Der perfekte Tag
Ich pilgere knapp 34 Kilometer und ca. 350 Höhenmeter. Es scheint von der ersten bis zur letzten Minute die Sonne. Es ist zum ersten Mal wirklich warm. Das alleine lässt mein Herz aufgehen.

Ich lasse, kurz nach dem ich aus dem Hotel weg bin, die autoreichen Straßen hinter mir. Das ist das nächste Highlight: keine stark befahrenen Straßen sondern Feld- und Forstwege, kleinste Sträßchen von Dorf zu Dorf, keine Gefahren durch Autos.


Lebende Ortschaften, bei denen ich nicht den Eindruck gewinne, es leben nur noch einige wenige Senioren sondern Familien jeglichen Alters in ihnen. Auffällig oft treffe ich heute auf Flüchtlinge, die – so meine Vermutung – als Erntehelfer arbeiten. Mit einem habe ich gesprochen, der als Minderjähriger nach Köln kam, dort zur Schule gegangen ist, danach Deutschland verlassen musste und jetzt bei einem Bauern seinen Lebensunterhalt verdient.

Felder mit Nüssen, Oliven, hier zum ersten Mal mit großflächigem alten Baumbestand, Pflaumen, aber auch gepflügte Felder, Gewächshäuser, Kohl (schmeckt wie Grünkohl, sieht etwas anders aus) und natürlich Wein. Zur Zierde komme ich an riesigen Pinien vorbei. Kastanien wachsen überall wild. Es gibt Wege, auf denen ich aufgrund der Unmengen an Kastanien wie auf einem Teppich laufe. Hier und da wachsen Champignons. Ich freue mich aufs Abendessen, da ich hoffe, Produkte, die hier angebaut werden, später auf meinem Teller zu finden.

In Bars und einem Alimentari, wo ich mir immer mal wieder etwas zu trinken kaufe, werde ich ausnahmslos jedesmal angesprochen: wo komme ich her, was mache ich hier, wie gefällt mir Italien. Mal in rudimentärem Italienisch, mal in Englisch, weil jemand ein rudimentäres Englisch spricht, selten auf Deutsch, antworte ich auf die Fragen und immer wird es nett, weil die Leute toll finden, dass ein Deutscher durch ihr Land wandert und es dabei bewundert. Einmal hält auf einer sehr schmalen Straße, die für Gegenverkehr nicht gedacht ist an: eIn Italiener mit seiner Frau an, die lange in der Schweiz gelebt haben, und jetzt wieder in ihrer alten Heimat wohnen. Er macht das Fenster runter und fragt ohne Umschweife, ob ich Deutsch spreche. Ein entgegenkommendes Auto muss warten, bis er mir erzählt hat, warum er Deutsch spricht und sich immer erfreut, wenn er auf Deutsch sprechende Leute trifft. Geduldig wartet der andere Fahrer. Als ich weiter wandern darf, spricht der Schweiz-Italiener erstmal mit dem andern Fahrer. Diese Unaufgeregtheit und die Freude zu kommunizieren, bewegt mich ein wenig.

Bevor ich mich mit meinem Vermieter treffe, schaue ich mir den Duomo des 20.000 Seelen Ortes an. Von außen recht unspektakulär. Ein Baustil, den ich schon oft in Italien gesehen habe. Innen ist er überwältigend schön. Nicht überladen dennoch ein mit sehr viel Kunstobjekten bzw. künstlerischer Gestaltung ausstaffiertes Gotteshaus.

Zum Abendessen wähle ich das am nächsten gelegene Restaurant aus. Die in Google Maps einsehbare Speisekarte zeigt Gerichte, die mir munden könnten. Zunächst laufe ich vorbei, weil es sich außen als Alimentari ausgibt. Dennoch gehe ich rein. Ich kann ja mal fragen. Weiter hinten in den Räumlichkeiten gibt es einige gemütlich aussehende Tische. Ich frage, ob ich etwas zu essen bekomme. Das wird bejaht und ich darf mir einen Platz aussuchen. Sofort werde ich interviewt – natürlich in Italienisch. Danach kann ich zwischen zwei Rotweinen aussuchen. Ich nehme den, der mir nach meinem Empfinden empfohlen wird. Als meine Wahl gustiert wird und ich mit dem Wirt, der auch ein Gläschen trinkt, angestoßen habe, darf ich das Essen wählen. Eine Karte gibt es nicht. So bekomme ich Vorspeisen und Pasta aufgezählt. Ich entscheide mich mich für eine mit Käse, Mortadella, Ei und Zwiebeln überbackene Kartoffel. Darauf ist der Wirt besonders stolz und ich bekomme einen Vortrag, dass er nur serviert, was in der direkten Umgebung angebaut wird. Wieder darf ich wählen, diesmal welches Olivenöl, beide aus Oliven von den hiesigen Hängen, ich über den Kartoffeln haben möchte. Ich scheine, das richtige gewählt zu haben, denn er lobt die Wahl und erzählt mir etwas zum Olivenöl, das ich nun wirklich nicht verstehe. Danach bekomme ich eine Pasta aus frischen und selbstverständlich selbst gemachten Nudeln mit Porcini und Trüffel. Die Trüffel wachsen angeblich auch auf den Hängen unter den Nußbäumen, wie mir versichert wird. Die Porcini sind selbstverständlich heute von einem Freund vom Wirt gesammelt worden. Alles schmeckt super. Meine Erwartungshaltung vom Mittag wird übertroffen. Ich kann mich daran ergötzen, dass es mir schmeckt, aber auch, dass der Wirt sich freut, einem Fremden, sein Land und sein Esskulturnäher zu bringen. Immer wieder setzt er sich zu mir, um sicherzustellen, dass es mir gut geht. Ein großartiger Abschluss eines fantastischen Tages.