Mich deprimieren die Touristenorte, die zumindest zu der jetzigen Jahreszeit völlig verlassen sind. Ich gebe zu, dass ich sehr froh bin, in den letzten drei Tagen ein Zimmer gefunden und bis auf gestern auch immer ein Abendessen bekommen habe. Es fühlt sich irgendwie komisch an, wenn ich in einem großen Hotel der einzige Gast im Restaurant bin und die Inhaberin ausschließlich für mich kocht. Gestern Abend auf der Suche nach einem offenen Restaurant bin ich durch einen dunklen Ort gelaufen. So stelle ich mir Orte vor, die im Krieg verdunkelt werden müssen.
Ich muss in eine Stadt mit Menschen auf der Straße, in Restaurants und in Bars: muss meine Seel wieder mit Licht erfüllen. Auf nach Consenza!
Wir laufen eine breite Straße, die niemand nutzt, hoch ins Skigebiet. Die Lifte gehen bis auf knapp 2.000 Höhenmeter. Schnee kann ich mir ehrlicherweise hier nicht wirklich vorstellen auch wenn die Temperaturen an manchen Tagen bereits recht frisch sind. Wir gehen aber tatsächlich auf Skipisten den Berg hoch. Schneekanonen sehe ich keine.
alles da: Skilift, Lifthäuschen, Pistenraupe
Auf schmalen Pfaden führt uns unser Weg durch die Wälder erst die Berge rauf und anschließend runter, runter, runter. Insgesamt 1.700 Meter müssen wir absteigen. Das geht ganz tüchtig in die Beine. Wassermangel herrscht definitiv nicht. Berg hoch kommt uns über Flüsse, Bäche und Rinnsale uns das Wasser entgegen. Berg ab rauscht das Wasser an uns vorbei. Pedro freut‘s. So kann er immer wieder frisches Wasser trinken und seinen Bauch kühlen, wenn er sich erschöpft fühlt von dem Suchen, Tragen und Verbuddeln von Ästen.
Einer der vielen Wasserläufe, den wir folgen
Dieser Ast war sein Liebling heute und hat ihn mehr als einen Kilometer getragen
Etwa zehn Kilometer vor Consenza kommen wir aus dem Wald in kleine Bergdörfer und müssen wieder auf Straßen laufen, die zwar kaum befahren sind. Trotzdem scheint das Pedro zu stressen. Er ist am Ende seiner Kräfte. Immer wieder setzt er sich und braucht eine Pause. Je näher wir Consenza kommen, um so befahrener werden die Straßen und um so unwilliger wird Pedro, zumal ich ihn etwa drei Kilometer vor Consenza an die Leine nehmen muss.
Der Herbst zaubert nicht nu bunte Blätter an die Bäume, er bringt auch immer wieder Regen
Noch einen Kilometer weiter gibt es einen großen Supermarkt. Dort muss ich unbedingt den Hundefutter kaufen. Ich habe heute Morgen die letzten Reste Pedro gegeben. Am Eingang des Supermarktes wirft sich Pedro regelrecht auf den Boden. Ich kaufe ein vier Kilopaket, da es an Trockenfutter für seine Größe keine kleineren Einheiten gibt und etwas an Nassfutter, um ihn zu motivieren. Ich bekomme kaum das Hundefutter in meinen Rucksack. Als ich die Pakete endlich eingepackt habe, erschreckt mich das Gewicht des Rucksacks. In Summe etwa fünf Kilo extra.
Kurz darauf kommen wir nach Consenza. Das B&B, das ich gebucht habe, liegt in der Altstadt. Die Altstadt zieht sich über 100 Meter den Berg hoch. Das B&B ist, das habe ich mir vor nicht klar gemacht, auf dem höchsten Punkt der Stadt. Ich kämpfe mich durch die engen modrigen Gassen hoch. Pedro muss ich mittlerweile hinter mir her ziehen. Er will nicht mehr.
Consenza, ein kleiner Ausschnitt
Kaputt wie wie ich bin, sehe ich nur die unschönen Seiten von Consenza. Die Fassaden verfallen, um viele Gebäude sind Bauzäune aufgestellt, da man nicht mehr gefahrlos passieren kann. Entsprechend sind einige Gassen vollständig gesperrt, so dass wir Umwege nehmen müssen. Es riecht nach Tod. Schlimmer als in Venedig hängt Morbidität in der Luft. War es das wert – eine solche Strapaze auf sich zu nehmen und den Hund „sauer“ zu laufen?
Ein Blick aus dem Fenster meines Zimmer
Ich habe Schwierigkeiten die Unterkunft zu finden. Ich bin exakt an an den GPS Koordinaten. Sehe aber das verdammte B&B nicht. Ich schicke über WhatsApp Bilder an die Wirtsleute, um mich führen zu lassen. tatsächlich bin ich nur auf der Rückseite des Gebäudes. Trotzdem bedarf es weiterer vier Messages, bis ich den Eingang finde. Klar ist mir mittlerweile die Vermieter sind nicht hier. Denn ich bekomme zunächst einen Code für die Eingangstür und dann für die Zimmertür. Irgendwie kann ich das nicht leiden. Auf dem Land ok. Aber in der Stadt sollen die Gastgeber schon Vorort sein: vor allem warum fragen sie vorher, wann ich ankommen werde?
Mich regt das alles auf, weil ich am Ende meiner Kräfte bin und Pedro unwillig ist auch nur einen Mete zu gehen. Das Zimmer ist sehr schön. Nur fehlt es an Einrichtung. Es gibt nicht einmal einen Stuhl, auch keine Möglichkeit ein Handtuch oder meine gewaschene Wäsche aufzuhängen.
Erst nach dem Duschen versöhne ich mich wieder mit der „Welt“. Trotz der modernen Einrichtung und des schönen Bades werde ich, obwohl ich das vor hatte, keine zweite Nacht in Consenza verbringen. Das hat auch was mit der Altstadt zu tun. Die eigentliche Stadt mit der städtischen Infrastruktur ist im Tal. Ich habe keine Lust für alles immer erst einmal hundert Meter den Berg runter und anschließend hoch zu laufen. Auch kann ich Pedro schlecht in der Altstadt ausführen, nicht weil sich irgendeiner an einem pinkelte Hund stören würde aber Pedro ist nicht willig sich auf einer Straße zu erleichtern.
Zum Abendessen muss ich de; Berg runter. Ich bin noch nicht weit, komme ich an einer Salumeria vorbei. Draußen – quasi auf der Straße – ist ein Tisch voll besetzt mit jungen Leuten. Der Tisch quillt über von Käse, Wurst, Käse und Wein. Coole Musik spielt. Obwohl ich ein anderes Ziel hatte, kehre ich ein. Da der Abend kühl ist und es immer wieder geregnet hat, setzte ich mich drinnen an einen Tisch. Ich werde nett bedient. Es gibt einfache Speisen von der Theke. Ir schmeckst und für mich überraschend – wahrscheinlich aufgrund meiner Erfahrungen der letzten Tage, füllt sich das Restaurant bis auf den letzten Platz. Es werden immer wieder Weinflaschen geöffnet und mir wird immer auch ein „Probeschluck“ angeboten.
Satt und betüttelt von den Probierschlucken mache ich mich auf den Weg in mein Zimmer und frage mich, ob es klug war, schon für Morgen ein neue Unterkunft zu reservieren, auch wenn diese keine 15 Kilometer entfernt ist.