Troia —> Castelluccio dei Sauri
Die Straßen von Troia sind wie leergefegt als ich um viertel nach sieben durch die Stadt laufe. Der Ort befindet sich noch im Tiefschlaf. Er zieht sich schmal und lang auf dem Bergrücken entlang. Ganz am Ende des Städtchens komme ich an einer Bar vorbei. Hier ist der Teufel los. Die Bar scheint ein Seniorentreff zu sein – oder alle, die an seniler Bettflucht leiden, haben sich vor der Bar versammelt.
Ich wandere von der Anhöhe, auf der Troia liegt, hinunter ins Tal. Das Landschaftsbild heute ähnelt dem von gestern: Felder so weit das Auge reicht, hier und da erhebt sich ein sanfter Hügel. Angebaut wird vor allem Getreide: Hafer, Gerste, Weizen. Gelegentlich komme ich an einem Gemüseacker vor bei.
Mein heutiges Ziel, Castelluccio dei Sauri, liegt ebenfalls auf einem Hügel, der bestellt ist mit Olivenbäume; die wenigen Bäume weit und breit, die ein wenig Schatten spenden.
Castelluccio erreiche ich nach ca. 20 km zur Mittagszeit. Bevor ich zu dem reservierten B&B gehe, gönne ich mir einen Café und eine eiskalte Fanta. Während ich im Schatten vor der Bar sitzend das Süßgetränk genieße, kommt eine Pilgerin vorbei – es gibt doch noch weitere Aliens, die zu Fuß durch Italien reisen. Sie winkt nur kurz und geht im Schneckentempo vorbei. Sie wechselt kein Wort mit mir: ich glaube ich habe sie verärgert:
Etwa zehn Kilometer hinter Troia, sehe ich in weiter Entfernung jemanden – vermute ich. Schon mehrfach habe ich bei dem flimmernden Sonnenschein geglaubt, einen Menschen wahrgenommen zu haben, tatsächlich war es aber meist ein Schild oder ein mannshohes Bäumchen. Also bin ich nicht sicher – aber es bewegt sich: vielleicht ein Feldarbeiter, der am Rand seines Ackers arbeitet. Etwa zehn Minuten später und einen Kilometer weiter bin ich sicher vor mir schlendert jemand mit Rucksack die Straße entlang. Kurz drauf hole ich die Wanderin ein, auch weil sie bei jedem Fahrzeug, das vorbei kommt, stehen bleibt und anschließend langsam wieder losläuft. Ihr Rucksack ist gemessen an meinem gigantisch; sie wirkt, als wäre sie dick angezogen: lange steife Hose, T-Shirt, knöchelhohe Schuhe und Mütze, so dass nur das Gesicht herausschaut.
Sie ist Italienerin und kommt aus Venedig und hat wie ich Santa Maria di Leuca zum Ziel. Sie ist vor 22 Tagen in Rom gestartet. Ich erzähle ihr, dass ich in Capua meinen Weg begonnen habe und heute mein sechster Tag ist. Das findet sie doch sehr schnell. Was mich verleitet, zu sagen, dass ich in gut vierzehn Tagen in Santa Maria di Leuca sein möchte und deshalb etwas Gas geben muss. Das bekommt sie wohl in den falschen Hals und denkt vermutlich, ich wolle nicht länger mit ihr reden. Also verabschiedet sie sich mit einem Bon Camino.
Ich nehme dann halt wieder meine Normalgeschwindigkeit von 5 km/h auf. Nach gut einem Kilometer komme ich durch eine Ansiedlung mit einer Bar, gerade wird frisches Brot geliefert. Toll, jetzt bekomme ich ein frisches Panino und lasse es mir Salami mit Pecorino belegen, dazu gibt es den obligatorischen Cappuccino und viel Wasser. Nachdem ich mein Brot aufgegessen habe, kommt auch die Italienerin, trinkt in der Bar einen Café, geht zur Toilette und geht weiter.
Ich bin überrascht, obwohl ich noch etwa eine halbe Stunde geblieben bin – mich treibt heute nichts, da ich meinen Füßen einen zweiten ruhigen Tag gönne – die Pilgerin nicht vor Castelluccio eingeholt habe. Sie scheint eine andere Wegvariante gewählt zu haben. Als sie nun in Castelluccio an der Bar vorbeikommt, spricht sie auch jetzt nicht mit mir und nickt nur mit dem Kopf, was nach meiner Erfahrung für Italiener sehr ungewöhnlich ist.
So genug über eine Pilgerin geplaudert. Jetzt geht es zu meiner heutigen Unterkunft. Der Vermieter ist nicht Vorort und ich rufe ihn an; ein nicht ganz einfaches Gespräch, da er nur Italienisch kann. Wenn ich richtig verstanden habe, kommt er erst um 18:00 Uhr. Also muss meine Wunderwaffe Giuseppe herhalten, ich bitte ihn, noch einmal bei Vermieter anzurufen. Tatsächlich handelt er ihn auf 16:00 Uhr runter.
Ich suche mir ein paar Straßen weiter eine schattige Parkbank und mache es mir gemütlich. Kurz nach drei hält ein Auto neben mir und fragt, ob ich Harald Jakob bin. Prima dann hat eine Siesta gereicht, bis ich mein heutiges Zimmer beziehen kann und es ist so früh, dass ich meine Wanderhose, die vor Dreck steht, waschen kann und trocken kriegen werde.
So Morgen muss ich wieder angreifen und meine Etappenlänge auf 30 km plus bringen. Ich habe für mindestens die nächsten beiden Tage beschlossen, den Weg etwas zu begradigen und so viel abzukürzen, dass ich mit durchschnittlich 30 km pro Tag mein Ziel on Time erreichen kann.