Tag 36: 17.06.17

 

Die Sonne scheint so grell, dass selbst die Sonnenbrille meine Augen nicht hinreichend schützt, obwohl ein Dunstschleier über der Landschaft liegt. Ich quäle mich. Nicht etwa weil es mir und meinen Füßen nicht gut ginge. Es ist eine Motivationsfrage. Gerne wäre ich noch etwas im Bett liegen geblieben. Warum ich das nicht einfach mache: je später ich aufstehe, um so mehr werde ich von der Sonne gequält.

Dank meiner elektronischen Geräte komme ich mittels eines kleinen Umwegs nach zehn Kilometern zu einer Bar. Sonst hätte ich die 27 Kilometer bis nach Radicofani ohne Frühstück pilgern müssen. Der Weg ist so schon eine ordentliche Herausforderung. Mein B&B in Castiglione liegt auf knapp 500 m Höhe, von dort muss ich runter auf etwa 300 m Höhe und Radicofani liegt auf über 800 m, die es auf den letzten Kilometern zu überwinden gilt. In der Sonne eine überaus Schweiß treibende Angelegenheit. Vielleicht bin ich, dies wissend, etwas mürrisch.

Nach dem Frühstück stapfe ich dann doch guten Mutes weiter. Ich treffe zunächst zwei ältere Pilger, die aussehen wie Brüder und im Schatten eines Baumes Pause machen. Da sie kein Englisch sprechen, gehe ich ohne zu verweilen weiter. Auf halber Strecke sitzt ein junger Mann am Weges Rand und ruht sich aus. Wir unterhalten uns kurz. Da er den Weg nach Radicofani kennt, warnt er mich vor dem Anstieg und gibt mir den Rat, viel Wasser mitzunehmen. Der ist gut, wo,soll man denn hier bitte weiteres Wasser her bekommen. Ich habe allerdings in der Bar meine beiden Wasserflaschen aufgefüllt. Wie in den vergangenen Tagen halte ich mich an meine persönliche Prozedur. Nach jedem Kilometer trinke ich genau einen Schluck Wasser. Das Wasser behalte ich so lang wie möglich im Mund, um es in kleinen Portionen herunterzuschlucken. Das gibt mir das Gefühl, oft zu trinken und ich komme so locker zwanzig Kilometer weit mit meinen Vorräten. Erst wenn ich genau weiß, dass ich das Wasser nicht mehr rationieren muss, werde ich großzügiger.

Um die Mittagszeit und nach zwanzig Kilometern überfällt mich große Müdigkeit. Ich lege mich unter einen Baum, der hinreichend Schatten wirft und ich schlafe in meiner nun auch schon bestens geübten Position: Po auf die Schuhe, Kopf auf die Innseite des Rucksacks und Beine lang ausgestreckt. Nach einer halben Stunde kommt der junge Pilger vorbei und fragt besorgt, ob es mir gut gehe. Natürlich, ich bin nur müde und Wasser habe ich auch genügend, antworte ich. Er habe auch hinreichend Wasser dabei und hätte es mit mir geteilt. So zieht er weiter und ich mache mich langsam fertig, um den Rest des Berges zu erklimmen. Bevor ich fertig bin, kommen auch noch die beiden grau haarigen Pilger mit ihren langen grauen Bärten vorbei. Die überhole ich schnell. Die beiden sehen so aus, als wären sie völlig fertig. Kurze Zeit später komme ich an einer Wasserquelle vorbei, die als Trinkwasser gekennzeichnet ist. Das ist super, ich wasche meine Gesicht, Haare und Hände, trinke etwas und Fülle meine Flaschen auf. Jetzt geht es mir richtig gut.

Gegen meine Gewohnheiten esse ich etwas in Radicofani und besorge mir noch vorsichtshalber ein Stück Brot und etwas Salami. Ich werde in einem Agriturismo etwa sechs Kilometer weiter im absoluten nichts übernachten. Zwar betreiben die Besitzer eine Käserei, trotzdem war es im Vorfeld nicht einfach abzuklären, dass ich als Pellegrino nicht zurück in Stadt zum Essen gehen werde und daher etwas Käse bei ihnen kaufen möchte. Da ich nicht sicher bin, ob ich verstanden worden bin, stärke ich mich und nehme eben eine Kleinigkeit zu Essen mit.

Wind kommt auf, sogar recht starker Wind. Das macht das Pilgern sehr angenehm und die Sonne fühlt sich weit weniger unangenehm an. So erreiche ich den Bauernhof ohne mich überanstrengt zu fühlen.

Der Bauernhof ist tatsächlich ein Bauernhof. Als ich ankomme, treibt mein Wirt gerade eine große Schafherde in den Stall. Drei Hunde rennen bellend auf mich zu. Ich beleibe stehen, um zu sehen wie die Hunde reagieren. Ich werde von den Dreien, die patschnass sind, beschnüffelt. Nun nass von ihrem Fell darf ich den Hof betreten.

Die Wirtin nimmt mich in Kittelschürze gekleidet in Empfang und bringt mich in ein altes Bauernhaus, in dem sie mehrere Wohnungen eingerichtet haben. Eine davon ist meine: sehr große Wohnküche, großes Schlafzimmer und nachträglich eingebautes kleines Bad.

Auf dem Küchentisch hat sie alles für mein Abendessen hergerichtet: ein Stück Brot, Kirschen, ein Stück Schafskäse, Schafssalami und eine Flasche Rotwein, abgefüllt in eine Saftflasche, alles mit Ausnahme des Brotes aus eigener Produktion, wie sie mir stolz erzählt. Super dann kann nichts mehr schief gehen.

Toller Tag, der so schleppend anlief!

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