Welch ein traumhaft schöner Tag. Als ich aufstehe und aus dem Fenster schaue, bescheint die Sonne die winterliche Landschaft und ich habe eine fantastische Fernsicht. Man kann leicht bis zur Mountblancspitze schauen.
Im Hospitz wird man von Chorälen über eine Lautsprecheranlage um 07:30 Uhr geweckt. Ich war allerdings schon wach, ich brauche morgens einfach ein bißchen Zeit. Die Musik spielt bis 08:00 Uhr – also bis zum Frühstück.
Das Frühstück ist schon etwas karg. Es gibt Brot, Butter und Erdbeermarmelade. Das hält erfahrungsgemäß nicht lange vor. Der Kaffee ist rationiert, da nicht mehr viel übrig ist. Alle Lebensmittel für die Wintermonate werden vor dem ersten Schnee eingelagert und müssen dann reichen, bis die Paßstraße geräumt ist.
Der Mönch, der kein Mönch ist, sondern ein Augustiner – ich war fälschlicherweise davon ausgegangen, dass das Hospitz von Benediktinern gemanagt wird – gibt mir nach dem Frühstück Schneeschuhe, damit ich sicher den Berg wieder herunter komme. Wir passen gemeinsam die Bindungen auf meine Schuhe an und ich bekomme noch Skistöcke ausgeliehen. Dann geht es los. Als ich nach draußen trete, haut mich die Winterlandschaft mit ihrer Schönheit um. Es ist schon irgendwie komisch: auf der einen Seite ist die Natur so überwältigend schön und auf der anderen Seite gnadenlos brutal. Gestern hatte ich noch das Gefühl, sie will mich umbringen und heute geht mir das Herz vor Freude bei einem solchen Anblick auf.
Zunächst habe ich ein paar Probleme mit den Schneeschuhen, denn es ist gar nicht so leicht, mit Ihnen in einem Steilhang zu laufen. Schnell habe ich den Bogen raus und laufe sicher durch über Nacht eisig gefrorenen Schnee. Etwas tiefer, auf der italienischen Seite, gehe ich zur Statue von Sankt Bernard, der das Hospitz vor mehr als 1.000 Jahren gebaut hat, und vor bei am Hotel Restaurant Italia, wo wir mal auf einer Urlaubsreise vor mehr als zehn Jahren übernachtet haben.
Als ich dort noch ein paar Aufnahmen mache, kommt der Augustiner auf Ski heran gerauscht, um mich nach unten zu begleiten. Er wolle eh mal schauen, wie weit die Italiener mit dem Schneeräumen gekommen seien. Als wir etwa 300 Meter tiefer auf die Italienischen Schneefräsen stoßen, gebe ich die Schneeschuhe samt Stöcke zurück. Für ihn geht es auf Fellen wieder hoch zum Hospitz und für mich runter Richtung Aosta. Ich muss aber weiter die Straße nehmen, da die Fußwege noch im tiefen Schnee versunken sind. Ich komme auf der sonnenbeschienen Straße zügig vorwärts, nur zieht sich das durch die Vielzahl der Haarnadelkurven lang hin. Die Straße kostet mich am Ende etwa zehn zusätzliche Kilometer.
Schnell wird es warm, die Handschuhe habe ich schon ausgezogen, als ich mich von dem Augustiner verabschiedet habe. Dann kommt kurze Zeit später meine Regenjacke dran und es dauert nicht lange und ich laufe nur noch im Hemd.
Die Straße und später der Weg führen durch kleine Siedlungen, die für mich typisch für die Italienische West-Alpenregion sind.
Aufgrund der Strapazen von gestern bin ich früh müde. Auch bin ich hungrig aber alles ist dienstags zu, hatte ich mich nach dem kargen Frühstück doch so auf einen Espresso und eine Focaccia gefreut. Daraus wird nichts. Das erste Hostel, das offen hat, finde ich nach gut 24 km. Ich entscheide mich hier zu bleiben. Ich bin der einzige Gast und bekomme ein schönes Zimmer mit einer großen Terasse, auf der ich nach dem Duschen in Badhose die Sonne genieße: was für Gegensätze, heute Morgen noch Winter und heute Nachmittag schon Sommer.
So lasse ich den Nachmittag, hungrig wie ich bin, verstreichen, Abendessen gibt es in der Trattoria bei den Eltern meiner Gastgeber erst um acht. Sonst ist weit und breit nichts offen und schon gar nicht am Nachmittag.