Tag 21 – 03.11.25: Formia – Monte San Biagio

Zum Schluß wird es nochmal richtig schön

Während Wolfgang und ich beim Frühstück sitzen, fängt es an zu regnen. Erst nur ein wenig und dann doch mehr. Also hole ich die Regenjacke aus dem Rucksack und ziehe sie über. Bei 18 Grad finde ich das unangenehm. Schon nach 500 Metern ist der Regen Geschichte. Rucksack ablegen, Regenjacke ausziehen und zusammenlegen, ab in den Rucksack mit dem Teil und weiter geht‘s. Jetzt kommt sie Sonnen raus. Sie begleitet mich durch den ganzen Tag.

An den Regen erinnern nach Kurzem nur noch die Pfützen auf den Straßen. Ich muss nicht nur auf die Autos aufpassen, sondern auch so gehen, dass sie mich nicht mit dem Schmutzwasser auf der Straße nass spritzen. Nicht lange und ich bin wieder auf der SS7 – der Via Appia – eine Schnellstraße. Mehrere Kilometer muss ich mich auf der Straße durchschlagen. Das ist bei dem dichten Verkehr und den hohen Geschwindigkeiten äußerst unangenehm. Positiv ist lediglich, dass auf der SS7 die Pfützen sehr schnell trocken gefahren sind und ich nicht mehr die Gischt der vorbeifahrenden Autos abbekomme.

Noch vor der ersten Stadt, durch die ich wandere, komme ich auf die Ur-Via Appia, die mit einigem Abstand zur Schnellstraße erst über einen „Pass“ und anschließend durch Felder und Obstplantagen führt. Von jetzt an wird es ein schöner Wandertag.

Ich treffe weiter Pilger, die auf der Via Francigena unterwegs sind. Länger unterhalte ich mich mit Martin aus England, der in Rom mit einem viel zu schweren Rucksack gestartet ist. Er meint er sei 18 kg schwer. Na viel Spaß damit.

Nach gut 33 km bin ich am Bahnhof von Monte San Biagio. Dort kaufe ich mir ein Zugticket nach Rom, wo ich mit Wolfgang verabredet bin. Da er nicht wirklich wandern kann, ist er natürlich auch ungeduldig.

Morgen früh schauen wir uns almerstes den Petersdom an und um 10:30 die Sixtinische Kapelle. Auf dem Weg zum Abendessen kommen wir noch am Trevi Brunnen , wo selbst am Abend die Menschen anstehen, vorbei.

Tag 20 # 02.11.25: Sessa Aurunca – Formia

Il Mare

Der Tag ist schnell erzählt: Aus Sessa Aurunca in die Ebene ans Meer gehen und danach ständig auf viel befahrenen Straßen am Meer mal ganz nah mal etwas weiter entfernt von einem Straßendorf ins nächste Nest laufen. Und das 35 Kilometer. Langweilig. Ich höre Musik und einen Podcast, um mir die Langeweile zu vertreiben. Nach gut 35 Kilometer treffe ich Wolfgang in einem kleinen Hotel direkt am Meer.


Es gab auch landschaftlich attraktive Abschnitte (selten, aber dennoch gab es sie)


Die Bourbonen wußten wie man städtebaulich attraktiv sein Umfeld gestaltet; diese Fähigkeit scheint verloren gegangen zu sein


Auch die römischen Kaiser – hier Vespasian – konnten attraktive Bauwerke gestalten. Eine Brücke, ein Aqua Duct, das bereits seit 2.000 Jahren stabil steht.


Der Küstenstreifen von Formia bis Gaetano: die Sonne erzeugt durch den Wolkenschleier ein finsteres Ambiente

Wir beschließen, Morgen nach Rom, mit der Bahn zu fahren. Er von hier in Formia ich nach weiteren 32 Kilometern von einem kleinen Ort im Lazio. Wir buchen ein Hotel in Rom in der Nähe des Bahnhofs und Tickets für Übermorgen zur Besichtigung der Sixtinischen Kapelle. Darauf freue ich mich, da ich noch nie in der Sixtinischen Kapelle war.

Nach einem guten Abendessen mit zu viel Weißwein geht es nun ins Bett.

Tag 19 – 01.11.25: Pignatore Maggiore – Sessa Aurunca

Der perfekte Tag

Ich pilgere knapp 34 Kilometer und ca. 350 Höhenmeter. Es scheint von der ersten bis zur letzten Minute die Sonne. Es ist zum ersten Mal wirklich warm. Das alleine lässt mein Herz aufgehen.

Ich lasse, kurz nach dem ich aus dem Hotel weg bin, die autoreichen Straßen hinter mir. Das ist das nächste Highlight: keine stark befahrenen Straßen sondern Feld- und Forstwege, kleinste Sträßchen von Dorf zu Dorf, keine Gefahren durch Autos.



Lebende Ortschaften, bei denen ich nicht den Eindruck gewinne, es leben nur noch einige wenige Senioren sondern Familien jeglichen Alters in ihnen. Auffällig oft treffe ich heute auf Flüchtlinge, die – so meine Vermutung – als Erntehelfer arbeiten. Mit einem habe ich gesprochen, der als Minderjähriger nach Köln kam, dort zur Schule gegangen ist, danach Deutschland verlassen musste und jetzt bei einem Bauern seinen Lebensunterhalt verdient.

Felder mit Nüssen, Oliven, hier zum ersten Mal mit großflächigem alten Baumbestand, Pflaumen, aber auch gepflügte Felder, Gewächshäuser, Kohl (schmeckt wie Grünkohl, sieht etwas anders aus) und natürlich Wein. Zur Zierde komme ich an riesigen Pinien vorbei. Kastanien wachsen überall wild. Es gibt Wege, auf denen ich aufgrund der Unmengen an Kastanien wie auf einem Teppich laufe. Hier und da wachsen Champignons. Ich freue mich aufs Abendessen, da ich hoffe, Produkte, die hier angebaut werden, später auf meinem Teller zu finden.

In Bars und einem Alimentari, wo ich mir immer mal wieder etwas zu trinken kaufe, werde ich ausnahmslos jedesmal angesprochen: wo komme ich her, was mache ich hier, wie gefällt mir Italien. Mal in rudimentärem Italienisch, mal in Englisch, weil jemand ein rudimentäres Englisch spricht, selten auf Deutsch, antworte ich auf die Fragen und immer wird es nett, weil die Leute toll finden, dass ein Deutscher durch ihr Land wandert und es dabei bewundert. Einmal hält auf einer sehr schmalen Straße, die für Gegenverkehr nicht gedacht ist an: eIn Italiener mit seiner Frau an, die lange in der Schweiz gelebt haben, und jetzt wieder in ihrer alten Heimat wohnen. Er macht das Fenster runter und fragt ohne Umschweife, ob ich Deutsch spreche. Ein entgegenkommendes Auto muss warten, bis er mir erzählt hat, warum er Deutsch spricht und sich immer erfreut, wenn er auf Deutsch sprechende Leute trifft. Geduldig wartet der andere Fahrer. Als ich weiter wandern darf, spricht der Schweiz-Italiener erstmal mit dem andern Fahrer. Diese Unaufgeregtheit und die Freude zu kommunizieren, bewegt mich ein wenig.

Bevor ich mich mit meinem Vermieter treffe, schaue ich mir den Duomo des 20.000 Seelen Ortes an. Von außen recht unspektakulär. Ein Baustil, den ich schon oft in Italien gesehen habe. Innen ist er überwältigend schön. Nicht überladen dennoch ein mit sehr viel Kunstobjekten bzw. künstlerischer Gestaltung ausstaffiertes Gotteshaus.

Zum Abendessen wähle ich das am nächsten gelegene Restaurant aus. Die in Google Maps einsehbare Speisekarte zeigt Gerichte, die mir munden könnten. Zunächst laufe ich vorbei, weil es sich außen als Alimentari ausgibt. Dennoch gehe ich rein. Ich kann ja mal fragen. Weiter hinten in den Räumlichkeiten gibt es einige gemütlich aussehende Tische. Ich frage, ob ich etwas zu essen bekomme. Das wird bejaht und ich darf mir einen Platz aussuchen. Sofort werde ich interviewt – natürlich in Italienisch. Danach kann ich zwischen zwei Rotweinen aussuchen. Ich nehme den, der mir nach meinem Empfinden empfohlen wird. Als meine Wahl gustiert wird und ich mit dem Wirt, der auch ein Gläschen trinkt, angestoßen habe, darf ich das Essen wählen. Eine Karte gibt es nicht. So bekomme ich Vorspeisen und Pasta aufgezählt. Ich entscheide mich mich für eine mit Käse, Mortadella, Ei und Zwiebeln überbackene Kartoffel. Darauf ist der Wirt besonders stolz und ich bekomme einen Vortrag, dass er nur serviert, was in der direkten Umgebung angebaut wird. Wieder darf ich wählen, diesmal welches Olivenöl, beide aus Oliven von den hiesigen Hängen, ich über den Kartoffeln haben möchte. Ich scheine, das richtige gewählt zu haben, denn er lobt die Wahl und erzählt mir etwas zum Olivenöl, das ich nun wirklich nicht verstehe. Danach bekomme ich eine Pasta aus frischen und selbstverständlich selbst gemachten Nudeln mit Porcini und Trüffel. Die Trüffel wachsen angeblich auch auf den Hängen unter den Nußbäumen, wie mir versichert wird. Die Porcini sind selbstverständlich heute von einem Freund vom Wirt gesammelt worden. Alles schmeckt super. Meine Erwartungshaltung vom Mittag wird übertroffen. Ich kann mich daran ergötzen, dass es mir schmeckt, aber auch, dass der Wirt sich freut, einem Fremden, sein Land und sein Esskulturnäher zu bringen. Immer wieder setzt er sich zu mir, um sicherzustellen, dass es mir gut geht. Ein großartiger Abschluss eines fantastischen Tages.

Tag 18 – 31.10.25: Caserta – Pignataro Maggiore

Hier steht viel alter Plunder rum

Besichtigungen stehen heute an. Zunächst steht die Reggia di Caserta auf dem Programm. Das ist der Königspalast von Caserta gebaut von den Bourbonen im 18. Jahrhundert. Danach geht es in die Antike. In Santa Maria Capua Vetere steht zum einen mitten in der Straße ein Triumphbogen zu Ehren von Hadrian und das zweitgrößte Amphitheater nach dem Kolosseum in Rom.

Reich wurde der Ort, da die Via Appia durch sie hindurch führte. Das gilt auch für den nächsten Ort Capua. Capua wurde nach mehreren Zerstörungen auf dem antiken Ort durch die Normannen im 11. Jahrhundert wieder aufgebaut. Der Stauferkaiser Friedrich II hat Capua die Stadtrechte erteilt. Unter seinem Namen wurde die noch heute vom Autoverkehr benutzte Brücke über den Volturno gebaut.

Was gibt es noch zu erzählen: von Caserta bis raus aus Capua geht man sinnvollerweise die Via Appia entlang, die eine hochfrequentierte Straße vermutlich war und ist. Gewandelt haben sich nur die Transportmittel und die Geschwindigkeit. Wandern macht auf dieser Straße keinen Spaß. Das war vermutlich bereits in der Antike so. Hinter Capua biege ich, auch wenn es einen Umweg bedeutet, ab auf Feldwege durch Apfelbaum-, Oliven- und Walnussbaum Plantagen.

Nach knapp 25 Kilometern erreichen wir unser Quartier! Ein Hotel an einer viel befahrenen Straße. Die Zimmer sind nach hinten gelegen, so dass man die Straße nicht hört, auch wenn die Zimmer sehr hellhörig sind. Obwohl ich die 104 habe, höre ich, dass in der 102 (die 103 liegt noch als Puffer zwischen den beiden Zimmern) die Post abgeht. Ich habe trotz der Distanz das Gefühl, dass ein Paar direkt neben mir quasi in meinem Bett über eine Stunde lang sehr intensiven Sex hat. Sie stöhnt, kichert und feuert ihren Partner ständig lautstark an.

Nach dieser Aufführung brechen wir auf, um in das einzige Restaurant, das fußläufig erreichbar ist, zu gehen. Leider hat es wegen eines Trauerfalls heute Abend geschlossen. Direkt gegenüber ist eine Handwerksbetrieb mit Straßenverkauf, der Mozarella herstellt. Dort bekommen wir Käse, etwas Schinken und Brot. Eine Flasche Weißwein verkauft man uns auch. Wir dürfen an einem Stehtisch essen. Als die Polizei nach etwa einer knappen halben Stunde kommt, muß, trotz des Care-Pakets, das man ihm in die Hand drückt, geschlossen werden. So verduften wir mit einer halben Flasche Wein in den Händen, die wir im Hotel austrinken.

Tag 17 – 30.10.25~ Arpaia – Caserta

Stinkende Autos: was haben Fußgänger auf der Straße verloren!

In der Ebene, die im weitesten Sinne zum Golf von Neapel gehört, ist es gefühlt topfeben. Tatsächlich geht es immer mal wieder ganz leicht hoch und wieder runter, so dass wir am Ende dann doch auf schlappe 100 Höhenmeter kommen. Trotzdem stellt die Distanz von 25 Kilometer eine Herausforderung dar. Zusammen laufen wir deutlich langsamer und weniger energetisch als alleine.

Wir kommen durch eine Reihe von Ortschaften, die meist nett im Kern aussehen. Alle wirken vom Aussterben bedroht. Viele Häuser stehen leer und sind am zerfallen. Andere werden zum Verkauf angeboten. Zwischen den beiden größeren Städten von Benevento und Caserta scheint kein Platz für dörfliches Leben zu sein. Scheinbar hat auch die Industrie um Neapel nicht hinreichend Strahlkraft, obwohl Neapel je nach nur zwischen 30 und 50 Kilometer entfernt ist, dass dir Orte als Schlaf-Städte dienen könnten.

Auffällig ist der intensive Autoverkehr. Nicht nur auf den großen Straßen, selbst in den Dörfern in den absoluten Nebenstraßen ist die Verkehrslast ausgesprochen hoch. Das ist nicht nur damit erklärbar, dass Italiener keinen Meter zu Fuß gehen. Ich verstehe den Verkehr nicht. In den Innenstädten stinkt es entsprechend nach Abgasen, was auch damit zusammenhängt, dass der Autobestand recht alt ist. Es werden noch viele Zweitaktmotoren gefahren. Die riechen nicht nur intensiv, sondern knattern auch noch lautstark.

In Santa Maria a Vico, so nach zehn Kilometern, machen wir eine längere Pause: einer schläft, der andere trinkt Kaffee. Das Zentrum des Örtchens ist ganz ansehnlich. Drum herum vor allem Richtung Westen laufen wir auf wenig schönen oft schmalen Straßen. Wir müssen höllisch aufpassen, nicht angefahren zu werden.

In Maddaloni buchen wir direkt am Schloss von Caserta ein Hotel. Bis dahin sind es noch etwa zehn Kilometer. Das geht in der Ebene in null Komma nichts. Attraktiv ist es erst, als es über eine Achse vom Schloss exakt nach Süden auf Caserta zugeht.

Am Abend suchen wir in Caserta ein Restaurant. Die Altstadt ist sehr belebt. Es sind viele Leute auf der Straße und flanieren an den attraktiven Geschäften vorbei. Die Restaurants sind ehr in den etwas dunkleren Seitenstraßen. Wir wählen ein Restaurant mit gemischten Speisen, in dem im Hinterzimmer eine Party stattfindet. Wie wir später erfahren wird dort ein Teenie Geburtstag gefeiert.

Die Chefin ist um Wolfgang und mich sehr bemüht. Wir bekommen einen leckeren Weißwein von Ischia empfohlen. Zusammen essen wir eine gemischte Vorspeise und anschließend gibt es noch eine Pasta., die so nicht auf der Speisekarte steht, die uns als Spezialität der Region verkauft wird. Pasta Genovese: Geschmorte Rindfleischstücke mit süßen Zwiebeln. Zufrieden mit dem Essen und Abend schlendern wir zurück ins Hotel.

Tag 16 # 29.10.25: Benevento – Arpaia

Zu Zweit auf der Via Appia nach Rom

In Benevento habe ich einen Ruhetag eingelegt. Ich habe die Stadt besichtigt – ansonsten den Tag weitgehend relaxt auf dem Sofa verbracht. Spät am Abend ist Wolfgang angereist. Zusammen gehen wir nun nach Rom.


Rundkirche (Weltkulturerbe) und Oblisk (vermutlich Ägyptisch)

Innenansicht Kathedrale von Benevento

Heute Morgen schauen wir uns schnell gemeinsam die Sehenswürdigkeiten von Benevento an. Dann geht es los. Stramm marschieren wir durch die Ebene, die zwei Flüsse erzeugt haben Richtung Westen. Die erste größere Stadt ist Montesarchio. Um dort hin zu gelangen müssen wir über einen Berg von gut 600 Meter Höhe. Da Benevento auf etwas mehr als 100 Meter liegt, ergibt sich ein steiler Anstieg um ca. 500 Meter. Runter nach Montesarchio ist es gefühlt noch steiler. Das geht so arg in die Beine, dass wir erstmal ein Päuschen einlegen und planen wie es weiter geht. Entweder wir bleiben in Montesarchio, dann kämen wir auf knapp 20 Kilometer oder wie gehen einen Ort weiter nach Arpaia, dann werden es gut 25 Kilometer. Ich bin noch fit für Arpaia, Wolfgang auch. Aus Montesarchio führt eine dicht befahrene Straße hinaus nach Arpaia, den Umweg über die Felder sparen wir uns, und tippeln die unsägliche Straße entlang und erreichen schließlich um halb fünf froh und erschöpft das B&B, das wir in den Bergen gebucht hatten. Fensterlose Zimmer. Wolfgang echauffiert sich so, dass er ein Zimmer mit Fenster und Jacuzzi bekommt. Die Gestaltung ist sehr speziell.

Wir sind uns sicher, wenn man sich die Einrichtung der Zimmer und die restliche Innengestaltung anschaut, dass das B&B mal für andere Zwecke eingerichtet wurde, das Geschäftsmodell aber nicht getragen hat.

Zum Abendessen gehen wir in eine Bäckerei, die auch Pizza am Abend anbietet. Die Wirtsleute sind super. Die Chefin, eine typisch italienische Nonna, ist nicht nur sehr hilfsbereit, sie möchte möglichst viel über uns erfahren. Eine direkt Kommunikation mit ihr ist aber nicht möglich. Sie spricht in einer Art und Weise Italienisch bei der ich nicht mal erkennen kann, dass es sich um Italienisch handelt. Eine Enkel – meine Vermutung – wird hinzugezogen, der ein passables Englisch spricht. Er muss für sie dolmetschen. Kopfschüttelnd wird für uns eine Pizza zubereitet: ein ganzes Blech Pizza. Soviel Pizza können wir nicht verdrücken, trotz des Bieres, das wir dazu trinken. Wein hätten wir nur warm aus dem Tetrapack bekommen können.

Auf dem Weg zurück zum B&B bestätigen wir uns gegenseitig, dass wir nicht überrascht sein dürften, wenn Damen auf dem Zimmer warteten. Da das nicht der Fall ist, trinken wir noch eine Falsche Grecco di Tufo, die ich vorhin im gegenüberliegenden Supermarkt gekauft und im Zimmer kalt gestellt hatte.

Tag 15 – 27.10.25: Fontanarosa – Benevento

Warum geht es im Leben? Um uns – uns Menschen!

Obwohl es heute Nacht heftig geregnet hat, werde ich von Sonnenstrahlen, die freundlich in mein Zimmer scheinen, geweckt. Es wird zwar nicht warm aber die Sonne begleitet mich durch den Tag.

Ich bin überrascht, dass noch immer nicht alle Trauben gelesen sind. Immerhin bin ich noch immer südlich von Neapel. Aber tatsächlich werden hier und da Trauben gelesen und in hinreichend vielen Weinbergen reifen noch immer die roten Trauben.

Ich kann nicht widerstehen und mopse mir hier und da mal eine Traube. Die schwarzen Oliven lachen mich ebenfalls an, weshalb ich eine reife Olive pflücke, wissend, dass sie eigentlich unbearbeitet nicht genießbar sind. Die Olive zerfällt praktisch in meinem Mund und schmeckt wie öliger Pfeffer mit einer starken Bitternote.

Leider komme ich heute nur an einer Bar vorbei. Mein Café Konsum ist damit ausgesprochen gering im Vergleich zu den letzten Tagen. Ich glaube, ich kenne nun fast alle Bars zwischen Cosenza und Benevento. Je weiter ich nach Norden komme, um so besser (cremiger und schokoladiger) wird der Espresso. Ich möchte behaupten in Kalabrien ist durchschnittlich der Espresso weniger gut als bei uns Zuhause. Hier in Kampanien ist er auf einem Niveau, der schwer zu toppen ist.

Nach der Hälfte meines heutigen Weges erreiche ich die historische Via Appia. Die Begegnung fällt nicht positiv für unsere Epoche aus. Mitten im Nichts stehen – so denke ich zunächst zwei Torbögen – in der Gegend unmotiviert herum. Ich frage mich, warum hat gerade hier ein Römer Torbögen anlegen lassen. Als ich vor einem Fluss stehe, wird mir klar, die beiden Torbögen werden wohl Überreste eines Aquaducts sein. Die Römer haben den Fluss trockenen Fußes überquert. Ich muss Schuhe und Strümpfe ausziehen und durch den Fluß sehr vorsichtig waten, da die Steine sau-glitschig sind. Hinfallen möchte ich selbstverständlich nicht, da ich dann von oben bis unten nass bin, einschließlich meines Equipments.

Das macht mir mal wieder klar, was für eine Hochkultur die Römer waren und wie lange sie die Welt dominiert haben. Wenn der Zerfall des Westens und allen vorweg der Amerikaner so weiter geht, waren die Römer weitaus länger DIE führende Kraft in der Welt. Den Amerikanern bzw. dem Westen war im besten Fall vergönnt, die Welt über drei bis vier Generationen zu beherrschen. Ich bin gespannt, ob wir noch erleben werden, wer die neue Weltmacht sein wird und welche kulturellen Veränderungen sie mitbringen wird. Oder erleben wir lediglich noch  den diffusen Übergang bis sich die neuen Machtverhältnisse etabliert haben. Die Veränderungen sind so rasend, dass es es gut möglich ist, dass wir bewußt den Machtübergang erleben werden.

Wenn es bei nassen Füßen bleibt, ist alles ok. Nach ziemlich genau 30 Kilometer erreiche ich Benevento, wo die punischen Kriege stattgefunden haben und die Stadt daher mehrfach zerstört wurde. Nach dem Niedergang des Römischen Reiches fiel die Stadt in die Hände der Normannen auch wenn diese kurzzeitig sich den Mauren geschlagen gegeben mussten, so ist das Stadtbild geprägt von Kulturdenkmälern unterschiedlichster Epochen: Ägypter (möglicherweise Catharer), Römer und der christlichen Normannen. Letzter haben es zumindest geschafft eine Kirche zu einem Denkmal mit Status Weltkulturerbe zu machen.

Obwohl ich vor hatte, nur etwas einfaches zu essen, bin ich in das nächst beste Restaurant in unmittelbarer Nähe meines Hotels gegangen. Es gab um acht noch keinen anderen Gast. Als ich um halb zehn gehe, gibt es noch immer keinen anderen Gast., was ich gar nicht verstehen kann. Ich habe eine tollen Weißwein aus der Gegend von Avellino, einen Fiano, getrunken. Ich hatte zur Vorspeise eine Pulpo gebraten auf Kartoffelbrei, danach Kabeljau auf Ruccola und dazu einen gemischten Salat. Vor allem der Salat war köstlich mit einem regionalen Frischziegenkäse. Über diesen habe ich mich mit dem Wirt unterhalten, was dazu geführt hat, das er mir verschiedene regionale Käse präsentiert: einer köstlicher als der andere. Was lernen wir daraus? Der Untergang einer Kultur bedeutet nicht, dass trotzdem fantastische Produkte für das leibliche Wohl überleben und immer weiter verbessert werden – und dass die Menschen tolle Menschen bleiben, was immer für Regime herrschen.

Nachschlag: nachdem ich bezahlt habe, lädt mich der Wirt zu einem lokalen Likör ein. Danach „muss“ ich verschiedene regionale Produkte von Käse über Wurst bis hin zu Weinen und noch mehr Likören probieren. Es wird reichlich lustig und wir verstehen uns, trotz der Sprachdifferenzen prächtig. Dann schwanke ich zurück ins Hotel, nicht ohne der Römischen Kultur zu huldigen und den tollen Menschen, die ich auf meinen Reisen treffe.

P.S.: ich werde Morgen den Beitrag Korrekturlesen, heute geht nichts mehr

Tag 14 – 26.10.25: Lioni – Fontanarosa

Pizza hat mich noch nie so „angemacht“

Der heutige Tag ist schnell erzählt: es hat in der Nacht heftig geregnet und dunkle Wolken hängen um halb neun, als ich aufbreche, an den Bergen fest. Mit 16 Grad ist es bereits sehr warm. Es weht Wind, der noch immer Tropfen mit sich führt. Ich laufe trotzdem nur mit einem T-Shirt bekleidet los.

Die Landschaft ist hügelig bis leicht bergig. So wie bei uns in den Mittelgebirgen. Wiesenwege meide ich nach Kurzem, da sie nass und matschig sind. Der Regen der letzten beiden Wochen hat für ein frisches Grün gesorgt, trotz des Herbstes und seiner präsenten rot und gelb Töne.

Gäbe es nicht die vielen Olivenbäume, könnte man vom Landschaftsbild glauben, man wäre tatsächlich bei uns in den Mittelgebirgen. Es gibt neben den Olivenbäumen noch zwei weitere Unterscheidigungskriterien:

1. auch der schmalste und manches Mal vermutlich von Autos nie genutzte Weg ist asphaltiert. Ausnahmen gibt es sehr selten und enden meist auf einem Acker.

2. Ortschaften wurden nie im Tal an Bächen und Flüssen errichtet, ausnahmslos befinden sie sich um irgendeinen Gipfel eines Berges. Ich frage mich, wie die Menschen in diesen Städtchen früher, als es noch keine Pumpen gab, an Frischwasser gekommen sind. Straßen werden auch nie um einen Berg herum gebaut, sondern führen immer in den Ort und von dort wieder weg. Daher muss ich auch permanent auf und ab laufen. Rauf in einen Ort runter an an das Flüsschen und wieder rauf in den nächsten Ort.

Die heutige Herausforderung ist der Wind, der böig bis Sturmstärke erreicht. Mal kommt er direkt von vorne mal von der Seite. Dieser Starkwind, kommt er von vorne, ist wie bergauf laufen. Ich muss gegen ihn ankämpfen. Kommt er von der Seite, muss ich aufpassen, dass er mich nicht umhaut. Oft habe ich das Gefühl, ich laufe zick zack. Kommt ein Fahrzeug, muss ich aufpassen, nicht in die Mitte der Fahrbahn gedrückt zu werden.

Nach knapp 600 Höhenmeter und knapp 30 Kilometer bin ich an meinem Ziel angekommen. In dem Gebilde aus B&B und Restaurant – es ist Sonntag, weshalb noch Mittagsgäste aus Neapel um kurz vor vier speisen – werde ich von einem Deutsch sprechenden Kellner mit der Frage angesprochen, ob ich Deutsch spreche.

Er ist in Oberfranken aufgewachsen, wo noch immer seine Eltern und Geschwister leben. Er ist, bevor seine Kinder in die Schule gekommen sind, zurück in seinen Heimatort gezogen. Der gute Mann hat Rede Bedarf. Also höre ich ihm bestimmt eine halbe Stunde zu und kenne nun seine komplette Lebensgeschichte einschließlich, dass er sich, obwohl er in Deutschland immer der Italiener ist, eher als Deutscher als ein Italiener fühlt.

Der Betrieb beeindruckt mich, nicht wegen des „Deutschen“ Kellners, sondern wegen des Restaurants. Ich bin, wie so häufig, der erste im Restaurant und bestelle eine Pasta mit frischen Steinpilzen und einem Hähnchen. Alles ist sehr lecker. Ab halb neun ist das Restaurant voll. Alle essen Pizza oder entsprechende Varianten. Den Pizzabäckern, es sind zwei Mitarbeiter, kann ich beim Pizza backen zu schauen. Das ist eine beeindruckende Fließbandarbeit. Bis etwa viertel nach neuen machen die beiden pausenlos eine Pizza nach der anderen in verschiedenen Größen und Abarten, die entweder im Restaurant gegessen oder abgeholt werden.

Bei den beiden sitzt jeder Handgriff. Es ist ein bis ins letzte eingeübter Prozess. Der erste formt die Pizza auf einem etwa 2 Meter langen Tisch in einem Berg von Semola. Teigling rausholen, einstäuben, platt drücken, Formen durch ziehen und drehen in einer Bewegung über die Tischlänge von einer zu anderen Seite (Richtung Pizzaofen). Dann belegt er die Pizza mit allem was mit in den den Ofen soll. Der zweite nimmt die fertige Pizza und schiebt sie in den Ofen. Es befinden sich je nach Größe bis zu vier Pizzen gleichzeitig im Ofen. Er holt sie raus und belegt sie mit den Sachen, die nicht in den Ofen dürfen. Nebenher schnipselt er Tomaten, bereitet Ruccola und Ähnliches mehr vor. Dann kommt die Pizza entweder auf einen Teller oder wird zur Abholung verpackt. Hier sitzt jeder Handgriff.

Der Wahlspruch des Restaurants ist entsprechend: „… il segreto di una buona pizza? …è segreto“.

Wenn ich die Pizzen sehe, habe ich heute Abend eine Fehlentscheidung getroffen. Ich hätte Pizza essen müssen. Denn nicht nur der Prozess beeindruckt mich auch das Aussehen der riesigen Teile. Da läuft mir, obwohl ich satt bin, das Wasser im Mund zusammen —> entsprechend bestelle ich noch eine „Mini-Pizza“.

Tag 13 – 25.10.25: Colliano – Lioni

Oliven

Ich hoffe, ich bekomme heute Abend zum Abendessen ein regionales und hervorragendes Olivenöl: die meiste Zeit höre ich von irgendwo die Rüttelgeräte zum Abschütteln der Oliven. Höre ich nichts, so liegen bereits großflächig die Netze aus, um die Oliven aufzufangen.

Die Olivenbäume hängen brechend voll mit Oliven. Mich wundert, wie unterschiedlich die Früchte reifen. An manchen Bäumen sind alle Früchte grün, an anderen sind alle bereits schwarz und die meisten Bäume haben unterschiedlich gereifte Oliven. Sie eint, dass sie sehr klein sind, viel kleiner als die Jumbo-Oliven aus Apulien, das nicht weit weg ist. Trotz der regionalen Nähe könnten sie nicht unterschiedlicher sein. Mich würde sehr interessieren, welche sich besser für das Pressen von Olivenöl eignen und was die Geschmacksunterschiede sind.

Meine Wirtsleute kommen heute Morgen nicht in die Puschen. Ich muss bis kurz nach halb neun warten, bis die Dame des Hauses sich zeigt. Auf Frühstück habe ich im Hotel keine Lust, da noch nichts vorbereitet ist und ich fürchte nur ein verpacktes Brioche zu bekommen. Ich zahle meine Rechnung und los geht es: natürlich nur bis zur nächsten Bar, wo ich ein leckeres frisches Cornetto esse.

Ich schieße noch schnell von hier oben ein Foto Richtung Süden, von wo ich gestern gekommen bin. Es ist eine schöne Weite, die sich mir bietet, eingerahmt nach Osten und Westen von Bergen, aus dem Tal ragt der eine oder andere Hügel frech nach oben. In den Bergen Richtung Westen sammeln sich die ersten Wolken. Ich checke das Wetter: 0% Regenwahrscheinlichkeit bis 17:00 Uhr.

Kurze Zeit später öffnet sich die Vegetation und gibt mir den Blick frei nach Norden, was meine heutige Hauptrichtung ist. Da der Wind heftig aus Süden bläst, drücken die Wolken sich an die Berghänge und werden immer schwerer, dunkler und bedrohlicher. Ich brauche keine mathematischen Modelle, um die Wahrscheinlichkeit auf Regen zu ermitteln. Sie liegt bei 100%. Bis zum frühen Nachmittag bläst der Wind mir eine feuchte bis regnerische Luft in den Rücken. Es ist nicht wirklich Regen, trocken ist allerdings auch nicht.

Als ich im Tal auf ca. 250 Höhenmeter ankomme, wird es stürmisch und ich kann sehen, dass nicht weit weg von mir es bereits regnet. Vor mir liegt eine Tankstelle. Zu der flüchte ich mich, denn ich möchte im Trockenen mein Hemd gegen die Regenjacke tauschen. Fast im Laufschritt erreiche die Tankstelle, die zum Glück auch eine Bar hat. Ich bestelle einen Espresso. Der Café steht noch nicht vor mir, da bricht draußen die Hölle los. Ich habe den Café gerade fertig getrunken und bin dabei mich umzuziehen, da ist der Spuk auch schon vorbei. Gut, das Hemd kommt trotzdem in den Rucksack und die Regenjacke bleibt einfach drin.

Jetzt muss ich wieder den Berg rauf auf etwa 850 Meter. Ich schwitze und friere dabei gleichzeitig. Der Anstieg treibt den Schweiß, der feuchte Wind lässt mich frieren. Die Wanderung genieße ich trotzdem. Mein Blick kann in die Ferne schweifen, den Anblick der kultivierten Natur genießen und die Menschen bei ihrer anstrengenden Arbeit beobachten.


Einen deutlich geringeren „Genuss“ erzeugen eine Reihe von Hunden, mit denen ich mich abgeben muss. Ich bin gewohnt, dass ich mich an jedem Haus Hunde anbellen lassen muss, viele Hunde können auch die Grundstücke frei verlassen. Meistens bellen sie aus Angst und sind durch ein selbstbewusstes Auftreten in die Flucht schlagbar. Heute ärgern mich aber einige frei laufende Hunde, weil sie mich äußerst aggressiv angehen und ich nur mit einer ähnlichen Aggressivität sie von mir fern halten kann. Weit oben am Berg stellt mich eine Art Husky-Verschnitt mit einem beeindruckenden Gebiss. Er will mich nicht passieren lassen. Ich hebe einen hinreichend großen Stein auf und drohe ihm lautstark an, ihm damit einen über den Schädel zu ziehen. Als ich mit äußerster Aggressivität und den Stein erhoben auf ihn zugehe, kommt endlich eine Frau aus dem Haus, um den Hund zurückzurufen. Ich glaube, sie hatte tatsächlich Angst, ich prügele auf den Hund ein. Als sie ihn holt, schnauzte ich sie an, wie man einen so aggressiven Hund frei rumlaufen lassen kann. Ich bin sicher sie versteht mich nicht. Aber es wirkt in so weit, dass sie mehrere scusi hinter mir her ruft; scheiß Köter.

Der Weg durch die Berge ist eine kleine Straße, die exakt am Lineal gezogen nach oben und Norden läuft. Der einzige Verkehr sind Traktoren und kleine Transporter beladen mit Oliven. Oben, wieder auf mehr als 800 Meter Höhe, kann ich in die Weite Kampaniens blicken. Um etwa 14:00 Uhr kommt die Sonne raus, der Wind zieht über mir hinweg und es wird angenehm warm.

Ein toller Wandertag mit beeindruckenden Landschaften. Ein Tag, der mich herausgefordert hat, und mit viel Befriedigung gegeben hat. So darf es weiter gehen.

Tag 12 – 24.10.25: Auletta – Colliano

Ernte

Niemand scheint zuhause zu sein, als ich das B&B verlasse. Den Schlüssel lege ich zurück in das Schlüsselkästchen, nachdem ich mich aus dieser Zwergentür gezwängt habe. Über enge und immer wieder sich verzweigende kleinste Gassen erreiche ich endlich die Hauptstraße. Erst weit am Ende des Ortes gibt es eine Bar.

Vor der Tür hängen einige ältere Männer in Arbeitskleidung ab und trinken schon mal das erste Bier. Einer von ihnen ist neugierig, kommt rein und stellt sich neben mich an die Bar. Er will wissen, was ich in meinem Aufzug so mache. Dass ich lustvoll durch die Berge wandere, versteht er nicht. Nach einigen wenigen Fragen und meinen kurzen Antworten – für richtigen Smalltalk reicht mein Wortschatz nicht – geht er raus, gesellt sich wieder zu seinen Kumpanen und die Männer lachen. Ich nehme an, er hat ihnen erzählt, was er aus mir heraus gebracht hat, und nun lästern sie jetzt erstmal ordentlich ab.

Als ich aufbreche, wünschen mir die Männer lachend eine gute Reise. Auch heute war ich der Annahme, Auletta läge oben. Ich muss dann doch noch sicher gut 150 Meter den Berg rauf. Auf allen Feldern, wo noch etwas wächst, wird geerntet. Ich vermute, da heute kein Regen angesagt ist, werden alle Hände eingesetzt, um vornehmlich die Oliven zu ernten. Es gibt hier und da noch einige schwarze Trauben, die ebenfalls gelesen werden. In einem Vorgarten werden Tomaten von einer älteren Frau mit Stock geerntet, die sich kaum noch bücken kann. Als ich meine Schritte verlangsame, um ihr kurz zuzuschauen, bietet sie mir eine Tomate an, die ich gerne akzeptiere und mit Genuss esse.

Aus Auletta muss ich, wie bereits berichtet, den Berg hoch. Kaum auf der Höhe angekommen, geht es wieder runter in ein Tal, wo ich einen Fluß zu überqueren habe. Mein Weg orientiert sich an der Brücke über den Fluss und nicht an der Topografie des Geländes. Auf der anderen Seite sehe ich, Buccino hoch oben auf einem Bergkamm liegen. Über diesen Bergkamm, der aus dem Tal gut 400 Meter in die Höhe ragt, muss ich rüber. Ich könnte diesen zwar umgehen, das würde aber über 40 Kilometer Umweg bedeuten. Entsprechend hatte ich gestern beim Planen der kommenden Tage beschlossen, ich gehe mehr oder weniger direkt nach Norden. Das bedeutet zwar für heute und Morgen jeweils etwas mehr als 1.000 Höhenmeter und an beiden Tagen je etwas mehr als 30 Kilometer, danach geht es dann aber eben bis nach Benevento, wo ich möglicherweise durch die Abkürzung einen Ruhetag bekommen werde.

Zurück zu heute. Völlig verschwitzt komme ich oben in Buccino an. In der ersten Bar trinke ich erstmal einen halben Liter Saft und danach noch einen Café. Von hier steige ich wieder ab in ein weites vor mir liegendes Tal zwischen zwei Erhebungen hindurch. Hier sind keine Industriebetriebe zu erkennen. In dem Tal wird Ackerbau betrieben. Das erfreut meine Augen.

Mitten im nichts liegt an einer kaum befahrenen Landstraße auf einem kleinen Hügel eine Bar. Darin arbeiten zwei sehr junge Leute. Ich denke, die beiden sind noch Teenager. Auch hier trinke ich wieder erstmal einen Saft, esse ein Ministück Pizza und zum Abschluss gibt es noch einen Café. Die zwei sprechen etwas Englisch und wollen wissen, was ich mache. Die beiden sind ungläubig, dass jemand einfach so durch Italien wandert und dann noch hier im Süden. Sie lassen sich mehrfach versichern, dass ich Italien mag und es toll in Italien ist. Sie wollen dann weiter wissen, wo ich gestartet bin und und wo ich hin will. Das müssen die beiden erstmal googeln. Je mehr sich damit beschäftigen, um so mehr Fragen stellen sie und um so erstaunter sind sie. Die junge Frau will noch neugierig wissen, wie alt ich bin. Ich sei ja älter als ihr Großvater und der sitze nur noch zu Hause auf dem Sofa oder vor der Tür auf der Bank. Außerdem sehe der viel älter aus. Ich bedanke mich geschmeichelt über das implizite Kompliment.

Das gibt mir noch einmal Schwung und den brauche ich. Ich kämpfe nicht nur mit den Höhenmetern sondern auch mit dem starken Wind, der mal aus Norden mir direkt ins Gesicht bläst oder von Norden Osten kommend mich ordentlich traktiert. Es ist heute sonnig und und über die Mittagszeit 18 Grad warm. Durch den Wind und möglicherweise durch meine verschwitzten Sachen finde ich es meist eher frisch.

Ich habe, weil es im Ort nichts anderes gab, ein Hotel gebucht. Das ich bei allen Bemühungen nicht finde. Ich frage den weit und breit einzigen Passanten, er hat noch nie von dem Hotel gehört. Ich checke nochmal den Namen, die Adresse und schaue in Google Maps nach: ich muss richtig sein. Da beim besten Willen nichts auf eine Unterkunft im Umkreis von 100 Meter hinweist, mache ich ein Foto, von dem Geschäft, vor dem ich stehe, und schicke dieses per WhatsApp an meine Wirtsleute, mit der Bitte um Hilfe. Keine Reaktion, dann rufe ich an: keine Reaktion. Ich mache mir schon Gedanken, was das wohl bedeutet und bastele bereits an einem Plan B: es gibt noch ein zweites Hotel nach GoogleMaps weiter oben im Ort, das ich über Booking.com nicht buchen konnte. Dann bekomme ich eine WhatsApp Nachricht mit den exakten Standortdaten. Als ich die öffne, sehe ich, dass es genau dieses andere Hotel ist. Ok, das klappt also doch. Leider ist es noch eine halbe Stunde dorthin, da das Hotel viel weiter oben direkt bei der Normannen Burg liegt und ich in weit ausholenden Serpentinen nach oben gehen muss.

Auch wenn ich etwas verschnupft darüber bin, dass die Gastwirte mir nicht gleich die korrekte Adresse gesendet haben, so erfreuter bin ich, dass ich im Hotel, dessen einziger Gast ich bin, zu Abendessen kann. Noch erfreuter bin ich, dass das Zimmer Fußbodenheizung hat und wohltemperiert ist. Welch eine Wonne, in ein rundum warmes Zimmer zu kommen.

Tag 11 – 23.10.25~ Sala Consilina – Auletts

Bauvorschriften sind ein Segen

Ich habe gestern Abend noch lange gelesen, da ich das Buch, das ich in den letzten Tagen gelesen habe, so gefesselt hat und ich es unbedingt vor dem Schlafen durch haben wollte. Entsprechend müde bin ich heute Morgen, als der Wecker um 07:30 Uhr klingelt.

Nach dem ich das Haus verlassen habe, stürme ich die nächst beste Bar. Heute gibt es nicht nur einen Cappuccino sondern auch noch einen Espresso für den Weg. Als ich nun endlich losziehe, fällt mir erst auf, welche eine dicke Nebeldecke im Tal liegt. Ich bin noch nicht ganz aus Sala Consilina raus werde ich von dicken weißen Wolken umhüllt: der Nebel steigt in rasender Geschwindigkeit nach oben.

Da ich selbst den Berg östlich von mir erklimmen muss, zieht der Nebel an mir vorbei. Kurze Zeit später hat die Sonne die Wolken vertrieben und es verspricht, ein sonniger Tag zu werden. Ich wandere durch liebliche Landschaften und treffe zu meiner Überraschung im nächsten Ort wieder auf den Camino del Negro. In dem Bergdorf kaufe ich im örtlichen Supermarkt einige Kleinigkeiten ein als mich eine Verkäuferin auf Deutsch fragt, ob ich aus Deutschland komme. Ich frage zurück, ob meine Aussprache soo Deutsch sei. Sie grinst mich an und meint, man sähe es mir an. Die junge Frau ist in Stuttgart aufgewachsen und als Erwachsene zurück zu den familiären Wurzeln gegangen.

Von hier oben kann man ganz gut erkennen, dass sich auf der Ostseite des Tals Industriebetrieb an Industriebetrieb reiht – so wie ich das schon gestern beobachtet habe. Da ich in diesem Tal nach Norden gehen muss, entscheide ich mich für einen Weg auf der Westseite. Diese Industrie- und Gewerbegebiete empfinde ich als echte Zumutung. Mir geht dabei durch den Kopf, dass ich die Tage gelesen habe, dass ein Manager meinte, man müsse nur die Bauvorschriften lockern, dann würde Bauen billiger und entsprechend mehr gebaut. Darüber denke ich beim Laufen etwas nach und komme zum genteiligen Schluß: Man müsste vor allem auch was das Design von Industriehallen noch viel höhere Anforderungen stellen. Es ist eine Zumutung, was uns mit der Begründung der Wirtschaftlichkeit so alles an Gebäuden vor die Nase gesetzt wird. Investoren und Architekten sollten sich manch einmal schämen.

Ich bin überzeugt, nicht wegen des Designs, dass Bauvorschriften gut und richtig sind. Denn fallen Gebäude, wie beim letzten großen Erdbeben in der Türkei wie Kartenhäuser zusammen und Zehntausende Menschen sterben in den Trümmern, ist das Geschrei groß. Aber man muss nicht in Ferne Länder schauen: bricht das Dach einer Sporthalle unter der Schneelast ein, dann wird nach noch strengeren Regeln gerufen. D. h. Bauvorschriften sind notwendig und die Kontrolle der Einhaltung ebenso. Man sollte mal, wenn man auf die Legislative schaut, überlegen, ob jedes Bundesland eigene Regelwerke braucht oder sie nicht vereinheitlicht werden sollten.

Wenn Investoren über die Vorschriften jammern, wollen diese nichts anderes als entweder mehr Pfusch oder niedrigere Investitionen zu Lasten überproportional hoher späterer Verbrauchskosten; nur die brauchen sie selbst nicht zu tragen sonder der Nutzer/Mieter. Investoren sollten vielmehr darauf drängen, dass Bauunternehmen – ob Konzern oder Handwerksbetrieb – beim ersten Mal alles korrekt erstellen und auf eine hohe Standardisierung Wert legen. In diesen beiden Bereichen liegen enorme Einsparpotenziale. Das müssten dann Investoren und Manager selbst machen. Das ist halt weit aufwendiger als mit den Fingern auf die Politik zu zeigen.

Zurück zu meinem Weg. Ich durchquere also das Tal von Ost nach West, um nicht direkt entlang verwahrlosten und/oder häßlichen Betriebe laufen zu müssen. Dabei laufe ich auf eine Schaf- und Ziegenherde auf. Am Ende läuft eine Ziege mit riesigem Euter, die immer wieder stehen bleibt, um mich lautstark anzumeckern.

Wie das Foto zeigt, ist es auf der Westseite des Tals sehr idyllisch, man darf nur nicht seinen Kopf nach rechts drehen. Mein Weg durch das Tal,ist sicher zehn Kilometer lang. Es endet mit einem Ort, in dem ich noch einen leckeren Café trinke und wieder hoch in die Berge muss. Teilweise führt mein Weg auf einer Serpentinen reichen Passstraße erst hoch und dann wieder runter.

Mittlerweile hängen die Wolken dunkel in den Bergen. Da sie nicht ohne abzuregnen über den Berg kommen, werden sie immer dichter und schwärzer. Regen ist ab 16:00 Uhr angesagt. Ich gebe Gas, damit ich frühzeitig in meinem B&B ankomme. Um drei fallen die ersten Tropfen vom Himmel. Vorsichtshalber ziehe ich meine Regenjacke an. Ich brauche auf jeden Fall bis halb vier, weil ich auch noch hoch in den Ort muss. Das B&B liegt in einem kleinen Bergdorf etwa 120 Meter über der Passstraße auf einem Hügel. Das Haus, zu dem ich muss liegt ganz oben und ist nur über enge Gassen, für die ich jetzt kein Auge habe, zu erreichen.

Kurz bevor das Gewitter losbricht, stehe ich vor dem Eingang. Der Besitzer ist nicht zu Hause. Er hat mir ein Video geschickt, wie ich an den Schlüssel komme und wie ich mich im Haus orientieren kann. Die Eingangstür ist eine Herausforderung. Durch eine kleine Schlupftür, die nicht höher als 1,20 m und nicht breiter als 40 cm ist, quetsche ich mich mit gesenktem Kopf und in die Knie gehend durch das Türchen. Da haben die schon eine toll große Tür und dann kann man aber nur ein Loch öffnen.

In einem Seitenflügel hat der Besitzer eine Wohnung mit einer Küche und Eine Art Wohnbereich eingerichtet von dem drei Zimmer abgehen. Eines davon ist meins. Ich bin heute der einzige Gast, weshalb ich den Küchen-/Wohnbereich für mich habe. Ich stelle erstmal die Heizung an (Lüftung: so kann man an beim Bauen sparen. Diese Form des Heizens verursacht die geringsten Kosten. Sie macht zwar die Luft warm, nicht das Gebäude, was sich nicht komfortabel anfühlt; die verursachten Elektrokosten sind enorm: ich liebe unser „Heizungsgesetz“), sowohl in meinem Zimmer und als auch im Gemeinschaftsbereich. Dort verbringe ich im wesentlichen meinen restlichen Nachmittag und Abend, da es im Zimmer keinen Wifi und kein Handyempfang hat.

Tag 10 – 22.10.25: Tenuta Le Casicine – Sala Consilina

Ein Flussbett wird zum Pilgerweg

Wie nicht anders zu erwarten, ist meine Wäsche nicht getrocknet. Gut, dass ich ein zweites Set dabei habe. Mein Beutel fürs Essen muss heute für die feuchte Wäsche herhalten und das Essen packe ich zum Toilettenpapier.

Meine wortkarge und doch freundliche Wirtin wartet schon mit dem Frühstück auf mich. Typisch italienisch bekomme ich auch hier einen Cappuccino und ein Cornetto gefüllt mit Schokolade, dazu Honig und Aprikosenmarmelade.

Kurz darauf bin ich zurück auf der Straße. Sie ist, das ist mir im Regen gestern nicht aufgefallen, neu gemacht. Trotzdem kommen auf 2,5 Kilometer gerade mal drei Autos an mir vorbei. Die beiden Fahrerinnen/Fahrer der beiden entgegenkommenden Autos telefonieren, natürlich mit Handy in der Hand bzw. am Ohr. Ich habe den Eindruck, dass in Italien nicht bekannt ist, dass es bereits seit 30 Jahren Freisprechanlagen gibt. Zumindest nutzt keiner diese. Auto zu fahren, ohne zu telefonieren geht in Italien nicht. Ich vermute, die Autos springen ohne Telefonat nicht an bzw. gehen sofort wieder aus. Deshalb wandere ich nicht so gerne auf Straßen, selbst wenn kaum ein Auto unterwegs ist. Die Aufmerksamkeit ist eher bescheiden, was ich an den häufigen hektischen Ausweichmanövern festmache.

Nach zwei Kilometern wechsele ich an der Ponte del Re von der Straße auf die aufgelassene Bahnstrecke, die ich gestern bereits beschrieben hatte. Die Ponte del Re ist eine Brücke der alten Passstraße. Diese ist zur Zeit gesperrt, weil der Baucontainer für die Renovierung der neuen Brücke, den Durchgang versperrt. Die cleveren Bauarbeiter bei der neuen zu renovierenden Brücke haben den Zugang zur „Bahnlinie“ auch mit Bauzäunen abgesperrt. Ich muss daher erst mal ein Machtwort sprechen, damit die mich durchlassen und den Bauzaun öffnen.

Bei dem geringen Verkehr hätte man natürlich die Fahrzeuge über die alte Brücken leiten, statt einspurig mit Ampelschaltung über die Neue. Durch den Aufbau behindert man den Verkehr und die Arbeiten zur Renovierung. Ich muss mir schon klar machen, dass dies nicht meine „Baustelle“ ist und ich mich deshalb über diese Ungeschicklichkeiten nicht aufregen brauche.

Trotz leichten Nieseln ist es toll, auf der Bahntrasse entlang eines traumhaft schönen Flüsschens zu marschieren. Leider endet die Trasse nach etwa fünf Kilometern und der Weg geht zunächst in einen Wiesenweg über. Nach der Beschilderung bin auf dem Camino del Negro gelandet. Man scheint die Gewohnheit zu haben, jeden Weg, der nicht gleichzeitig Straße ist, als Camino zu bezeichnen.

Auf den Schildern, die den Weg als Camino del Negro ausweisen ist auch ein QR Code, der auf eine gut gemachte Webseite verweist. Dort kann Mann sich u. a. die GPS Daten herunterladen. Das ändert nur nichts an der mangelnden Qualität des Weges.

Zunächst kommt mir eine Schafherde entgegen, die wohl häufiger auf dem Weg unterwegs ist, da er voller Schafskot ist. Dann wird der Weg zu einem Pfad. Es dauert nicht lang und der Weg ist zugewuchert aber dennoch erkennbar. Das ist in Italien nicht ungewöhnlich. Kurz darauf ist der Weg weg. Ich kann zwar Wegmarkierungen erkennen, ein Weiterlaufen ist völlig unmöglich, vor allem wegen meiner „Lieblingspflanze“ der Brombeere. Bei der Camino del Negro Organisation weiß man wohl nicht, dass man mindestens einmal im Jahr nach des Hauptvegetationsschubes Wege abgehen und und von unliebsamen Zuwucherungen befreien muss. Hier schaltet ich mich nun doch ein und schreibe der Organisation eine Email.

Was ist zu tun: etwas abseits des Weges gibt es ein Flüsschen, das in diesem Bereich Richtung Süden fließt, falls es hinreichend Wasser führt. Trotz des Regens ist das Flussbett meist trocken. Also pilgere ich das Flussbett bergan. Das ist nicht immer vergnüglich, da entweder tiefer Sand oder große, feuchte, rutschigen Steine den Untergrund bilden. Ich muss arg aufpassen, mir nicht die Knöchel oder die Unterschenkel anzuhauen. Der Sand rieselt mir von oben in die Schuhe und reibt tüchtig auf der Haut. Ich komme nur langsam vorwärts. Über dem Flussbett liegen immer wieder umgefallene Bäume und behindern meine Vorwärtskommen zusätzlich.

Oben angekommen wird aus dem Flussbett ein nach Norden fließender Bach. Das Bachbett ist nicht breit und damit das Wasser tief. Hier geht es definitiv nicht weiter. Ich suche auf meiner App, wo sich der eigentliche Weg befindet, um zu schauen, ob ich mich dahin durchschlagen kann und er wieder begehbar ist. Bevor ich den Weg finde, treffe ich auf einen Acker. Am Rain des Ackers später Feldes kann ich weiter laufen bis ich an eine Brücke über den Bach auf einen Feldweg stoße. Jetzt muss mir im Bach erstmal die Füße waschen und die Schuhe vom Lehm befreien. Mit Kiesel freien Schuhen läuft es sich doch besser.

Als ich wieder auf eine Straße treffe, entscheide ich mich, dieser bis in den nächsten Ort zu folgen, da ich genug von der „Wildnis“ habe.

Auf der Straße komme ich gut voran und passiere einen der typischen italienischen Friedhöfe gigantischem Ausmaßes verglichen mit dem kleinen Ort (weniger als 1.200 Einwohner) und sehr hohen Totenhäusern, wie auch immer diese Bauwerke genannt werden, in die die Särge geschoben werden.

Gegen Mittag hört der Regen auf. Es bleibt aber trist. Jetzt wegen der Umgebung. Ich laufe durch Industrie und Gewerbe geprägte Ortschaften. Verstärkt wird der öde Eindruck durch den Müll, der überall rumliegt.

Um mich abzulenken, mache ich einige Telefonate. Obwohl ich wieder mehr als 30 Kilometer wandere und der sonstigen Handy Nutzung, hält der Akku des neuen IPhones durch. Das ist das erste IPhone, das bisher an keinem Wandertag schlapp gemacht hat. Das erfreut mich doch sehr.

Am Nachmittag erreiche ich Sala Consilina. Mein B&B liegt weit oben in der Oberstadt. Ummelden zu erreichen, muss ich die Hauptstraße durch den Ort nehmen. Das ist so trostlos wie zuvor die Industriegebiete, weil vermutlich jedes dritte Haus an der Straße verlassen ist oder, wie man aus der Abverkaufswerbung einzelner Geschäfte entnehmen kann, verlassen wird. Die leeren Häuser sind oft bereits verfallen, andere sind in einem erbärmlichen Zustand. Mir schwant schlimmes bzgl. meines B&B.

Umso überraschter bin ich, als ich bereits an der Straße von einem jungen Mann erwartet werde und zu einem Haus in zweiter Reihe geführt werde, das sich in einem geradezu hervorragenden Zustand befindet. Das gilt auch für das Zimmer und die sanitären Einrichtungen.

Der negative Eindruck, den ich bei der Anreise von Sala Consilina bekommen habe, verstärkt sich, als ich zum Essen das Haus verlasse. Fast alle Restaurants und Pizzerien, die in Google Maps verzeichnet sind, sind dauerhaft verschlossen. Es gibt viele dunkle Ecken, die kein gutes Bild über die Stadt zulassen. Nach einem guten Kilometer gibt es eine leere sehr große Pizzeria. Die Pizza ist dann wieder fantastisch: so wie ich das aus DER Pizzaregion auch nicht anders erwarte.

Tag 9 ‚ 21.10.25: Lauria Superiore – Tenuta Le Casicine (Casalbuono)

Wenn Du meinst, Du bist oben, ist meist noch nicht oben

Im B&B hat ein älteres Paar, das sicherlich 5-10 Jahre jünger ist als ich, aus Deutschland übernachtet. Die beiden treffe ich beim Frühstück. Sie sind, als ich aus meinem Zimmer komme, schon eine geraume Zeit dabei, sich die trockenen Backwaren einzuverleiben. Ich frage sie, aufgrund ihrer Kleidung das Offensichtliche, ob sie mit dem Fahrrad unterwegs seien. Sie sind auf dem Weg nach Lamezia Therme und berichten ganz begeistert vom gestrigen Tag. Sie seinen auf einer aufgelassenen Bahnstrecke hierher geradelt und das sei landschaftlich hinreißend gewesen.

Ich ziehe dann mit einem trockenen Brioche im Bauch los, was mich nicht sehr stört, da ich noch Zahnpasta einkaufen muss und ich beabsichtige, mir wieder ein Panini con Prosciutto Cotta machen zu lassen, das ich für später einstecken werde.

Lauria klebt zur Ostseite an einem Berg. Den muss ich weit hoch. Mir war gar nicht klar, dass ich gestern so weit abgestiegen bin. Aber es gibt keinen anderen Weg: den Berg muss ich hoch schnaufen. Als ich das geschafft habe, bin ich oben in einem kleinen Örtchen, mit einer zentral gelegenen Bar. Dort gönne ich mir erstmal einen guten Espresso, bevor ich dann auf dem Hochplateau Richtung Norden weiterlaufe. Ich liege falsch, der Ort ist noch lange nicht oben. Heute werde ich immer wieder getäuscht. Einige Male denke ich, nun bist Du oben. Dabei ist es doch relativ einfach festzustellen, ob man oben ist: läuft man in einem Schatten, kann man nicht oben sein. Oben ist, wo die Sonne scheint, von allen Seiten. Ist schon klar, solange es natürlich nicht bewölkt ist.

Als ich mal wieder sicher bin, oben zu sein, treffe ich auf einen sehr schön angelegten Weg. Da er sich durch die Berge schlängelt und eine gute Autobreite hat, gehe ich zunächst davon aus, dass es sich um die alte Passstraße handelt, die man aber nicht hat einfach verfallen lassen, sondern neu betoniert und als Wanderweg hergerichtet hat. Der Weg führt immer mal wieder durch kurze unbeleuchtete und in unbelüftete Tunnel, so wie ich sie von der Ligurischen Küste kenne. Da musste man bei Einfahrt hupen, um der Gegenrichtung zu signalisieren, nicht einzufahren sondern zu warten, da die Breite für zwei Fahrzeuge nicht ausreicht

.

Verwundert bin ich nur, als ich wieder auf einen Tunnel treffe, der allerdings knapp 1,6 Kilometer lang ist. Da funktioniert die Huptechnik ganz sicher nicht. Als ich in den Tunnel marschiere, muss ich erstmal meine Stirnlampe aus dem Rucksack holen. Denn sehr schnell ist es stockfinster. Mit dem Handy zu leuchten, macht keinen Sinn, da ich schnell überschlage, dass ich etwas mehr als 18 Minuten durch den Tunnel brauchen werde. Ganz schön spooky. Solange braucht man nicht einmal, um durch den Gottardtunnel zu fahren. Der ist 18 Kilometer lang und man darf 80 km/h fahren.

In dem Tunnel ist es sehr feucht. Über lange Strecken plumpsen immer wieder fette Kondenswassertropfen von der Tunneldeckel auf mich herunter. Diese Feuchtigkeit erzeugt eine unangenehme Kondenskälte, die durch meine Kleidung dringt, obwohl ich mich zügig vorwärts bewege. Entsprechend bin ich froh, als mich am Ende des Tunnels die Sonne in die Arme nimmt und schnell wieder aufwärmt.

Kurze Zeit später passiere ich ein Bahnhofsgebäude. Auf ein Gebäudeteil hat ein Künstler eine alte Bahn gezeichnet, die mich an ein Kinderbuch aus meiner Kindheit erinnert. Jetzt verstehe ich erst, dass die Passstraße keine Passstraße sondern die Bahnlinie ist, von der die Radfahrer heute Morgen erzählt haben. Ich kann bestätigen, dass die Landschaft abwechslungsreich ist und in der Sonne lieblich wirkt.

Das ändert sich sehr schnell. Die Bahnstrecke fällt stark ab und endet in Lagonegro. Der tiefste Bereich von Lagonegro, wohin mich der Weg führt, ist etwa 300 Meter tiefer als der obere Bereich, wo ich wieder hin muss. Erst geht es also beim Abstieg in das dunkle sonnenlose Loch in die Knie und anschließend müssen Po- und Oberschenkelmuskulatur mich wieder nach oben arbeiten. Dort ist es nun auch dunkel. Die Sonne ist weg und schwarze Wolken sind in die Berge gezogen. Ich bin gerade am höchsten Punkt des Städtchens angekommen, da fängt es in weiter Ferne an zu Gewittern und hier beginnt es zu tröpfeln. Es dauert aber nur wenige Minuten bis das Gewitter so nah ist, dass aus dem Tröpfeln Regen wird.

Mehr als 15 Kilometer, fast die Hälfte der gesamten Strecke, begleitet mich der Regen. Trief nass komme ich bei meiner Unterkunft einer Tenuta an. Ich bin davon ausgegangen, dass hier zahlreiche Leute arbeiten und jemand von ihnen mich sofort in Empfang nimmt. Hier ist alles zu; es ist menschenleer. Ich versuche ein trockenes Plätzchen zu finden, damit ich die Email mit der Telefonnummer raus suchen und anrufen kann. Das entpuppt sich als schwierig auf dem nassen Display. Dann schaffe ich‘s. Es klingelt und eine Frau, die selbstverständlich nur italienisch spricht, geht dran. Trotz der Sprachbarriere versteht sie schnell, dass ihr Übernachtungsgast angekommen ist. Sie scheint, im Haus zu rumzuwuseln, da sie nur wenige Minuten braucht, um mir aufzumachen.

Ich bin ihr einziger Gast. Ich bekomme beim Eichecken die klare Anweisung, gegessen wird um 19:30 Uhr. Auch im Restaurant bin ich den ganzen Abend ihr einziger Gast. Als ich bei Zeiten runter ins Restaurant komme, hat sie mir einen Tisch direkt am Kamin zurecht gemacht, in dem ein wärmespendendes Feuer lodert und mich schnell erwärmt. Das ist mir in dem einfachen Zimmer, das nur aus harten Materialien besteht, nicht gelungen. Die Lüftung habe ich zwar auf 28 Grad stehen und es kommt auch warme Luft raus, das Zimmer bleibt trotzdem unangenehm kühl.

Die Wirtin ist ganz alleine. Sie macht die Küche und bedient mich auch. Sie gustierte meine Essensauswahl und gibt sich mit dem Essen Mühe. Es gibt regionale Hausmannskost. Ich wähle zum Start eine Gerstensuppe, die durch Bohnen und anderem Gemüse angereichert ist. Anschließend esse ich Kalbsfleisch geschmort mit Steinpilzen und da zu einen gemischten Salat. Dessert muss ich heute nehmen, eine Zitronenrolle, die sie selbst gemacht und tüchtig angepriesen hat.

Mein Wettercheck – ich geb zwar nicht mehr viel auf den Wetterforecast für die Region, da ich das Gefühl habe der ändert sich stündlich grundlegend – erzählt für die nächsten Tage Regen. Ich hatte noch auf keiner Wanderung so viel Regen wie diesmal. Der Regen geht mir echt auf den Senkel.

Tag 8 – 20.10.25: Mormanno – Lauria Superiore

Voller Fokus auf den Weg

Gestern hatte ich eine Wohnung als Unterkunft angemietet, in der am Abend für 2 Stunden die Heizung an war und auch heute Morgen, als ich aufstehe, bollerten die Heizkörper. Damit wird so eine Wohnung nicht warm. Ich habe versucht, mich im Bett einzukuscheln. Das war aber so schmal, dass ich mich beim Umdrehen immer wieder aus der Decke gedreht habe und von der Kälte wache wurde. Wie kann man so geizig sein.

Andererseits war ich über die Heizkörper sehr dankbar. Da ich gestern Abend die Waschmaschine, die es in der Wohnung gab, mit meiner zum Teil wirklich stinkenden Wäsche vollgestopft habe, kamen mir heiße Heizkörper bei der Trocknung der Wäsche sehr entgegen. Alles wurde trocken. Somit habe ich mal wieder nur saubere und trockene Wäsche im Rucksack: sehr angenehm.

Frühstück gibt es in diesem B&B nicht. Das zweite B fehlt. Ist aber alles andere als schlimm. Denn das Frühstück, gibt es denn welches, finde ich eher eine Bestrafung als ein gewünschtes Add On. Ich komme nach wenigen Häusern an einem Salume (Mini-Supermarkt mit Frische Theke) vorbei. Dort lasse ich mir ein Panini mit Prosciutto Cotta machen und fülle noch meine Wasserflasche auf. Das Panini ist sau lecker. Ich habe es in Windeseile aufgegessen.

So jetzt aber volle Konzentration auf den Weg. Ich vergleiche ständig die Wegempfehlungen von Google Maps und Outdooractive, um den besten Weg zu finden. Es gibt bei der Auswahl im wesentlichen drei Kriterien: Kürze des Weges, Höhenmeter und Vermeidung einer Durchgangsstraße. Einen kleinen Umweg akzeptiere ich gegen Mittag, um an einer Bar vorbeizukommen. Ich habe heute Glück und ich kann dreimal einen Espresso trinken und dabei auch immer ein eiskaltes Süßgetränk mitnehmen. Am liebsten mische ich zwei Säfte: einmal sauer einmal süß. Das hält mich auf Touren.

Etwa 8 Kilometer vor Lauria, meinem heutigen Ziel, liegt am Wegesrand mitten im Nichts und damit völlig überraschend für mich ein kleines Restaurant, eher eine Bar. Ich kehre ein, um noch einen späten Café zu mir zu nehmen. Aber innen richt es einfach toll nach diesen typischen italienischen Sandwiches, die bedarfsorientiert erhitzt werden. Da kann ich einfach nicht widerstehen, obwohl ich dem Grunde nach gar keinen Hunger habe. Aber mir läuft bei dem fantastischen Geruch das Wasser im Mund zusammen. Die Wirten spricht ein gutes Englisch und überredet mich eine Teigtasche zu essen, die frittiert wurde und die mit einer Masse aus Hackfleisch- und Käserolle gefüllt wurde: alles natürlich frisch und selbstgemacht, wie sie stolz erzählt.

Nach knapp 35 Kilometern und mehr als 700 Höhenmetern stehe ich vor dem B&B. Die Besitzerin holt mich an der „Hauptstraße“ diese Bergortes, der von kleinsten Gassen und Treppchen durchzogen ist, ab. Ich habe ein sehr nett eingerichtetes Zimmer mit einer Deckhöhe unter 2 Metern. Hier ist es gut, nicht groß gewachsen zu sein. Es ist richtig kuschelig. Ich bekomme auch gleich eine Restaurantempfehlung. Damit bin ich gut für den Abend gerüstet.

Aber noch einmal zurück zum Weg: Knapp vor Erreichen von Lauria Superiore stoße ich auf einen privat angelegten Weg, der so nicht in den Karten verzeichnet ist: Il Piccolo Cammino di Santiago. Ich gehe davon aus, dass es der Santuario della „Madonna Assunta“ war, der diesen Weg gebaut hat und immer noch pflegt. Dieser Weg ist eine deutliche Abkürzung und hat mir am Ende über einen Kilometer eingespart.

Da ich schon mal über das Essen geschrieben habe, möchte ich heute mit Essen enden: ich war in einer Metzgerei (Empfehlung meiner Wirtin), die natürlich Fleisch in den Vordergrund stellt, Abend essen. Zur Vorspeise esse ich die Pasta Fresca di Giornato. Das sind heute Gnocchi mit Tomaten und Hackfleischsoße. Danach wähle ich Scaloppine in einer Zitronensoße mit Steinpilzen und scharfem Grünkohl. Das ist super lecker. Nachdem ich in den ersten Tage nur Pizza bekommen habe, war das Essen die letzten drei Abende zwar in sich einfach dafür allerdings hervorragend. So nun freue ich mich auf Morgen mit wieder mehr als 30 Kilometern. Ich habe ein Zimmer in einer Tenuta mit einem Restaurant gebucht, so dass es sein kann, dass ich wieder mit einem Bericht über das Abendessen meinen Tag beenden werde.

Tag 7 – 19.10.25~ Morano Calabro – Mormanno

Zauberhafte Bergwelten an der Grenze von Kalabrien und Basilicata

Heute müssen im wesentlichen Bilder sprechen. Das erste Bild zeigt die Normannen Burg, die hoch über Murano Calabro thront und die Stadt Jahrhunderte geschützt hat. Da der Zugang noch geschlossen ist, laufe ich einmal um die Burg herum und habe dadurch schonmal 60 zusätzliche Höhenmeter auf der Uhr.

Danach geht es ab in den Wald und in die Berge. Ich wandere durch den Nord-Östlichen Teil der Kalabrischen Abruzzen, die ständig neue, unglaublich schöne Landschaften zeigen. Gemeinsam sind die Almwiesen, auf denen vornehmlich Rinder grasen. Ich komme auch an Pferdeherden und Schafen vor bei. Die Pferde lassen sich nicht fotografieren. Noch viel ängstlicher als die Kühe rennen die Pferde vor mir davon, sobald sie Witterung von mir aufnehmen.





Die Als ich gerade auf meinem Handy nach dem Weg schaue, kreuzt ein Bauer, der ein Pferd führt, meinen Weg. Nachdem ich ihn mit einem Buon Giorno begrüßt habe, rattert er los und ich verstehe nicht ein einziges Wort. Erst als ich ihm mitteile, dass ich kein Italienisch spreche, spricht er artikuliert und langsam. Es ist überall auf dem gesamten Globus das selbe Verhalten, das Menschen an den Tag legen, wenn klar wird, man spricht ihre Sprache nicht. Sie sprechen weiter, geben sich zwar Mühe, artikulierter zu sprechen, was natürlich nichts daran ändert, dass man nichts versteht. Viele versuchen durch Wiederholungen und lauter Sprache, sich verständlich zu machen. Hilft aber immer noch nichts. Gut in diesem Fall habe ich das Eine oder Andere verstanden. Ich glaube, er wollte mir klar machen, dass ich nicht nach dem Weg schauen muss, sondern einfach den Berg hoch zu gehen habe. Oben ergibt sich der Weg von selbst – oder so was ähnliches. Er verabschiedet sich damit, dass er sich noch „schnell“ erkundigt, ob ich Engländer oder Deutscher bin. Er hat schon mal von Stuttgart gehört. Wieder erzählt er mir etwas, was ich ganz und gar nicht verstehe. Dann geht er seinen Weg fröhlich weiter, vermutlich in der Annahme, ein tolles Gespräch mit eine Deutschen geführt zu haben.




Auf ca. 1.400 Meter Höhe überquere ich einen Pass und anschließend wechselt der Eindruck vollständig. Ich pilgere durch eine Hochebene und habe eine fantastische Aussicht. Tatsächlich ist es nicht notwendig, einem Weg zu folgen. Man kann einfach in der Ferne einen Punkt anvisieren und auf diesen zulaufen. Passieren kann nichts, da es einfach eben ist, nur mit einigen wenigen Erhebungen. Klar ist, da verbergen sich keine Schluchten oder verborgenen Einschnitte, die den gewählten Weg unmöglich machen könnten.

Nach einer geraumen Zeit folge ich einem Wasserlauf/Weg durch einen Wald nach unten. Ich vermute, es handelt sich um einen Weg, der aber durch den Starkregen in den letzten Tagen zu einem Wasserlauf wurde und entsprechend Geröll und lose Erde mit ins Tal gerissen hat, weshalb der Weg zur Zeit wie ein versiegtes Flussbett aussieht.

Als ich wieder runter ins Tal komme, liegt für einen Augenblick der Stausee Lago del Pantano vor mir. Zu dem muss ich runter. Als ich ihn erreiche, laufe ich unter der Autobahn durch. Auf der anderen Seite geht es noch Stück den Berg hoch und wieder durch einen Wald. Schon erreiche ich nach 26 Kilometern und fast 1.200 Höhenmetern Marmanno, das auch als Tor zu Kalabrien bekannt sei: aus den noch schrofferen Bergen Basilicatas in das lieblichere Kalabrien, so kann man es im Internet nachlesen. Mein Eindruck von Kalabrien ist alles andere als lieblich. Erst hat es vor zwei Jahren Pedro mürbe gemacht und diesmal hat es mich an den Rand der Verzweiflung getrieben. Ich bin nicht der Typ, der mal so einfach aufgibt. Aber am Tag vier lagen meine Nerven blank. Da gab es mehr Emotionen als Rationalität.

Als Abschlussbild gibt es jetzt aber keine Burg, sondern eine Kathedrale. Es gibt nur ein Außenbild, da schnell klar wird, als ich mir die Kathedrale von innen anschaue, dass diese schon bessere Tage gesehen hat. Die Bedeutung von Mormanno hat wohl stark abgenommen. Ich kann mir gut vorstellen, dass im Mittelalter, wenn die Menschen vom Norden nach Kalabrien wollten und Basilicata haben queren müssen, dass sie das Ankommen in Mormanno wie eine Erlösung empfunden habe: Endlich raus aus den unwirtlichen Pollino Bergen. Ich werde, weil ich einiges darüber gelesen habe, diese auch nur am Rande streifen. In den Pollino Bergen gibt es kaum Orte mit Herbergen. Da ich nicht mehr draußen übernachten kann und will, muss ich einen Weg wählen, der die Region nur streift. Meine Ziel ist Kompanien: Benevento, wo ich bereits vor 6 Jahren auf der Via Appia durchgekommen bin. Dann wird es ein einfacher Home Run.

Aber bevor das passiert, liegt Morgen eine schwere Etappe vor mir mit 37 Kilometer und ca. 650 Höhenmetern, natürlich durch die Pollino Berge. Ich muss es unbedingt bis nach Lauria schaffen. Drückt die Daumen, dass ich nicht schlapp mache.

Nachtrag: ich war in der Alten Post (sie schreiben es Alten Poste) essen. Einem Deutschen Restaurant mit Biergarten und Andechser vom Fass und König Ludwig aus der Flasche. Das Essen war allerdings Italienisch.

Tag 6 – 18.10.25: Longro – Murano Calabro

Läuft wieder

Heute Morgen erhalte ich von der Mathelehrerin noch etwas Geschichtsunterricht verbunden mit etwas Geographie. Sie fragt mich, ob mir bewusst sei, dass ich mich in Albanien befinde. Ich erkläre ihr, dass ich nach meinem Wissen mich in Kalabrien also Italien befinde. Das sei auch richtig. Aber vor etwa 500 Jahren sind Albaner vor den einfallenden Ottomanen hier in diese Region geflüchtet und haben Städte gegründet, die noch heute Albanisch seien. Ihr Muttersprache sei Albanisch und die Kathedrale des Ortes, die ich unbedingt besichtigen möge, sei Christlich Orthodox.


Das Haus, das mit der Stirnseite zusehen ist, liegt fast ganz oben und ist ca. 500 Jahre alt

Ok, toll, dass die Albaner eine sichere Umgebung gefunden haben. Nach fünfhundert Jahren sollte man sich allerdings etwas besser integriert haben. Ich bekomme noch eine Hausführung und bekomme Möbel, Bücher und Trachten gezeigt und erklärt. Ob das nun Albanisch ist, kann ich nicht beurteilen. Ignorant wie ich bin, habe ich mir noch nie Gedanken über eine eigenständige Albanische Kultur gemacht – zu meiner Entschuldigung am Desinteresse: zu meiner Jugendzeit war Albanien ein unerreichbares Land – und schon gar nicht in Kalabrien.

Die Kathedrale schaue ich mir natürlich an, auch von innen. Gerade wird eine Messe gelesen. Ich verstehe die Sprache des Priesters nicht. Es ist definitiv nicht Latein, Italienisch oder Griechisch. Könnte Albanisch sein. Da ich aber noch nie bewußt jemand habe Albanisch sprechen hören, gibt es auch keine Möglichkeit der Wiedererkennung.

Nun will ich los. Das Wetter ist traumhaft. Auch wenn in den Bergen noch dunkle Wolken hängen. Hier am Rande der Berge, ich bin derzeit auf etwas mehr als 600 Metern Höhe, scheint die Sonne strahlend und es nicht zu warm. Also ideal für einen tollen Wandertag.


ist das nicht eine traumhafte Landsxhaft?

Es geht zunächst Berg ab und anschließend laufe ich weitgehend auf 500 Meter. Da man nicht jeden Landschaftseinschnitt umgehen kann. Muss ich auch gelegentlich deutlich nach unten, was natürlich bedeutet, ich muss wieder rauf.

Nach etwa einer Stunde komme ich an einen Bauernhof mit einer Schafherde vorbei, wo ich von dem Hauptweg abbiegen muss, um ein Tal zu durchqueren. Den Bauern, der draußen steht, frage ich, ob ich tatsächlich dort runter muss. Er bestätigt dies und zeigt mir den Weg und weißt mich auf eine Reihe von Vorsichtsmaßnahmen hin. Von denen ich nur verstehe, dass ich an dem Hang der im Regen abgerutscht ist, nicht queren soll, sondern unterhalb von diesem entlang gehen soll.


Der Weg entpuppt sich als Bach, das wird aber nicht meine größte Herausforderung 

Der Weg wird zu einer riesigen Herausforderung. Zunächst ist er teilweise überschwemmt. Dann zugewachsen, so dass es schwierig ist den Weg überhaupt zu finden. Die größte Herausforderung stellt allerdings der abgerutschte Hang dar. Im Nachhinein glaube ich, es wäre am besten gewesen, ihn oben zu queren. Denn unten war der Morast sicher 20 cm oder mehr hoch. Ich bin kaum durch diesen Morast durchgekommen. Ich habe ausgesehen wie ein Schwein. Die Matsche ist mir über und in die Schuhe gelaufen. Meine Hosenbeine bis hoch zum Po waren voll mit Erde.

Kurz bevor ich wieder auf eine Straße komme, gibt es einen Wasserhahn an dem ich mich erstmal wieder einigermaßen sauber mache. Nun sind meine Schuhe und die letzten Strümpfe völlig nass. Ok, so ist das halt. Ich hoffe darauf, dass die Sonne mir hilft zu trocknen. Die Hose versuche ich ebenfalls zu reinigen. Das Ergebnis ist gar nicht schlecht. Später reinige ich mich erneut an einer anderen Wasserstelle.

Die Hose trocknet schnell. Auch die Schuhe werden nach einige Zeit wieder trocken. Die Socken bleiben allerdings nass. Ich bleibe Blasenfrei. Gut so!

Als ich mal wieder den Berg hoch schleppe, der Weg führt durch einen Ort mit dem Namen Saracena, der wie die meisten der Orte hier, auf einem Berg hoch oben aufgebaut wurde, läuft mir der Schweiß durch die Augen auf meine Brille. Nach kurzer Zeit sehe ich fast nichts mehr mehr durch die schmutzige Brille. Also ziehe ich sie aus. Es ist wie zuvor. Mit der Brille sehe ich aufgrund des Schweißes nicht. Vorher musste ich die Kontaktlinsen raus lassen, weil der Schweiß mit der Sonnencreme in den Augen nicht zu ertragen waren. Ergebnis: ich benutze keine Sehhilfe und sehe einfach schlecht. Fazit: es ist am besten man braucht keine Sehhilfe, was nichts anderes heißt, man darf einfach nicht alt werden.

Sorry für diesen blöden Einschub. Zumal ich mein Alter gar nicht bedaure, zumindest solange ich noch fit bin, um hier durch die Berge zu schweifen.

Heute ist mir aufgefallen, dass es einiges an Obst gibt, das am Reifen ist ist bzw. überreif zu finden ist. Es gibt relativ viel Brombeeren. Die sind bei uns bereits durch. Hier wächst wohl eine späte Variante. Die Beeren sind sehr süß und kompakter als bei uns. Auch schwarzen Weintrauben hängen noch gelegentlich an den Reben. Die meisten sind allerdings verschrumpelt. Aber die, die man noch essen kann, sind extrem süß. Die Lese ist durch und ich konnte bis jetzt nicht herausfinden, ob die Trauben noch bewußt hängen oder vergessen wurden. Aber sie sind traumhaft vom Geschmack. Dann bin ich heute an einem Baum vorbei gekommen, an dem Früchte hingen, die aussahen wie Mirabellen. Ich habe eine gepflückt, dazu musste ich auf ein Naturmäurchen klettern, von dem ich fast abgestürzt wäre, weil die Mauer unter mir zerbröckelte. Die Mirabelle schmeckt aber eher wie ein Physalis und hat auch deren Textur. Ich bin mir da aber alles andere als sicher. Dann habe ich noch eine Apfelsine aufgehoben, die durch den Regen und den Wind vom Baum gefallen war. Apfelsinenbäume gibt es hier zuhauf. Mir ist auch klar, dass die hier wohl nicht vor März reif sind. Aber die Frucht lag halt schön orange da. Also versuche ich, sie zu essen. Das wird zu einer großen Herausforderung. Die Schale ist so fest, dass ich sie nicht mit meinen Fingern aufbrechen kann. Also beiße ich die Schale auf. Das Fruchtfleisch ist exorbitant sauer. Aber durchaus genießbar. Ich esse die Apfelsine komplett auf.


Oliven sind zwar kein Obst, aber mich beeindrucken die uralten Bäume immer wieder


Murano Calabro liegt auf etwa 600 Meter Höhe (der Fuß des Berges) und zieht sich hoch bis auf fast 700 Meter

Dann komme ich meinem Ziel näher: Murano Calabro. Auch dieser Ort liegt auf einem Berg und ist sehr dicht bebaut. Ganz oben dröhnt eine Kathedrale und eine Burg. Ich habe heute ein Hotel mit Restaurant gebucht, um mir etwas Komfort zu gönnen. Diese liegt mitten in der Stadt an den Berg geklebt. Es ist von außen ausgesprochen schön. Auch innen ist es toll. Man sieht ihm sein Alter an. Innen wird der Berg mir seinen Felsen und dem Wasser, das herunterläuft, zur Schau gestellt. In den Zimmern gibt es Kommunikationstools, die aus einer andern Zeit stammen.


Telefone wie auf dem Amt in den 60er Jahren des vorherigen Jahrhunderts

Nach der obligatorischen Wäsche kümmere ich mich erstmal um die Planung der nächsten Tage und buche mal für Morgen und Übermorgen Zimmer. Mein Weg orientiert sich eh nach den Übernachtsungsmöglichkeiten. Bis kommenden Donnerstag habe ich soweit meine Planung stehen. Danach bin ich mir noch nicht sicher. Es gibt letztlich drei mögliche Routen, bei denen ich vermutlich immer ein N&B finden kann. Sie sind unterschiedlich lang und gehen mal mehr und mal weniger durch die zahlreichen Bergzüge in dieser Region. Spätesten Übermorgen muss ich eine Entscheidung treffen.

Um acht gehe ich zum Essen: sensationell. Dem Hotel gehört auch ein Bauernhof u. a. mit über 100 Olivenbäumen, Weinbergen und Schweinezucht (schwarze Schweine). Im Restaurant wird nur Essen angeboten, das aus Komponenten der eigenen Herstellung stammen. Ich esse eine Pasta mit selbst gerollten Nudeln und einer scharfen Wurst. Danach bekomme ich Schweinelende vom schwarzen Schwein mit Bratkartoffeln und einer super süßen roten Paprika. Anschließend bekomme ich noch ein Eis mit Früchten, ebenso selbst hergestellt. Dazu bekomme ich einen roten Wein aus einer zweitausend Jahre alten Traube, die die Griechen hier her gebracht haben. Heute habe ich sehr lecker gespeist. Damit ich das eigene Olivenöl hinreichend probieren konnte, bekomme ich ein ähnliches Brot wie ich es aus Sardinien kenne, allerdings deutlich dicker aber genauso hart und knusprig. Sehr zufrieden gehe ich heute ins Bett.

Tag 5 – 17.10.25: Malvito – Longro

Meine Stimmung hellt auf

Heute Morgen bringe ich erstmal meine nasse Hängematte zur Post und schicke das ganze Zeug nach Hause. Das kostet ein kleines Vermögen. Wahrscheinlich weil der Postbeamte fast eine Dreiviertel Stunde dazu braucht, mit mir die notwendigen Papiere auszufüllen, den Sack in einen Karton zu legen, ihn zu verschließen und das Paket zu wiegen (3,3 kg). Er wiegt das Paket sich zehnmal bis er sich traut, das Gewicht in die Papiere einzutragen. Am liebsten hätte ich ihm ein Effizenztraining angeboten. Aber jetzt ist es auf dem Weg.

Danach bin ich zurück in mein B&B und habe alle Sachen eingepackt. Ich habe während ich bei der Post war, die Heizung auf volle Pulle gestellt. DAs hat aber nichts mehr gebracht. Dem Grunde nach sind meine kompletten Anziehsachen noch nass. Die einzigen verbliebenen trockenen Sachen habe ich an. Nun gut hilft nichts. Noch schnell ein Fertigverpackte Brioche essen. Auf das Ding war der Vermieter ganz stolz, ist aber nicht zu genießen.

Nun ist es bereits halb zehn. Jetzt muss ich aber los. Mache nach zwei Miunten aber schon Pause, da ich wider erwarten an einer Bar vorbeikomme. Mein B&B Wirt meinte gestern sie sei zu. Dann doch noch einen Cappuccino mit einem frischen Cornetto. Jetzt bin ich für den Tag gerüstet.

Der Rucksack ist nicht nur faktisch leichter, mit dem Wasser, einer Powerbank und der Hängeatte sind das 4,5 Kilogramm weniger. Der Rucksack fühlt sich so großartig an. Entsprechend komme ich zügig voran. Allerdings geht es im wesentlichen erstmal bergab bzw. ich laufe in einer Ebene. Wie angekündigt ist es erstmal trocken. Die Wolken hängen aber tief und tatsächlich fängt es an zu nieseln, was ok ist. Die Regenjacke reicht, um mich trocken zu halten. Nicht lange und der Regen hört auf, obwohl oben in den Bergen dicke dunkele Wolken festhängen. Im Tal wird es erstaunlich warm und extrem schwül. Nach kurzem brauche ich nur noch ein T-Shirt.

Jetzt habe auch die Muse mir die Landschaft anzuschauen. Ich komme an einem alten Weingut vorbei. Das herrschaftliche Gebäude scheint allerdings schon mehreren Generationen nicht mehr, als Unterkunft zu dienen.

Jetzt muss ich mich entscheiden: Folge ich der Outdooractive Empfehlung oder Google Maps, die fast 4 km kürzer ist. Ich entscheide mich für den kürzen Weg. Der führt mich durch eine Tiefebene vorbei an einer Haselnuss-Plantage, zumindest vermute ich, dass es sich um Haselnüsse handelt ohne mir sicher zu sein. Ich wandere an der sicher fünf Kilometer entlang als ich Richtung Berge auf einen sehr holprigen und ausgefahrenen Feldweg abbiegen muss. Der Weg entpuppt sich als eine Herausforderung. Durch die Regenfälle sind die Traktorenspuren gefüllt mit Wasser. Ich muss um diese regelrecht herum balancieren, um nicht in diesen Schlamm hineinzutreten.

Dann kommt die Überraschung und ich weiß jetzt, warum Outdooractive diesen Weg nicht kennt. Ich muss durch einen Fluss, um auf der anderen Seite wieder den Weg aufnehmen zu können. Da ich keine trockenen Sachen mehr habe, bin ich vorsichtig und gehe nicht einfach so durch das Flüsschen, sondern ziehe Schuhe, Strümpfe aus und wickele sehr aufmerksame meine Hosenbeine hoch. Ich bin sehr erstaunt, dass das Wasser nicht eisig kalt ist, eher angenehm erfrischend. Auf der anderen Seite stellt sich mir die Frage, wo ziehe ich meine Strümpfe und Schuhe wieder an. Es ist zu nass und matschig. Also laufe ich barfuß auf dem Weg knapp einen Kilometer bis ich auf eine Straße stoße.

Jetzt muss ich so langsam Höhe gewinnen und schaue nach nicht allzu langer Zeit auf einen Stausee, den der Fluss, den ich gerade überquert habe befällt. Ein ziemlich großer Stausee für so ein Flüsschen. Kein Wunder, dass der wenig Wasser hat. Die Landschaft bleibt lieblich mit großen Weinbergen und Olivenhainen.

Die bedrohlichen Wolken beginnen sich, während ich mich den Bergen wieder nähre und hoch schnaufen muss, zu entleeren. Erst wenig. Trotzdem ziehe ich vorsichtshalber die Regenjacke an. Dann geht es auch schon los. Der Regen wird heftig. Je höher ich komme und je näher ich Longro, meinem heutigen Ziel, komme.

Nun tretscht es. Als ich nach Longro läuft an mir das Wasser in Strömen herab. Ich kann das Handy kaum bedienen, um in den kleinen Gassen des Bergdorfes mich zu orientieren und mein B&B zu finden. Klatsch nass, stehe ich vor der Tür eines, wie später erfahre 500 Jahren alten Hause. Gottseidank öffnet die Besitzerin sofort die Tür als ich klingele.

Sie möchte mir so gerne ihr historisches Haus zeigen, ich will aber nur aus meine nassen Klamotten. Ich triefe und hinterlasse über all mein Spuren, obwohl ich meine Schuhe schon am Eingang ausgezogen habe. Dem Haus sieht man seine 500 Jahre an. Die Installationen sind sicher am wieder dem Stand der Technik angepasst worden aber das hat vermutlich vor mehr als 50 Jahren aufgehört. Die Räume sind kalt und die Klimaanlage kann zwar heizen aber es ist ein leichtes warmes Lüftchen, das da aus der Anlage kommt.

Ich hänge schnell alle Anziehsachen auf und hoffe, Morgen sind sie trotz der bescheidenen Heizung trocken. In dem wirklich kleinen Bad wasche ich schnell meine Sachen und mich. Lange bleibe ich nur unter der heißen Dusche. Anschließend lege ich mich ins Bett unter eine dicke warme Decke. Schnell sende ich der Hausbesitzerin eine WhatsApp, damit sie mir eine Restaurantempfehlung geben kann. Dann falle ich in einen tiefen Schlaf und wache erst zwei Stunden später wieder auf.

Meine Vermieterin hat in der Zwischenzeit Mathe Nachhilfestunden gegeben und zeigt mir nun wirklich ihr Haus. Das hat Museumscharakter und schickt mich in das einzige richtige Restaurant im Ort. Leider regnet es noch im heftig, so dass die gut 700 Meter eine Herausforderung werden.

Ich esse zur Vorspeise Caprese und danach Tagliata mit Porcini. In dem Restaurant ist der Teufel los. Es ist Freitag. Ich bin froh, rechtzeitig gekommen zu sein, so das ich noch einen Tisch bekommen habe.

Als noch nicht alle Plätze belegt sind, kommt eine Familie hinein. Die reden in einer Lautstärke, die meine bei weitem übertrifft. Schreine geradezu jeden der ins Lokal kommt fröhlich an. Alle vier sitzen mit Handy am Tisch und jeder hört bei voller Lautstärker irgendwelche Videoclips an. Irre. Jetzt ist jeder Platz im Raum besetzt und es herrscht eine Kakophonie von Geräuschen. Dazu kommt, dass im Vorraum ein DJ Musik macht. Ich muss jetzt hier raus. Das überfordert mich. Selbst meine Uhr sagt, dass die Umgebungslaustärke viel zu hoch ist.

Während ich am Tresen im Vorraum bezahle fängt der DJ an zu singen und die Gäste sind am jubeln. Was geht denn hier ab.

Tag 4 – 16.10.25: Lago Paglia – Malvito

Ich bin am Ende mit meinen Nerven: Neuplanung

Am Morgen packe ich meine Sachen zusammen. Alles ist durchweicht. Ich fürchte in meinem Rucksack ist alles nass. Schon das Rausholen eines Beutels reicht, dass er bei dem Niederschlag nass wird.

Als ich zusammengepackt habe und ich mit Nerven am Ende bin. Sehe ich zu, dass ich vom Berg komme. Meine Vermutung war richtig, es gibt eine Straße nach unten. Während ich regelrecht nach unten stürze, entscheide ich, dass ich einige Ausrüstungsgegenstände entweder in meiner heutigen Unterkunft, hoffentlich gibt es etwas in der Nähe, denn Empfang ist immer noch nicht.


Der Regen hat aufgehört und schon kann ich wieder die Landschaft und die Vegetation genieße.


Die Olivenbäume sind noch nicht abgeerntet. Man will die Oliven wohl bis zur Reife bringen: Einige sind schon schwarz.

Der Regen lässt nach und hört dann ganz auf. Nach etwa zwei Stunden komme ich in ein kleines Dörfchen. Dort gibt es eine Bar. Hier kann ich schon mal nach einer Unterkunft Ausschau halten und meine blank liegenden Nerven beruhigen. Es gibt etwas nicht all zu weit weg. Der Ort heißt Malvitum und zwei Pizzerien gibt es dort auch. Also,alles gegeben, um meine Bedürfnisse so befriedigen.


Hoch auf dem Berg thront der Ort Malvito: rechter Hand geht es Morgen weiter —> ich werde die Berge meiden

Um halb zwei erreiche ich das B&B. Ich packe meinen Rucksack aus und alles was zur Hängematte gehört zusammen inkl. der zweiten Powerbank in einen eine. Beutel. Das bringe ich hier im Ort Morgen zur Post. An dieser bin ich vorhin vorbei gekommen. Sie hat allerdings nur von 8:20 – 13:45 täglich geöffnet. Damit wird der Rucksack schonmal deutlich leichter. Auch werde ich nur noch eine Flasche Wasser mitnehmen. Essen brauche ich nicht. Allerdings zwei Portion behalte ich, der Rest kommt weg. Damit dürfte ich wieder um die 10kg auf dem Rücken haben.

Nun muss ich alles zum trocknen aufhängen bzw. Vieles meiner Wäsche muss ich mit der Hand waschen und sehen, dass alles bis Morgen trocken wird. Das Zimmer hat eine AirCon Anlage. Die stelle ich auf 27 Grad. Das sollte funktionieren. Ist fürs Schlafen nicht das beste aber die Ausrüstung muss trocknen.

So und nun geht es an die Planung: ich brauche eine neue Route. Diese muss sich nun daran orientieren, dass ich in machbaren Abständen Unterkünfte finde. Das dauert eine Weile. Aber nun habe ich einen neuen Weg und schon mal die beiden nächsten Nächte gebucht.

Als ich den Wetter Forecast mir anschaue, werde ich überrascht: das Wetter wird besser als bisher angenommen. Nur Morgen solle es noch einmal Regnen und dann wird es freundlich und wieder wärmer. Das gibt mir Mut und holt mich aus meinem Stimmungstief.

Tag 3 – 15.10.25: Cinquemiglia – Lago Paglia

Nebel, Nieselregen, Sturmfluten

Um 6 Uhr wache ich auf. Es nieselt. Ich frage mich kurz, ob ich aufstehen soll, um schnell, bevor alles nass ist, zusammenzupacken. Ich habe keine Lust und dreh mich noch einmal um, bis mein Wecker um halb acht mich weckt.

Wieder stelle ich fest, das Abbauen der Hängematte mit Tarp und allem notwendigen Zubehör dauert deutlich länger als im Zelt. Auch finde ich nicht so angenehm, dass ich einiges von meinem Equipment im nassen verpacken muss.

Zum Frühstück esse ich einige Nüsse. Mein Magen rebelliert bereits, als ich den Käse auspacke. Also schnell in den Rucksack mit dem Teil.

Gem. der Wetternachrichten hat pünktlich der Nieselregen um sechs Uhr eingesetzt. Der sollte aber bereits um sieben Uhr vorbei sein. Ab zwölf sollte es Regnen. In Summe 12mm. Es kam anders. Der Nieselregen hat nicht aufgehört. Den ganzen Tag bin ich durch dicken Nebel – ich schätze mit Sichtweiten zwischen 20 und 50 Meter – gewandert. Es war den ganzen Tag duster und der Nebel war nicht nur feucht sondern nass.

Der gestrige Tag steckt mir noch in den Beinen und der Rucksack wird auch nicht leichter. Die Nässe macht mir auch nicht Beine. Ich bin erschöpft. Nach gut zwanzig Kilometern und 800 Höhenmetern bin ich am Ende. Mir wird klar ich muss was ändern und hoffe auf Übermorgen. Dann bin ich in San Sosti, wo ich B&B buchen kann. Bis dahin muss ich mir überlegen, was ich tue. So komme ich zumindest nicht bis nach Rom.

An einem kleinen See sind Picknick Bänke aufgebaut und es gibt gut stehende Bäume. Das ist perfekt. Ich kann meinen Rucksack auf einer Bank platzieren und mit dem Aufbau meiner Hängematte beginnen, ohne dass alles schon in dem aufgeweichten Boden liegen muss.

Ich beginnen mit dem Tarp, so dass ich darunter schon mal trocken bin. Diesmal mache ich es von allen Seiten zu, soweit ein Tarp zu sein kann. Der Wind bläst ordentlich von Nord West. Die eine Langseite zeigt nach Westen: perfekt von dort kann mir der Regen schon mal nichts anhaben. Die nördliche Giebelseite ziehe ich übereinander, so dass ich von dort auch geschützt sein sollte. Dann kommt die Hängematte dran. Ich vermittle sie gut unter dem Tarp und hänge draußen Abtropfschnüre dran. So die Anleitung, um zu verhindern, dass an den Leinen das Regenwasser in die Hängematte laufen kann. Das habe ich auch in einem Video über Schlechtwetter in der Hängematte gesehen. Dann kommt die Luftmatratze dran. Das ist etwas Gefummel unter dem Tarp, aber es geht. Danach lege ich meinen Schlafsacke in die Hängematte und lege noch Handy, IPad, Powerbank sowie Stirnlampe hinein. Dann noch eine Folie unter das Tarp, den Rucksack und Schuhe drauf, damit alles schön trocken bleibt: Fertig.

Nun mache ich mir 100 gr. Onkel Bens Fertigreis warm: schmeckt nicht, kann man aber tüchtig salzen, um Salzmangel vorzubeugen. Irgendwie bekommt mir der nicht. Mein Magen signalisiert: ich bin voll und wenn jetzt noch was rein kommt, kommt es wieder raus. Also lege ich mich in die Hängematte, um zu entspannen. Es ist geradeaus kurz vor sechs. Aber ich döse vor Erschöpfung sofort weg.

Kurz nach sechs geht es los. Der Regen prasselt wild auf die Zeltplane runter. Das hört sich eigentlich ganz toll an, wenn man trocken und warm in der Hängematte schaukelt. Ich lese noch etwas. Was anders kann ich nicht machen, denn auch heute gibt es keinen Empfang.

Um halb zehn fallen mir die Augen zu und ich schlafe sofort tief ein. Bei dem Sauwetter sind auch die Tier nicht aktiv. Ich werde wach, als mir ein Tropfen ins Gesicht plumpst. Was ist da los. Schnell raus aus der Hängematte und nachschauen. So ein Mist. Das Tarp ist nur um wenige Zentimeter länger als die Hängematte. Bei schrägem Wind fällt der Regen direkt im die Hängematte. Ich hole aus meinem Rucksack meine Regenjacke und lege sie über die Hängematte, um diese direkt Beregnung zu verhinden. Auf die andere Seite, die aber aufgrund der Windrichtung nicht betroffen ist, lege ich meine Regenhose. Die Plane unter der Hängematte ist nutzlos. Sie ist zu klein und das Wasser läuft drüber. Nun habe ich auch noch nasse Socken. Bevor ich mich mit den nassen Socken zurück in den Schlafsack lege pinkele ich noch, da ich Sorge habe, dass alle meine Klamotten nass werden, wenn ich meinen Wäschebeutel aus dem Rucksack hole und nicht noch mal raus muss in der Nacht.

Es kommt aber anders: der Wind wird stärker, viel stärker. Der Regen wird stärker, viel stärker. Ich muss immer wieder raus aus der Hängematte, um das schlimmste zu verhindern, das mir das Wasser in die Hängematte läuft. Der Schlafsack ist schon durchweicht, hält aber die Wärme. Alle Anziehsachen, die ich an habe sind durch feuchtet.

Mir wird klar, eine weitere Nacht hier draußen ist unmöglich. Ich bin zu erschöpft, das Hängemattensystem ist für schlechtes Wetter ungeeignet und ich weiß nicht, wie ich das Trocknen kann, da es noch bis kommenden Mittwoch regnen soll.

Ich muss raus aus den Bergen. Entweder nach Westen zum Meer oder nach Osten in eine Art Hochebene. Die Küste hat den Vorteil, dort gibt es hinreichend Orte, um Übernachtungsmöglichkeiten zu finden. Aber die Berge reichen bis zum Meer. Das bedeutet, ich kann eigentlich nur auf eine Hauptverkehrsachse mit Straße und Bahnlinie entlang laufen. Das ist ziemlich öde und auch nicht ganz ungefährlich bei dem Fahrstil der Einheimischen. Nach Osten komme ich sicher schnell in einen Ort, da die Picknick Bänke darauf hinweisen, dass man mit dem Auto hinfahren kann. Ich habe aber keine Ahnung, wie ich weiter komme. Ich entscheide mich für den Osten, weil ich so schnell wie möglich aus dem Schlamassel raus muss und will. Ich habe die Schnauze gestrichen voll.

Tag 2 – 14.10.25: San Fili – Cinquemglia

Jetzt geht es richtig in die Berg

Der Start in den Tag beginnt mit einem Espresso und einem Cornetto. In San Fili ist heute Markttag. Die Stände sind noch nicht fertig, als ich in eine Bar gehe. Ein Käsestand hat seine Auslagen gerade fertig aufgebaut und diese spricht mich an. Da ich die nächsten drei Nächte in den Bergen verbringen werde, bessere ich meinen Essensvorrat mit ein kleinen Stück Peccorino auf. In einem kleinen Dorfladen kaufe ich noch schnelle 2 große Wasserflaschen, die sollten etwa anderthalb Tage reichen, wenn ich an keiner Wasserstelle vorbei kommen sollte. Jetzt hat mein Rucksack bereits fast 14 kg.

Dann geht es los. Die Berge gegenüber von San Fili, die mein Zuhause für die nächsten Tage sein werden, liegen sonnenbeschienen vor mir. Mein Weg führt mich nach Kurzem in den Wald, wo es nun steil bergauf geht. Ich mache Meter um Meter. Nach etwa 200 Höhenmeter zieht mich mein schwerer Rucksack regelrecht rückwärts nach unten. Meine Geschwindigkeit nimmt zusehends ab. Ich quäle mich in Schritten von fünf Höhenmetern nach oben: mache eine kleine Pause und dann krieche ich weiter hoch. Nach ca. 300 Höhenmetern stoße ich auf den Hauptweg des Sentiero und auf den Camino di San Sebastian di Paola. Dem Heiligen Sebastian ehrt die Stadt Paola mit einer Statue, die die Stadt am Wegesrand aufgestellt hat.

Einige wenige Kilometer lauf ich auf einem  Höhenweg immer noch durch einen tiefen Wald. Dann geht es wieder aufwärts ca. 500 Höhenmeter, dann komme ich auf der Passhöhe an. Dort stehen eine Vielzahl, von Sendemasten, die leider nur für einen schlechte Empfang sorgen – aber immerhin mal wieder Empfang. Ganz oben sieht es aus wie auf einer Alm. Hier weiden neben einigen wenigen Kühen vor allem Ziegen. Ich lege eine Rast ein, ich bin völlig erschöpft. Am liebsten würde ich bereits hier mein Nachtlager aufschlagen. Das würde aber eine zusätzliche Nacht im Freien bedeuten. Davor habe ich etwas Angst, da nicht glaube, dass ich dafür hinreichend Ladekapazität dabei habe und diese ist wichtig, damit ich mich orientieren kann. Denn klassische Kartenmaterial habe ich nicht mit, so dass nur mein Handy mich davor schützt, mich zu verlaufen.

Also schleppe ich mich weiter. Kurz hinter der Passhöhe wird nun den Pilgern gehuldigt. Die sehen etwas abgemagert aus. Ich hoffe, an mir bleibt mehr dran. Jetzt geht es gemächlich bergab, manchmal auch bergauf. So kann ich wenigstens einige Kilometer schnelleren Schrittes machen.

Jetzt habe ich gut 20 Kilometer auf der Uhr und mein Tank ist definitiv leer. Da in meinem Wanderführer steht, dass ich gleich an einem Refugio vorbei komme und das auf Wunsch geöffnet wird, fiebere ich nun darauf, dort zu übernachten. Als ich es erreiche, ist mir, sofort klar, hier hat schon über Jahre niemand mehr übernachtet. Es gibt noch nicht mal mehr Wasser im Außenbereich.

Also muss ich mir nun einen schönen Platz suchen, wo ich meine Hängematte auf bauen kann: keine Farne als Bodendecker, nicht zu kleine aber auch nicht zu dicke Bäume, die im ideal Fall 6 Meter aus einander stehen. Während ich suche, komme ich an einem kleinen Flüsschen vorbei. Dort hat jemand eine kleine Hütte aufgebaut, die zwar zerfallen ist, hätte mir für meine Hängematte nichts genutzt Höchsten für ein Zelt, da es ebene Flächen gibt. Hier funktioniert aber der Außenwasserhahn. Das ist super, so kann ich meine Wasserflaschen auffüllen.

Schnell finde ich einen geeigneten Platz und baue mir mein Nachtlager. Es wird auch Zeit, da es jetzt schnell dunkel wird. Das Hängenmattensystem baut sich leider nicht so schnell auf wie mein Zelt. Ich brauche mindestens die dreifache Zeit. Dafür werde ich mit hohem Komfort entschädigt.

Ich mache mir noch schnell einen Tee und beiße einmal in den Käse. Mehr will mein Körper nicht.

Ich könnte super schlafen, aber der Wald bzw. die Waldtiere haben etwas dagegen. Es gibt einige Käuzchen, zumindest glaube ich, dass es Käuzchen sind, die lautstark miteinander kommunizieren. Eins muss in unmittelbarer Nähe sein und macht ordentlich Krawall. Dann schlafe ich tief ein, werde aber nach einiger Zeit wieder geweckt, weil ein Raubtier Beute gemacht hat. Das Beutetier schreit erbitterlich über Minuten, bis es irgendwann der Räuber das Tier getötet hat.

Tag 1 – 13.10.25: von Cosenza nach San Fili

Es ist kalt und die Arbeit lässt mich nicht los

Ich bin heute von Cosenza nach San Fili gelaufen und musste dabei einen ersten Gebirgszug überqueren.

In der Nähe von Cosenza war ich bereits vor 2 Jahren, zusammen mit Pedro. Wir waren damals, am 14.1023, in Reggio di Calabria direkt gegenüber von Messina gestartet und Pedro hatte dann kurz hinter Cosenza schlapp gemacht. Daher habe ich mir Cosenza als Start ausgesucht. Außerdem ist Cosenza gut zu erreichen, so dachte ich bis gestern: vom Baden Airpark bin ich mit Ryanair nach Lamezia Therme geflogen. Das liegt etwa eine Bahnstunde südlich westlich von Cosenza. Die italienische Bahn wollte aber gestern nicht so wie ich mir das vorgestellt habe. Ich war schon verwundert, dass ich kein Ticket für Sonntag im Internet kaufen konnte. Ich habe dann in meinem B&B gefragt, ob es irgendein Problem gäbe. Der Besitzer war sicher, dass alles „normal“ sei; ich solle mir keine Sorgen machen, ggfs.. könnte ich auch einen Flixbus nehmen. Die führen stündlich. Flixbus war leider ausgebucht. Ich bin dann trotzdem zum Bahnhof. Ich konnte dort am Schalter, die Automaten wollten für diesen Tag auch keine Tickets ausgeben, einen Fahrschein erwerben, musste aber ordentlich warten. Irgendwann, das hatte nichts mehr mit der angekündigten Abfahrtszeit zu tun, kam dann ein völlig überfüllter Zug, der uns Bimmelbahn mäßig nach Cosenza gebracht hat.

In Lamezia, das am Meer liegt, war es angenehm warm. In Cosenza war es dann doch bei meiner Ankunft schon etwas frisch. In dem B&B, das recht hübsch eingerichtet war, war es allerdings sehr kalt und die Heizung aus. Mir ist nicht warm geworden – auch nicht im Restaurant, wo ich typisch kalabrisch gegessen habe, sehr Fleisch lastig.

Heute Morgen habe ich erstmal typisch italienisch gefrühstückt: Due Cornetto con un Cappuccino. Dann bin ich mit meinem schweren Rucksack los marschiert. Zunächst, um aus Cosenza und seine Satelitten Ortschaften herauszukommen, über  10 Kilometer auf viel befahrenen und engen Straßen und immer bergauf. Danach ging dann endlich die Straße in einen Forstweg über und später in einen schönen Waldweg, der sich für mich überraschend als Pilgerweg erwies.


… hier enden die Vororte von Cosenza und es wird kalabrisch


… unversehens lande ich auf einem Pilgerweg: Il Camino di San Francesco di Paolo


… bequem zu begehende Waldwege zeichnen den Pilgerweg aus

Fast 900 Meter ging es hoch, hoch, hoch und dann noch steiler bergab etwas mehr als 500 Meter. Mir tut alles weh, obwohl es heute nur gut 20 Kilometer waren. Morgen geht es wieder in die Berge, noch höher hinauf und ebenfalls mit einer Reihe von Abstiegen.


… kurz bevor ich San Fili erreiche steht da ein uralter Baum: was mag er schon alles erlebt haben?

Nach etwa 5 Stunden habe ich völlig erschöpft, mit schmerzenden Schultern und Füßen San Fili erreicht, wo ich mir im Vorfeld ein B&B gebucht hatte, weit und breit die einzige Unterkunft. Das nette Apartment befindet sich in einem typischen süd-italienischem Haus: es liegt zwischen zwei Straßen und ist genau ein Zimmer breit. Es zwei Stockwerke. Im Erdgeschoss ist eine klein Rezeption sowie eine Küche. Über eine Treppe, die das Haus in zwei Hälften teilt, kommt man zu den beiden Zimmern mit einem flachen Giebel. Unten endet die Treppe genau vor der Haustür.

Da ich bereits kurz vor drei angekommen bin, konnte ich nach dem obligatorischen Wäsche waschen und Duschen bis halb acht gut im Bett halb liegend mit schmerzenden Knochen noch arbeiten. Ich hoffe, damit ist nun tatsächlich alles erledigt und ich kann mich aufs Wandern konzentrieren. Das ist auch nötig, da drei harte Tage in den Bergen ohne Unterkünfte und Essensmöglichkeiten vor mir liegen. Entsprechend werde ich früh schlafen, um Kraft zu tanken.

Tag 13: 26.10.2023 —> Kalabrien, ich muss raus aus der Stadt

Ich habe uns für heute nur einen kurzen Weg ausgesucht, um Pedro eine Pause zu gönnen. Für den frühen Vormittag ist Regen angesagt, so dass ich den Wecker auf acht Uhr stelle. Ich mache mich in aller Ruhe fertig. Ich fülle vier Tagesportionen  Hundefutter in je einen Kotbeutel ab; zum einfacheren Handling aber auch, um das stark riechende Zeug geruchsfest verschließen zu können. Andernfalls stinkt alles im Rucksack einschließlich der Kleidung nach Hundefutter. So beschäftige ich mich, bis es aufhört zu regnen. Um zehn ist es soweit, wir brechen auf.

Pedro ist nicht begeistert, durch die Stadt angeleint zu laufen. Obwohl wir zunächst hoch zur Burg über Treppen und Fußwege gehen, und nicht durch Autoverkehr gehen müssen. Die Burg ist noch nicht einmal aus der Straßenperspektive ein Fotomotiv. Wenn sie nicht bald restauriert wird, zerfällt sie zu einer Ruine, vielleicht ist sie das bereits und man versucht den Anschein zu erwecken, es handele sich um ein intaktes Gebäude. Kaum sind wir oben, fängt es an zu nieseln, während im Tal die Sonne scheint. So bildet sich ein gut sichtbarer Regenbogen.

So schön der Regenbogen auch ist, mir wäre trockenes Wetter lieber

Jetzt müssen wir runter vom Berg raus aus der Altstadt in den neuen und modernen Teil Consenzas. Die Stadt zieht sich weit entlang des Tals. Einen großen Teil müssen wir durchwandern, bis wir endlich nach Westen in die Berge abbiegen können.

Obwohl Consenza eine sehr schöne moderne und üppig angelegte Fußgängerzone hat, will Pedro einfach nicht mit. Er verweigert sich; es scheint, alles macht ihm Angst und ich fühle mich absolut hilflos. Ich versuche ihn zu motivieren, ich schimpfe ihn. Nichts hilft. Am Ende ziehe ich ihn mehr hinter mir her, als dass er läuft. Das verbessert sich, als wir in ruhigere Vorstadtbereiche kommen und ändert sich erst wirklich, als wir die Stadt hinter uns haben. Wie hatte ich mich auf Consenza und das Treiben der Stadt gefreut. Nun kann ich es gar nicht erwarten, aus der Stadt wieder raus zu kommen. Mir tut Pedro unendlich leid aber ich kann ihn ja nicht aus Consenza heraus beamen. Er muss da leider durch.

Consenza ein Stadt am Fluus, eingekesselt zwischen zwei Gebirgszügen

Am Rande der Fußgängerzone kehre ich zum Frühstücken in eine Bar ein. Wir setzen uns draußen unter ein Vordach. Kaum habe ich meinen Cappuccino, fängt es heftig an zu regnen, obwohl der Regen nach dem Wetterforecast um zehn hätte durch sein sollen. Also bleiben wir sitzen bis die Sonne wieder durch die Wolken durchlukt. Wir sind noch nicht bis zur Mitte der Fußgängerzone gekommen, als der Regen als Wolkenbruch zurück kommt. Ich fliehe in einen Schnellimbiss. Pedro ist nass und hinterlässt eine Wasserpfütze und ich fühle mich durchnässt trotz Regenjacke. Als der Starkregen zum Niesel wird, brechen wir zu Pedros Unmut wieder auf.

Consenza, eine moderne Stadt nicht nur wegen der Brücke, die so gar nicht zum restlichen Stadtbild passen will 

Nachdem wir Consenza hinter uns gelassen haben, fühlt sich Pedro trotz des schlechten Wetters deutlich besser und wir kommen nun endlich gut voran. Um kurz nach drei erreichen wir unser B&B in den Bergen in einem Haus, das sich seit mehr als 400 Jahren im Familienbesitz befindet. Äußerlich unscheinbar innen um so schöner. Das Haus ist liebevoll renoviert und eingerichtet. Sogar einen beheizten Pool gibt es im Garten, den mir der Besitzer stolz präsentiert. Bei dem Wetter reizt mich das Schwimmbad nicht. Neben den Zimmern gibt es einen mehrräumigen Aufenthaltsbereich mit einer Küche, zu der auch eine Espressomaschine zum Self Service gehört. Dort setze ich mich nach dem Duschen hin und lasse es mir gut gehen.

Pedro hat keine Lust, sich zu mir zu gesellen. Er liegt wie erschlagen auf dem Bett. Ich bin mir nicht sicher, ob er erschöpft oder beleidigt ist, weil ich ihn durch Consenza geschleppt habe. Ich muss das Morgen beobachten und mir ein Bild machen, ob Pedro den Weg weiter gehen kann oder wir zum Meer runter und mit dem Zug zurück nach Reggio Calabria fahren müssen. Sicher ist, Consenza hat Pedro nicht gefallen.

Tag 12: 25.10.2023 —> Kalabrien, ich muss in eine Stadt

Mich deprimieren die Touristenorte, die zumindest zu der jetzigen Jahreszeit völlig verlassen sind. Ich gebe zu, dass ich sehr froh bin, in den letzten drei Tagen ein Zimmer gefunden und bis auf gestern auch immer ein Abendessen bekommen habe. Es fühlt sich irgendwie komisch an, wenn ich in einem großen Hotel der einzige Gast im Restaurant bin und die Inhaberin ausschließlich für mich kocht. Gestern Abend auf der Suche nach einem offenen Restaurant bin ich durch einen dunklen Ort gelaufen. So stelle ich mir Orte vor, die im Krieg verdunkelt werden müssen.

Ich muss in eine Stadt mit Menschen auf der Straße, in Restaurants und in Bars: muss meine Seel wieder mit Licht erfüllen. Auf nach Consenza!

Wir laufen eine breite Straße, die niemand nutzt, hoch ins Skigebiet. Die Lifte gehen bis auf knapp 2.000 Höhenmeter. Schnee kann ich mir ehrlicherweise hier nicht wirklich vorstellen auch wenn die Temperaturen an manchen Tagen bereits recht frisch sind. Wir gehen aber tatsächlich auf Skipisten den Berg hoch. Schneekanonen sehe ich keine.

alles da: Skilift, Lifthäuschen, Pistenraupe

Auf schmalen Pfaden führt uns unser Weg durch die Wälder erst die Berge rauf und anschließend runter, runter, runter. Insgesamt 1.700 Meter müssen wir absteigen. Das geht ganz tüchtig in die Beine. Wassermangel herrscht definitiv nicht. Berg hoch kommt uns über Flüsse, Bäche und Rinnsale uns das Wasser entgegen. Berg ab rauscht das Wasser an uns vorbei. Pedro freut‘s. So kann er immer wieder frisches Wasser trinken und seinen Bauch kühlen, wenn er sich erschöpft fühlt von dem Suchen, Tragen und Verbuddeln von Ästen.

Einer der vielen Wasserläufe, den wir folgen

Dieser Ast war sein Liebling heute und hat ihn mehr als einen Kilometer getragen

Etwa zehn Kilometer vor Consenza kommen wir aus dem Wald in kleine Bergdörfer und müssen wieder auf Straßen laufen, die zwar kaum befahren sind. Trotzdem scheint das Pedro zu stressen. Er ist am Ende seiner Kräfte. Immer wieder setzt er sich und braucht eine Pause. Je näher wir Consenza kommen, um so befahrener werden die Straßen und um so unwilliger wird Pedro, zumal ich ihn etwa drei Kilometer vor Consenza an die Leine nehmen muss.

Der Herbst zaubert nicht nu bunte Blätter an die Bäume, er bringt auch immer wieder Regen

Noch einen Kilometer weiter gibt es einen großen Supermarkt. Dort muss ich unbedingt den Hundefutter kaufen. Ich habe heute Morgen die letzten Reste Pedro gegeben. Am Eingang des Supermarktes wirft sich Pedro regelrecht auf den Boden. Ich kaufe ein vier Kilopaket, da es an Trockenfutter für seine Größe keine kleineren Einheiten gibt und etwas an Nassfutter, um ihn zu motivieren. Ich bekomme kaum das Hundefutter in meinen Rucksack. Als ich die Pakete endlich eingepackt habe, erschreckt mich das Gewicht des Rucksacks. In Summe etwa fünf Kilo extra.

Kurz darauf kommen wir nach Consenza. Das B&B, das ich gebucht habe, liegt in der Altstadt. Die Altstadt zieht sich über 100 Meter den Berg hoch. Das B&B ist, das habe ich mir vor nicht klar gemacht, auf dem höchsten Punkt der Stadt. Ich kämpfe mich durch die engen modrigen Gassen hoch. Pedro muss ich mittlerweile hinter mir her ziehen. Er will nicht mehr.

 


Consenza, ein kleiner Ausschnitt

Kaputt wie wie ich bin, sehe ich nur die unschönen Seiten von Consenza. Die Fassaden verfallen, um viele Gebäude sind Bauzäune aufgestellt, da man nicht mehr gefahrlos passieren kann. Entsprechend sind einige Gassen vollständig gesperrt, so dass wir Umwege nehmen müssen. Es riecht nach Tod. Schlimmer als in Venedig hängt Morbidität in der Luft. War es das wert – eine solche Strapaze auf sich zu nehmen und den Hund „sauer“ zu laufen?

Ein Blick aus dem Fenster meines Zimmer

Ich habe Schwierigkeiten die Unterkunft zu finden. Ich bin exakt an an den GPS Koordinaten. Sehe aber das verdammte B&B nicht. Ich schicke über WhatsApp Bilder an die Wirtsleute, um mich führen zu lassen. tatsächlich bin ich nur auf der Rückseite des Gebäudes. Trotzdem bedarf es weiterer vier Messages, bis ich den Eingang finde.  Klar ist mir mittlerweile die Vermieter sind nicht hier. Denn ich bekomme zunächst einen Code für die Eingangstür und dann für die Zimmertür. Irgendwie kann ich das nicht leiden. Auf dem Land ok. Aber in der Stadt sollen die Gastgeber schon Vorort sein: vor allem warum fragen sie vorher, wann ich ankommen werde?

Mich regt das alles auf, weil ich am Ende meiner Kräfte bin und Pedro unwillig ist auch nur einen Mete zu gehen. Das Zimmer ist sehr schön. Nur fehlt es an Einrichtung. Es gibt nicht einmal einen Stuhl, auch keine Möglichkeit ein Handtuch oder meine gewaschene Wäsche aufzuhängen.

Erst nach dem Duschen versöhne ich mich wieder mit der „Welt“. Trotz der modernen Einrichtung und des schönen Bades werde ich, obwohl ich das vor hatte, keine zweite Nacht in Consenza verbringen. Das hat auch was mit der Altstadt zu tun. Die eigentliche Stadt mit der städtischen Infrastruktur ist im Tal. Ich habe keine Lust für alles immer erst einmal hundert Meter den Berg runter und anschließend hoch zu laufen. Auch kann ich Pedro schlecht in der Altstadt ausführen, nicht weil sich irgendeiner an einem pinkelte Hund stören würde aber Pedro ist nicht willig sich auf einer Straße zu erleichtern.

Zum Abendessen muss ich de; Berg runter. Ich bin noch nicht weit, komme ich an einer Salumeria vorbei. Draußen – quasi auf der Straße – ist ein Tisch voll besetzt mit jungen Leuten. Der Tisch quillt über von Käse, Wurst, Käse und Wein. Coole Musik spielt. Obwohl ich ein anderes Ziel hatte, kehre ich ein. Da der Abend kühl ist und es immer wieder geregnet hat, setzte ich mich drinnen an einen Tisch. Ich werde nett bedient. Es gibt einfache Speisen von der Theke. Ir schmeckst und für mich überraschend – wahrscheinlich aufgrund meiner Erfahrungen der letzten Tage, füllt sich das Restaurant bis auf den letzten Platz. Es werden immer wieder Weinflaschen geöffnet und mir wird immer auch ein „Probeschluck“ angeboten.

Satt und betüttelt von den Probierschlucken mache ich mich auf den Weg in mein Zimmer und frage mich, ob es klug war, schon für Morgen ein neue Unterkunft zu reservieren, auch wenn diese keine 15 Kilometer entfernt ist.

Tag 11: 24.10.2023 —> Kalabrien, von See zu See

Um 03:00 Uhr weckt mich Pedro. Er muss mal. Bevor wir ins Bett sind, habe ich ihn regelrecht vor die Tür ziehen müssen, da er wohl Angst hatte wieder laufen zu müssen. Der Toiletten Gang war entsprechend erfolglos. In der Nacht waren wir noch nicht richtig vor der Tür, die ich vor dem Zufallen sichern musste, um uns nicht auszuschließen, hat sich Pedro auch schon hingesetzt. Es wollte überhaupt nicht mehr aufhören. Ich wusste gar nicht, dass ein so kleiner Hund so eine große Blase hat.

Zum Frühstück werde ich bereits erwartet als ich in die Lobby komme. Die gesamte Familie ist fleißig und sorgt für Ordnung. Auch die Nonna, die mich gestern bei meiner Ankunft ignoriert hatte, grüßt fröhlich. Außerhalb des Hotels herrscht die selbe Verlassenheit wie gestern Nachmittag. Der Ort ist tot.

Wir müssen den See weitgehend umrunden und haben da schon über 15 Kilometer auf der Uhr. Teilweise ist die Promenade hübsch angelegt. Entweder hat die Saison starke Spitzen im Sommer und Winter und in den Zwischensaisons kommen keine Gäste oder die gesamte Region hat ihre Anziehungskraft auf Touristen völlig verloren.

Promenade entlang eines Stausees

Außer Bauern, die sich um ihre Tiere oder die Kartoffelernte kümmern treffe ich niemanden, trotz der Schönheit der Natur.

Bevor wir eine hohe Bergkette, um zum nächsten Stausee zu gelangen, überqueren müssen, still Pedro seinen Durst in einem Bach und kühlt seinen Bauch, das hat er besonders gern.

Darin fühlt sich Pedro wohl

Der Weg führt uns entlang eines Flusses. Von den Bergen links und rechts fließen kleine Bäche und Rinnsale in den Fluß. Die Zuflüsse laufen mal quer über den Weg oder fließen in Spurrinnen, die durch landwirtschaftlich genutzte Fahrzeuge entstanden sind, den Weg hinunter bis es für das Wasser eine Möglichkeit gibt, zum Fluß zu gelangen. Damit ist es oft großflächig matschig und wir bekommen schnell nasse Füße. Meine Hosenbeine sind bis zu den Oberschenkeln mit Dreck verschmiert.

In höheren Lagen wird es besser und meine Klamotten trocknen in der Sonne schnell ab. Kurz vordem Gipfel liegt eine merkwürdig aussehende Felsformation am Wegrand. Diese Felsbrocken passen so gar nicht in das sonstige Landschaftsbild. Diese Gesteinsart habe ich bisher nicht gesehen.

Ist das ein Gesicht in den Felsen?

Nach dem Auf kommt das Ab. Steil geht es runter auf den nächsten Stausee, der unser heutiges Ziel ist. In der Mitte des nördlichen Ufers gibt es einen Ort mit vielen Hotels und Restaurants. Ich habe, da ich in den Hotels kein Zimmer buchen konnte, ein Appartement reserviert.

Bis wir unser Tagesziel erreichen, müssen wir unterhalb der Staumauer und später direkt am See entlang laufen. Selten ist der Weg zu erkennen. Weidezäune müssen wir übersteigen, manchmal muss ich Pedro Unterboden Zäunen durchschieben. Das Ufer ist nicht befestigt. Es gibt an manchen Stellen kleine Strände mit Steinen aber auch Sand. An einem jage ich Pedro ins Wasser, damit er einigermaßen sauber in unserem Quartier ankommt.

Lago Arvo: der dritte und größte Stausee in drei Tagen

Neben den Stränden müssen wir zu meiner Überraschung durch eine Art Schwemmlandschaft. Es ist sumpfig und wir müssen sehr aufpassen, nicht darin zu versinken. Schließlich erreichen wir eine Straße, die uns nach Lorica hinein führt. Pedro wieder und ich immer noch schmutzig. Darin unterscheiden wir uns nicht von dem Ort.

Anders als ich erwartet hatte, waren die vielen Hotels nicht ausgebucht sondern sind zu. Reihenweise stehen Immobilien zum Verkauf. Viele davon sind baufällig und ich frage mich, wer sollte an solchen Häusern Interesse haben. Später muss ich feststellen, dass nicht nur die Hotels sondern auch die Restaurants zu haben. Ich muss mir doch tatsächlich eine Tütensuppe zubereiten, da es wirklich nichts gibt. Ein für die hiesige Gegend ein großer Ort, der ausgestorben ist. Düster.

Das beeinflusst auch meine Planung für Morgen. Ich will bis nach Cosenza, der Bezirkshauptstadt des Nord Westlichen Sila Gebirges. Ich buche bereits heute Abend ein B&B, um ein klares Ziel zu haben. 38 Kilometer und gut 1.000 Höhenmeter bedeutet das. Eine große Herausforderung.

Der stelle ich mich gerne, um wieder in die Zivilisation zu kommen. Auch muss ich dringend Hundefutter kaufen, das reicht nur noch für heute Abend und Morgen früh. Das Ziel ist nun klar. Pedro schläft seit wir angekommen sind neben mir und weiß noch nicht, was Morgen auf ihn zukommt.

Tag 10: 23.10.2023 —> Kalabrien, wir werden beobachtet

Der Start in den Tag gestaltet sich etwas zäh. Am Frühstücksbuffet steht zum Self Service eine Siebträger Maschine, wobei ein Kaffee-Pad in das Sieb gelegt werden muss. Ich brauche eine Weile, bis ich den Mechanismus verstanden habe. Nach dem ich das Pad eingelegt und den Siebträger geschlossen habe, suche ich unter den vielen Knöpfen, welchen ich betätigen muss. Da kommt eine nette Bedienung angerauscht und drückt für mich den Knopf. Da sie davon ausgeht, dass ich als Nicht-Italiener keine Ahnung habe, wie man Milch aufschäumt, will sie mir einen Cappuccino zaubern und mir die Milchaufbereitung vorführen. Dazu nimmt sie einen viel zu großen Gießer, der mindestens einen Liter fasst. Dann stellt sie fest, es ist kein Druck auf dem Milchaufschäumer: Wasser muss nachgefüllt werden. Also geht sie Wasser holen und füllt den Wasserbehälter auf. Die Maschine zeigt an, dass das Wasser nicht hinreichend heiß ist. Das interessiert die Bedienung nicht, obwohl ich sie darauf hinweise. Verzweiflung kommt auf. Sie wollte doch dem Ausländer mal zeigen, wie eine Italienerin einen leckeren Cappuccino macht. Die Milch schäumt nicht, sie wird nicht heiß. Sie tut allerdings als wäre alles perfekt. Elegant wird die noch immer kalte Milch in den mittlerweile kalten Kaffee gegossen. Ein Fiasko. Sie weiß nicht mehr, was tun. Ich nehme die Tasse und gehe an meinen Tisch, das kann sie nun nicht auf sich sitzen lassen. Ich will nur noch weg.

Pedro und ich machen uns fertig, während ich ein Croissant esse, das ich in meiner Verzweiflung vom Buffet mitgenommen habe. In der Hoffnung, dass bereits eine Bar in dem winzigen Ort auf hat, brechen wir auf. Tatsächlich öffnet gerade die Bar im „Zentrum“ und jetzt gibt es einen richtigen Café. Weil er so gut ist, trinke ich gleich noch einen zweiten. Jetzt kann es los gehen.

Villagio Mandrisio liegt auf 1.250 Meter. Wir bewegen uns zwischen 1.100 und 1.700 Höhenmeter und enden wieder auf 1.250 Höhenmetern in Caprara.

Ideales Wetter für Pilze: heute hätte ich für eine Großfamilie Steinpilze sammeln können

Trotz der Sonne bleibt es frisch. In den Bergen ist es bereits herbstlich kühl und es riecht modrig. Der Wald erstrahlt in klassischen Herbstfarben. Es ist eine Lust zu wandern auch Pedro ist hoch motiviert. Um elf legen wir, damit ich an einer Video-Konferenz teilnehmen kann, eine Pause von anderthalb Stunden ein. Obwohl ich in der Sonne sitze, kühle ich schnell aus und ich muss mir was warmes anziehen. Mal sitzt Pedro während des Calls an mich gekuschelt ebenfalls in der Sonnen meist geht er aber in den Schatten am Bach.

Pedro bevorzugt während einer Pause den Schatten, obwohl mir sogar in der Sonne kalt ist

Nach dem Meeting führt der Weg in ausladenden Serpentinen ins Tal. Das kürzen wir ab und folgen einem Bach. Was ich nicht bedacht habe, das Flüsschen sammelt sich, bevor es gemächlich weiter fließt in einem Teich. Diesen müssen wir weiträumig umlaufen, da es überall sumpfig ist und wir bereits ein paarmal nasse Füße bekommen haben. Wir erreichen eine Alm, die als Kuhweide genutzt wird.

Den Teich müssen wir weiträumig umgehen

Durch die Herde müssen wir durch. Pedro ist beeindruckt von den großen Tieren, gewöhnt sich dann doch erstaunlich schnell an die Anwesenheit der Rinder und ich ihn nicht anleinen muss. Wir werden von allen Kühen aufmerksam beobachtet. Sie halten immer einen Respektabstand und verziehen sich uns im Auge behaltend, wenn wir auf sie zukommen. Manche Kühe haben ein respekteinflösendes Gehörn.

Aufmerksam werden wir beobachtet

Der Bach hat sich, während er über die Alm langsam weiter Richtung eines Sees – Lago Ampollino – fließt, zu einem ansehnlichen Fluss entwickelt. Das Tal wird nach der Alm schmal. Mal müssen wir nun auf der einen, mal auf der anderen Seite des Flusses gehen. Wir kommen aufgrund des häufigen Querens des Wasserlaufs nur langsam voran. Unsere Füße sind nass, was Pedro nichts ausmacht. Er freut sich über den Weg und die Möglichkeit sich im Wasser abzukühlen.

Was für Hörner

Schließlich erreichen wir den großflächigen Bergsee. Jetzt drehen wir noch einmal auf. Es ist eben und wir folgen einer kaum befahrenen Straße bis nach Caprara, einem Wintersportort mit Skipisten und einer Bobbahn. Es gibt viele Hotels, die zu dieser Jahreszeit zumeist geschlossen sind. Der Ort wirkt wie ausgestorben. In einem einfachen Hotel bekomme ich ein Zimmer. Die Wirtsleute sprechen nur Italienisch und tuen sich schwer, mit mir zu kommunizieren, obwohl ich versuche, mich mit meinem simplen Italienisch verständlich zu machen. Auf einfache Fragen bekomme ich wortreiche Antworten, die ich nicht verstehe. Nach und nach kommen wir klar miteinander.

Lago Ampollino

Meine Ankunft verläuft etwas schräg. Ich komme ins Hotel und gehe an die Rezeption. Neben der Rezeption brennt ein Feuer in einem großen Kamin. Darüber hängt ein Fernseher, in dem eine Werbesendung läuft. Die Lautstärke ist maximal aufgedreht.

Die Rezeption ist nicht besetzt. Ich schaue mich einen Moment um. Dann kommt eine alte Frau aus dem dunklen Restaurant geschlappt, läuft auf den Kamin zu und setzt sich direkt vor das Feuer. Ich spreche sie an, doch sie schaut mich nicht an. Nimmt sie mich wahr?

Schließlich rufe ich die Telefonnummer an, die auf GoogleMaps angegeben ist. Schwierige Kommunikation. Die Dame am anderen Ende der Leitung legt nach kurzer Zeit auf. Ich werde wohl Generationen unabhängig ignoriert. Doch kurze Zeit später kommt der Hotelier. Ich bekomme ein Zimmer mit Frühstück und Abendessen. Nach dem einfachen und schmackhaften vor allem reichhaltigen Mahl sitzen wir alle vor dem Kamin, dem vermutlich einzigen warmen Ort. Die Familie taut auf und ich werde sehr nett aufgenommen. Nur die weiblichen Familienmitglieder tun sich schwer, mit mir zu sprechen.

Tag 9: 22.10.2023 —> Kalabrien, Kastanien und Wildschweine sind die Objekte der Begierde

Immer wieder sonntags ist die Landbevölkerung mit der Familie entweder am Sammeln oder auf der Jagd. Die Urinstinkte als Sammler und Jäger werden am Wochenende voll ausgelebt. Gestern musste aufgrund des schlechten Wetters ausfallen ergo konzentriert sich die Ausübung der gemeinsamen Leidenschaften auf den Sonntag.

Die meist männlichen Jagdgesellschaften waren heute sehr erfolgreich beim Abschuss von Wildschweinen. Es wurde überall rumgeballert und sich beglückwünscht sowie auf die Jagd angestoßen. Ich wußte schon gestern, als die beiden jungen Polizisten mich vor den Wildschweinen warnten, dass ich mehr Angst vor den Jägern haben muss. Spätestens ab Mittag kann von den Jägern keiner mehr ein Wildschwein von einem Hund unterscheiden.

Die weiblichen Familienmitglieder haben Kastanien zusammengeglaubt. Der Wald ist voller Kastanienbäume. Aber Kastanienbäume gibt es nicht nur im Wald sondern werden auch wie Olivenbäume in Plantagen angebaut.

Kastanienplantage

Ich frage mich, was die Leute mit den Kastanien und Wildschweinen machen. Auf der Speisekarte finden sie sich nicht weder Kastanien noch Wildschwein. Ganz anders als die Steinpilze, die es im Sila Gebirge nicht oder nicht mehr gibt. Auf Pilzesammler sind wir nicht gestoßen, die gibt es aber zum Abendessen.

Sonniger Tag: das Licht erhellt nicht nur den Weg auch die Seele

Die Landschaft im Sila ist weniger dunkel und abwechslungsreicher als bisher mit lichtdurchfluteten Waldgebieten, Flüssen und Seen. Da macht das Wandern, auch wenn es immer wieder steil bergab und anschließen noch steiler bergauf geht, richtig Freude. So machen wir gut 1.000 Höhenmeter gewinnen allerdings lediglich 400 Meter.

Künstlicher See mitten in den Bergen

In einem der Täler an einem reißenden Fluß liegt das Kloster Santuario della Madonna di Termine. Eine wunderschöne Anlage mit einem riesigen Gelände. Das war sicher mal ein sehr reiches Kloster, das heute verlassen wirkt. Ich treffe an einem Sonntag Morgen auf niemanden; es gibt nicht mal einen Gottesdienst.

Traumhaft schöne Klosteranlage mit weitläufiger Anlage an einem sprudelten Fluss

Wir übernachten heute in einem Spa-Hotel. Ich habe mich auf Sauna oder Dampfbad gefreut. Der Spa-Bereich besteht allerdings nur aus einem Schwimmbad das von Familien vollständig in Beschlag genommen ist. Schnell verziehe ich mich wieder auf unser Zimmer.

Wie schon gestern Abend kann man in den hiesigen Restaurants Gesellschaftsstudien durchführen. Gestern Abend war der komplette Querschnitt der ansässigen Gesellschaft vertreten. Das gilt heute Abend nicht. Ich bin sicher, wer heute in dem Hotelrestaurant zu Abend ist, hält sich für was besseres. Die meisten haben sich schick gemacht; unterhalten wird sich nicht sondern jeder ist vertieft in sein Telefonino. Gelegentlich teilt man sich mit, auf welche interessante Information man gestoßen ist, um sofort sich wieder in sein Smartphone zu vertiefen; nebenher wird im Essen herumgestochert.

An allen Tische  das gleiche Bild: Das Smartphone ist der Nabel der Welt,; er schaut ins Lokal, sie an die Wands

Ok, das Essen hat keine große Aufmerksamkeit verdient. Einen Teil nehme ich für Pedro mit aufs Zimmer. Dem schmeckt sichtbar besser als mir. Noch vor wenigen Tagen habe ich gelobt, wie Familien abends zusammen Essen gehen und sich alle über die Tische hinweg unterhalten. Heute Abend das komplette Gegenmodell. An einer Unterhaltung hat keiner ein wirkliches Interesse. Das Handy ist das Zentrum um das sich die Welt dieser Restaurantbesucher dreht – armselig!

Tag 8: 21.10.2023 —> Kalabrien: es regnet und stürmt

Wie starten spät, da wir keine 15 Kilometer zwar gut 800 Höhenmeter vor uns haben. Trotzdem ist das in gut 3 Stunden zu bewältigen und wir haben uns für 14:00 Uhr zum Check-in angemeldet.

Also trinke ich gleich in der ersten Bar einen Cappuccino und esse ein Hefeteilchen, da die Brioches entweder mit Crema oder Schokolade gefüllt sind. Dann geht es, jetzt bereits fast halb zehn, richtig los. Wir müssen zunächst in eine Städtchen, das hoch oben auf einem Berg liegt: Tiriolo.

Bis dorthin müssen wir die Passstraße hoch. Nach etwa zwei oder drei Kilometer kommt eine Polizeifahrzeug und hält neben uns. Eine Polizist sitzt am Steuer und eine Polizistin auf dem Beifahrersitz; beide sehr jung. Ich denke, sie stören sich daran, dass ich Pedro nicht angeleint habe. Sie fragen zunächst von wo ich komme und wo ich hin will. Jetzt bekomme ich das Gefühl, die halten mich für einen Landstreicher und wollen mich aus ihrem Revier verjagen. Als ich ihnen mitteile, dass ich den Sentiero gehen, steigen sie aus, fragen, ob ich Englisch spreche und wollen mir helfen. So kann man die Zeit auch totschlagen. Ich bekomme eine genaue Beschreibung der Gegend, was ich mir unbedingt anschauen muss und wie mein Weg verläuft. Die glauben ernsthaft, dass ich mir merken kann, wo ich in fünf Kilometer nach verschiedensten Richtungsänderungen an der dortigen Weggabelung nach rechts oder links abbiegen muss. Das ganze dauert bestimmt zehn Minuten. Zum Abschluss warnen die beiden mich vor den Wildschweinen und ich mache den Fehler zu sagen, dass ich vor Tieren keine Angst habe. Jetzt gibt es Erklärungen, warum Wildschweine für Menschen hoch gefährlich sind. Ich habe genug und gehe darauf nicht ein, verabschiede mich höflich und gehe weiter. Die beiden fahren weiter in meine Richtung, kommen aber nach etwa fünf Minuten zurück, grüßen wieder freundlich und wünschen mir erneut einen schönen Tag.

Dann erreiche ich endlich Tiriolo. Im heutigen Zentrum kehre ich in eine Bar ein. Trinke natürlich mit den meist älteren Italienern zwei Café – also Espresso. Wie immer bewundern alle Pedro, dass er sich hinlegt, wenn ich ihm das sage, er nicht bellt, so niedlich aussieht etc. etc. Pedro scheint die Aufmerksamkeiten durchaus zu genießen.

Triolo: eine bedeutungslose wie typische Kleinstadt in den Bergen

Da Nebel aufzieht und es sehr nach Regen aussieht, brechen wir auf, obwohl wir durchaus noch Zeit hätten. Aus Tiriolio keuchen wir über Treppen und einen wunderschön angelegten Weg den Berg hoch. Der Weg ist, untypisch für die Gegend für Autos gesperrt. Auffällig ist, dass jeder Weg befahren wird, selbst wenn nach unseren Standards dieser für Autos ungeeignet ist. Es läuft auch niemand, außer zum Pilze sammeln. Selbst der kürzeste Weg, z. B. zum Nachbar, der 50 Meter weg ist, setzt man sich ins Auto. Also unser Weg endet hoch oben in den Bergen an dem Osservatorio Astronomico  der Comune Tiriolo „Andrea Perrelli“. Auch wenn das Gebäude in gutem Zustand ist, scheint es eine Art Ruine zu sein. Nach meiner Internet Recherche handelt sich um eine private, nicht professionelle Einrichtung aus dem 18. Jahrhundert. Genutzt wird das Gelände nur noch als Sendeantenne. Andrea Perrelli war wohl ein Notar im 18. Jahrhundert ansässig in Tiriolo. Trotz seines Engagements wurde Tiriolo keine Stadt der Wissenschaft. Bedeutungslosigkeit war, ist und wird das Schicksal von Tirolo sein.

Anders als in Heidelberg hat die private Investition in ein astronomisches Observatorium nicht zu Weltruhm geführt

Nachdem wir uns bei dem Observatorium etwas umgeschaut haben wird unser Weg zu einem Klettersteig entlang eines Berggrades. An der einer oder anderen Stelle muss ich Pedro helfen. Aber wir managen das zusammen trotz der Wolken, die uns immer wieder umhüllen, trotz der stürmischen Böen und des Nieselregens. Auch wenn wir immer wieder Schwierigkeiten aufgrund des Wetters mit der Orientierung haben, finden wir unseren Weg und kommen gut voran.

Klettern im Nebel bei stürmischem Wind

Kurz bevor wir das Hotel erreichen, fängt es dann an wirklich zu regnen. Durchnässt erreichen wir unser Hotel viel zu früh. Alles ist dunkel und verschlossen. Ich schreibe eine kurze Nachtlicht, dass wir bereits angekommen sind. Der Hotelwirt, eine etwas mürrischer Hüne, kommt nach etwa zwanzig Minuten angerauscht. Öffnet uns und gibt mir die Zimmerschlüssel. Schnell verabschiedet er sich bis zum Abendessen.

Pedro und ich machen es uns in dem Zimmer gemütlich während draußen ein Unwetter mit Starkregen und Sturm tobt. Erst zum Abendessen bewege ich aus dem Bett, in das wir beide uns gekuschelt haben.

Das Restaurant, das Mitten im Nichts liegt, ist erstaunlich gut besucht. Ich hatte aufgrund der Lage vermutet, dass ich der einzige Gast sein werde. Weit gefehlt. Es kamen weitere Hotelgäste und das Restaurant ist um kurz nach neun voll, trotz des gruseligen Essens. Das Restaurant scheint eine Institution zu sein. Die meisten Gäste, vor allem die weiblichen, haben sich aufgebrezzelt. Es wird die Mode von vorgestern zur Schau gestellt. Gegessen wird Pizza und Bier getrunken. Um die Besonderheit des Restaurants herauszustellen gibt es als Aperitif Prosecco. Mir wird auch einer angeboten: man fragt mich, ob ich Vinegar haben möchte. Als man meinen erstaunt fragenden Blick sieht, wechselt man sprachlich ins Italienische und jetzt verstehe ich, dass man auch mir einen Prosecco anbieten möchte.

Tag 7: 20.10.2023 —> Kalabrien, Pedro kann nicht mehr

Im Grunde eine einfache Tour: die letzten Kilometer raus aus dem Aspromonte runter in ein nicht wirklich breites Tal auf 60 Höhenmeter und anschließend hoch in die Ausläufer des Sila Gebirges in einen Vorort etwas westlich von Catanzaro. 30 Kilometer und knapp 600 Meter in Summe hoch.

Erster Blick auf die Sila


Allerdings ist es heiß und sonnig. Kein Wald der Schatten spendet und wie gestern viel Asphalt. Die Ausläufer der Gebirge werden landwirtschaftlich genutzt. Im wesentlichen Ackerbau aber wir kommen auch an Schafherden vorbei, die mit Pedro zu passieren, immer wieder eine Herausforderung darstellen. Die Schäferhunde konzentrieren sich in ihrem Schutzverhalten voll auf Pedro, der sich davon massiv einschüchtern lässt. Um so dominanter muss ich auftreten, einerseits um Pedro meinen Schutz sichtbar zu machen und andererseits um die Hütehunde in ihre Schranken zu verweisen. Neben Schafen werden wohl auch Schweine in Ställen gehalten, zumindest stinken manche Höfe entsprechend. Wie das die Viehzüchter aushalten, kann ich nicht verstehen.

Jahrhunderte alte Olivenbäume: sind sie nicht eine Schönheit?

Nach 15 Kilometern in einem Bergdorf, in dem ich einen Espresso und Pedro etwas Wasser trinken, will Pedro nicht mehr weiter. Nur mit viel Mühe bekomme ich in aus der kühlen Bar wieder raus. Anschließend schmeißt er sich in die noch so kleine Pfütze oder feuchten Dreck. Der weiße Pedro ist fast schwarz. Jeder noch so kleinste Schatten von einem Baum oder Haus am Straßenrand wird genutzt, um dort liegen zu bleiben. Wasser will er nicht, fressen will er auch nicht. Wir müssen aber aus dem Tal raus, sonst wird es Morgen auch nicht besser.

Endlich sehe ich, wie die Bäume zur Ernte „geschüttelt“ werden

Am Rande von Catanzaro gibt es einen großen Supermarkt. Dort kaufe ich frisches Hundefutter und für kleine Hunde Nassfutter. Von diesem gebe ich ihm zwei Portionen, immerhin 200 Gramm. Das frisst er mit Genuss. Das hilft für etwa einen Kilometer als Motivation.

Heute haben wir ein Ferienhaus. Pedro schmeißt sich sofort auf den kühlen Boden und steht nicht mehr auf, beachtet weder das Wasser noch das Futter.

Ich wiederum fühle mich wiederum richtig gut. Ich habe mich mittlerweile an das Gewicht des Rucksacks gewöhnt und bereits scheinbar entsprechende Muskulatur aufgebaut. Auch wenn mich heute Morgen eine Wespenmutation – bestimmt doppelt so lang und dick wie eine normale Wespe – in die Brust gestochen hat. Die Monsterwespe ist unter den Rucksachtragegurt gekrabbelt und hat dann in der Enge zugestochen. Im ersten Moment dachte ich, aus dem Gurt muss sich eine Metallspitze gelöst haben und ich muss schnell den Gurt richten. Dabei habe ich dann gesehen wie dieses Monster unter dem Gurt hervor gekrochen kam. Das hat mich gleich ein zweites Mal mächtig erschrocken, weil ich nicht wußte, wie ich dieses Ungeheuer wieder los werde. Es hat sich dann doch einfach weg schlagen lassen. Meine Brust wurde sofort ganz taub. Durch die Bewegung hat sich das Gift dann doch schnell verteilt und wohl auch abgebaut. Zunächst hat sich die Brustmuskulatur aber angefühlt, als hätte ich für einen Eingriff eine Betäubungsspritze erhalten. Jetzt ist der Bereich nur etwas gerötet und die Einstichstelle juckt tüchtig.

Bei Nacht sieht das Dorf, in dem wir übernachten,  richtig schön aus

Fazit des Tages: Morgen legen wir eine kurze Etappe ein. Ich buche daher in der dünn besiedelten Sila ein Hotel, keine 15 Kilometer von unserem heutigen Quartier in der Hoffnung, dass Pedro schnell regeneriert.

Tag 6: 19.10.2023 —> Kalabrien, Olivenernte

Pedro schmeißt mich um halb sieben aus dem Bett. Ich glaube er muss mal. Schade dass ich ihn nicht einfach auf die Toilette schicken kann. Da wir in einem Haus mitten in Torre di Ruggiero untergekommen sind, kann ich nicht einfach raus lassen. Also stehe ich auf und mache mich schnell fertig. Es dämmert gerade, als wir das Haus verlassen.

Am nächsten Grashalm erleichtert sich Pedro; das hört gar nicht mehr auf zu laufen: war tatsächlich sehr dringend.

Wir laufen fast ständig auf Asphalt und meist entlang von Straßen. Manche sind so viel befahren, dass ich Pedro anleinen muss. Ihm gefällt das gar nicht. Er tollt lieber im Wald oder Wiesen herum mal vor mal hinter mir. Auf der Straße muss er sich zu sehr konzentrieren, dass er schön am Rand läuft. Gut aber nervig ist, dass er sich bei jedem Auto, das sich nähert hinsetzt – leider auch mitten auf der Straße, so dass ich ihn an die Seite ziehen muss. Auch an der Leine zu laufen, streßt ihn, da er neben mir in der selben Geschwindigkeit gehen muss. Um sich abzulenken, würde er am liebsten jeden Grashalm von oben nach unten abschnüffeln. Das alles macht uns langsam und kostet ihm viel Energie.

Wir bewältigen die gut 30 Kilometer am Ende doch recht schnell und sind bereits vor drei Uhr beim Agriturismo, das ich gestern gebucht habe. Pedro will die beiden letzten Kilometer nicht mehr. Er legt sich permanent hin und lässt sich nicht mehr motivieren, weshalb ich ihn immer wieder hochziehen muss. Völlig fertig lässt er sich schon im Empfangsbereich einfach fallen. Er schleppt sich ins Zimmer und legt sich aufs Bett und schläft an mich gekuschelt sofort tief und fest ein.

Mich hat die Strecke auch angestrengt, weil meine Konzentration bzgl. Pedro stark gefordert war. Aber auch da s heute wieder richtig heiß war. Wir hatten heute hochsommerliche Temperaturen und häufig keinen Schatten bei einer hohen Luftfeuchtigkeit.

Unser Ziel ist Amaroni, ein kleiner Ort am nördlichen Ausläufer des Aspromonte. Das vor uns liegende tiefe und nicht gerade breite Tal trennen den Aspromonte vom Sila Gebirge.  Wir übernachten heute auf einem Bauernhof, und können in der Ferne bereits die ersten Höhen des Sila sehen.

Olivenhain und das Sila Gebirge im Hintergrund

Die Bauern des Agriturismo haben sich auf den Anbau von Olivenbäumen fokussiert und eine eigene Produktion mit allen Prozessen wie Reinigung, Ölmühle, Extraktion, Homogenisierung und Abfüllung aufgebaut. Obwohl die Olivenernte gerade begonnen hat, darf ich einen Blick in die Produktion werfen: ein moderner Handwerksbetrieb mit traditionellen und modernen Maschinen. Ob ich alles richtig verstanden habe? Die Italienischen Erklärungen des Bauern kaum; die Maschinen und Anlagen sprechen schon eher meine Sprache. Zum Bau einer Olivenölfabrik reicht es trotzdem nicht.

Die Netze sind ausgelegt, mit der Ernte kann begonnen werden

Erfolgreich: die Oliven sind im Netz

Für politisch philosophische Gedanken war ich heute zu abgelenkt. Mein Gehirn wollte nicht in Schwung kommen. Zum Abschluss noch eine Anmerkungen: wie man auf dem Foto erkennen kann, behandeln wir Menschen die Natur nicht mit viel Respekt. Trotz besseren Wissens entsorgen Viele ihren Müll an jedem denkbaren Ort. Die Natur nicht dumm, holt sich alles zurück – auch einen Opel Kadett und einen Simca.

Jede Art von Müll wird in der Natur entsorgt, hier: 2 Autowracks aus den 70/80er

Ich komme gerade vom Abendessen, das ich hier auf dem Hof reserviert bekommen habe. Sensationell! Ich habe natürlich frisches Weißbrot mit Olivenöl gegessen – wow, was für ein Geschmack. Die Pasta: Steinpilze mit etwas Speck und Petersilie, die Soße aus der Flüssigkeit der Pilze ergänzt mit Pastawasser; himmlisch. Danach noch ein Kotelett von ausnehmender Qualität. Auf den Nachtisch verzichte ich und trinke noch einen Espresso. Vom Rotwein bin nun schon richtig beduselt. Das beste Abendessen bisher in Kalabrien. Ich werde bestens schlafen.

Tag 5: 18.10.2023 —> Kalabrien, ist die Region arm?

Ein einfaches Frühstück (ein Croissant mit einem Cappuccino – mehr gibt es auch in Hotels in Italien nicht) und schon sind Pedro und ich wieder im Wald unterwegs, wo wir diesmal auf einen Pilzesammler treffen, der uns erzählt, dass er in Berlin gearbeitet habe, und dazu noch einen Steinpilz unter den Blättern herausfischt.

Ein erfolgreicher Pilzesammler mit Deutsch Kenntnissen 

Nach gut zehn Kilometern taucht aus dem Wald das Kartäuser Kloster Santo Stefano del Bosco auf. Als ein Lieferfahrzeug eingelassen wird, darf ich auch kurz eintreten und einen Blick hinter die Klostermauern werfen: eine riesige und beeindruckende Anlage. Nach Nordosten vom Kloster erstreckt sich die Stadt Serra San Bruno mit ihren engen Straßen und Gassen, je einer Kirche beim Stadtein- und -ausgang. Innen herrscht das übliche vormittägliche Treiben einer Italienischen Kleinstadt: viel Autoverkehr, wenige Fußgänger, viele Bars. Perfekt für eine ausgiebige Pause.

Kartäuser Kloster gegründet von einem Deutschen vor ca. 1.000 Jahren


Eine hübsche, lebendige Stadt im Aspromonte

Kaum aus Serra San Bruno raus komme ich durch zwei kleinere Orte mit kleinen netten Häusern, die meisten in keinem guten Pflegezustand und technisch sicher nicht auf dem neusten Stand. Junge Leute sehe ich keine in den Straßen. Ist das ärmlich?

Sieht so ärmlich aus?

Warum stelle ich mir die Frage? Vor einigen Wochen habe ich einen Podcast des SWR gehört mit dem Titel Maffia Länd. In dem werden u. a. die Verbindungen der hiesigen Maffia, der ‚Ndrangheta nach Baden-Württemberg beleuchtet. Die beiden Journalistinnen haben, so berichten sie in ihrem Podcast, Kalabrien besucht und stellen fest, dass die Orte alle ärmlich seien. Das Geld hat die Maffia und ihr Wirken, so wird unterstellt, blute das Land aus. Ich habe keine Ahnung von der Maffia und kann nicht einschätzen, was das mit den hier lebenden Menschen macht.

Ich beobachte allerdings einige Dinge, die journalistisch nicht aufgearbeitet wurden: Die Familien sitzen mit Kind und Kegel in den Restaurants und essen gemeinsam, sie suchen alle zusammen am Wochenende nach Pilzen, jeder – und wenn es Pilze suchen ist – arbeitet. Jeder hat ein Auto, ein Haus und die modernste Unterhaltungselektronik. Ist es ärmlich nur weil die Autos nicht so schick sind und die Häuser keine Wärmepumpe haben und oft einen frischen Anstrich gebrauchen könnten? Mir scheint, wir haben eine merkwürdige Ansicht über Ärmlichkeit entwickelt. Diese wäre aus meiner Sicht nur richtig, wenn die Menschen deshalb unglücklich wären. Sie wirken nicht so: jeder ist freundlich und ausgesprochen hilfsbereit, jeder grüßt höflich und mürrisch wirkt auch niemand.

Es muss dennoch Gründe geben, warum viele junge Leute in die großen Städte des Nordens oder nach Deutschland zum Arbeiten gehen. Die Landflucht der jungen Leute ist offensichtlich. Anders lässt sich auch nicht erklären, dass ganze Dörfer verlassen sind und die Häuser nur als Wochenend- oder Ferienhäuser genutzt werden.

Während ich vor mich hinlaufe geht mir das alles durch den Kopf und was Gründe – nicht bezogen auf Kalabrien sondern ganz allgemein und bei uns in Deutschland im Speziellen – für Landflucht, ständige Unzufriedenheit und zunehmenden psychischen Erkrankungen sein könnten.

Nichts, was ich nachfolgend ausführe, kann ich wissenschaftlich belegen. Es sind lediglich Hypothesen und Gedanken, die mir gerade bei meinen Wanderungen durch den Kopf gehen.

Hypothese 1: wir reden ständig über zunehmende Armut und falsche Alokation staatlicher Unterstützungen, woraus ein Empfinden der Benachteiligung und der Ungerechtigkeit entsteht. Am Ende glauben wir daran, dass wir arm sind und nicht bekommen, worauf wir Anspruch zu haben meinen.

Hypothese 2: Instagram und Co. suggerieren, alle anderen sind schön, reich, haben alles, was man für ein glückliches Leben braucht, reisen an die phantastischsten Orte dieser Welt und genießen das Leben aus vollen Zügen. Mit anderen Worten alle anderen führen ein glückliches Leben nur wir selbst nicht.

Hypothese 3: Es besteht der Zwang, Karriere zu machen, sich immer höhere Ziele zu setzen und wer das nicht schafft ist ein Looser. Da aber niemand ein Looser sein will, setzen uns unter einen Druck, dem wir psychisch nicht gewachsen sind und werden krank.

Kaum etwas von dem, was die Hypothesen unterstellen, ist auf dem Land zu bekommen. Daher wollen alle in die Städte, wo die Welt bunt, reich und unterhaltsam ist. Es geht ständig um das mehr, mehr, mehr. Dabei bin ich mir ziemlich sicher, dass auch die Ronaldos dieser Welt keine bisschen glücklicher sind als die meisten anderen Menschen auch.

Mehr dazu Morgen. Heute sitze ich in einem netten Restaurant in einem „ärmlichen“ Dorf: Jeder Tisch besetzt, jeder Tisch mit mindestens 8 Personen belegt (außer meinem). Mir scheint, alle Einwohner mit Ausnahme der Nonnas und Nonnos sind hier versammelt. Es wird sich über Tische hinweg unterhalten – es ist unglaublich laut. Unglückliche Menschen sehen anders aus.

Tag 4: 17.10.2023 —> Kalabrien, im herbstlichen Wald

Um sieben mit dem Sonnenaufgang stehen wir auf und machen uns fertig für unseren Aufbruch. An der Abtei wasche ich mich draußen unter kaltem Wasser ausgiebig, da ich das Gefühl habe, immer noch oder schon wieder regelrecht zu stinken. Mangels eines Spiegels muss ich erneut aufs Rasieren verzichten. So gereinigt verabschiede ich mich herzlich von dem Abt, der erneut eine Spende ablehnt und mir Buon Camino wünscht.

So mache ich mich auf, wieder durch die herbstlichen Wälder des Aspromonte zu wandern. Heute oft auf kaum befahrenen Sträßchen.

Immer noch im Wald

Bei angenehmen 15 Grad Clesius und trüben Wetter mit gelegentlichem Nieselregen kommen wir gut voran. Unterwegs an einer Stelle mit Handyempfang buche ich das einzige Hotel weit und breit in einem kleinen Ort: Mongiana. Kurz vor Mongiana kommen wir durch einen kleines Städtchen, in dem ein „normales“ Leben zu herrschen scheint. Es gibt eine Bar, Menschen auf der Straße und eine intakte Bausubstanz.

Auch in Kalabrien stellen Imker überall ihre Bienenstöcke auf die Wiese

Schon um halb vier bin ich in Mongian. Das Hotel ist verweist. Meinen Anruf nimmt niemand entgegen. Also warte ich in der Sonne vor dem Hotel. Nach etwa einer halben Stunde erreiche jemanden vom Hotel. Man ist sehr überrascht über meine Buchung. Aber mit einem „tranquilla“ wird das Telefonat beendet. Kurz darauf kann ich einchecken.

Jetzt mache ich erstmal große Wäsche. Danach bin ich dran: rasieren, duschen, …

Um 18:00 Uhr macht der kleine Dorfladen auf. Dort muss ich dringend Hundefutter besorgen. Hundefutter gibt es nicht. Daher kaufe ich Würste, Schinken und Thunfisch.

Hier versuche ich, Hundefutter zu erwerben

Die 600 gr. Thunfisch gibt es gleich. Hoffentlich verträgt Pedro den etwas fettigen Fisch und jagt mich heute Nacht nicht raus, weil er Gassi gehen muss.

Pedro soll nicht darben

Acht: So jetzt muss ich auch endlich was essen. Immer noch früh in Italien aber mein Magen knurrt. Ich wähle Antipasti, Pasta und Seconding Piatti. Eigentlich viel zu viel. Aber heute habe ich mir das Essen verdient.

Tag 3: 16.10.2023 —> Kalabrien, ein Abt lädt ein

Um sieben stehen wir auf. Bis wir wieder alles zusammengepackt haben, ist es kurz vor acht. Frühstück gibt es nur für Pedro. Ich esse ein paar Nüsse, Appetit habe ich keinen. Auf Google Maps ist nach ungefähr 12 Kilometern ein Dorf mit einem Restaurant eingezeichnet. Da werde ich frühstücken.

Der Wald ist lichtdurchflutet mit herbstlichen Antlitz 

Aber zunächst müssen wir weiter durch den Wald. Es geht oft steil bergab und bergauf. Zunächst muss ich fast 400 Höhenmeter runter ins Tal des Menschen-Tod (Valle dell‘Uomo Morto). Weniger das Tal sorgt mich – auch wenn wir dort drei Bäche und Flüsse überqueren müssen – aber der Aufstieg hat es in sich. Ich schnaufe und schwitze. Jeder Schritt fühlt sich an, als ob ich Gewichte heben muss. Mit dem schweren Rucksack muss ich mich bei jedem Schritt hochdrücken. Ich rede mir den Aufstieg als ein hervorragendes Workout schön. Tatsächlich bin ich, oben angekommen, völlig erschöpft. Und reif für eine Pause:  kurz drauf komme ich aus dem Wald in das Dorf mit dem Restaurant.

Tatsächlich ist der Ort tot. Ich treffe auf nicht eine Person. Die Fenster und Türen der Häuser sind verriegelt. Kein Restaurant. Nur eine Wasserstelle gibt es, an der wir eine Pause einlegen (müssen) und uns an dem kalten Wasser erfrischen. Kaum haben wir uns gesetzt und genießen das kühle Wasser, kommt eine Familie schwarzer Schweine vorbei und verdrängt uns von der Wasserstelle. Pedro sieht nur müde auf und lässt es geschehen.

Ok, ich bin auf Wanderungen gewohnt weniger zu essen als sonst. Also kein Problem, dass außer Wasser es hier nichts gibt. Am Abend winkt ein schönes Restaurant in Passo di Limina. Das Restaurant sieht im Internet toll aus, hat aber Montags und Dienstags geschlossen, wie wir überrascht feststellen müssen, als wir ankommen. Super.

Die Landschaft ist herrlich: mir ist‘s mittlerweile zu viel Landschaft

Ok, empfohlen wurde eine Übernachtung im nahegelegenen Kloster. Von dem allerdings, wie ich kurz danach feststellen muss, wenig übrig geblieben ist. Die Chiesa della Madonna dell‘Assunta, der Abtei, einem kleinen Häuschen und fünf baufälligen, ungenutzten Gebäuden. Der Abt, ein älterer fast zahnloser Frater, weist mir auf dem ausladenden Klostergelände einen Platz zum Zelten zu. Er hat diesen so ausgewählt, dass mein Zelt im Windschatten unter einem Baum steht, der mich etwas vor dem zu erwartenden Regen schützen soll.

Sehr remote liegt das Kloster: es gibt nur noch den Abt

Er lädt mich zum Abendessen ein, was ich sehr sehr gerne annehme. An seiner Wasserquelle kann ich nicht nur meine Flaschen auffüllen sondern mich auch waschen. Ich habe das Gefühl, dass ich etwas streng rieche. Stinkend möchte ich mich nicht an den Tisch des Abtes setzen.

Der Abt, der mir erklärt, er spreche zehn Sprachen: alle Italienisch, lässt mich weder bei der Essenszubereitung noch später beim Abwasch helfen. Die Kommunikation zwischen uns hält sich in Grenzen, da der Abt mit seinen wenigen Zähnen ein für mich wenig verständliches Italienisch spricht, meine wenigen Worte und Phrasen in Italienisch ein Gespräch wenig ergiebig machten und der Abt keine andere Sprache beherrscht.

Wir essen eine einfache Pasta und anschließend gebratene Kartoffeln mit Würstl (ein Italienisches Wort, das mich immer wieder zum Schmunzeln bringt: ein Würstl ist ein Wienerle); dazu gibt es Wasser und Rotwein aus einer PET-Wasserflasche. Eine Spende, die ich gerne machen würde, lehnt er genauso strikt ab wie meine Hilfe beim Aufwasch.

Auch heute Abend halte ich nicht lange durch. Um neun schlafe ich tief und fest. Da heute Nacht kein Wind über uns hinwegfegt, ist es deutlicher wärmer, weshalb Pedro keinen Körperkontakt sucht und ich somit besser schlafen kann.

Tag 2: 15.10.2023 —> Kalabrien, Pilze Sammler

Geschlafen habe ich im Excelsior. Halbpension inklusive. Das Abendessen war reichhaltig aber für Italien unüblich mit wenig Liebe zubereitet. Das Frühstück bestand aus einem Brioche gefüllt mit Marmelade. Klar ist, das muss bis heute Abend reichen. Denn bis zu meinem Ziel – Zervo einem kleinen Dorf im Wald – werde ich keine Möglichkeit haben, etwas zu Essen und Trinken zu kaufen.

Wie gestern auch sind wieder Jagdgesellschaften im Wald bewaffnet mit Gewehren unterwegs. Immer wieder höre ich Schüsse. Wild sehe ich nicht außer während wir eine Pause machen, Pedro unvermittelt aufspringt und bellend hinter einem kapitalen Hirsch her rennt. Erst als ich richtig wach bin und genau hinschaue sehe ich, es handelt sich um einen extrem großen Stier mit sehr imposanten Hörnern. Gott sei Dank gibt Pedro die Jagd schnell wieder auf und wir trollen uns, bevor der Stier uns glaubt, angreifen zu müssen.

Die Jagdgesellschaften sind mittags verschwunden und werden ersetzt werden durch Pilzesammler: Porcini (Steinplize) werden von Familien, die überall im Wald ausschwärmen, gesucht.

Noch rennt Pedro voller Energie mit großer Lust durch den Wald

In den ausgiebigen Waldgebieten mit vielen kleinen Wasserläufen, die Pedro genießt und wir somit hinreichend Wasser haben, treffen wir nur dann auf Pilzesucher, wenn wir in die Nähe einer Straße oder eines befahrbaren Forstweg kommen. Mit ihren Kleinwagen dringen die Pilzesucher tief in den Wald.

Pedro in seinem Element: trinken und baden

Als wir unser Ziel erreichen muss ich feststellen, dass Zervo ein verfallenes Dorf voll mit Ruinen ist. Das Hotel selbst ist auch eine Ruine, das Restaurant ebenso. Man, d.h. zwei abgerissene Kalabrier, die mir erklären, nach dem ich Ihnen mitgeteilt habe „io non parlo Italiano“, dass sie eh nur Kalabrese sprechen, ist dennoch willens, mir in dem bereits teilweise zusammengebrochenen Hotel ein Zimmer zuzuweisen, was ich umgehend und dankend ablehne.

Esel und auch andere Haustiere laufen mitten im Dorf frei herum

Im Dorf laufen Tiere frei herum und laben sich an der Wasserstelle, an der wir unsere Wasservorräte auffüllen. Pedro ist ganz irritiert von den großen freundlichen Tieren und weiß nicht so recht, wie er sich verhalten soll. Er knurrt ein Pferd an, als dieses unter Einsatz seiner Größe versucht mich wegzudrängen.

das Pferd war erfolgreich und hat uns verdrängt von der Wasserstelle

Da wir das Angebot, in diesem heruntergekommenen Ort in einer Ruine zu übernachten, abgelehnt haben, ist nun klar, wir werden zelten. Auch wenn ich müde bin, ist mein neues Ziel, soweit wie möglich noch bei Tageslicht, es wird mittlerweile um 18:00 Uhr dunkel, zu kommen. Denn die nächste Übernachtungsmöglichkeit ist von Zervo 37 Kilometer entfernt. Für uns noch eine sehr große Herausforderung.

Also starten wir so richtig durch. Nach gut 5 Kilometern und weniger einer Stunde, als es schon beginnt dämmrig zu werden, kommen wir auf einer Anhöhe zu einem Heldenfriedhof. Genau der richtige Ort zum Zelten: der Grund ist absolut eben – eben perfekt. Einen Altar gibt es auch. Auf diesem bereite ich mir bereits im Dunklen mit Stirnlampe mein Abendessen zu – eine Chinesische Tütensuppe, Trockengewicht 70 gr. und 450 Kilokalorien.

Nach dem Abendessen versuche ich noch etwas zu lesen. Mir fallen aber die Augen zu, so dass ich bereits kurz nach acht mich schlafen lege. Pedro schläft mit mir im Zelt und schiebt mich geschickt nach und nach von der Luftmatratze. Immer wieder muss ich wenigsten für meinen Oberkörper mir einen Teil der Matratze zurück erobern.

Der Wind pfeift auf der Anhöhe, so dass ich mich mit zwei Lagen Kleidung in meinen Schlafsack kuschele. Pedro kommt zeitweise mit in den Schlafsack: ihm ist wohl auch kalt. Mir ist es recht, da er mich so schön wärmt.

Tag 1: 14.10.2023 —> Kalabrien, vom Lungomare hoch ins Aspromonte

 

Da ich unseren Hund Pedro mit auf meine Wanderung genommen habe, musst ich mit dem Auto nach Reggio Calabria, das gegenüber von Messina auf dem Italienischen Festland liegt, reisen. Am Donnerstag, 12.  Oktober noch vor dem Morgengrauen bin ich in Leimen aufgebrochen. Ich habe die Route durch den Gotthard Tunnel gewählt über Mailand, Bologna, Florenz, Rom und Neapel nach Reggio Calabria einer der südlichsten Orte in Italien.

Schon beim Grenzübertritt bei Chiasso bin ich – wohl wegen des Autos – kontrolliert worden. Damit ist mein Vertrauen, den BMW wieder in einem Stück nach Hause bringen zu können, weiter gesunken und habe überlegt, wo ich das Fahrzeug während meiner Wanderung am besten parke: auf dem Parkplatz eines Agriturimo außerhalb von Reggio etwas in den Bergen, in einem bewachten Parkplatz oder in der Tiefgarage eines Hotels.

Ein Hotel mit eigener Tiefgarage habe ich nicht finden können. Die Agriturismos außerhalb der Stadt liegen alle so, dass mein Weg am ersten Tag sich deutlich verlängert hätte. Also habe ich mir ein B&B in der Nähe eines gut bewerteten Parkhauses gebucht. Das war allerdings nur für kurze Zeit erfolgreich, da das B&B das Zimmer wegen Pedro gecancelt hat. Dann habe ich mir ein B&B gesucht nach dem Kriterium kürzester Weg am ersten Tag.

Als ich eingecheckt habe gab es, obwohl ich angegeben hatte, dass ich mit Hund Reise, doch wieder Diskussionen. Der Ehemann der Betreiberin hat ein gutes Wort eingelegt, da er den Hund toll fand. Auch hat er seiner Frau erklärt, nach dem ich gefragt habe, ob ich das Auto in ihrem Hof während meiner Tour bei ihnen parken kann, dass das einfach verdientes Geld ist. Also steht nun das Auto – hoffentlich sicher – in einem abgeschlossenen Hof in Reggio und ich bin ein kleines Vermögen los: Bezahlung natürlich in Cash.

Heute Morgen bin ich, nachdem ich die letzten Details mit der Vermieterin bezüglich des Parkens geklärt hatte, um kurz vor 09:00 Uhr aufgebrochen. Schon heute führt mich der Weg ins Aspromonte: die Verlängerung der Abruzzen und ein Gebirgszug, der Kalabrien in zwei Teile teilt, die östliche und die westliche Küste. Da ich nicht auf Straßen entlang einer der Küsten wandern möchte, gibt es nur noch den Weg durch die Berge. Diese sind sehr dünn besiedelt mit nur wenigen Orten meist Dörfern und Weilern ohne Unterkünfte. In den Wäldern gibt es immer wieder Refugios, also Hütten. Ob diese noch im Oktober/November alle offen haben, weiß ich nicht. Daher könnte es sein, dass ich öfter zelten muss als mir lieb ist.


Auf sandigen Wegen in praller Sonne geht es vom Meer hoch in die Berge: im Hintergrund sieht man Sizilien.

Heute ist mein Ziel Gambarie, das auf etwas über 1.200 Metren liegt und mit dem üblichen auf und ab werden es am Ende fast 1.4000 Meter. Gambarie ist mein Ziel, da es sich um ein Touristenort handelt mit Seilbahn und einer Rutschbahn im Sommer und somit natürlich auch mit Hotels, B&Bs und Ferienwohnungen. Von Reggio bis Gambarie sind es gut 26 Kilometer mit den Höhenmetern. Für den ersten Tag eigentlich etwas viel, zu mal ich mit dem Extrawasser für Pedro und dem Hundefutter einen sehr schweren Rucksack habe. Er kommt auf fast 12 kg. Auch weiß ich nicht wie Pedro mit einer so langen Strecke bei dem heißen Wetter zurecht kommt.

Blick zurück auf Reggio Calabria

Wir klettern problemlos zusammen die Berge rauf aber schon zur Mittagszeit sind wir beide ganz schön fertig. Die Wege sind sehr sandig und damit fast so tief wie ein Strand. Das kostet eine ordentliche Portion extra Kraft. Um so mehr sind hoch erfreut, als wir auf einer Berghöhe, wo sich zwei Straßen kreuzen, auf eine Bäckerei mit Bar treffen. Dort setzen bzw. legen wir uns in den Schatten und trinken jeder mehr als ein Liter Wasser – ich natürlich noch einen Espresso. Danach entscheide ich, da ich eigentlich nicht mehr so richtig daran glaube, Gambarie erreichen zu können, eine kleine Bergstraße nach Gambarie zu nehmen, da es sich auf dieser einfacher laufen lässt als auf den sandigen Wegen abseits der Straßen, um so weit wie möglich zu kommen. So gegen zwei legen wir uns im Schatten eines Stromhäuschen schlafen. Nach einer Stunde sind wir wieder fit für die nächste Etappe. Da wir etwa zwei Drittel der Höhenmeter überwunden haben, habe ich wieder einen Funken Hoffnung Gambarie zu erreichen, was wir tatsächlich auch schaffen, kurz bevor es dunkel wird. Nun müssen wir noch mehrere Unterkünfte abklappern, bis wir ein freies Zimmer für uns finden.

Die Sonne scheint durch den herbstlicher Wald am späten Nachmittag

Pedro legt sich auf den Boden und bewegt sich keinen Millimeter mehr. Seine Kraft reicht nicht mehr aus, um Fressen oder Wasser zu trinken. Nach dem ich meine Wäsche gewaschen und mich geduscht habe, legt sich Pedro mit mir aufs Bett. Selbst als ich zum Essen gehe, bewegt er sich nicht. Mal schauen, wie das Morgen wird.

Tag 7: 13.03.2023 —> Lykischer Weg: Römer 

Honig spielt im Türkischen Frühstück eine große Rolle. Er wird beim Buffet in großen Schüsseln mit Schöpflöffeln angeboten. Damit ist es für mich schwierig den Honig so zu portionieren, dass ich ein oder zwei Brote bestreichen kann. Ich dachte immer ich esse viel Honig. Ich muss meine Meinung revidieren, es gibt Verbraucher mit deutlich höherem Honig Konsum. Entsprechend sind Bienenstöcke entlang meines Weges überall zu sehen.


Bienenstöcke säumen meinen Weg

Wenn ich schon beim Essen bin, so muss ich noch vom Abendessen gestern berichten. Ich verbringe die Nacht in einem Hotel ohne Restaurant. Allerdings hat man mich schon beim einchecken gefragt, ob ich mit der Familie essen möchte, da sie wie immer Sonntags ein Barbecue machen. Ich habe natürlich nachgefragt, ob ich nicht störe. Das wurde, gastfreundlich wie hier die Menschen sind, natürlich verneint. Also sage ich zu. Es wurde ein sehr netter Abend und ich bin mit Unmengen an Essen verwöhnt worden. Die Kommunikation war unproblematisch, da jeder, der im weitesten Sinne in der Tourismus Branche arbeitet, Englisch kann und das ist somit fast jeder.

 
Das Stadttor von Patara stammt laut den Inschriften vom Römischen Statthalter aus der Kaiserzeit

Der heutige Tag ist geprägt von der Besichtigung Pataras. In der Antike eine Hafenstadt vermutlich gegründet im siebten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung und Teil der Lykischen Völkergemeinschaft. Heute liegt Patara nicht mehr am Meer. Der antike Xanthos bzw. der heutige Eşen Çayı hat so viel Sand angespült, dass der Hafen völlig versandet ist und gefühlt ein Kilometer im Landesinneren liegt. Der Leuchtturm, der durch Neros Statthalter gebaut wurde und gerade wieder restauriert wird: heißt er wird wieder errichtet, steht mitten im Flussdelta.

 
Hafenstraße: heute endet sie im Sand und nicht mehr am Meer

 
Stammt das Schiff aus der Antike? Leider kann ich das nicht herausfinden 

Von den Ausgrabungen in Patara bin ich beeindruckt. Die Türkischen Archäologen beuteln nicht nur die Gebäude aus, sondern errichtet sie wieder. Das Tor zur Stadt mit seinen drei Bögen ist ein solches Beispiel. Die Inschriften deuten daraufhin, dass dieses Stadttor von den Römern in der Kaiserzeit errichtet wurde. Es wird vermutet, dass nur die Inschrift in dieser Zeit angebracht wurde, das Stadttor aber deutlich älter ist.

 
Die Versammlungshalle des Lykischen Völkerbundes im Stil eines Amphitheaters bzw. des Römischen Senats (oben im Inneren des Gebäudes, unten Ansicht des Bauwerks von der Hafenstraße)

Das dominierende Bauwerk ist die Birligi – die Versammlungsstätte des Lykischen Völker Bundes. Als ich eintreten bin ich überwältigt. Ich kann geradezu fühlen, wie hier diskutiert, verhandelt und entschieden wurde. Das Innere gleicht einem kleinen Amphitheater mit Bühne für den Redner und Sitzplätzen für das „Parlament“. In der Mitte der Sitzplätze – mittig sowohl hinsichtlich des Halbrundes als auch hinsichtlich der Höhe – gibt es einen Ehrenplatz. De Res Publica, vom Volk gewählte Senatoren ringen zum Wohle des Volkes um die beste Entscheidung. So habe ich mir das immer vorgestellt. Untergegangen ist diese „Kultur“ trotzdem. Ich hoffe immer, dass diese Kultur mit ihren Werten in uns weiter existiert; auch wenn ich nicht verleugnen kann, dass diese Werte aus einer solchen Kultur, von Autokraten und Diktatoren über Jahrtausende bekämpft und unter Druck gesetzt wurden / werden. Wenn heute von dem WESTEN als ein Macht- und Wertesystem gesprochen wird, dann sollten wir uns immer wieder bewußt machen, dass in Kleinasien, Griechenland und Rom die Wurzeln dieses Wertesystems liegen.

 
Blick von oben auf das Gesamtensemble: im Vordergrund das Theater

Zurück zu meinem Weg. Nach Patara mache ich mich auf den Weg nach Kalkan einem sehr touristischen Ort. Der Ort wirkt ausgestorben zu dieser Jahreszeit. Es gibt ein gravierendes Missverhältnis bezüglich der verfügbaren Wohnflächen und den Einwohnern. Der Weg nach Kalkan ist schwierig und geprägt von Kletterei: wenige Kilometer viel Zeit. Eine Weile wandere ich mal neben mal auf einer riesigen Mauer, die an manchen Stellen an die Chinesische Mauer erinnert. Ich kann nicht herausfinden, was es mit dieser Mauer auf sich hat. Sie wirkt nicht unbedingt antik aber definitiv auch nicht aus neueren Zeit. Auch die Funktion erschließt sich mir nicht.

 
Chinesische Mauer in Lycia 

Hotels gibt es in Kalkan mehr als potenzielle Gäste. Ich suche mir ein Hotel aus, das auf dem Weg liegt und nett aussieht. Das Hotel wird von einem Jungen gemanagt, dessen Vater gerade in Deutschland ist. Der Junge als auch der Vater aus der Ferne sind extrem hilfsbereit. Denn ich muss mir helfen lassen, da ich aufgrund häuslicher und dringender Problemstellungen meinen Weg unterbrechen und auf den Rückweg machen muss.

Tag 6: 12.03.2023 —> Lykischer Weg: Zeus der Schwerenöter

Zeus verführt Leto oder war es umgekehrt? Wer weiß das schon? Fakt ist, die beiden zeugen die Zwillinge Artemis und Apollon. Sicher ist auch: Hera ist not amused. Aber statt Zeus die rote Karte zu zeigen, ist sie mächtig eifersüchtig auf Leto und die ungeborenen Götter. Hera hat schlicht Angst, dass ihre eigenen Kinder an Bedeutung und Macht verlieren. Leto flieht und versteckt sich in Lycia. Die Zwillinge bringt sie in Letoon, im Flussdelta des antiken Xanthos gelegen, zur Welt.


Erste Nebenflüsse des riesigen Flussdeltas


Zum Teil auf schön angelegten Wegen, so,dass man die Gewächshäuser nicht gleich sieht

Leto und ihre beiden Kinder werden von den Lyciern verehrt und im Gegenzug werden die Drei deren Schutzpatrone. Letoon wird zu einem Heiligtum mit einem Orakel, das in Bezug auf den Wahrheitsgehalt es mit Delphi aufnehmen kann. Das Theater ist ganz gut erhalten. Die drei Tempel für Leto, Artemis und Apollon sind für mich als Laien nur mittels der Beschilderung zu erkennen.


Letoon Heiligtum

Von Letoon laufe ich Flussaufwärts; vom Fluss ist nur bei der Überquerung etwas zu sehen. Das komplette Tal ist mit Gewächshäusern zu gepflastert. Es werden Tomaten und Gurken angebaut. Man sieht nur Gewächserhäuser mal in einem bessern mal in einem schlechteren Zustand.


Nekropole von Xanthos: hier das Innere einer Gruft


Nekropole von Xanthos: hier ein Säulengrab

Etwas höher gelegen komme ich nach Xanthos, der antiken Hauptstadt des Völkerbundes Lycia. Xanthos wurde unter anderem berühmt, weil nach Herodot, die komplette Bevölkerung Selbstmord beging als die Stadt von den Persern im vierten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung erobert wurde. Wissenschaftler bezweifeln allerdings dieser Darstellung. Xanthos existierte auch nach der Niederlage weiter und fiel unter Griechische Herrschaft.


Blick auf das Theater und die Akropolis, die bisher nicht wieder hergestellt ist – im Hintergrund das Tal mit Gewächshäusern 


Zugang zum Theater

Die Ausgrabungen haben eine Nekropole mit unterschiedlichen Grabstättentypologien zu Tage gefördert, ein Theater und eine großflächige Akropolis. Nach meiner Einschätzung sind die Grabungen ein keinem guten Zustand.


Gewächshäuser dicht an dicht gedrängt mit Tomaten und Gurken in der gesamten Flussmündung

Von Xanthos wandere ich durch den Gewächshausdschungel weiter zur antiken Hafenstadt Patara. Hier übernachte itching werde mir diese Stadt morgen anschauen. Hier sollen die Restaurierung weit besser sein als in Xanthos.

Tag 5: 11.03.2023 —> Lykischer Weg: Zelten wird nicht mein Herz erobern!

Trotz einer hervorragenden Luftmatratze und einem sehr guten Schlafsack schlafe ich diese Nacht nicht besonders gut. Ich bin todmüde aber tiefer erholsamer Schlaf will sich nicht einstellen. Der Strand wird vom Mond den größten Teil der Nacht hell erleuchtet. Das Zelt ist transparent und ich habe das Gefühl, der Mond schaut mich lächelnd an. Er sagt zwar nicht, warum er mich immer wieder aus dem Schlaf holt, dass er etwas auf dem Herzen hat, geht mir durch den Kopf. Er will, dass ich selbst drauf komme, nur kann ich das Rätsel nicht lösen. Erst gegen fünf Uhr wird es dunkel und ich falle in einen tiefen Schlaf. Der Wecker holt mich um 07:30 Uhr aus einer Tiefschlafphase, so dass ich geraume Zeit brauche, bis ich den Tag tatsächlich beginnen kann.

Nachdem ich in die Gänge gekommen bin, muss ich zunächst einmal 500 Meter den Berg rauf. Wie gestern über kleinste Pfade mit Kletterpartien und nicht erkennbaren Wegen. Nur die enge Wegmarkierung verhindert, dass ich mich verlaufe.

Mit der unglaublichen Geschwindigkeit von deutlich weniger als zwei Kilometer in der Stunde schnaufe ich den Berg hoch. Oben: eine Almlandschaft mit Reisfeldern und der Ankündigung in 150 Meter gibt es eine Bar. Ich freue mich wie Bolle. Denkste – zu!


Bäume mit roten Stämmen habe ich noch nie (bewußt) gesehen

Zu meinem Zwischenziel muss ich über schöne Wege – mit viel Grün und interessanten Bäumen, die Stämme sind ganz rot, noch etwa vier Kilometer laufen. Ich bin völlig erschöpft vom Aufstieg und dem schlechten Schlaf. Zitternd am ganzen Körper, keine vernünftige Blutzirkulation in den Fingern, fröstelnd erreiche ein kleines Dorf und hier gibt es ein kleine, primitive Bar die eine Mutter mit ihrer etwa zehnjährigen Tochter managt. Die Mutter kocht, die Tochter macht den Service; wahrscheinlich auch deshalb, weil die Tochter sich in Englisch artikulieren.

Ich brauche zuckerhaltige Getränke. Zwei Dosen Fanta und fünf Tees erwecken mich aus meiner Starre. Langsam hört das Zittern auf, ich bekomme allmählich wieder Gefühl in meine verschrumpelten Fingerspitzen und auch ein Wärmegefühl durch strömt mich.

Ein weiterer Wanderer wird in die Bar gelockt. Ein Franzose, der ebenfalls den Lykischen Weg geht. Er ist mit einer dünnen kurzen Hose bekleidet. Mich friert gleich wieder, als ich ihn sehe. Er ist ganz erpicht darauf, mit mir weiter zu gehen.

Also laufen wir gemeinsam los. Nach wenigen Kilometern als wieder steil bergauf geht, lasse ich ihn ziehen: der läuft mir zu schnell. Ohne sich zu verabschieden aber mit dem Wissen, wo ich heute übernachten werde zischt er los.

Auf dem nächsten Hochplateau gehe ich davon aus, es mehr oder weniger geschafft zu haben. Denn jetzt muss nur noch 600 Meter runter und es sind keine fünf Kilometer mehr. Nach kurzer Zeit hört der breite und angenehm zu laufende Weg auf und geht wieder in einen steil abfallenden oft völlig zu gewucherten Pfad über. Es wird rutschig da am Nachmittag dicke dunkle Wolken mit viel Feuchtigkeit den Berg umhüllen. Jetzt gilt es höllisch aufzupassen, dass man in der Nebelsuppe, den Weg bzw. die Markierung nicht aus dem Auge verliert und mindestens genauso wichtig auf dem Geröll oder den riesigen oft mehr als 60 Grad geneigten Felsplatten stürzt.


Wo ist der Weg?


Der Pfad ist dicht bewachsen

Der Abstieg zieht sich und zieht sich dadurch ewig hin. Dann treffe ich auf Wegweiser zu meinem Hotel für heute Nacht. Es sind zwar immer noch zwei Kilometer zu gehen, aber ab dem Schild wird es wieder flacher und ich kann ordentlich ausschreiten.

Im Hotel angekommen werde ich nicht nur vom Wirt sondern auch von „meinem“ Franzosen – Pierre – empfangen. 19:30 Uhr ist Abendessen angesagt. Kaum Zeit meine Wäsche zu waschen und mich wieder menschlich herzurichten. Kurz nach halb acht, ich bin noch nicht ganz fertig, werde ich schon gerufen: das Essen steht auf dem Tisch. In der Wohnküche des Wirtes wird gegessen. Der Wirt, der perfekt Englisch spricht und viele Jahre in Holland gearbeitet hat, setzt sich zu uns und wir unterhalten uns prächtig.

Zum Abschluss wird noch vereinbart, wann es Frühstück gibt. Pierre will schon um 07:00 Uhr los. Definitiv zu früh für mich. Unsere Ziele für Morgen sind auch völlig unterschiedlich, so verabschiede ich mich von ihm und wir wünschen uns eine gute Reise.

Tag 4: 10.03.2023 —> Lykischer Weg: Bergetappe

Vom Hotel muss ich zunächst zurück auf den Lykischen Weg, der 400 Meter höher verläuft. Der Trampelpfad ist nicht nur schmal, zeitweise schlecht ausgeschildert sondern vor allem steil. Der Weg hat Klettersteig Charakter. Immer wieder muss ich klettern und höllisch aufpassen, dass ich nicht abstürze, da es auch noch oft ausgesetzt ist. Entlohnt werde ich mit einem sensationellen Blick auf Ölüdeniz Beach.


Atemberaubender Blick

Auf dem Lykischen Weg angekommen, empfängt mich ein schöner, gut ausgebauter Wanderweg. Zu meiner Überraschung kommen gerade zwei Wandergruppen vorbei. Ein älteres Paar und drei junge Leute (2-mal weiblich, 1-mal männlich). Hier ist ja der Teufel los – fast wie auf dem Camino Frances. Die beiden Gruppen treffe ich, trotz völlig unterschiedlicher Laufgeschwindigkeit immer wieder – zumindest bis kurz vor Kabak.


Der Lykische Weg ist gut ausgebaut

Jetzt geht es zum ersten mal tatsächlich in die Berge, bis auf gut 800 Meter hoch. Oben liegt ein kleiner Ort, in dem es zu meinem Erstaunen eine Bar gibt. Hier ruhe ich mich erstmal aus, trinke einen Türkischen Kaffee und eine Limonade.


Zwei Kälber kämpfen: das ist kein Spaß mehr, am Ende stößt edler Stärkere den Schwächern den Berg runter


Hin und wieder steht neben den krüppeligen Kiefern ein imposanter Baum

Hier muss ich auch eine Entscheidung treffen. Es gibt zwei Wegalternativen. Ich wähle, die meine WanderApp vorschlägt auch wenn diese Variante mehr Höhenmeter erfordert. Dies mache ich auch, da ich davon ausgehe heute zelten zu müssen, wenn ich nicht eine sehr kurze Etappe einlegen möchte. Auf meiner Variante komme ich, bevor es so richtig Remote wird durch den Badeort Kabak. Dort werde ich Getränke für den Abend und nächsten Tag kaufen und, obwohl ich dort so gegen drei sein dürfte, so viel essen, dass ich kein Abendessen mehr brauche.


Bergwelt: die Baumgrenze dürfte bei knapp 1.000 Meter liegen

In Kabak angekommen, muss ich feststellen, dass der Ort einer Ruine gleicht und gerade erst wieder aufgebaut wird. Überall wird gearbeitet, um den Ort für die Sommergäste herzurichten. Ich gewinne den Eindruck, dass man einen großen Teil der Gebäude komplett neu baut und andere bis auf den Rohbau entkernt hat. Auf meine Frage, wo ich ein Restaurant finde, werde ich ausgelacht. Ich bekomme aber den Hinweis, dass ich nur wieder den Berg hochlaufen müsse, da sei ein Supermarkt. Also gut, ich gehe den Berg wieder hoch, nur einen Supermarkt finde ich nicht. Diejenigen, denen ich begegne, wissen nichts von einem Supermarkt. Dafür komme ich an einem Hotel vorbei, das fertig aussieht. Ich probiere mein Glück und siehe da, dort sitzen Leute. Doch schnell ist klar, man hat noch geschlossen und die anderen Gäste sind die Inhaberfamilie, die gerade Pause machen. Verschwitzt und fertig wie ich bin, wollen sie dennoch helfen und ich bekomme drei kleine Flaschen Wasser und trinke, um meinen akuten Durst zu löschen einen Liter Eistee. Gute Ratschläge hinsichtlich des Weges bekomme ich auch. Ich soll zum Paradies Beach gehen, da ist es traumhaft schön und nicht mehr soweit vor allem geht es mehr oder weniger immer am Strand entlang, was verspricht nicht mehr so beschwerlich zu sein.

Da der Paradies Beach, ohne dass ich wußte, dass dies der Name der Bucht ist, mein Ziel war, mache ich mich auf den Weg. Zunächst zurück zum Meer nach Kabak. Von dort geht es natürlich nicht am Strand entlang – ich hatte mich schon gewundert, da meine App einen Weg höher vorgeschlagen hatte. Und dies ist auch die einzig Möglichkeit, da die Berge steil zum Meer hin abfallen.

Womit ich nicht gerechnet hatte, dass es sich wie heute Morgen nicht um einen Weg sondern um einen Klettersteig handelt. Mit dem zusätzlichen Gewicht auf dem Rücken sehr beschwerlich. Gefährliche An- wie Abstiege. Das macht mich fertig. Ich muss ständig Pause machen und habe kaum noch Motivation weiter zu klettern. Unter Zeitdruck stehe ich auch, da es um sieben dunkel wird muss ich mich beeilen. Nur mein Körper sagt nein. Es gibt aber keine Alternative zum Strand, da die Berge so steil sind, dass ich noch nicht mal mir ein Bett bauen, geschweige mein Zelt aufstellen zu können. Um kurz vor sieben habe ich es geschafft. Ich bin am Strand. Dort steht bereits ein Zelt und zwei junge Männer sitzen daneben vor einem großen Feuer.


Paradies Beach: meine Schlafstelle für heute – und meine erste Nacht auf einem Strand

Auf Kommunikation habe ich keine Lust mehr. Ich baue schnell das Zelt auf einem anderen Teil des Strandes auf, koche mir einen Tee und anschließend eine Suppe. Das muss reichen. Beim Kochen brauche ich bereits eine Stirnlampe. Das hat schon etwas archaisches an sich. Es wird im Dunklen abrupt kalt. So ziehe ich mich schnell in mein Zelt in den warmen Schlafsack zurück.

Tag 3: 09.03.2023 —> Lykischer Weg: Kayaköy/Levissi

Mein linker Fuß schmerzt. Ich glaube, es ist wieder die Sehne von der zweiten Zehe zum Knöchel – wie schon das eine oder andere mal in der Vergangenheit. Grund war immer ein zu schwerer Rucksack. Also muss ich an mein Proviant ran, der fast 1,5 kg ausmacht. Auch wenn es mir schwer fällt, nicht auf mehrere Übernachtungen ohne Einkaufsmöglichkeiten und Restaurants vorbereitet zu sein, der Rucksack muss leichter werden. Schweren Herzens trenne ich mich von meiner Wurst, Nüssen und einem Teil der Fertignudeln: ein Kilogramm macht das zusammen. Den Gewichtsunterschied merke ich beim Anheben des Rucksacks nicht. Ich weiß aber aus Erfahrung, dass meine Füße es spüren und mir dankbar sein werden.

Da ich in der Mitte von Fethiye übernachtet habe, muss ich noch etwa fünf Kilometer bis an das südöstliche Ende der Stadt auf Straßen laufen. Um meinen linken Fuß etwas zu entlasten, gehe ich auf der rechten Straßenseite. Da Straßen meist etwas zum Straßenrand hin abfallen, steht das linke Bein etwas höher und damit knickt der linke Fuß etwas ab, was ihn entlastet. Am Ende von Fethiye stoße ich dann schließlich auf den offiziellen Beginn des Lykischen Wegs.


Blick zurück auf Fethiye

Jetzt geht es gefühlt querfeldein steil den Berg rauf. Der Weg ist mit rot weißen Zeichen markiert. Ich muss sehr aufpassen, nicht vom Weg abzukommen, da man spärlich mit den Markierungen umgegangen ist. Nach einer halben Stunde klettern, geht der Pfad in eine „Straße“ über. Später am Tag frage ich in einem Restaurant, wo ich eine Kleinigkeit zu Mittag esse, das Personal, was es mit dieser „Straße“ auf sich hat, die sich so weitläufig durch die Berge zieht. Sie ist gepflastert, wie ich dies von Römerstraßen kenne. Sie ist gut erhalten, was dafür spräche, dass sie neuer ist – definitiv vor der Autoära; mit einem Auto kann man sie nicht befahren. In niedrigeren Bereichen ist sie von Oleanderbüschen, die leider noch nicht blühen, gesäumt. Weder das Personal des Restaurants noch die anderen Gäste können mir Auskunft geben. Die Einen kennen sie gar nicht, für die Anderen ist sie schon immer da.


Römerstraße?

Ich stelle die Hypothese auf, weil mir das gefallen würde, dass es sich um eine Römerstraße handelt, die zur Zeit Konstantin des Großen von Byzans nach Efesus und weiter nach Antiochia am Orantes gebaut wurde, um die bedeutendsten Städte des Oströmischen Reiches zu verbinden, wobei ich gar nicht weiß, ob Antiochia zum Oströmischen Reich gehört hat. Genauso wenig kann ich einen Beitrag zur Verifizierung meiner Hypothese leisten – leider. Ich habe allerdings noch einen Schlaumeisen-Beitrag: das Oströmische Reich war das erste Land in der das Christentum Staatsreligion war, weshalb man in Kleinasien auf viele Christliche Spuren stößt.


Antike Grabstelle

Zu Mittag habe ich in Kayaköy gegessen. Ein kleiner unbedeutender Ort. In gewisser Weise ist aber bekannt. Im 18. Jahrhundert haben dort Griechen auf den Ruinen des antiken Ortes Carmylessus eine Stadt mit dem Namen Levissi errichtet. Die Stadt hat um die 3.000 Häuser, zwei Kirchen und eine Kapelle hoch oben auf dem Berg mit Blick aufs Meer, um auf Angriffe vom Meer aus gewappnet zu sein, und ins Tal, so dass man ein anrückendes Heer frühzeitig sehen konnte. Die Stadt wurde vor genau ein hundert Jahren verlassen und die Gebäude verfallen allmählich vor sich hin. In die beiden Kirchen darf man entsprechend aus Sicherheitsgründen nicht mehr rein.


Blick von Westen von der Kapelle auf Levissi

Warum wurde die Stadt verlassen? 1922/1923 wurden die Griechisch Orthodoxen Christen aus der Stadt vertrieben. Basis für die Vertreibung war der Vertrag von Lausanne, der nach dem Griechisch-Türkischen Krieg den Frieden besiegelte.


Low Church (Baustil ist identisch mit der High Church – soweit man das von der Ferne beurteilen kann)

Ich frage mich, warum die türkischen Bewohner des Ortes die vorhandenen Häuser nicht übernommen haben, da die Bausubstanz eine hohe Qualität vermittelt, was man bei den Häusern im Tal nicht uneingeschränkt behaupten kann. Neben der Qualität ist die Hanglage des alten Levissi viel attraktiver.


Blick von Osten auf die High Church

Ich nehme mir fast zwei Stunden Zeit, die Hauptstraßen abzulaufen und mir alles ausführlich anzuschauen. Dabei komme ich ganz schön ins Schwitzen. Aus dem Tal, wo sich die ersten Häuser und die Low Church befinden, bis hoch zur Kapelle sind es sicher 120 bis 150 Höhenmeter. Von der Kapelle gehe ich wieder runter auf etwa halbe Höhe, wo die High Church liegt. Die einzigen Bewohner sind Landschildkröten, die die Ruinen zu ihrem Zuhause gemacht haben.


Die neuen Bewohner von Levissi

Danach mache ich mich auf den Weg. Von Kayaköy / Levissi an ist der Lykische Weg trotz kleinster Trampelpfade bestens markiert. Mein linker Fuß scheint sich erholt zu haben; ich verspüre keine Schmerzen. Hoffentlich bleibt das so. Gut gelaunt komme ich nach Ölüdeniz – Beach, wo ich mir ein Hotelzimmer gebucht habe. Der Ort liegt direkt am Wasser und mein Hotel etwas erhaben am Berg mit Blick auf das Meer. Heute mache ich es mir einfach und esse im Restaurant, das zum Hotel gehört.


Vom Balkon meines Hotelzimmers auf die See

Tag 2: 08.03.2023 —> Lykischer Weg: Fethiye

Meine ersten Erkenntnisse nach zwei Wandertagen:

  • Wege auf einer Karte müssen in der Wirklichkeit nicht unbedingt existieren – selbst Wegweiser können irren. Meine Vermutung: Wege werden gezielt und somit „illegal“ durch Zäune und Buschwerk geschlossen, um diese Wege dem Privatbesitz einzuverleiben. Teilweise sind Pfade aber auch einfach zugewuchert, weil sie nicht benutzt werden. In Summe hat mir das heute etwa drei Kilometer und 200 Höhenmeter zusätzlich eingebracht. Das klingt nicht viel, allerdings sind diese Kilometer und Höhenmeter mit besonders viel Schweiß und Zeit verbunden – am Schlimmsten sind die Dornenbüsche, die immer einen Weg durch die Kleidung finden und sich in Hände und Arme bohren, abbrechen und Splitter hinterlassen, die später wieder rausgepopelt werden müssen. Von Insektenstichen bin ich ebenfalls nicht verschont worden, die ich versuche zu ignorieren, obwohl manche tüchtig jucken.


    Wege nicht nur für Wanderer sondern auch für Mountainbiker
  • Die Wege sind wunderschön und oft so angelegt, dass sie auch von Mountainbikern genutzt werden können. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass vor Kurzem viele Wege extra für Mountainbiker ausgebaut und verbreitert wurden. Sie haben ihre eigenen Wegweiser, die einzigen Wegweiser im übrigen, die ich bisher gesehen habe. Scheinbar will man dadurch seine Attraktivität für Touristen erhöhen. Selten muss ich an einer Straße entlang gehen, außer in den Ortschaften durch die ich immer wieder komme. Ich habe weder gestern noch heute jemanden in den Wäldern getroffen. Nur eine Mountainbikerin kam mir mal entgegen. Es ist so einsam in den Wäldern wie letztes Jahr in Griechenland.



    Das Landschaftsbild von Meer, Berge, Wälder und Inseln ist traumhaft


    Blick aufs Meer von einer Strandbar
  • In den Städten herrscht Trubel. Die Lokale sind gut besucht, eben ganz anders als im Norden Griechenlands. Auf einem Campingplatz, von denen es hier sehr viele gibt, mache ich in einer Strandbar eine ausgiebige Pause und genieße den Blick über den Strand aufs Meer. Die Kombination von Bergen, Wäldern, Stränden und dem Festland vorgelagerten Inseln machen die Gegend zu etwas ganz besonderem.


    An diesem Strand steht Wohnmobil an Wohnmobil und siehe sehen alle nicht so aus, als wären sie vor Kurzem bewegt worden

  • Bisher bin ich mit Englisch gut durchgekommen. Die meisten, mit denen ich Kontakt hatte, haben zumindest rudimentär Englisch gesprochen. Um mich herum wird aber gefühlt mehr Russisch als Türkisch gesprochen.

Heute bin ich nach gut 32 Kilometern und 700 Höhenmetern in Fethiye angekommen. Ab etwa 10:30 Uhr hat die Sonne es geschafft, die dunklen Wolken zu vertreiben und es wurde gleich angenehm warm. Mit dem Sonnenuntergang kommt die Kälte sofort zurück. Auch wenn Viele draußen in dicken Jacken essen, ist mir das definitiv zu kalt.


Fethiye liegt tief in einer Bucht mit großem öffentlichen Strand

Ich habe in beiden Beinen einen mächtigen Muskelkater und laufe etwas steif durch die Stadt, auf der Suche nach einem netten Restaurant. Gottseidank finde ich schon nach ca. 300 Metern ein Lokal, das mir zusagt und verspricht, nicht nur Fastfood anzubieten.

Mit der Überquerung des Murtbeli Deresi, dem antiken Fluss Indus (siehe die Karte von gestern), habe ich die antike Grenze zwischen Caria und Lycia überschritten. In Fethiye fängt konsequenter Weise der offizielle Lykische Weg an, der kurz vor Antalya endet. In den nächsten Tagen werde ich immer mal wieder etwas geschichtliches in mein Tagebuch einfließen lassen.

Tag 1: 07.03.2023 —> Lykischer Weg: Göcek

Ich habe mich unter meine Bettdecke verkrochen. Das Hotelzimmer ist eiskalt, obwohl ich bereits seit mehr als einer Stunde die Klimaanlage auf 30 Grad stehen habe. Auf der Weide direkt vor meinem Fenster sehe ich, eine Herde Schafe grasen. Denen scheint die Kälte nichts auszumachen. Die Temperaturen sind tatsächlich so niedrig, wie es der Wetterbericht vorhergesagt hat. Dazu kommt immer mal wieder ein kalter Nieselregen, der mein Wohlbefinden nicht steigert.

Ich kann mir gut vorstellen, dass Ihr eine Reihe Fragen habt:

(1) Wo ich bin? In Inlice bei Göcek. Göcek an der Türkischen Ägäis kennen viele Segler. Göcek hat eine groß gut geschützt liegende Marina und ein tolles Segelrevier mit vielen Buchten und vorgelagerten kleinen Inseln. Eine sensationell schöne Landschaft. Derzeit bereitet man sich auf die kommende Saison vor. Viele Boote liegen in der an die Mariana angeschlossenen Werft. Trotzdem sind schon fast alle Liegeplätze belegt. Trotz der niedrigen Temperaturen reifen die Zitronen, Mandarinen und Orangen.

(2) Wie bin ich dorthin gekommen?

Ich bin gestern von Frankfurt mit Zwischenlandung in Istanbul nach Dalaman (Marmaris) geflogen. Durch den Stopp in Istanbul und die Zeitverschiebung von zwei Stunden habe ich erst am Abend Dalaman erreicht, wo ich in einem einfachen Hotel übernachtet habe und dessen Zimmer gefühlt kälter waren als draußen. Ich brauchte eine Extradecke für ein warmes Bett. Heute Morgen bin ich von Dalaman über den Götcek-Pass nach Göcek und weiter nach Inlice gelaufen, das auf halben Weg nach Fethiye.



(3) Was mache ich hier?

Mein Ziel ist die Erkundung – wie auch in der Vergangenheit bei meinen Touren – unserer kulturellen Wurzeln diesmal in Kleinasien auf Schusters Rappen: Caria, Lycia und Pisidia —> die Schlachtfelder der Perser und Griechen und dem damit verbunden Untergang lokaler Kulturen, die Christianisierung Kleinasiens, das Erwachen des Osmanischen Reichs und die moderne Türkei. Wo anders kann man besser das Erblühen und den unvermeidbaren Rückzug von Kulturen und damit die Bedeutung von Wandel „studieren“? Ich werde in den nächsten drei bis vier Wochen auf dem Lykischen und dem Paulus Weg von Dalaman über Antalya nach Isparta wandern. Etwa 750 Kilometer und knapp 25.000 Höhenmeter liegen vor mir.

 (Karte aus dem Putzger Atlas)

Zum Abendessen muss ich zurück nach Götcek, da die Restaurants fußläufig zum Hotel geschlossen sind. Also fahre ich mit dem Taxi nach Götcek und nutze die Gelegenheit etwas zum Frühstücken für Morgen einzukaufen, da mein Hotel kein Frühstück anbietet.

Tag 24: 26.10.2022

Das Highlight heute ist das Tal der Tempel. Tatsächlich reihen sich die sieben Tempel, so viele habe ich zumindest gezählt, oben auf einer Hügelkette auf und thronen etwa 100 Meter über dem Meer. Vom heutigen Agrigent aus gesehen, das auf etwa 200 Meter liegt, ist das im Tal. Daher der Name.

Vom Ticketcounter geht man zunächst hoch zum Tempel der Hera, den östlichsten der Tempel.

Von dort läuft man an antiken Befestigungsmauern zum Concordia Tempel, der seinen Namen aufgrund der Herzlichkeit der Bevölkerung erhalten hat, so sagt die Legende. Der Concordia Tempel ist bestens erhalten, was damit erklärt wird, dass er als Kirche geweiht wurde nach Austreibung von Castor und Pollux. Davor liegt eine männliche Bronzestatue.

Von den restlichen Tempeln ist nicht mehr viel übrig, da die Phönizier bei der Eroberung der Stadt, diese zerstört haben. Die Grundmauern des mächtigen Zeus Tempel mit einer Fläche von ca. 6.000 qm und einigen umgeworfenen Säulen zeigen, über welche statischen Fähigkeiten man vor mehr als 2.500 Jahren bereits verfügt haben muss.

Den Abschluss ganz im Westen bildet der Tempel, der dem Gott Vulkan gewidmet ist.

Die Strecke zwischen Hera‘s und Vulkan‘s Tempel beträgt fast vier Kilometer. Große Teile der Befestigungsmauer Richtung Süden zum Meer hin sind noch erhalten. Man darf meist über die antiken Steine an der Mauer entlang marschieren. Zusätzlich gibt es eine Straße, die die Tempel verblindet. Ob diese auch dem Verlauf der antiken Wege entspricht, kann ich nicht erkennen. Dennoch ist die Ausdehnung beeindruckend, die besonders durch diese Straße klar wird.

Zurück am Auto fahre ich etwa 100 Kilometer an der Südküste entlang. Viele Gewächshausanlagen, die einen großen Teil der Fläche bedecken, sind hier in unterschiedlichen Qualitäten aufgebaut. Ich sehe darin Tomaten, Gurken und manchmal auch Bäume. Je weiter ich Richtung Osten komme, werden die Gewächshäuser seltener und werden durch Oliven und Zitrusfrüchte abgelöst.

Da ich auf den Straßen nur sehr langsam vorwärts komme, breche ich mein Vorhaben, an der Küste bis nach Syrakus zu fahren, kurz hinter Gela ab und gebe Catania als neues Ziel ins Navi ein.

Ich übernachte in unmittelbarer Nähe zum Flughafen in einem NH Hotel. Die haben am Montag ein großes Software-Update gemacht und finden meine Reservierung nicht. Ärgerlich, da ich über Booking.com bereits im Voraus bezahlt habe. Am Check-in ist man so freundlich und gibt mir trotzdem ein Zimmer, obwohl sie ausgebucht seien (Never ever). Sie sind dann auch noch der Ansicht, ich habe das mit Booking.com zu klären. Da bin ich ganz sich anderer Meinung und tue das auch kund. Na, mal schauen, wie das weiter geht …

… als ich zum Abendessen gehe und an der Rezeption vorbei komme, spricht mich die Dame an, die mich eingecheckt hat: sie habe die Buchung gefunden und meint, ich solle doch besser direkt bei den Hotels buchen statt über irgendwelche Makler. Gerne, wenn sie nicht über einen längeren Zeitraum offline sind.

Tag 23: 25.10.2022

Mein Ziel, die Kathedrale von Messina, erreiche heute bereits nach 14 Kilometern. Verlaufen kann ich mich nicht. Es geht immer gerade aus von meiner Quartier bis zur Kathedrale mal als Nebenstraße mal als Hauptverkehrsstraße. Santa Magaritha ist bereits ein Vorort von Messina und von dort reiht sich Ort an Ort ohne erkennbare Stadtgrenzen. Offensichtlich wird es immer schmutziger und immer ärmlicher. Das ändert sich erst am Hauptfriedhof von Messina nach ungefähr 12 Kilometern also zwei Kilometer vor dem Zentrum der Stadt.

Der Dom ist äußerlich nicht besonders beeindruckend und könnte auch in einer anderen Kleinstadt Siziliens stehen. Innen sieht das allerdings völlig anders aus. Die Decke des Doms ist ein sensationelles Konstrukt. Der Hauptaltar ist prächtig. Ich traue mich nicht ihn mir von nahem anzuschauen, da gerade eine Messe gelesen wird und dabei möchte ich nicht stören. Ich setze mich in eine der hinteren Reihen und höre zu. Die Handvoll Priester mit der Orgel zusammen erzeugen immer wieder Musikunterbrechungen, die unter die Haut gehen. Vom sonstigen Ritual verstehe ich natürlich nichts. Mal wieder fällt mir auf, dass katholische Gottesdienst ein Spektakel sind. Ob Botschaften übermittelt werden, wie das im evangelischen Gottesdienst der Fall ist, weiß ich nicht.

Die Malereine vor und über dem Hauptaltar unterstreichen meinen Eindruck einer hervorragenden Inszenierung. Ansonsten ist die Ausgestaltung der Kathedrale eher schlicht mit vielen Skulpturen.

Nach einer halben Stunde der Besinnung verlasse ich den Dom und gehe die wenigen Schritte zum Hafen, dessen Einfahrt durchaus Eindruck macht. Leider darf ich nicht das Hafengelände  begehen. Wachleute halten mich zurück, lassen mich aber ein Foto schießen.

So nun auf zur Autovermietung. Ich habe einen Kleinwagen gemietet, um von Messina noch nach Agrigent zu fahren. Das Tal der Tempel ist eine der bedeutendsten antiken Stätte, die die Griechen dort außerhalb Griechenlands errichtet haben. Davon mehr morgen.

In Vorbereitung auf die Besichtigung des Tals der Tempel morgen lesen ich noch etwas über die Geschichte Agrigents, das von den Griechen, wie schon beschrieben, gegründet wurde. Dann haben es sich die Römer unter den Nagel gerissen, bevor die wiederum sich vermutlich selbst zugrunde gerichtet haben und somit es den nordafrikanischen Muslimen leicht gemacht haben sich auf Sizilien breit zumachen. Das war auch nicht von Bestand, dann haben die Normannen nicht nur Agrigent sondern auch ganz Sizilien besiedelt, die haben tiefe Spuren auf ganz Sizilien hinterlassen. Halten konnten die sich aber auch nicht. Spätestens mit Garibaldi wurde dann Sizilien italienisch. Und heute, so sagt man, hat die Mafia die Insel übernommen. Stimmt das? Nicht festzustellen als Außenstehender.

Was sagt uns diese etwa 2,5 Jahrtausende währende Geschichte: es ist schwer festzustellen, wer die Indogenen sind. Nichts hat Bestand, auch wenn es so manche Generation zu einer grundlegenden Veränderung braucht. Ob wir es wollen oder nicht Immigranten übernehmen auf Dauer die Macht und bringen ihre Kultur mit. Lohnt es sich dagegen zu wehren oder ist Kooperation die bessere Strategie, die eigene Kultur zu erhalten? Staatschefin Meloni will auf jeden Fall die Boote aus Nordafrika nicht nach Italien lassen. Na dann müssen wir ja nur warten, dass aus lauter Dekadenz wir uns selbst Garaus machen. 2000 Jahre Christentum bedeutet noch lange nicht, dass diese eine Zukunft hat. Betrachtet man die Anzahl der Kirchenaustritte, habe ich so meine Zweifel. Geschichtlich gesehen richten wir unsere Kultur gerade in Lichtgeschwindigkeit zu Grunde. Hoffen wir mal, dass dadurch Europa wie Phoenix aus der Asche mit „wetterfesten“ Demokratien die Antwort ist und wie Rechte und Autokraten ausschwitzen.

Tag 22: 24.10.2022

Sonnenaufgang: schnell und tief rot steigt die Sonne aus dem Meer in den Himmel. Trotzdem ist es so früh am Morgen noch frisch. Zu kühl für mich, um im Meer zu baden. Zumal die Wassertemperatur bei nur 23 Grad liegen soll.

Heute wandere ich dem Grunde nach die ganze Zeit auf der SS114, die bis nach Messina hinein führt. Etwas höher am Berg klebt die Autobahn. Oft verschwindet sie im Berg. Meist etwas unterhalb der SS114 verläuft die Bahnlinie; Bahnlinie und Straße wechseln allerdings öfter mal die Position.

Auf der sehr schmalen Fläche zwischen Meer und Berg zwängen sich langgelegen Straßendörfer, die meist in einander übergehen, so dass ich die meiste Zeit durch Ortschaften laufe. Dabei kann ich oft wählen, ob ich an der Strandpromenade oder auf der Durchgangsstraße gehe. An der Promenade ist es verkehrstechnisch ruhiger aber auch sonniger. Im Ort werfen die Häuser Schatten und es ist etwas abwechslungsreicher gleichwohl das Stadtbild sich wiederholt. Bars und Geschäfte sind prinzipiell im Ort. An der Promenade stehen hin und wieder LKWs, die von der Ladefläche ihre Waren meist Obst und Gemüse, anbieten.

In manchen Bereichen ist die verfügbare Fläche so gering, dass die Bahntrasse direkt am Meer liegt, dann kommt eine Häuserreihe, danach die SS114, wieder eine Häuserreihe durch deren Gärten sich auch schon die Autobahn quetscht. Schrecklich.

Eigentlich ist die Küste wunderschön mit ihrem hunderte Kilometer langen Strand und den hohen, steilen Bergen. Über das Meer Richtung Osten sieht man bereits Kalabrien. Dennoch ist sie durch die drei Verkehrstrassen völlig verbaut und somit unattraktiv für Touristen. Damit fehlt das Geld, um die Strände und Promenaden so aufzuwerten, dass Gäste aus dem Ausland angelockt werden können. Eine Abwärtsspirale entsteht: die Gebäude zerfallen, da die Renovierung und der Erhalt zu kostspielig sind; und so kommt es, dass hoch über der Autobahn neue riesige Wohnblocks gebaut werden, die große Terrassen und sicher einen fantastischen Blick haben. Nur zur Steigerung der Attraktivität der ohnehin schon verbauten Umgebung tragen sie nicht bei. Im Gegenteil, die Menschen verlassen die Orte und ziehen hoch in die Berge, was wiederum zur Folge hat, dass es niemanden mehr Interesse daran hat, die Städte und Dörfer zu erhalten.


In jedem Garten stehen Bäume voll mit Zitrusfrüchten. Viele der Früchte sind fast reif und verführen, rein zu beißen.

Nach gut 30 Kilometer erreiche ich mein heutiges Ziel. Am angegebenen Ort bzw. GPS Koordinaten gibt es keinen Hinweis auf meine Unterkunft mit dem wohlklingenden Namen: Villetta con terrazza sul mare Santa Magherita Marina. Auch sehe ich meine Gastgeberin nicht, obwohl ich minutengenau ankomme. Ich rufe sie an. Ich versuche klar zu machen, dass ich angekommen bin und beschreibe meinen Standort auf Englisch. Sie antwortet mir in rasantem Italienisch. Einige Worte verstehe ich auch die Frage, ob ich an der Apotheke bereits vorbei bin. Das bejahe ich und schon erhalte ich im schnellst möglichen Italienisch eine Antwort: Bahnhof! Sie legt auf und ich habe keine Ahnung wohin. Sie glaubt wohl, sich bestens ausgedrückt zu haben, was ich nun machen soll.  Ich stelle mich etwas exponiert auf die Straße, so dass man mich von dem Haus, das ich glaube mein Heim für heute Nacht ist, und der Apotheke aus gut sehen kann. Ich erwarte, dass sie mich so sehen kann, wo immer sie sich gerade befindet auch, selbst wenn sie noch auf dem Weg sein sollte. Nichts. Also schicke ich eine SMS, beschreibe, wo ich bin und frage, was ich tun soll. Kaum abgeschickt, ruft sie mich wieder an und brüllt so laut, dass mir klar wird, sie ist in meiner unmittelbare Nähe. Dann sehe ich eine wild winkende Frau auf einem Balkon.

Ich werde überschwänglich begrüßt. Wortschwall über Wortschwall fegt über mich hinweg. Noch einmal sage ich ihr, dass ich kein Italienisch spreche. Jetzt erst spricht sie langsamer und artikulierter. Sie entschuldigt sich, das sie kein Englisch spricht, zeigt mir die Wohnung, fragt, was ich beruflich mache, dass sie Anwältin ist, bedauert, das ich nur eine Nacht bleibe und das Meer nicht ausgiebig genießen kann und und und. Dann verabschiedet sich und saust los. Keine zwei Minuten vergehen und es klopft an der Tür. Sie hat ihre Handtasche vergessen. Meine Herren, was für ein Wirbelwind.

Ich lasse nun erst mal Ruhe einkehren. Ich ziehe mir meine Badehose an und gehe über die Straße zum Strand. Wie überall ist der Sand grau-schwarz und sehr grobkörnig. Zum Liegen lädt der Strand nicht ein, dafür liegt zu viel angespülter Müll herum. Ich will mich sowieso nicht hier hinlegen sondern etwas schwimmen. Puh, ist das Wasser kalt. Mir verschlägt es den Atem und ich werde auch beim Schwimmen nicht warm. Niemals hat das Wasser 23 Grad. Kein Wunder dass ich den ganzen Tag noch niemanden habe schwimmen sehen. Keine fünf Minuten bleibe ich im Wasser. Zitternd komme ich aus dem Meer und trockne mich schnell ab. Jetzt brauche ich eine heiße Dusche.

Tag 21: 23.10.2022

Von Giarre laufe ich die Gerade hinunter zum Meer. Etwa zehn Kilometer kann ich direkt am Wasser entlang wandern. Meist ist der Strand direkt zugänglich. Da Sonntag ist kommen viele Einheimische, parken an der Straße und legen sich in die Sonne.

Schließlich muss ich einen Fluss überqueren: die nächste Brücke liegt einige Kilometer den Berg hoch und da muss ich jetzt hin, vorbei an Gärten voll mit Zitrusbäumen. Jetzt muss ich einer Strada Statale (das entspricht in etwa einer Bundesstraße in Deutschland) folgen. Sie ist zwar stark befahren, trotzdem kann ich gefahrlos – mal auf der einen mal auf der anderen Seite mal mit Bürgersteig mal ohne – marschieren. Eng ist es nur auf Brücken. Diese sind nicht designed worden für die aktuellen Autos und schon gar nicht für eine Kombination von Autos, Fußgängern und Radfahrern. Heute scheint Radfahrtag zu sein. Große und kleinere Gruppen an Rennradfahrern brausen die Straßen entlang.

In den folgenden Ortschaften herrscht ein buntes Treiben. Viele Geschäfte haben offen. Verkauft wird an jeder Ecke frischer Fisch sowie Obst und Gemüse. Die Plätze sind belebt. Nicht nur die Gebäude sind alt auch mancher Baum auf den Plätzen hat schon Vieles kommen und gehen sehn. Reichlich Schatten spenden sie wohl schon so mancher Generation.

Danach erwartet mich ein Highlight. Ich habe in den letzten Wochen mehrere Romane gelesen, die in Taormina spielten. Da will ich jetzt hin. Ich habe aufgrund des Lesestoffs ein klares Bild von der Stadt. Meine Erwartung ist allerdings nicht ganz korrekt. Zunächst einmal liegt die Stadt auf 200 Meter, weit höher als in meiner Vorstellung. Ich komme schwitzend mit völlig durchnässtem Shirt in der Stadt an. Ich werde quasi totgetreten von Touristen. Unmengen an Restaurants, die gerade Mittagessen anbieten mit Tischen auf den steilen Straßen. Ich gewinne den Eindruck, in Taormina gibt es nur Restaurants. Ich hingegen bin auf der Suche nach einer Bar. Ich möchte etwas kaltes trinken und einen Espresso trinken. Es braucht eine Weile, bis ich eine Bar finde. Der Barkeeper überzeugt mich, zum Kaffee noch ein Cannoli zu essen. Ich lasse mich überreden: köstlich süß. Nun möchte ich das antike Theater, das auf einem Felsvorsprung gebaut ist und auf dem höchsten Punkt der Stadt von den Griechen gebaut wurde. Erschrocken muss ich feststellen, dass nicht nur ich mir das anschauen möchte. Einen Offiziellen frage ich, wie lange es dauert, bis ich am Ticketschalter dran bin. Er meint mindestens eine Stunde bräuchte ich. Ok, das ist es mir nicht wert.

Also dann wieder runter ans Meer und auf nach Letojanni, wo ich direkt am Strand eine Wohnung angemietet habe. Letojanni scheint mir einiges vom Lido di Jesolo und Rimini abgeguckt zu haben: langer Strand in der den Händen von Strandbädern mit Restaurants, die allerdings alle spätestens um 20:00 Uhr schließen.

Die Wohnung allerdings liegt in einem Compound mit eigenem Strand. Ich habe einen schönen Blick vom großen Balkon aufs Meer. Heute Nachmittag habe ich nicht so rechte Lust im Meer zu baden. Ich nehme mir vor, Morgen eine halbe Stunde früher aufzustehen und dann schwimmen zu gehen.

Mein Restprogramm meiner Tour nach Messina und Touriprogramm inkl. R

Tag 20: 22.10.2022

Ein Traum von einem Wandertag: die Landschaft überwältigend schön, herausfordernde Wege und zurück im Sommer. So könnte ich den heutigen Tag zusammenfassen.

Aber alles der Reihe nach. Um 07:00 Uhr klingelt der Wecker. Ich habe keine so richtige Lust aufzustehen. Deshalb gammele ich etwas rum und brauche eine drei-viertel Stunde bis ich endlich das Haus verlasse. Ich muss wieder die vier Kilometer und 200 Höhenmeter hoch zum Refugio Sapienzia. Dort gehe ich in die erste beste Bar, die offen hat und frühstücke wie die Italiener mit Croissants und Cappuccino.

Jetzt umrunde ich zunächst den Etna auf der Südseite und gehe wieder hoch bis auf gut 2.000 Meter. Als ich fast oben aus dem Wald komme, eröffnet sich mir ein spektakulärer Blick auf den Etna mit seinem Krater, der vor 20 Jahren entstanden ist, auf eine Lavafeld, das bei einem Ausbruch vor etwa 110 Jahren eine grauenhafte Verwüstung vom Gipfel bis ans Meer angerichtet hat, und auf ein sehr steiles Tal mit Büschen und Bäumen.

Diese Landschaft berührt mich sehr und erzeugt bei mir ein absolutes Glücksgefühl.

Auf dem Grat von Leben und Tod: zur einen Seite das grüne Tal mit altem Baumbestand wie latschenartigen Kiefern, Buchen und vereinzelten Birken und auf der anderen Seite das Lavafeld grau, schwarz und ohne sichtbares Leben führt nun mein Weg. Zu beiden Seiten fällt der Berg extrem steil ab. Der Weg ist schmal, mal auf der einen Seite und mal auf der anderen Seite des Grates geht es bergauf und bergab sehr sehr langsam vorwärts. Manchmal brauche ich Beine und Arme, um die Kletterpartien sicher gehen zu können. Das geht so etwa zwei Kilometer mit etwa 400 Meter hoch und 600 Meter runter, für die ich mehr als zwei Stunden brauche. In den Alpen wäre der Weg als Klettersteig ausgewiesen. Hier gibt es solche Kategorien nicht und Sicherungen fehlen natürlich auch. An vielen Stellen ist auch die Wegführung uneindeutig, was ein Sicheres gehen um so mühevoller macht.

Später komme ich in einen Wald, in dem es steil bergab geht. Allein in dem Wald „verliere“ ich 1.000 Höhenmeter. Der Weg ist steil, voller Pilze aber vor allem schwer zu begehen, nicht nur wegen seiner Steilheit sondern wegen des tiefen Lavasands, der sich mir ständig in die Schuhe spült, des Laubes und der Unmengen an Kastanien, die durch die Schuhe piksen und zusätzlich rutschig machen.

In Summe laufe ich heute 26 Kilometer und verliere 2.250 Höhenmeter. Letztere haben mich ermüdet: meine Knie tuen mir weh, meine Oberschenkelmuskulatur ist ganz hart und der Lendenwirbelbereich schmerzt. Deshalb beschließe ich, Morgen am Meer ohne großes rauf und runter entlang zu laufen. Es soll auch als Test dienen, ob ich bis Messina am Meer entladen wandern kann. Alle Apps zur Planung meines Weges dorthin wollen mich zurück in die Berge leiten. Das würde allerdings den Weg unnötig verlängern und mich zwingen mehrmals hintereinander zu Zelten. Das würde dann auch bedeuten, dass noch mehr Essen und Wasser mitnehmen müsste. Zum Andern führt eine Autobahn und eine Staatsstraße direkt am Meer lang, was so meine Vermutung, auch der Grund ist, durch die Berge zu gehen.

Zurück zu heute: ich habe ein Zimmer in einem B&B in unmittelbarer Nähe des Duomos von Giarre, einer Stadt etwa 100 Höhenmeter oberhalb des Meeres. Die Stadt hat sicher schon bessere Zeiten erlebt. Die Mehrzahl der Häuser zerfällt und sind in einem jämmerlichen Zustand. Mir gefällt aber die Anlage der Stadt mit vormals toll gestalten Plätzen, geraden Linien mit Blick zum Meer und schließlich einem Dom, der die Stadt optisch dominiert bzw. zentriert.

Tag 19: 21.10.2022

Ein Nachtrag zu gestern. Wie ich vermutet habe, handelt es sich bei den Verpuppungen an den Kiefern um Prozessionsspinner. Die Raupen sind eine Plage. Die Kiefern sterben tatsächlich, wenn sie von Prozessionsspinnern zur Verpuppung und Metamorphose genutzt werden.

Das „Basislager“ des Etna rund um das Refugio Sapienzia ist ein absoluter Touristenhotspot. Am Check-in für meine Tour herrscht das reinste Tohuwabohu. Um das riesige Refugio gibt es eine Vielzahl von Bars, Restaurants und vor allem Souvenirläden. Es werden alle möglichen Touren angeboten. Von reinen Lift- und Minibusfahrten mit und ohne Spaziergänge, für die neugierigeren Touristen natürlich auch mit ausgiebigen Wanderung zu vier Kratern. Letzteres. Selbst daran nehmen allein von einem Tourenanbieter eine große Zahl von Begeisterten teil. Man wird nach Sprachen Führern zugeordnet. Die meisten Teilnehmer müssen Schuhe wechseln, da Sneaker nicht als geeignet angesehen werden – mir will man auch mehrmals „richtige“ Wanderschuhe andrehen. Jeder muss einen Helm mitnehmen und wer will bekommt auch Stöcke angeboten.

Die Ordnung des Durcheinanders und des Trubels dauert eine ganze Stunde, dann geht es los. Die ersten 500 Höhenmeter überwinden wir mit einer Seilbahn. Wieder herrscht großer Andrang. Man könnte meinen, wir sind an der Talstation für ein Skigebiet in der Hochsaison. Danach gehen wir endlich zu Fuß weiter. Es dauert keine viertel Stunde, da können die Ersten schon nicht mehr und müssen zurück. Unendlich langsam mit ständigen Trinkpausen steigen wir den Berg hoch. Meine Geduld wird ziemlich strapaziert. Lunchpause wird natürlich auch gemacht. Die Bergsteiger mampfen ihre großen Lunchpakete, die sie mitgebracht haben. Wir kommen bis auf 2.900 Meter. Höher darf man auch mit Führer nicht. Am höchsten Krater auf 3.300 m, der bei einem Ausbruch 2002/2003 entstanden ist, gab es im vergangenen Dezember einen tödlichen Unfall mit einem Guide.

Vom Hauptkrater der etwas östlich und tiefer liegt als der neu entstandene Krater, steigen ständig große Schwaden Wasserdampf auf. Auch aus dem neuen Krater entweicht permanent Rauch allerdings nicht in so großen Wolken.

Der letzte Ausbruch war im Februar. Durch die abgekühlten Steine steigen wir hindurch. Diese strahlen immer noch große Wärme ab. An manchen Stellen ist es noch so heiß, dass sich Papier selbst entzündet. Die Luft ist warm, da der Vulkan fast überall so ab 2.500 m Wärme ab gibt. Das Gestein hat nach meinem Empfinden meist Körpertemperatur.

Die Landschaft ist beeindruckend. Der Ausdruck trifft es nicht: der schwarze Lavasand und dieses dunkle Lavagestein erzeugen den Eindruck einer Mondlandschaft; hier hätten auch Star-Wars Episoden gedreht werden können. Daneben gibt es Bereiche, die gelb sind von Sulfaten und wieder andere rot von Eisenauswürfen. Alles zusammen ist ein einmaliges Landschaftsbild.

Am Nachmittag ziehen Wolken auf, die von oben einen einen ganz besonderen Kontrast zum schwarzen Berg und dem hellen Sonnenlicht bilden.

Trotz der vielen Touristen und des langsamen Wanderns, ist der Ausflug zu den Kratern des Etna ein fantastisches Erlebnis aufgrund der Schönheit der Landschaft und des Wissens um die andauernde Aktivität der Erde, die regelmäßig diesen Berg komplett verändert.

Vom „Basislager“ zurück zu meinem Quartier muss ich die Straße unterqueren. Man hat sich eine ganz besondere Unterführungstechnik ausgedacht. Ich muss durch eine Röhre gehen, die auf mich eher den Eindruck macht, als wolle man Wasser durchleiten. In meinem Zimmer angekommen muss ich mich zu alerts unter die Dusche stellen und meine Klamotten intensiv waschen. In jeder Ritze hat sich der feine schwarze Lavastaub gesetzt.

Tag 18: 20.10.2022

Nachdem ich in einer Bar ein typisch Italienisches Frühstück mit zwei Croissants und einem Cappuccino zu mir genommen habe, verlasse ich Randazzo, das etwa auf 700 Metern ü.NN liegt, nach Süden. Heute werde ich den Etna von Norden kommend im Westen umrunden und bis auf etwa 1.900 Meter ü.NN ansteigen. Genau im Süden werde ich übernachten, da von dort aus der Einstieg in das Kratergebiet zwischen 2.900 und 3.300 Meter ü.NN möglich ist.

Der Anstieg ist stetig aber nie wirklich steil. Zunächst laufe ich eine Straße hinauf, die ich nach nicht einmal 5 Kilometern verlasse. Über Wiesen entlang an Mauern statt an Zäunen geht es nun querfeldein den Berg rauf. Überall liegen Lavabröckchen im Gras und Gebüsch. Diese Bröckchen sehen aus wie Pferdeäpfel und die größeren wie Kuhhaufen, wo für ich sie zunächst auch halte. Erst nach einer Weile fällt mir auf, dass diese Haufen Steine sind.

Weiter oben komme ich wieder auf einen breiten Forstweg. Dieser führt mal durch Wald mal durch Lavalawinen. Die Wege sind aus grobem Lavasand übersäten mit Kiefernnadeln.

Der Baumbestand ist von Kiefern und Birken geprägt. Birken hatte ich bisher auf Sizilien nicht gesehen. Hier sind sie sehr zahlreich und manche Bäume sind dick und wirken sehr alt. Sie wachsen auch zwischen den Lavaabgängen auf den Steinen.

In einem Bereich von wenigen Kilometern sind die Kiefern von verpuppten Insekten befallen. Im Licht sieht das toll aus. Aber bei genauerem Hinsehen, fällt mir auf, dass bereits eine Reihe der Kiefern abgestorben sind. Ich muss Morgen, wenn ich auf Einheimische treffen hinterfragen, um was für Tiere es sich handelt, und ob meine Vermutung korrekt ist, dass die vertrockneten Kiefern von diesen Parasiten getötet wurden.

Vegetation und Landschaftsbild unterscheiden sich deutlich von den bisherigen Bergregionen, die ich auf Sizilien bewandert habe.

Nach knapp 30 Kilometern und 1.250 Höhenmetern erreiche bereits kurz nach drei meine Unterkunft. Ich habe unweit des Ausgangsorts für die morgige Kraterbesteigung in einem größeren Haus, das mitten im Wald liegt, ein Apartment gemietet. Die Vermieterin wohnt nicht hier. Den Schlüssel hat sieben einem Schlüsselkästchen hinterlegt. Damit ich alles finde, hat sie mir per WhatsApp ein Video geschickt. Nachdem ich ihr mitgeteilt habe, dass ich gut angekommen bin. Bietet sie mir an, mich bei der Buchung eines Guides zu helfen. Ich wähle die Option mit der Begehung aller vier Krater und sie übernimmt für mich die komplette Abwicklung.

Das Haus ist typisch für die Region aus massivem Stein – lavagrau – mit kleinen Fenstern. Die Wohnung ist völlig ausgekühlt. Das Thermometer des Elektroofens zeigt 13 Grad an – wie draußen auch. Es dauert bis zum späteren Abend, um die Wohnung einigermaßen auf Temperatur zu bringen. Ich habe Wandersocken und eine lange Unterhose an, andernfalls ist mir selbst an der Heizung sitzend zu kalt.

In der Wohnung gibt es einen Kamin. Feuerholz liegt auch bereit. Mir ist das Anzünden des Kamins zu schmutzig, weshalb ich bisher darauf verzichtet habe. Sollte Morgen, ich werde noch eine zweite Nacht in dieser Wohnung verbringen, da nach der Kraterbesichtigung es mir zu spät wird von hier oben abzusteigen, es immer noch so kalt sein, werde ich den Kamin wohl doch an machen.

Tag 17: 19.10,2022

Ich stehe heute etwas später auf als sonst, da ich bis Randazzo, von wo ich Morgen ins Etna Gebiet starten möchte, keine 20 Kilometer zu wandern habe. Da ich in meine Unterkunft erst um 15:00 Uhr einchecken kann, lasse ich es sehr gemütlich an.

Beim Frühstück treffe ich das Paar aus Amerika mit ihrer Führerin. Ich hatte erwartet, dass die drei schon längst unterwegs sind. Tatsächlich wollen sie erst um 09:00 Uhr aufbrechen.

Ich selbst bin eine viertel Stunde früher bereit zum Aufbruch. Obwohl Sonnenschein für den ganzen Tag angesagt ist, komme ich raus in dichten Nebel. Daher fühlt es sich deutlich kühler an als es ist. Es geht abwärts meist entlang eines Flüsschens, das ein hübsches Tal gebildet hat und langsam vor sich hin plätschert. Das Tal ist sehr feucht, entsprechend ist Vegetation saftig und grün. Die Bäume wirken auf mich, wie aus einem Urwald. Sie wachsen mit ihren langen Ästen in aller möglichen Richtungen und vielen Biegungen. Sie sind oft stark bemoost. Es ist eine Freude hier entlang zu spazieren. Da ich Zeit habe, ist mein Gang dem Spazierengehen ähnlicher als Wandern.

Als der Weg die Flußseite wechselt, gibt es einen Hinweis auf ein Konvent und eine Mühle. Gut, den Umweg gehe ich und schau mir beides an. Es geht über schmale Pfade, die immer wieder zugewuchert sind, erst den Fluß zurück und dann den Berg hinauf. Als ich ankomme, gibt es dort nur ein paar Mauerreste und ich kann nicht erkennen, was das einmal gewesen sein könnte. Nichts lässt auf eine Mühle auch nicht auf ein Konvent schließen. Zurück habe ich mehrmals Schwierigkeiten den Pfad wieder zu finden. So überquere ich an einer völlig andern Stelle den Fluss und komme zurück auf den eigentlichen Wanderweg nur auf der anderen Seite eines Stacheldrahtzauns. Stacheldrahtzäune bzw. Zäune jeder Art gibt es hier viele. Am Zaun kann ich nicht entlang laufen: zu viel dornenreiches Gestrüpp und den Zaun überqueren kann ich, ohne mich zu verletzen und meine Kleidung kaputt zu machen, auch nicht. Ich habe mich schon in den letzten Tagen hinreichend oft an Stacheldraht die Haut aufgeschlitzt. Zwar nicht beim Überkletteren von Zäunen sondern beim Öffnen von „Zauntoren“, die die Wege blockieren. Wege werden gesichert, in dem die Zäune über den Weg weitergeführt werden. Nur die Pfosten werden nicht im Boden verankert: sie stehen auf dem Weg. An einer Seite des Weges sind sie unten mit einer Draht- oder Seilschlaufe mit dem nächsten im Boden verankerten Posten verbunden und oben macht man ebenfalls eine Schlaufe. Will man durch muss man die Schlaufe oben lösen. Danach fällt der gesamte Zaun über dem Weg in sich zusammen. Ist Man durch muss man das gesamte Gebilde wieder aufrichten und mit Aufwendung großer Kraft wieder miteinander verbinden. Dabei habe ich mir bereits mehrfach am Stacheldraht ordentliche Schnittwunden an Händen und Armen zugezogen.

Zurück zu meiner jetzigen Situation: ich muss zurück über den Fluss und auf der anderen Seite einen Weg bahnen. Als ich nach etwa einem halben Kilometer zurück auf die originäre Route kommen meine drei Wandergesellen herbei geschlendert.

Ein Obstbaum, wie es viele gibt. Die Früchte sehen aus wie Miniaturäpfel. Keiner erntet sie. Sie sind extrem sauer und für mich ungenießbar. Was ist das nur?

Die Führerin nimmt dies zum Anlass für sich Werbung zu machen. Mit ihr als Guide wäre mir das nicht passiert. Ich stimme ihr zu, würde aber auch nicht wissen, ob ich etwas verpasst hätte, wäre ich nicht zur Mühle gelaufen. Wir laufen ein Weile, uns unterhaltend, zusammen. Dann verabschiede ich mich endgültig, da selbst mein Spaziergehen zu schnell ist.

Nicht viel später sehe ich von einer erhöhten Position das mittelalterliche Städtchen mit seinen zwei imposanten Kirchen. Bevor ich mich mit meiner Vermieterin treffe, schaue ich mir den Ort ein wenig an und kaufe regionale Wurst und Käse für Morgen Abend, da ich am Etna keine Versorgung zu erwarten habe.


Die engen Gassen von Radazzo: nicht immer sind sie so attraktiv – eine Stadt die verfällt

Auf der Rückseite meines Zimmers ist ein Restaurant. Dort hatte ich mich am Mittag mit meiner Vermieterin getroffen. Es sieht nett aus und sie haben eine gut gestaltete Webseite. Deshalb gehe ich um acht dorthin zum Essen. Wer sitzt dort? Die Dreierkombi. Ich setze mich dazu auch wenn sie bereits fast fertig sind. So habe ich einen unterhaltsamen Abend.

Tag 16: 18.10.2022

Zu allererst muss ich mich korrigieren. Ich habe gestern nicht Wildschweine sondern „Schwarze Nebrodi Schweine“ gesehen. Diese Nebrodi Schweine, so habe ich mir von einem Kellner beim Frühstück erklären lassen, sind dem Wildschwein sehr ähnlich, bilden mehr Fett und sind viel kleiner als ein Hausschwein. Man hält in der Gegend keine Hausschweine sondern jagt ausschließlich Nebrodi Schweine und verarbeitet deren Fleisch zu sehr hochwertiger Wurst, Schinken und Fleisch. Die Produkte sind sensationell, das kann ich bestätigen, da ich gestern Abend zu jedem Kurs Nebrodi Schwein hatte. Da habe ich nicht die Verbindung noch nicht hergestellt zwischen den Schweinen, die ich gesehen habe und meinem Essen. Der Kellner bestätigt, dass die Population dieser Tiere sehr groß sei und sie sich schnell fortpflanzten. Auch heute sehe ich, sobald ich im Wald bin immer, häufig kleinere und größere Gruppen. Einmal dauert es sehr lange, bis mich eine Familie wahrnimmt, so dass ich sie etwas genauer beobachten kann: die Nebrodi Schweine haben kaum erkennbare Hauer, sind viel kürzer als ein Hausschwein, wieselflink und ihr Grunzen hört sich an wie ein sehr tiefes Bellen.

Auch heute gehe ich wieder 35 Kilometer aber nur etwas mehr als 800 Höhenmeter. Nachdem ich nun 5 Tage hintereinander zwischen 30 und 36 km und um die 1.000 Höhenmeter gewandert bin, fühle ich mich ausgepowert. Morgen werde ich daher einen kurzen Trip an den Fuß des Etnas machen. Übermorgen geht es dann hoch zum Etna auf die Höhe der verschiedenen Refugios. Von dort habe ich vor, den Etna bis zu den Kratern zu besteigen.

Die Landschaft heute ist sensationell: Wälder und Almen wechseln sich ab mit Blick zum Etna und zum Meer. Wunderschöne Seen, Bäume und Wiesen erfreuen mich.

Der Weg ist leicht zu finden. Ich treffe kaum auf Menschen. Autos kommen auf den Gravel-Roads gelegentlich vorbei. Auf einer der Almen spricht mich ein älterer Herr an. Er hat gerade seine Tochter hier hoch gebracht, die sich mit zwei Pferden einer Stute mit ihrem Fohlen auf den Weg ins Tal macht. Er selbst hat bei VW in Wolfsburg gearbeitet und lebt nun wieder in seiner Heimat. Über mich kann er nun den Kopf schütteln.

Heute übernachte ich in einem Hotel. Meine Erwartungshaltung ist, dass ich an eine Rezeption komme, mir der Schlüssel ausgehändigt wird und ich so schnell auf mein Zimmer komme. Weit gefehlt: ich komme in ein Geschäft, das Wirst und Käse verkauft. Auf mich als Hotelgast ist man nicht eingerichtet. Es wird wild herum telefoniert. Nach zehn Minuten kommt ein Herr und erklärt mir, dass ich noch zehn Minuten warten muss. Ich werde in einem Raum platziert, der als Trattoria genutzt wird. Irgendwann kommt das „Hausmädchen“, um das Zimmer zu machen. Nach etwa 3/4 Stunde kann ich dann tatsächlich aufs Zimmer. Hier muss ich mich erstmal um die Heizung kümmern: es ist sehr kalt und meine Wäsche wird ohne Heizung sicher nicht trocken. Ich finde zwar alle Schalter – nichts passiert. Jetzt muss ich versuchen mit meinen nicht vorhandenen Italienisch Kenntnissen und Internet Translator klar zu machen, dass das Zimmer zu kalt ist. Im „Hotel“ spricht man nur Sizilianisch und das in einer Geschwindigkeit, dass ich noch nicht mal die Sprache erkennen kann. Das Problem ist allerdings schnell gelöst. Lediglich eine Sicherung am zentralen Schaltschrank muss eingeschaltet werden.

Ich habe mir ein Restaurant heraus gesucht, das offen hat. Als ich runter komme, sitzen drei Englisch sprechende Leute in der Trattoria und essen eine Vorspeise. Also frage ich, ob ich auch hier Abendessen kann. Ich kann und bekomme Antipasti mit den Produkten aus ihrem Laden und anschließend eine Pasta mit Schwarzem Nebrodi Schwein.

Mit dem anderen Tisch komme ich schnell ins Gespräch. Sie sind ebenfalls Hiker: ein Ehepaar aus USA, die eine Führerin aus der Toskana engagiert haben. Ich scheine bereits mehr von Sizilien gesehen zu haben als die Führerin. Sie lässt sich von mir eine Reihe Hinweise geben.

Zum Schluss stellt man dem Dreier-Tisch und auch mir zwei Flaschen Schnapps und selbst gebackene Plätzchen hin. Ich nehme einen selbst gebrannten Mandel-Schnaps. Es wird zwischen den Tischen, die Inhaber sitzen mittlerweile auch an einem, zugeprostet. Wenn ich jetzt nicht schnell gehe, wird morgen der kurze Weg doch möglicherweise sehr lang.