jedem Garten stehen Bäume voll mit Zitrusfrüchten. Viele der Früchte sind fast reif und verführen, rein zu beißen.
Nach gut 30 Kilometer erreiche ich mein heutiges Ziel. Am angegebenen Ort bzw. GPS Koordinaten gibt es keinen Hinweis auf meine Unterkunft mit dem wohlklingenden Namen: Villetta con terrazza sul mare Santa Magherita Marina. Auch sehe ich meine Gastgeberin nicht, obwohl ich minutengenau ankomme. Ich rufe sie an. Ich versuche klar zu machen, dass ich angekommen bin und beschreibe meinen Standort auf Englisch. Sie antwortet mir in rasantem Italienisch. Einige Worte verstehe ich auch die Frage, ob ich an der Apotheke bereits vorbei bin. Das bejahe ich und schon erhalte ich im schnellst möglichen Italienisch eine Antwort: Bahnhof! Sie legt auf und ich habe keine Ahnung wohin. Sie glaubt wohl, sich bestens ausgedrückt zu haben, was ich nun machen soll. Ich stelle mich etwas exponiert auf die Straße, so dass man mich von dem Haus, das ich glaube mein Heim für heute Nacht ist, und der Apotheke aus gut sehen kann. Ich erwarte, dass sie mich so sehen kann, wo immer sie sich gerade befindet auch, selbst wenn sie noch auf dem Weg sein sollte. Nichts. Also schicke ich eine SMS, beschreibe, wo ich bin und frage, was ich tun soll. Kaum abgeschickt, ruft sie mich wieder an und brüllt so laut, dass mir klar wird, sie ist in meiner unmittelbare Nähe. Dann sehe ich eine wild winkende Frau auf einem Balkon.
Ich werde überschwänglich begrüßt. Wortschwall über Wortschwall fegt über mich hinweg. Noch einmal sage ich ihr, dass ich kein Italienisch spreche. Jetzt erst spricht sie langsamer und artikulierter. Sie entschuldigt sich, das sie kein Englisch spricht, zeigt mir die Wohnung, fragt, was ich beruflich mache, dass sie Anwältin ist, bedauert, das ich nur eine Nacht bleibe und das Meer nicht ausgiebig genießen kann und und und. Dann verabschiedet sich und saust los. Keine zwei Minuten vergehen und es klopft an der Tür. Sie hat ihre Handtasche vergessen. Meine Herren, was für ein Wirbelwind.
Ich lasse nun erst mal Ruhe einkehren. Ich ziehe mir meine Badehose an und gehe über die Straße zum Strand. Wie überall ist der Sand grau-schwarz und sehr grobkörnig. Zum Liegen lädt der Strand nicht ein, dafür liegt zu viel angespülter Müll herum. Ich will mich sowieso nicht hier hinlegen sondern etwas schwimmen. Puh, ist das Wasser kalt. Mir verschlägt es den Atem und ich werde auch beim Schwimmen nicht warm. Niemals hat das Wasser 23 Grad. Kein Wunder dass ich den ganzen Tag noch niemanden habe schwimmen sehen. Keine fünf Minuten bleibe ich im Wasser. Zitternd komme ich aus dem Meer und trockne mich schnell ab. Jetzt brauche ich eine heiße Dusche.