Heute müssen Bilder sprechen. Ich habe mal wieder feststellen können, wozu Menschen alles in der Lage sind und dass unsere Vorfahren keineswegs weniger kulturbewußt gewesen sein können als wir. Im Gegenteil sie haben viel mehr an erhaltenswerten Kunstgegenständen, zumindest was Bauwerke angeht, geschaffen als wir. Trotz unseres Wohlstandes müssen öffentliche Gebäude heute meist nur ein Kriterium erfüllen: billig. Schaffen es mal Bauwerke wie die Elbphilharmonie durch die Genehmigungsprozesse, dann werden oft nur die Kosten diskutiert, statt stolz zu sein. In Leimen wurde zum Beispiel ein neues Rathaus gebaut, das so billig aussieht, dass ich mich dafür schäme und die öffentliche Diskussion um die Gestaltung des Platzes zwischen altem und neuem Rathaus ist ebenso beschämend. Die Entscheidungsträger sollten mal als Pilger durch die Toskana wandern, um sich mit Demut anschließend der Stadtgestaltung zu widmen. Gleiches gilt natürlich für jede Bürgerbewegung, die nur eines möchte: keine Veränderung. Ohne Veränderung werden wir nichts neues großartiges erschaffen und das sollten wir unbedingt tun. Wir brauchen nicht nur ein neues iPhone oder – Auto am besten jedes Jahr – sondern auch Projekte, an denen unsere Nachfahren ihre Freude haben werden.
So zurück zu meinem heutigen Tag. Etwa vier Kilometer nach dem ich mein hübsches Häuschen auf dem Weingut verlassen habe, erreiche ich Monteriggioni. Eine Stadt mit wehrhaften Mauern, die schon von weitem zu sehen sind. Die Innenstadt ist klein aber hübsch hergerichtet. In der Abtei hole ich mir meinen obligatorischen Stempel und in der Bar auf dem großzügigen Dorfplatz frühstücke ich ausgiebig. Mit der alten Dame, die den Service am Morgen übernommen hat, versuche ich mich zu unterhalten, was aufgrund ihrer undeutlichen Aussprache nicht ganz einfach ist. Ich verstehe, dass Sie stolz darauf ist, noch arbeiten zu können und in diesem Ihrem Heimtort leben zu dürfen. Die alte Dame rührt mich, später kommt ihre Enkelin, die Englisch spricht, und mir erklärt, wie wichtig es ihrer Familie ist, in diesem traditionsreichen, kleinen Ort, seit vielen Generationen die Bar betreiben zu können.
Nach über einer Stunde ziehe ich weiter durch Olivenhaine, Weinberge, Getreidefelder und Wälder. Mit einem guten Händchen haben Menschen die Landschaft gestaltet und Wege angelegt, die eine Freude sind entlang zu pilgern.
Verlassene Burgen, bunte Felder begleiten mich heute. Eine Jahrhunderte alte Eiche steht mitten im Weg, auf die ich am liebsten hoch klettern würde. Sie öffnet mein Herz und ich raste Unter ihren weit ausgebreiteten Ästen. Ich fühle mich in ihrer Gegenwart so wohl, dass ich tief und fest in ihrem Schatten schlafe.
So nun muss ich aber endlich nach Siena. Wie gut ist diese Stadt erhalten. Der sehr große Stadtkern stammt komplett aus dem Mittelalter und ist von einer Großzügigkeit, die mich überwältigt. Warum mussten wir in der Vergangenheit soviel Kriege führen, dass große Teile unseres Erbes zerstört wurden, stellt sich mir automatisch mal wieder die Frage.
Ich tausche mit meiner Vermieterin von heute SMSe aus und wir treffen uns mitten in der Altstadt. Ich habe in einem historischen Haus im obersten Stockwerk ein kleines Apartment auf zwei Ebenen. Die untere Eben ist im Grunde ein dunkles Loch, schön hergerichtet, aber fensterlos. Die obere Ebene ist atemberaubend. Riesige Fenster in alle vier Himmelsrichtungen und Blick auf die Stadt: im Westen der Dom Santa Maria Assunta mit seinem einzigartigen Turm, im Norden die Piazza del Campo mit seinem nicht minder fantastischen Turm, nach Osten die Basilica di Francesco und nach Süden die Dächer der Stadt. Wow, was für ein Ausblick! Ich kann mich gar nicht satt sehen.
Von der Vermieterin erhalte ich tausend Tipps, die ich mir gar nicht alle merken kann. Ich muss schnell Wäsche waschen, duschen und dann raus in die Stadt. Ich kann es gar nicht mehr abwarten.
Zu erst geht es zum Dom: der ist völlig anders als alle anderen Gotteshäuser, die ich bisher in meinem Leben gesehen haben und das gilt für außen wie für innen. Das einzigartige ist die Verwendung von weißem und schwarzem Marmor. Leute, das müsst ihr Euch anschauen!
Dann gehe ich hinunter auf die Piazza del Campo. Den Mut sollte heute jemand haben und einen solchen Platz planen und auch realisieren. Von hier laufe ich weiter zur Basilica di Francesco. Von außen wirkt sie eher unscheinbar, was mich wundert, da aus dem Fenster meines Apartments sie wie ein monströses Bauwerk aussieht. Davor stehend ist sie eher zierlich. Meine Vermieterin war der Meinung, sie ist ein Muss auf meiner Tour durch die Stadt. Und sie hat recht: es handelt sich um eine quasi leere Kirche. Stellt Euch vor, jemand erstellt ein im Prinzip leeres Gebäude! Es sind allerdings unschätzbare Gemälde ausgestellt und die Kirchenfenster – ich suche nach einem neuen Superlativ – sind einfach gigantisch.
Das einzige, was mich in Siena stört, ist die skrupellose Geschäftemacherei. Ein kleines Eis aus der Waffel kostet sage und schreibe 6 Euro 50 Cents: auch das ist atemraubend. Mit den Empfehlungen meiner Wirtin ausgestattet finde ich eine passende Osteria, die mich nicht über den Tisch zieht. Das Essen ist ok. Zum Schluss „muss“ ich mit dem Wirt noch einen Grappa trinken. Ich habe das Gefühl, der Wirt gibt den Gästen gerne einen Grappa aus, um auf diese Weise eine Entschuldigung zu haben, auch einen trinken zu dürfen. So jetzt muss ich schnell zurück und meinen Bericht fertigstellen, andernfalls lähmt mich der Alkohol zu arg.
Da es heute öfter mal bewölkt war, habe ich die 24 Kilometer mit wenig Anstrengungen dafür mit Genuss bewältigt – sechs Kilometer Besichtigungstour kommen noch oben drauf, so dass ich doch wieder 30 Kilometer meinen Füßen auf gebürdet habe.
Morgen freue ich mich auf Fronleichnam. Das ist in Italien zwar kein offizieller Feiertag, trotzdem gibt es nach meiner Erfahrung in vielen Orten beeindruckende Umzüge. Deshalb nehme ich mir vor, bis nach Buonconvento zu pilgern, da mir meine Vermieterin erzählt hat, dass der einzig verbliebene Priester, das Convent ist wohl nicht mehr wirklich am Leben, jedes Jahr einen Umzug organisiert. Sie kennt den Priester und hat angeboten, ihn anzurufen, um meine Ankunft anzukündigen. Ich habe das abgelehnt, weiß natürlich nicht, ob sie ihn nicht trotzdem informiert.