Wow was ein Tag! Ich weiß gar nicht womit ich anfangen soll.
Zwei gute Nachrichten:
1. ich hab es geschafft und bin oben auf dem Großen Sankt Bernhard angekommen!
2. Ich lebe noch! Warum ich das schon fast sensationell finde, werdet ihr später erfahren.
So nun der Reihe nach. Ich bin heute Morgen schon bereits um kurz nach acht aufgebrochen, da der Hotelerie mich bereits gestern Abend gebeten hatte um 07:30 Uhr zum Frühstück zu kommen. Höflich wie ich bin, habe ich das gemacht, obwohl ich alle Zeit der Welt habe, denn bis nach Bourg Saint Pierre sind es maximal vier Stunden und bis zur Passhöhe schaffe ich es nicht in einem Tag. Das hat mir zumindest der Hotelier gesagt. Nur sehr trainierte junge Leute könnten das. Als ich ihn frage, meint er: über die Paßstraße sei es kein Probelm über den Pass zu gehen, die Straße sei Schnee frei.
Also laufe ich los durch wunder schöne Alpenlandschaften mit frischen Wiesen, Almen, Mühlen und interessanten Wegen entlang von Bachläufen – ich muss tatsächlich über die Ablaufkante durchs Wasser balancieren. Hier ist alles so wie ich es beim Wandern besonders mag. Deshalb bin ich so unglaublich gerne in den Alpen.
Um 11:45 Uhr bin ich bereits an meinem Ziel angekommen. Aber alles ist geschlossen: Geschäfte, Restaurants und Hotels. Also labe ich mich an einem Brunnen und beschließe, doch noch weiter zu gehen. Es sind nach Wegweiser nur vier Stunden. Also sollte ich zwischen 15:30 und 16:00 Uhr spätestens oben sein. Das kriege ich hin, zumal das Wetter zunehmend besser wird und die Wolkendecke aufreißt.
Auf einer Alm, nachdem ich immer wieder durch Schneefelder musste, treffe ich zwei Einheimische, die die Almhütte für den Sommer herrichten wollen. Sie empfehlen mir, nicht dem ausgeschilderten Weg zu folgen, sondern die Paßstraße zu nehmen. Die sei geräumt und somit weit gehend Schnee und Eis frei. Ich folge dem Rat, steige ein Stück ab und komme so schnell auf die Straße. Mir kommen von oben immer wieder Skitourengeher entgegen. Einer hält an und schwärmt von dem super Firn – na toll und was hab ich davon? Das macht mich doch auch ein wenig stutzig. Aber die Fahrbahn ist meist trocken, auch wenn rechts und links der Straße sich Schneewände auftürmen. Dann höre ich Motorengeräusche und kann mir nicht erklären woher die kommen können, bis ich auf eine gigantische Scheefräse treffe, die schneckengleich den Pass hoch kriecht. Ich kann an der Fräse vorbei und nach einer Biegung sehe ich die nächste Fräse. Der Fahrer ist ausgestiegen und schaut sich um. Für heut sei Schluss, weiter komme er nicht mit seinem Gerät: zu viel Schnee.
Ich frage ihn, was soll ich tun, wo es doch maximal noch 1.500 m bis zur Passhöhe sind. Hier sei es schwierig. Es gibt aber einen Winterweg hoch, der sei besser. Auf meine Frage deutet er nach unten und unbestimmt in eine Richtung, die mir nicht sehr glaubhaft zu sein scheint meine Wanderkarte studierend. Genauer kann er mir den besseren Weg auch nicht beschreiben. Also nehme ich weiter die Straße, es ist ja nicht mehr weit. Nach nur kurzer Zeit ist der Schnee so tief, dass ich über die Knie einsinke und mir oft die Schuhe ausgezogen werden. Alle 50 m muss ich sie neu fest schnüren, um das Problem zu mindern. Auch wird mir kalt und ich ziehe Handschuhe an – gut dass ich die noch gekauft habe und stabile Schuhe an habe. Mich macht der Schnee fertig. Ich komme kaum noch vorwärts. Ob ich doch zurück soll? Aber wohin? Zurück muss ich auch durch den Schnee. Also zehn Schritte machen und dann rasten, zehn Schritte machen rasten. Dann schaut die Leitplanke der Straße aus dem Schnee. Prima auf der balanciere ich: wusste gar nicht, dass ich das kann. Was der Überlebenstrieb – denn ich bin bereits im Überlebens-Modus angekommen – alles so möglich macht. Dann ist auf einem mal die Straße, d. h. Leitplanke und Stöcke weg. Meine Wanderkarten App zeigt, ich bin mitten in der Wildniss und weit von der Straße abgekommen. Ich sehe jetzt ein Kreuz. Also gibt es hier Zivilisation. Ich stapfe in meiner zehn Schritte Taktik auf das Kreuz oberhalb von mir Lawinenabgänge kreuzend zu. Kurz vor dem Kreuz erreiche ich ein Haus. Alles verschlossen – zumindest ist ein Zugang über Tür und Fenster nicht zu erreichen, da Schneemassen gegen sie drücken. Also weiter, ich merke mir die Position des Hauses als Rückfallstrategie. Schon lange bin ich nicht mehr überzeugt, dass ich, bei dem Kräfteverzehr, an mein Ziel komme. Aber noch bin ich nicht soweit, mich in den Schnee zu setzten und aufzugeben – auch wenn das sehr verlockend wirkt. Der in meine Schuhe eindringend Schnee hat meine Socken durchnässt und ich habe nur noch Eisklumpen als Füße. Mit meinen Händen sieht es auch nicht besser aus. Aber ich bin nicht der Typ, der einfach aufgibt. Nicht solange ein Funke Hoffnung besteht. Jetzt sehe ich wieder hundert Meter über mir eine Leitplanke. Auf die krabbele ich zu und hoffe, so weit oben zu sein, dass ich das Benediktiner Hospiz sehen kann. Das ist aber nicht der Fall. Trotzdem gibt es mir einen Energieschub, da ich weiß, dass die Leitplanke, so lange sie aus dem Schnee schaut, ein leichteres Laufen ermöglicht. Als die Leitplanke wieder im Schnee verschwindet, die Erlösung: ich sehe das Hospitz und es sind geschätzt nur noch zweihundert Meter, die doch noch einmal alles von mir abverlangen. Kaum habe ich Tür des Klosters geöffnet, werde ich zunächst vom Küchenpersonal und dann von einem Mönch willkommen geheißen. Ich bin so erschöpft, dass ich kaum ein Wort heraus bringe. Nach einem heißen Tee und einem Saft geht es mir wieder besser. Der Mönch bietet mir ein Einzelzimmer mit Halbpension für einen guten Preis an. Ich könne auch, sollte ich bedürftig sein, im Dormitorium ein Bett gratis bekommen. Da der Preis fair ist, entscheide ich mich für das Einzelzimmer ohne Bad und Toilette selbstverständlich. Das ist mir heute sowas von egal, schließlich tritt jeglicher Komfort in den Hintergrund, wenn man um das nackte Leben gekämpft hat und froh ist, dass alles gut ausgegangen ist. Jetzt muss ich endlich aus meinen nassen Sachen raus und meine dem Erfrieren nahen Füße und Hände eine ganz lange heiß Dusche gönnen.
Noch ganz wackelig auf den Beine gehe ich zur Messe. Ich bin neben zwei Priestern der einzige Gottesdienst Besucher. Ich verstehe kein Wort, da die Messe auf französisch ist. Nach einer halben Stunde ist Schluss.
Vor dem Abendessen kommt der Priester, der mich in Empfang genommen hatte, auf mich zu und bietet mir für den Abstieg morgen Schneeschuhe an. Das ist ein tolles Angebot, das ich gerne annehme.
Am gemeinsamen Abendessen im Schankraum nehmen nur die Gäste, die im Hospiz übernachten, teil. Es sind noch zwei junge Pärchen, eines aus Franreich und ein anderes aus Lausanne, da. Sie sind mit Tourenski aufgestiegen und wollen morgen wieder abfahren. Viel reden muss ich nicht, denn zwei von den vier anderen Gästen sprechen nur französisch, einer etwas Deutsch und einer passables Englisch.
Nach dem Abendessen wird das Museum des Hospitz, im Nachbargebäude gelegen, geöffnet. Auf der Brücke zwischen den beiden Gebäuden mache ich noch eine Aufnahme. Jetzt am Abend hat es sich wieder zugezogen. Hätte ich einen solchen Nebel bei meinem Aufstieg gehabt, hätte ich sicherlich nicht hier her gefunden. Mann hatte ich ein Glück heute.
Das Museum ist mit modernster Präsentationstechnik ausgerüstet. Vieles wird über curved UHD Monitore erläutert. Aber auch konvetionelle Techniken kommen zum Einsatz: ein Foto des Klosters mit aktuellen und historischen Wetterdaten.
Ach und so sieht ein Einzelzimmer aus. Ich dachte ich bekomme eine „Zelle“ statt dessen einen riesigen Raum mit Betten zur Auswahl:
So und zum Schluss noch die „technischen Daten“:
36,36 km – 8 Stunden 41 Minuten – 2.588 m an Höhe gewonnen – 1.009 m an Höhe verloren – max. Höhe (Paßhöhe) 2.484 m – 2.426 kKalorien (das glaube ich nie – gefühlt waren das 10.000 – stimmt natürlich noch weniger) – und jetzt noch die dazu gehörigen Grafik.