Pizza hat mich noch nie so „angemacht“
Der heutige Tag ist schnell erzählt: es hat in der Nacht heftig geregnet und dunkle Wolken hängen um halb neun, als ich aufbreche, an den Bergen fest. Mit 16 Grad ist es bereits sehr warm. Es weht Wind, der noch immer Tropfen mit sich führt. Ich laufe trotzdem nur mit einem T-Shirt bekleidet los.
Die Landschaft ist hügelig bis leicht bergig. So wie bei uns in den Mittelgebirgen. Wiesenwege meide ich nach Kurzem, da sie nass und matschig sind. Der Regen der letzten beiden Wochen hat für ein frisches Grün gesorgt, trotz des Herbstes und seiner präsenten rot und gelb Töne.

Gäbe es nicht die vielen Olivenbäume, könnte man vom Landschaftsbild glauben, man wäre tatsächlich bei uns in den Mittelgebirgen. Es gibt neben den Olivenbäumen noch zwei weitere Unterscheidigungskriterien:
1. auch der schmalste und manches Mal vermutlich von Autos nie genutzte Weg ist asphaltiert. Ausnahmen gibt es sehr selten und enden meist auf einem Acker.

2. Ortschaften wurden nie im Tal an Bächen und Flüssen errichtet, ausnahmslos befinden sie sich um irgendeinen Gipfel eines Berges. Ich frage mich, wie die Menschen in diesen Städtchen früher, als es noch keine Pumpen gab, an Frischwasser gekommen sind. Straßen werden auch nie um einen Berg herum gebaut, sondern führen immer in den Ort und von dort wieder weg. Daher muss ich auch permanent auf und ab laufen. Rauf in einen Ort runter an an das Flüsschen und wieder rauf in den nächsten Ort.

Die heutige Herausforderung ist der Wind, der böig bis Sturmstärke erreicht. Mal kommt er direkt von vorne mal von der Seite. Dieser Starkwind, kommt er von vorne, ist wie bergauf laufen. Ich muss gegen ihn ankämpfen. Kommt er von der Seite, muss ich aufpassen, dass er mich nicht umhaut. Oft habe ich das Gefühl, ich laufe zick zack. Kommt ein Fahrzeug, muss ich aufpassen, nicht in die Mitte der Fahrbahn gedrückt zu werden.
Nach knapp 600 Höhenmeter und knapp 30 Kilometer bin ich an meinem Ziel angekommen. In dem Gebilde aus B&B und Restaurant – es ist Sonntag, weshalb noch Mittagsgäste aus Neapel um kurz vor vier speisen – werde ich von einem Deutsch sprechenden Kellner mit der Frage angesprochen, ob ich Deutsch spreche.
Er ist in Oberfranken aufgewachsen, wo noch immer seine Eltern und Geschwister leben. Er ist, bevor seine Kinder in die Schule gekommen sind, zurück in seinen Heimatort gezogen. Der gute Mann hat Rede Bedarf. Also höre ich ihm bestimmt eine halbe Stunde zu und kenne nun seine komplette Lebensgeschichte einschließlich, dass er sich, obwohl er in Deutschland immer der Italiener ist, eher als Deutscher als ein Italiener fühlt.
Der Betrieb beeindruckt mich, nicht wegen des „Deutschen“ Kellners, sondern wegen des Restaurants. Ich bin, wie so häufig, der erste im Restaurant und bestelle eine Pasta mit frischen Steinpilzen und einem Hähnchen. Alles ist sehr lecker. Ab halb neun ist das Restaurant voll. Alle essen Pizza oder entsprechende Varianten. Den Pizzabäckern, es sind zwei Mitarbeiter, kann ich beim Pizza backen zu schauen. Das ist eine beeindruckende Fließbandarbeit. Bis etwa viertel nach neuen machen die beiden pausenlos eine Pizza nach der anderen in verschiedenen Größen und Abarten, die entweder im Restaurant gegessen oder abgeholt werden.
Bei den beiden sitzt jeder Handgriff. Es ist ein bis ins letzte eingeübter Prozess. Der erste formt die Pizza auf einem etwa 2 Meter langen Tisch in einem Berg von Semola. Teigling rausholen, einstäuben, platt drücken, Formen durch ziehen und drehen in einer Bewegung über die Tischlänge von einer zu anderen Seite (Richtung Pizzaofen). Dann belegt er die Pizza mit allem was mit in den den Ofen soll. Der zweite nimmt die fertige Pizza und schiebt sie in den Ofen. Es befinden sich je nach Größe bis zu vier Pizzen gleichzeitig im Ofen. Er holt sie raus und belegt sie mit den Sachen, die nicht in den Ofen dürfen. Nebenher schnipselt er Tomaten, bereitet Ruccola und Ähnliches mehr vor. Dann kommt die Pizza entweder auf einen Teller oder wird zur Abholung verpackt. Hier sitzt jeder Handgriff.
Der Wahlspruch des Restaurants ist entsprechend: „… il segreto di una buona pizza? …è segreto“.
Wenn ich die Pizzen sehe, habe ich heute Abend eine Fehlentscheidung getroffen. Ich hätte Pizza essen müssen. Denn nicht nur der Prozess beeindruckt mich auch das Aussehen der riesigen Teile. Da läuft mir, obwohl ich satt bin, das Wasser im Mund zusammen —> entsprechend bestelle ich noch eine „Mini-Pizza“.
