Tag 7: 13.03.2023 —> Lykischer Weg: Römer 

Honig spielt im Türkischen Frühstück eine große Rolle. Er wird beim Buffet in großen Schüsseln mit Schöpflöffeln angeboten. Damit ist es für mich schwierig den Honig so zu portionieren, dass ich ein oder zwei Brote bestreichen kann. Ich dachte immer ich esse viel Honig. Ich muss meine Meinung revidieren, es gibt Verbraucher mit deutlich höherem Honig Konsum. Entsprechend sind Bienenstöcke entlang meines Weges überall zu sehen.


Bienenstöcke säumen meinen Weg

Wenn ich schon beim Essen bin, so muss ich noch vom Abendessen gestern berichten. Ich verbringe die Nacht in einem Hotel ohne Restaurant. Allerdings hat man mich schon beim einchecken gefragt, ob ich mit der Familie essen möchte, da sie wie immer Sonntags ein Barbecue machen. Ich habe natürlich nachgefragt, ob ich nicht störe. Das wurde, gastfreundlich wie hier die Menschen sind, natürlich verneint. Also sage ich zu. Es wurde ein sehr netter Abend und ich bin mit Unmengen an Essen verwöhnt worden. Die Kommunikation war unproblematisch, da jeder, der im weitesten Sinne in der Tourismus Branche arbeitet, Englisch kann und das ist somit fast jeder.

 
Das Stadttor von Patara stammt laut den Inschriften vom Römischen Statthalter aus der Kaiserzeit

Der heutige Tag ist geprägt von der Besichtigung Pataras. In der Antike eine Hafenstadt vermutlich gegründet im siebten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung und Teil der Lykischen Völkergemeinschaft. Heute liegt Patara nicht mehr am Meer. Der antike Xanthos bzw. der heutige Eşen Çayı hat so viel Sand angespült, dass der Hafen völlig versandet ist und gefühlt ein Kilometer im Landesinneren liegt. Der Leuchtturm, der durch Neros Statthalter gebaut wurde und gerade wieder restauriert wird: heißt er wird wieder errichtet, steht mitten im Flussdelta.

 
Hafenstraße: heute endet sie im Sand und nicht mehr am Meer

 
Stammt das Schiff aus der Antike? Leider kann ich das nicht herausfinden 

Von den Ausgrabungen in Patara bin ich beeindruckt. Die Türkischen Archäologen beuteln nicht nur die Gebäude aus, sondern errichtet sie wieder. Das Tor zur Stadt mit seinen drei Bögen ist ein solches Beispiel. Die Inschriften deuten daraufhin, dass dieses Stadttor von den Römern in der Kaiserzeit errichtet wurde. Es wird vermutet, dass nur die Inschrift in dieser Zeit angebracht wurde, das Stadttor aber deutlich älter ist.

 
Die Versammlungshalle des Lykischen Völkerbundes im Stil eines Amphitheaters bzw. des Römischen Senats (oben im Inneren des Gebäudes, unten Ansicht des Bauwerks von der Hafenstraße)

Das dominierende Bauwerk ist die Birligi – die Versammlungsstätte des Lykischen Völker Bundes. Als ich eintreten bin ich überwältigt. Ich kann geradezu fühlen, wie hier diskutiert, verhandelt und entschieden wurde. Das Innere gleicht einem kleinen Amphitheater mit Bühne für den Redner und Sitzplätzen für das „Parlament“. In der Mitte der Sitzplätze – mittig sowohl hinsichtlich des Halbrundes als auch hinsichtlich der Höhe – gibt es einen Ehrenplatz. De Res Publica, vom Volk gewählte Senatoren ringen zum Wohle des Volkes um die beste Entscheidung. So habe ich mir das immer vorgestellt. Untergegangen ist diese „Kultur“ trotzdem. Ich hoffe immer, dass diese Kultur mit ihren Werten in uns weiter existiert; auch wenn ich nicht verleugnen kann, dass diese Werte aus einer solchen Kultur, von Autokraten und Diktatoren über Jahrtausende bekämpft und unter Druck gesetzt wurden / werden. Wenn heute von dem WESTEN als ein Macht- und Wertesystem gesprochen wird, dann sollten wir uns immer wieder bewußt machen, dass in Kleinasien, Griechenland und Rom die Wurzeln dieses Wertesystems liegen.

 
Blick von oben auf das Gesamtensemble: im Vordergrund das Theater

Zurück zu meinem Weg. Nach Patara mache ich mich auf den Weg nach Kalkan einem sehr touristischen Ort. Der Ort wirkt ausgestorben zu dieser Jahreszeit. Es gibt ein gravierendes Missverhältnis bezüglich der verfügbaren Wohnflächen und den Einwohnern. Der Weg nach Kalkan ist schwierig und geprägt von Kletterei: wenige Kilometer viel Zeit. Eine Weile wandere ich mal neben mal auf einer riesigen Mauer, die an manchen Stellen an die Chinesische Mauer erinnert. Ich kann nicht herausfinden, was es mit dieser Mauer auf sich hat. Sie wirkt nicht unbedingt antik aber definitiv auch nicht aus neueren Zeit. Auch die Funktion erschließt sich mir nicht.

 
Chinesische Mauer in Lycia 

Hotels gibt es in Kalkan mehr als potenzielle Gäste. Ich suche mir ein Hotel aus, das auf dem Weg liegt und nett aussieht. Das Hotel wird von einem Jungen gemanagt, dessen Vater gerade in Deutschland ist. Der Junge als auch der Vater aus der Ferne sind extrem hilfsbereit. Denn ich muss mir helfen lassen, da ich aufgrund häuslicher und dringender Problemstellungen meinen Weg unterbrechen und auf den Rückweg machen muss.

Tag 6: 12.03.2023 —> Lykischer Weg: Zeus der Schwerenöter

Zeus verführt Leto oder war es umgekehrt? Wer weiß das schon? Fakt ist, die beiden zeugen die Zwillinge Artemis und Apollon. Sicher ist auch: Hera ist not amused. Aber statt Zeus die rote Karte zu zeigen, ist sie mächtig eifersüchtig auf Leto und die ungeborenen Götter. Hera hat schlicht Angst, dass ihre eigenen Kinder an Bedeutung und Macht verlieren. Leto flieht und versteckt sich in Lycia. Die Zwillinge bringt sie in Letoon, im Flussdelta des antiken Xanthos gelegen, zur Welt.


Erste Nebenflüsse des riesigen Flussdeltas


Zum Teil auf schön angelegten Wegen, so,dass man die Gewächshäuser nicht gleich sieht

Leto und ihre beiden Kinder werden von den Lyciern verehrt und im Gegenzug werden die Drei deren Schutzpatrone. Letoon wird zu einem Heiligtum mit einem Orakel, das in Bezug auf den Wahrheitsgehalt es mit Delphi aufnehmen kann. Das Theater ist ganz gut erhalten. Die drei Tempel für Leto, Artemis und Apollon sind für mich als Laien nur mittels der Beschilderung zu erkennen.


Letoon Heiligtum

Von Letoon laufe ich Flussaufwärts; vom Fluss ist nur bei der Überquerung etwas zu sehen. Das komplette Tal ist mit Gewächshäusern zu gepflastert. Es werden Tomaten und Gurken angebaut. Man sieht nur Gewächserhäuser mal in einem bessern mal in einem schlechteren Zustand.


Nekropole von Xanthos: hier das Innere einer Gruft


Nekropole von Xanthos: hier ein Säulengrab

Etwas höher gelegen komme ich nach Xanthos, der antiken Hauptstadt des Völkerbundes Lycia. Xanthos wurde unter anderem berühmt, weil nach Herodot, die komplette Bevölkerung Selbstmord beging als die Stadt von den Persern im vierten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung erobert wurde. Wissenschaftler bezweifeln allerdings dieser Darstellung. Xanthos existierte auch nach der Niederlage weiter und fiel unter Griechische Herrschaft.


Blick auf das Theater und die Akropolis, die bisher nicht wieder hergestellt ist – im Hintergrund das Tal mit Gewächshäusern 


Zugang zum Theater

Die Ausgrabungen haben eine Nekropole mit unterschiedlichen Grabstättentypologien zu Tage gefördert, ein Theater und eine großflächige Akropolis. Nach meiner Einschätzung sind die Grabungen ein keinem guten Zustand.


Gewächshäuser dicht an dicht gedrängt mit Tomaten und Gurken in der gesamten Flussmündung

Von Xanthos wandere ich durch den Gewächshausdschungel weiter zur antiken Hafenstadt Patara. Hier übernachte itching werde mir diese Stadt morgen anschauen. Hier sollen die Restaurierung weit besser sein als in Xanthos.

Tag 5: 11.03.2023 —> Lykischer Weg: Zelten wird nicht mein Herz erobern!

Trotz einer hervorragenden Luftmatratze und einem sehr guten Schlafsack schlafe ich diese Nacht nicht besonders gut. Ich bin todmüde aber tiefer erholsamer Schlaf will sich nicht einstellen. Der Strand wird vom Mond den größten Teil der Nacht hell erleuchtet. Das Zelt ist transparent und ich habe das Gefühl, der Mond schaut mich lächelnd an. Er sagt zwar nicht, warum er mich immer wieder aus dem Schlaf holt, dass er etwas auf dem Herzen hat, geht mir durch den Kopf. Er will, dass ich selbst drauf komme, nur kann ich das Rätsel nicht lösen. Erst gegen fünf Uhr wird es dunkel und ich falle in einen tiefen Schlaf. Der Wecker holt mich um 07:30 Uhr aus einer Tiefschlafphase, so dass ich geraume Zeit brauche, bis ich den Tag tatsächlich beginnen kann.

Nachdem ich in die Gänge gekommen bin, muss ich zunächst einmal 500 Meter den Berg rauf. Wie gestern über kleinste Pfade mit Kletterpartien und nicht erkennbaren Wegen. Nur die enge Wegmarkierung verhindert, dass ich mich verlaufe.

Mit der unglaublichen Geschwindigkeit von deutlich weniger als zwei Kilometer in der Stunde schnaufe ich den Berg hoch. Oben: eine Almlandschaft mit Reisfeldern und der Ankündigung in 150 Meter gibt es eine Bar. Ich freue mich wie Bolle. Denkste – zu!


Bäume mit roten Stämmen habe ich noch nie (bewußt) gesehen

Zu meinem Zwischenziel muss ich über schöne Wege – mit viel Grün und interessanten Bäumen, die Stämme sind ganz rot, noch etwa vier Kilometer laufen. Ich bin völlig erschöpft vom Aufstieg und dem schlechten Schlaf. Zitternd am ganzen Körper, keine vernünftige Blutzirkulation in den Fingern, fröstelnd erreiche ein kleines Dorf und hier gibt es ein kleine, primitive Bar die eine Mutter mit ihrer etwa zehnjährigen Tochter managt. Die Mutter kocht, die Tochter macht den Service; wahrscheinlich auch deshalb, weil die Tochter sich in Englisch artikulieren.

Ich brauche zuckerhaltige Getränke. Zwei Dosen Fanta und fünf Tees erwecken mich aus meiner Starre. Langsam hört das Zittern auf, ich bekomme allmählich wieder Gefühl in meine verschrumpelten Fingerspitzen und auch ein Wärmegefühl durch strömt mich.

Ein weiterer Wanderer wird in die Bar gelockt. Ein Franzose, der ebenfalls den Lykischen Weg geht. Er ist mit einer dünnen kurzen Hose bekleidet. Mich friert gleich wieder, als ich ihn sehe. Er ist ganz erpicht darauf, mit mir weiter zu gehen.

Also laufen wir gemeinsam los. Nach wenigen Kilometern als wieder steil bergauf geht, lasse ich ihn ziehen: der läuft mir zu schnell. Ohne sich zu verabschieden aber mit dem Wissen, wo ich heute übernachten werde zischt er los.

Auf dem nächsten Hochplateau gehe ich davon aus, es mehr oder weniger geschafft zu haben. Denn jetzt muss nur noch 600 Meter runter und es sind keine fünf Kilometer mehr. Nach kurzer Zeit hört der breite und angenehm zu laufende Weg auf und geht wieder in einen steil abfallenden oft völlig zu gewucherten Pfad über. Es wird rutschig da am Nachmittag dicke dunkle Wolken mit viel Feuchtigkeit den Berg umhüllen. Jetzt gilt es höllisch aufzupassen, dass man in der Nebelsuppe, den Weg bzw. die Markierung nicht aus dem Auge verliert und mindestens genauso wichtig auf dem Geröll oder den riesigen oft mehr als 60 Grad geneigten Felsplatten stürzt.


Wo ist der Weg?


Der Pfad ist dicht bewachsen

Der Abstieg zieht sich und zieht sich dadurch ewig hin. Dann treffe ich auf Wegweiser zu meinem Hotel für heute Nacht. Es sind zwar immer noch zwei Kilometer zu gehen, aber ab dem Schild wird es wieder flacher und ich kann ordentlich ausschreiten.

Im Hotel angekommen werde ich nicht nur vom Wirt sondern auch von „meinem“ Franzosen – Pierre – empfangen. 19:30 Uhr ist Abendessen angesagt. Kaum Zeit meine Wäsche zu waschen und mich wieder menschlich herzurichten. Kurz nach halb acht, ich bin noch nicht ganz fertig, werde ich schon gerufen: das Essen steht auf dem Tisch. In der Wohnküche des Wirtes wird gegessen. Der Wirt, der perfekt Englisch spricht und viele Jahre in Holland gearbeitet hat, setzt sich zu uns und wir unterhalten uns prächtig.

Zum Abschluss wird noch vereinbart, wann es Frühstück gibt. Pierre will schon um 07:00 Uhr los. Definitiv zu früh für mich. Unsere Ziele für Morgen sind auch völlig unterschiedlich, so verabschiede ich mich von ihm und wir wünschen uns eine gute Reise.

Tag 3: 09.03.2023 —> Lykischer Weg: Kayaköy/Levissi

Mein linker Fuß schmerzt. Ich glaube, es ist wieder die Sehne von der zweiten Zehe zum Knöchel – wie schon das eine oder andere mal in der Vergangenheit. Grund war immer ein zu schwerer Rucksack. Also muss ich an mein Proviant ran, der fast 1,5 kg ausmacht. Auch wenn es mir schwer fällt, nicht auf mehrere Übernachtungen ohne Einkaufsmöglichkeiten und Restaurants vorbereitet zu sein, der Rucksack muss leichter werden. Schweren Herzens trenne ich mich von meiner Wurst, Nüssen und einem Teil der Fertignudeln: ein Kilogramm macht das zusammen. Den Gewichtsunterschied merke ich beim Anheben des Rucksacks nicht. Ich weiß aber aus Erfahrung, dass meine Füße es spüren und mir dankbar sein werden.

Da ich in der Mitte von Fethiye übernachtet habe, muss ich noch etwa fünf Kilometer bis an das südöstliche Ende der Stadt auf Straßen laufen. Um meinen linken Fuß etwas zu entlasten, gehe ich auf der rechten Straßenseite. Da Straßen meist etwas zum Straßenrand hin abfallen, steht das linke Bein etwas höher und damit knickt der linke Fuß etwas ab, was ihn entlastet. Am Ende von Fethiye stoße ich dann schließlich auf den offiziellen Beginn des Lykischen Wegs.


Blick zurück auf Fethiye

Jetzt geht es gefühlt querfeldein steil den Berg rauf. Der Weg ist mit rot weißen Zeichen markiert. Ich muss sehr aufpassen, nicht vom Weg abzukommen, da man spärlich mit den Markierungen umgegangen ist. Nach einer halben Stunde klettern, geht der Pfad in eine „Straße“ über. Später am Tag frage ich in einem Restaurant, wo ich eine Kleinigkeit zu Mittag esse, das Personal, was es mit dieser „Straße“ auf sich hat, die sich so weitläufig durch die Berge zieht. Sie ist gepflastert, wie ich dies von Römerstraßen kenne. Sie ist gut erhalten, was dafür spräche, dass sie neuer ist – definitiv vor der Autoära; mit einem Auto kann man sie nicht befahren. In niedrigeren Bereichen ist sie von Oleanderbüschen, die leider noch nicht blühen, gesäumt. Weder das Personal des Restaurants noch die anderen Gäste können mir Auskunft geben. Die Einen kennen sie gar nicht, für die Anderen ist sie schon immer da.


Römerstraße?

Ich stelle die Hypothese auf, weil mir das gefallen würde, dass es sich um eine Römerstraße handelt, die zur Zeit Konstantin des Großen von Byzans nach Efesus und weiter nach Antiochia am Orantes gebaut wurde, um die bedeutendsten Städte des Oströmischen Reiches zu verbinden, wobei ich gar nicht weiß, ob Antiochia zum Oströmischen Reich gehört hat. Genauso wenig kann ich einen Beitrag zur Verifizierung meiner Hypothese leisten – leider. Ich habe allerdings noch einen Schlaumeisen-Beitrag: das Oströmische Reich war das erste Land in der das Christentum Staatsreligion war, weshalb man in Kleinasien auf viele Christliche Spuren stößt.


Antike Grabstelle

Zu Mittag habe ich in Kayaköy gegessen. Ein kleiner unbedeutender Ort. In gewisser Weise ist aber bekannt. Im 18. Jahrhundert haben dort Griechen auf den Ruinen des antiken Ortes Carmylessus eine Stadt mit dem Namen Levissi errichtet. Die Stadt hat um die 3.000 Häuser, zwei Kirchen und eine Kapelle hoch oben auf dem Berg mit Blick aufs Meer, um auf Angriffe vom Meer aus gewappnet zu sein, und ins Tal, so dass man ein anrückendes Heer frühzeitig sehen konnte. Die Stadt wurde vor genau ein hundert Jahren verlassen und die Gebäude verfallen allmählich vor sich hin. In die beiden Kirchen darf man entsprechend aus Sicherheitsgründen nicht mehr rein.


Blick von Westen von der Kapelle auf Levissi

Warum wurde die Stadt verlassen? 1922/1923 wurden die Griechisch Orthodoxen Christen aus der Stadt vertrieben. Basis für die Vertreibung war der Vertrag von Lausanne, der nach dem Griechisch-Türkischen Krieg den Frieden besiegelte.


Low Church (Baustil ist identisch mit der High Church – soweit man das von der Ferne beurteilen kann)

Ich frage mich, warum die türkischen Bewohner des Ortes die vorhandenen Häuser nicht übernommen haben, da die Bausubstanz eine hohe Qualität vermittelt, was man bei den Häusern im Tal nicht uneingeschränkt behaupten kann. Neben der Qualität ist die Hanglage des alten Levissi viel attraktiver.


Blick von Osten auf die High Church

Ich nehme mir fast zwei Stunden Zeit, die Hauptstraßen abzulaufen und mir alles ausführlich anzuschauen. Dabei komme ich ganz schön ins Schwitzen. Aus dem Tal, wo sich die ersten Häuser und die Low Church befinden, bis hoch zur Kapelle sind es sicher 120 bis 150 Höhenmeter. Von der Kapelle gehe ich wieder runter auf etwa halbe Höhe, wo die High Church liegt. Die einzigen Bewohner sind Landschildkröten, die die Ruinen zu ihrem Zuhause gemacht haben.


Die neuen Bewohner von Levissi

Danach mache ich mich auf den Weg. Von Kayaköy / Levissi an ist der Lykische Weg trotz kleinster Trampelpfade bestens markiert. Mein linker Fuß scheint sich erholt zu haben; ich verspüre keine Schmerzen. Hoffentlich bleibt das so. Gut gelaunt komme ich nach Ölüdeniz – Beach, wo ich mir ein Hotelzimmer gebucht habe. Der Ort liegt direkt am Wasser und mein Hotel etwas erhaben am Berg mit Blick auf das Meer. Heute mache ich es mir einfach und esse im Restaurant, das zum Hotel gehört.


Vom Balkon meines Hotelzimmers auf die See

Tag 2: 08.03.2023 —> Lykischer Weg: Fethiye

Meine ersten Erkenntnisse nach zwei Wandertagen:

  • Wege auf einer Karte müssen in der Wirklichkeit nicht unbedingt existieren – selbst Wegweiser können irren. Meine Vermutung: Wege werden gezielt und somit „illegal“ durch Zäune und Buschwerk geschlossen, um diese Wege dem Privatbesitz einzuverleiben. Teilweise sind Pfade aber auch einfach zugewuchert, weil sie nicht benutzt werden. In Summe hat mir das heute etwa drei Kilometer und 200 Höhenmeter zusätzlich eingebracht. Das klingt nicht viel, allerdings sind diese Kilometer und Höhenmeter mit besonders viel Schweiß und Zeit verbunden – am Schlimmsten sind die Dornenbüsche, die immer einen Weg durch die Kleidung finden und sich in Hände und Arme bohren, abbrechen und Splitter hinterlassen, die später wieder rausgepopelt werden müssen. Von Insektenstichen bin ich ebenfalls nicht verschont worden, die ich versuche zu ignorieren, obwohl manche tüchtig jucken.


    Wege nicht nur für Wanderer sondern auch für Mountainbiker
  • Die Wege sind wunderschön und oft so angelegt, dass sie auch von Mountainbikern genutzt werden können. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass vor Kurzem viele Wege extra für Mountainbiker ausgebaut und verbreitert wurden. Sie haben ihre eigenen Wegweiser, die einzigen Wegweiser im übrigen, die ich bisher gesehen habe. Scheinbar will man dadurch seine Attraktivität für Touristen erhöhen. Selten muss ich an einer Straße entlang gehen, außer in den Ortschaften durch die ich immer wieder komme. Ich habe weder gestern noch heute jemanden in den Wäldern getroffen. Nur eine Mountainbikerin kam mir mal entgegen. Es ist so einsam in den Wäldern wie letztes Jahr in Griechenland.



    Das Landschaftsbild von Meer, Berge, Wälder und Inseln ist traumhaft


    Blick aufs Meer von einer Strandbar
  • In den Städten herrscht Trubel. Die Lokale sind gut besucht, eben ganz anders als im Norden Griechenlands. Auf einem Campingplatz, von denen es hier sehr viele gibt, mache ich in einer Strandbar eine ausgiebige Pause und genieße den Blick über den Strand aufs Meer. Die Kombination von Bergen, Wäldern, Stränden und dem Festland vorgelagerten Inseln machen die Gegend zu etwas ganz besonderem.


    An diesem Strand steht Wohnmobil an Wohnmobil und siehe sehen alle nicht so aus, als wären sie vor Kurzem bewegt worden

  • Bisher bin ich mit Englisch gut durchgekommen. Die meisten, mit denen ich Kontakt hatte, haben zumindest rudimentär Englisch gesprochen. Um mich herum wird aber gefühlt mehr Russisch als Türkisch gesprochen.

Heute bin ich nach gut 32 Kilometern und 700 Höhenmetern in Fethiye angekommen. Ab etwa 10:30 Uhr hat die Sonne es geschafft, die dunklen Wolken zu vertreiben und es wurde gleich angenehm warm. Mit dem Sonnenuntergang kommt die Kälte sofort zurück. Auch wenn Viele draußen in dicken Jacken essen, ist mir das definitiv zu kalt.


Fethiye liegt tief in einer Bucht mit großem öffentlichen Strand

Ich habe in beiden Beinen einen mächtigen Muskelkater und laufe etwas steif durch die Stadt, auf der Suche nach einem netten Restaurant. Gottseidank finde ich schon nach ca. 300 Metern ein Lokal, das mir zusagt und verspricht, nicht nur Fastfood anzubieten.

Mit der Überquerung des Murtbeli Deresi, dem antiken Fluss Indus (siehe die Karte von gestern), habe ich die antike Grenze zwischen Caria und Lycia überschritten. In Fethiye fängt konsequenter Weise der offizielle Lykische Weg an, der kurz vor Antalya endet. In den nächsten Tagen werde ich immer mal wieder etwas geschichtliches in mein Tagebuch einfließen lassen.

Tag 1: 07.03.2023 —> Lykischer Weg: Göcek

Ich habe mich unter meine Bettdecke verkrochen. Das Hotelzimmer ist eiskalt, obwohl ich bereits seit mehr als einer Stunde die Klimaanlage auf 30 Grad stehen habe. Auf der Weide direkt vor meinem Fenster sehe ich, eine Herde Schafe grasen. Denen scheint die Kälte nichts auszumachen. Die Temperaturen sind tatsächlich so niedrig, wie es der Wetterbericht vorhergesagt hat. Dazu kommt immer mal wieder ein kalter Nieselregen, der mein Wohlbefinden nicht steigert.

Ich kann mir gut vorstellen, dass Ihr eine Reihe Fragen habt:

(1) Wo ich bin? In Inlice bei Göcek. Göcek an der Türkischen Ägäis kennen viele Segler. Göcek hat eine groß gut geschützt liegende Marina und ein tolles Segelrevier mit vielen Buchten und vorgelagerten kleinen Inseln. Eine sensationell schöne Landschaft. Derzeit bereitet man sich auf die kommende Saison vor. Viele Boote liegen in der an die Mariana angeschlossenen Werft. Trotzdem sind schon fast alle Liegeplätze belegt. Trotz der niedrigen Temperaturen reifen die Zitronen, Mandarinen und Orangen.

(2) Wie bin ich dorthin gekommen?

Ich bin gestern von Frankfurt mit Zwischenlandung in Istanbul nach Dalaman (Marmaris) geflogen. Durch den Stopp in Istanbul und die Zeitverschiebung von zwei Stunden habe ich erst am Abend Dalaman erreicht, wo ich in einem einfachen Hotel übernachtet habe und dessen Zimmer gefühlt kälter waren als draußen. Ich brauchte eine Extradecke für ein warmes Bett. Heute Morgen bin ich von Dalaman über den Götcek-Pass nach Göcek und weiter nach Inlice gelaufen, das auf halben Weg nach Fethiye.



(3) Was mache ich hier?

Mein Ziel ist die Erkundung – wie auch in der Vergangenheit bei meinen Touren – unserer kulturellen Wurzeln diesmal in Kleinasien auf Schusters Rappen: Caria, Lycia und Pisidia —> die Schlachtfelder der Perser und Griechen und dem damit verbunden Untergang lokaler Kulturen, die Christianisierung Kleinasiens, das Erwachen des Osmanischen Reichs und die moderne Türkei. Wo anders kann man besser das Erblühen und den unvermeidbaren Rückzug von Kulturen und damit die Bedeutung von Wandel „studieren“? Ich werde in den nächsten drei bis vier Wochen auf dem Lykischen und dem Paulus Weg von Dalaman über Antalya nach Isparta wandern. Etwa 750 Kilometer und knapp 25.000 Höhenmeter liegen vor mir.

 (Karte aus dem Putzger Atlas)

Zum Abendessen muss ich zurück nach Götcek, da die Restaurants fußläufig zum Hotel geschlossen sind. Also fahre ich mit dem Taxi nach Götcek und nutze die Gelegenheit etwas zum Frühstücken für Morgen einzukaufen, da mein Hotel kein Frühstück anbietet.