Läuft wieder
Heute Morgen erhalte ich von der Mathelehrerin noch etwas Geschichtsunterricht verbunden mit etwas Geographie. Sie fragt mich, ob mir bewusst sei, dass ich mich in Albanien befinde. Ich erkläre ihr, dass ich nach meinem Wissen mich in Kalabrien also Italien befinde. Das sei auch richtig. Aber vor etwa 500 Jahren sind Albaner vor den einfallenden Ottomanen hier in diese Region geflüchtet und haben Städte gegründet, die noch heute Albanisch seien. Ihr Muttersprache sei Albanisch und die Kathedrale des Ortes, die ich unbedingt besichtigen möge, sei Christlich Orthodox.

Das Haus, das mit der Stirnseite zusehen ist, liegt fast ganz oben und ist ca. 500 Jahre alt
Ok, toll, dass die Albaner eine sichere Umgebung gefunden haben. Nach fünfhundert Jahren sollte man sich allerdings etwas besser integriert haben. Ich bekomme noch eine Hausführung und bekomme Möbel, Bücher und Trachten gezeigt und erklärt. Ob das nun Albanisch ist, kann ich nicht beurteilen. Ignorant wie ich bin, habe ich mir noch nie Gedanken über eine eigenständige Albanische Kultur gemacht – zu meiner Entschuldigung am Desinteresse: zu meiner Jugendzeit war Albanien ein unerreichbares Land – und schon gar nicht in Kalabrien.

Die Kathedrale schaue ich mir natürlich an, auch von innen. Gerade wird eine Messe gelesen. Ich verstehe die Sprache des Priesters nicht. Es ist definitiv nicht Latein, Italienisch oder Griechisch. Könnte Albanisch sein. Da ich aber noch nie bewußt jemand habe Albanisch sprechen hören, gibt es auch keine Möglichkeit der Wiedererkennung.
Nun will ich los. Das Wetter ist traumhaft. Auch wenn in den Bergen noch dunkle Wolken hängen. Hier am Rande der Berge, ich bin derzeit auf etwas mehr als 600 Metern Höhe, scheint die Sonne strahlend und es nicht zu warm. Also ideal für einen tollen Wandertag.

ist das nicht eine traumhafte Landsxhaft?
Es geht zunächst Berg ab und anschließend laufe ich weitgehend auf 500 Meter. Da man nicht jeden Landschaftseinschnitt umgehen kann. Muss ich auch gelegentlich deutlich nach unten, was natürlich bedeutet, ich muss wieder rauf.
Nach etwa einer Stunde komme ich an einen Bauernhof mit einer Schafherde vorbei, wo ich von dem Hauptweg abbiegen muss, um ein Tal zu durchqueren. Den Bauern, der draußen steht, frage ich, ob ich tatsächlich dort runter muss. Er bestätigt dies und zeigt mir den Weg und weißt mich auf eine Reihe von Vorsichtsmaßnahmen hin. Von denen ich nur verstehe, dass ich an dem Hang der im Regen abgerutscht ist, nicht queren soll, sondern unterhalb von diesem entlang gehen soll.

Der Weg entpuppt sich als Bach, das wird aber nicht meine größte Herausforderung
Der Weg wird zu einer riesigen Herausforderung. Zunächst ist er teilweise überschwemmt. Dann zugewachsen, so dass es schwierig ist den Weg überhaupt zu finden. Die größte Herausforderung stellt allerdings der abgerutschte Hang dar. Im Nachhinein glaube ich, es wäre am besten gewesen, ihn oben zu queren. Denn unten war der Morast sicher 20 cm oder mehr hoch. Ich bin kaum durch diesen Morast durchgekommen. Ich habe ausgesehen wie ein Schwein. Die Matsche ist mir über und in die Schuhe gelaufen. Meine Hosenbeine bis hoch zum Po waren voll mit Erde.
Kurz bevor ich wieder auf eine Straße komme, gibt es einen Wasserhahn an dem ich mich erstmal wieder einigermaßen sauber mache. Nun sind meine Schuhe und die letzten Strümpfe völlig nass. Ok, so ist das halt. Ich hoffe darauf, dass die Sonne mir hilft zu trocknen. Die Hose versuche ich ebenfalls zu reinigen. Das Ergebnis ist gar nicht schlecht. Später reinige ich mich erneut an einer anderen Wasserstelle.
Die Hose trocknet schnell. Auch die Schuhe werden nach einige Zeit wieder trocken. Die Socken bleiben allerdings nass. Ich bleibe Blasenfrei. Gut so!
Als ich mal wieder den Berg hoch schleppe, der Weg führt durch einen Ort mit dem Namen Saracena, der wie die meisten der Orte hier, auf einem Berg hoch oben aufgebaut wurde, läuft mir der Schweiß durch die Augen auf meine Brille. Nach kurzer Zeit sehe ich fast nichts mehr mehr durch die schmutzige Brille. Also ziehe ich sie aus. Es ist wie zuvor. Mit der Brille sehe ich aufgrund des Schweißes nicht. Vorher musste ich die Kontaktlinsen raus lassen, weil der Schweiß mit der Sonnencreme in den Augen nicht zu ertragen waren. Ergebnis: ich benutze keine Sehhilfe und sehe einfach schlecht. Fazit: es ist am besten man braucht keine Sehhilfe, was nichts anderes heißt, man darf einfach nicht alt werden.
Sorry für diesen blöden Einschub. Zumal ich mein Alter gar nicht bedaure, zumindest solange ich noch fit bin, um hier durch die Berge zu schweifen.

Heute ist mir aufgefallen, dass es einiges an Obst gibt, das am Reifen ist ist bzw. überreif zu finden ist. Es gibt relativ viel Brombeeren. Die sind bei uns bereits durch. Hier wächst wohl eine späte Variante. Die Beeren sind sehr süß und kompakter als bei uns. Auch schwarzen Weintrauben hängen noch gelegentlich an den Reben. Die meisten sind allerdings verschrumpelt. Aber die, die man noch essen kann, sind extrem süß. Die Lese ist durch und ich konnte bis jetzt nicht herausfinden, ob die Trauben noch bewußt hängen oder vergessen wurden. Aber sie sind traumhaft vom Geschmack. Dann bin ich heute an einem Baum vorbei gekommen, an dem Früchte hingen, die aussahen wie Mirabellen. Ich habe eine gepflückt, dazu musste ich auf ein Naturmäurchen klettern, von dem ich fast abgestürzt wäre, weil die Mauer unter mir zerbröckelte. Die Mirabelle schmeckt aber eher wie ein Physalis und hat auch deren Textur. Ich bin mir da aber alles andere als sicher. Dann habe ich noch eine Apfelsine aufgehoben, die durch den Regen und den Wind vom Baum gefallen war. Apfelsinenbäume gibt es hier zuhauf. Mir ist auch klar, dass die hier wohl nicht vor März reif sind. Aber die Frucht lag halt schön orange da. Also versuche ich, sie zu essen. Das wird zu einer großen Herausforderung. Die Schale ist so fest, dass ich sie nicht mit meinen Fingern aufbrechen kann. Also beiße ich die Schale auf. Das Fruchtfleisch ist exorbitant sauer. Aber durchaus genießbar. Ich esse die Apfelsine komplett auf.

Oliven sind zwar kein Obst, aber mich beeindrucken die uralten Bäume immer wieder

Murano Calabro liegt auf etwa 600 Meter Höhe (der Fuß des Berges) und zieht sich hoch bis auf fast 700 Meter
Dann komme ich meinem Ziel näher: Murano Calabro. Auch dieser Ort liegt auf einem Berg und ist sehr dicht bebaut. Ganz oben dröhnt eine Kathedrale und eine Burg. Ich habe heute ein Hotel mit Restaurant gebucht, um mir etwas Komfort zu gönnen. Diese liegt mitten in der Stadt an den Berg geklebt. Es ist von außen ausgesprochen schön. Auch innen ist es toll. Man sieht ihm sein Alter an. Innen wird der Berg mir seinen Felsen und dem Wasser, das herunterläuft, zur Schau gestellt. In den Zimmern gibt es Kommunikationstools, die aus einer andern Zeit stammen.

Telefone wie auf dem Amt in den 60er Jahren des vorherigen Jahrhunderts
Nach der obligatorischen Wäsche kümmere ich mich erstmal um die Planung der nächsten Tage und buche mal für Morgen und Übermorgen Zimmer. Mein Weg orientiert sich eh nach den Übernachtsungsmöglichkeiten. Bis kommenden Donnerstag habe ich soweit meine Planung stehen. Danach bin ich mir noch nicht sicher. Es gibt letztlich drei mögliche Routen, bei denen ich vermutlich immer ein N&B finden kann. Sie sind unterschiedlich lang und gehen mal mehr und mal weniger durch die zahlreichen Bergzüge in dieser Region. Spätesten Übermorgen muss ich eine Entscheidung treffen.
Um acht gehe ich zum Essen: sensationell. Dem Hotel gehört auch ein Bauernhof u. a. mit über 100 Olivenbäumen, Weinbergen und Schweinezucht (schwarze Schweine). Im Restaurant wird nur Essen angeboten, das aus Komponenten der eigenen Herstellung stammen. Ich esse eine Pasta mit selbst gerollten Nudeln und einer scharfen Wurst. Danach bekomme ich Schweinelende vom schwarzen Schwein mit Bratkartoffeln und einer super süßen roten Paprika. Anschließend bekomme ich noch ein Eis mit Früchten, ebenso selbst hergestellt. Dazu bekomme ich einen roten Wein aus einer zweitausend Jahre alten Traube, die die Griechen hier her gebracht haben. Heute habe ich sehr lecker gespeist. Damit ich das eigene Olivenöl hinreichend probieren konnte, bekomme ich ein ähnliches Brot wie ich es aus Sardinien kenne, allerdings deutlich dicker aber genauso hart und knusprig. Sehr zufrieden gehe ich heute ins Bett.