Tag 8: 10.10.2022

Ruhetag in Palermo. Wie gestern Abend regnet es auch heute Morgen. Ich bleibe zunächst in meinem Zimmer. Am späten Vormittag ist das Regengebiet endlich durchgezogen und ich wandere mehr oder weniger ziellos durch die Altstadt. Hier liegen Licht und Schatten sehr nah beieinander: Die großen Plätze scheinen im Sonnenlicht und lassen die glorreiche Vergangenheit dieser Stadt erkennen. Fontana Pretoria, Quattro Canti und die Chiesa San Giuseppe di Teatini – diese Kirche ist zumindest innen viel prächtiger als die Kathedrale. Sensationell feine Marmorarbeiten, Fresken und Gemälde beeindrucken mich tief.

Wieder draußen schlendere ich durch engste Gassen, abseits der großen Straßen durch die sich selbst am Montag die Touristenmassen schieben. Hier ist es dunkel und der Zerfall überall erkennbar. Hier wagen sich die Touristen nicht her. Die Menschen wohnen in Ruinen und der Dreck stapelt sich. Trotzdem versuchen die Bewohner, die Straßen und Gebäude durch Malerarbeiten attraktiver zu gestalten. Hier wohnen, nach meinem Eindruck, vor allem  Menschen mit afrikanischen Wurzeln.

Ist Venedig eine morbide Stadt, so wirkt Palermo von seinen Gebäuden und dem Straßenbild bereits tot, so etwa wie gestern in der Gruft. Tot, konserviert für alle Ewigkeit, übrig nur das Skelett mit einigen hübschen Kleidern. Konserviert für die Nachwelt und besuchen kann man die Tote, wenn einem der Sinn nach steht.

Damit möchte ich nicht die Stadt schlecht machen. Ich mag diese Morbidität durch aus. Sie versprüht – gerade mit diesen dunklen engen Gassen und den meist fröhlichen Menschen, die gefühlt jenseits der Armutsgrenze leben – einen ganz besonderen Charme. Ich habe eine große Bandbreite der Stadt erlebt: Gestern Abend habe ich im Hafen, in einer am Abend wirklich dunklen Ecke, mit nicht befestigten Straßen, keiner Straßenbeleuchtung und Türstehern, mit denen ich keinen Konflikt austragen möchte, ein hervorragendes Dinner zu mir genommen. Heute Abend bin ich in ein Restaurant in einem Hinterhof hinter der Chiesa die San Giovanni di Teatini gestolpert (Locanda del Gusto) mit einem sehr schönen Innenhof, zentral eine große Palme, Olivenbäume in riesigen Töpfen, einem Loungebereich, schön gedeckten Tischen. Hier glänzt alles und das Essen ist ebenso gut wie gestern Abend.

Die Gäste heute sind ganz anders als gestern Abend. Gesten Abend waren alle distinguiert. Neben mir z. B. drei Engländerinnen: Mutter mit ihren beiden Töchter, die Töchter über 50 und übergewichtig mit ausgeprägtem Doppelkinn und Oberarmen weit – und ich meine wirklich weit – größer als meine Oberschenkel. Die Mutter dürfte Mitte 80 sein und ist eher zierlich. Die beiden Töchter können leider nicht mit Messer und Gabel umgehen. Furchtbar, mich stört so etwas mittlerweile nicht nur ein wenig sondern sehr. Können die Leute nicht mal ein Minimum an Tischmanieren erlernen? Heute ganz anderes Publikum gemischt Italiener und Touristen. Vor allem einige sehr ungeduldig, wenn sie nicht sofort einen Tisch zugewiesen bekommen, obwohl sie nicht reserviert haben. Die Verweilzeit ist nicht sehr lang, da das Essen typisch für Italien schnell serviert wird, also könnten sich alle locker machen. An einem der Nebentische sitzt ein Deutscher um die 70. Er trinkt mehr Wein als er isst. Er gehört zu einer Reisegruppe, die nicht zusammen ißt. Erst kommt die Reiseleiterin vorbei, anschließend ein Paar aus der Reisegruppe. Er erklärt beide Male, dass er zunächst nur zwei drei Vorspeisen ißt und dann weiter sehe. Nach vier, fünf Gläsern Wein und genau einer Vorspeise geht er. Zwei junge italienisch sprechende Mädchen übernehmen den Tisch. Eine quatscht unentwegt, die andere spricht immer mal wieder und führt offensichtlich das Gespräch unterstütz mit ihrer intensiven Körpersprache. Sie essen zusammen eine Vorspeise und trinken eine Flasche Wasser. Diejenige, die das Gespräch leitet, ist sich bewußt, dass ich mein Umfeld beobachte und gibt mir dies auch zu verstehen. Als ich am Bezahlen bin, lassen sie sich doch nochmal die Karte bringen. Eine gemeinsame Vorspeise reicht den beiden natürlich nicht. Als ich gehe spreche ich kurz mit den beiden, mir gefällt deren Fröhlichkeit. An einem anderen Nebentisch kommt spät das Paar, das genau diesen Tisch reserviert hat. Sie sprechen ebenfalls italienisch, wenn sie sprechen. Eigentlich schweigen sie nur und sie guckt böse, unzufrieden. Wenn sie sich äußert, dann hat ihr Ton immer etwas schnippiges. Sie ist ungeduldig und flammt mehrmals das Servicepersonal an, wozu es nun beim besten Willen keinen Grund gibt, der Service funktioniert super auch im Team. Getrunken wird an dem Tisch nur Wasser. Vorspeisen werden ausgelassen. Man konzentriert sich auf Secondi Piatti.

Nebenbei habe ich heute eingekauft und mich mit dem nötigen Proviant versorgt, um zwei bis drei Tage in den Bergen im Zelt und ohne Supermärkte und Restaurants durchstehen zu können. Dabei sind meine „Lieblingsgerichte“ hergestellt in China, extrem leicht, eine Mahlzeit wiegt gerade mal 60 gr., schmeckt gräßlich, sättigt aber perfekt.

Ich habe den späten Nachmittag auf die Abendessenzeit wartend mit der Planung der nächsten drei Tage verbracht und bereits Zimmer bis einschließlich Donnerstag gebucht. In der Zeit muss ich schon mal nicht auf meine neuen Vorräte zurück greifen. Freitag könnte auch noch klappen mit Fremdversorgung, danach wird es deutlich schwieriger.

Jetzt lasse ich den Abend noch mit einem Zibello ausklingen; gestern hatte ich einen Grillo: typische weiße Rebsorten auf Sizilien. Auf dem Weg zu meinem Zimmer direkt vor der Chiesa San Giovanni macht eine Gruppe Musik im Zentrum eine Geigerin. Es herrscht eine tolle Stimmung auf der Straße. Ich lasse mich in den Bann der Musik und der Menschen um mich herum ziehen. Nach einer Weile gehe ich dann doch in mein B&B; vom Balkon aus kann ich gut die Musik hören und immer noch die Atmosphäre spüren. Hier kann man es aushalten; in Palermo war ich nicht das letzte mal.

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