Tag 9 ‚ 21.10.25: Lauria Superiore – Tenuta Le Casicine (Casalbuono)

Wenn Du meinst, Du bist oben, ist meist noch nicht oben

Im B&B hat ein älteres Paar, das sicherlich 5-10 Jahre jünger ist als ich, aus Deutschland übernachtet. Die beiden treffe ich beim Frühstück. Sie sind, als ich aus meinem Zimmer komme, schon eine geraume Zeit dabei, sich die trockenen Backwaren einzuverleiben. Ich frage sie, aufgrund ihrer Kleidung das Offensichtliche, ob sie mit dem Fahrrad unterwegs seien. Sie sind auf dem Weg nach Lamezia Therme und berichten ganz begeistert vom gestrigen Tag. Sie seinen auf einer aufgelassenen Bahnstrecke hierher geradelt und das sei landschaftlich hinreißend gewesen.

Ich ziehe dann mit einem trockenen Brioche im Bauch los, was mich nicht sehr stört, da ich noch Zahnpasta einkaufen muss und ich beabsichtige, mir wieder ein Panini con Prosciutto Cotta machen zu lassen, das ich für später einstecken werde.

Lauria klebt zur Ostseite an einem Berg. Den muss ich weit hoch. Mir war gar nicht klar, dass ich gestern so weit abgestiegen bin. Aber es gibt keinen anderen Weg: den Berg muss ich hoch schnaufen. Als ich das geschafft habe, bin ich oben in einem kleinen Örtchen, mit einer zentral gelegenen Bar. Dort gönne ich mir erstmal einen guten Espresso, bevor ich dann auf dem Hochplateau Richtung Norden weiterlaufe. Ich liege falsch, der Ort ist noch lange nicht oben. Heute werde ich immer wieder getäuscht. Einige Male denke ich, nun bist Du oben. Dabei ist es doch relativ einfach festzustellen, ob man oben ist: läuft man in einem Schatten, kann man nicht oben sein. Oben ist, wo die Sonne scheint, von allen Seiten. Ist schon klar, solange es natürlich nicht bewölkt ist.

Als ich mal wieder sicher bin, oben zu sein, treffe ich auf einen sehr schön angelegten Weg. Da er sich durch die Berge schlängelt und eine gute Autobreite hat, gehe ich zunächst davon aus, dass es sich um die alte Passstraße handelt, die man aber nicht hat einfach verfallen lassen, sondern neu betoniert und als Wanderweg hergerichtet hat. Der Weg führt immer mal wieder durch kurze unbeleuchtete und in unbelüftete Tunnel, so wie ich sie von der Ligurischen Küste kenne. Da musste man bei Einfahrt hupen, um der Gegenrichtung zu signalisieren, nicht einzufahren sondern zu warten, da die Breite für zwei Fahrzeuge nicht ausreicht

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Verwundert bin ich nur, als ich wieder auf einen Tunnel treffe, der allerdings knapp 1,6 Kilometer lang ist. Da funktioniert die Huptechnik ganz sicher nicht. Als ich in den Tunnel marschiere, muss ich erstmal meine Stirnlampe aus dem Rucksack holen. Denn sehr schnell ist es stockfinster. Mit dem Handy zu leuchten, macht keinen Sinn, da ich schnell überschlage, dass ich etwas mehr als 18 Minuten durch den Tunnel brauchen werde. Ganz schön spooky. Solange braucht man nicht einmal, um durch den Gottardtunnel zu fahren. Der ist 18 Kilometer lang und man darf 80 km/h fahren.

In dem Tunnel ist es sehr feucht. Über lange Strecken plumpsen immer wieder fette Kondenswassertropfen von der Tunneldeckel auf mich herunter. Diese Feuchtigkeit erzeugt eine unangenehme Kondenskälte, die durch meine Kleidung dringt, obwohl ich mich zügig vorwärts bewege. Entsprechend bin ich froh, als mich am Ende des Tunnels die Sonne in die Arme nimmt und schnell wieder aufwärmt.

Kurze Zeit später passiere ich ein Bahnhofsgebäude. Auf ein Gebäudeteil hat ein Künstler eine alte Bahn gezeichnet, die mich an ein Kinderbuch aus meiner Kindheit erinnert. Jetzt verstehe ich erst, dass die Passstraße keine Passstraße sondern die Bahnlinie ist, von der die Radfahrer heute Morgen erzählt haben. Ich kann bestätigen, dass die Landschaft abwechslungsreich ist und in der Sonne lieblich wirkt.

Das ändert sich sehr schnell. Die Bahnstrecke fällt stark ab und endet in Lagonegro. Der tiefste Bereich von Lagonegro, wohin mich der Weg führt, ist etwa 300 Meter tiefer als der obere Bereich, wo ich wieder hin muss. Erst geht es also beim Abstieg in das dunkle sonnenlose Loch in die Knie und anschließend müssen Po- und Oberschenkelmuskulatur mich wieder nach oben arbeiten. Dort ist es nun auch dunkel. Die Sonne ist weg und schwarze Wolken sind in die Berge gezogen. Ich bin gerade am höchsten Punkt des Städtchens angekommen, da fängt es in weiter Ferne an zu Gewittern und hier beginnt es zu tröpfeln. Es dauert aber nur wenige Minuten bis das Gewitter so nah ist, dass aus dem Tröpfeln Regen wird.

Mehr als 15 Kilometer, fast die Hälfte der gesamten Strecke, begleitet mich der Regen. Trief nass komme ich bei meiner Unterkunft einer Tenuta an. Ich bin davon ausgegangen, dass hier zahlreiche Leute arbeiten und jemand von ihnen mich sofort in Empfang nimmt. Hier ist alles zu; es ist menschenleer. Ich versuche ein trockenes Plätzchen zu finden, damit ich die Email mit der Telefonnummer raus suchen und anrufen kann. Das entpuppt sich als schwierig auf dem nassen Display. Dann schaffe ich‘s. Es klingelt und eine Frau, die selbstverständlich nur italienisch spricht, geht dran. Trotz der Sprachbarriere versteht sie schnell, dass ihr Übernachtungsgast angekommen ist. Sie scheint, im Haus zu rumzuwuseln, da sie nur wenige Minuten braucht, um mir aufzumachen.

Ich bin ihr einziger Gast. Ich bekomme beim Eichecken die klare Anweisung, gegessen wird um 19:30 Uhr. Auch im Restaurant bin ich den ganzen Abend ihr einziger Gast. Als ich bei Zeiten runter ins Restaurant komme, hat sie mir einen Tisch direkt am Kamin zurecht gemacht, in dem ein wärmespendendes Feuer lodert und mich schnell erwärmt. Das ist mir in dem einfachen Zimmer, das nur aus harten Materialien besteht, nicht gelungen. Die Lüftung habe ich zwar auf 28 Grad stehen und es kommt auch warme Luft raus, das Zimmer bleibt trotzdem unangenehm kühl.

Die Wirtin ist ganz alleine. Sie macht die Küche und bedient mich auch. Sie gustierte meine Essensauswahl und gibt sich mit dem Essen Mühe. Es gibt regionale Hausmannskost. Ich wähle zum Start eine Gerstensuppe, die durch Bohnen und anderem Gemüse angereichert ist. Anschließend esse ich Kalbsfleisch geschmort mit Steinpilzen und da zu einen gemischten Salat. Dessert muss ich heute nehmen, eine Zitronenrolle, die sie selbst gemacht und tüchtig angepriesen hat.

Mein Wettercheck – ich geb zwar nicht mehr viel auf den Wetterforecast für die Region, da ich das Gefühl habe der ändert sich stündlich grundlegend – erzählt für die nächsten Tage Regen. Ich hatte noch auf keiner Wanderung so viel Regen wie diesmal. Der Regen geht mir echt auf den Senkel.

Tag 7: 14.06.19

 

Castelluccio dei Sauri —> Stornara

Heute Morgen ist es deutlich wärmer als bisher, die Temperatur liegt bereits bei 27 Grad Celcius als ich starte. Trotzdem komme ich schnell voran und erreiche schon kurz nach halb zehn Ordona, Das waren knapp 15 Kilometer. Erste Aktivität in Ordona: ich gehe in die hiesige Apotheke, um meinen Bestand an Compeed aufzustocken. Das ist vergeblich – kennt man nicht, hat man nicht. 

Also suche ich die einzige Bar von Ordona auf. Alle Außenplätze sind in der Sonne. Auch wenn ich das eigentlich mag, setze ich mich innen an einen Tisch und breit mich aus. Damit die Füße trocken bleiben, ziehe ich die Schuhe aus, sobald ich meinen Rucksack auf einen Stuhl platziert habe. Dann bestelle ich Panini: heute gibt es nur Mini-Brötchen und von denen brauche ich jetzt mindestens drei. Später esse ich noch einen Donut. 

Hinter Ordona ändert sich der Ackerbau. Es gibt vermehrt Olivenbäume und große Weinäcker. Die Reben sind mal mehr und mal weniger gepflegt. Die Olivenbäume sind alle für die Ernte vorbereitet. Entsprechende Netze sind auf Leinen entlang Olivenbaum Reihen gespannt und müssen zur Ernte nur noch ausgerollt werden. 

Unter einer Gruppe von Olivenbäumen mache ich es mir gemütlich und schlafe ein Runde im Schatten, den die Bäume spenden. Gut erholt starte ich eine Stunde später. jetzt muss ich nur noch gut sechs Kilometer pilgern bis zu meiner heutigen Unterkunft vor den Toren Stornaras auf einem Bauernhof. Hier mache ich es mir gemütlich, nach dem ich Wäsche und mich gewaschen habe. 

Später schlendere ich in der unbeschreiblichen Hitze, um möglichst nicht ins Schwitzen zu kommen in den Ort. Ich muss Bargeld „tanken“, hinreichend Wasser für Morgen besorgen und will mal schauen, ob ich Compeed in eine der beiden Apotheken des Städtchens bekomme. Nach erfolgreichen Besorgungen, einem Eis und einem Café in einer Bar, zockele ich genauso langsam in der sengenden Sonne wieder zurück zum Bauernhof. Mir graut schon vor heute Abend, wenn ich mir ein Restaurant suchen muss vor der Hitze.

Heute ist meine erste Woche rum. Geschafft habe ich knapp 200 km. Das ist unter dem mir selbst gesetzten Durchschnitt von etwa 32 km pro Tag. Aber ich habe mich jetzt an die klimatischen Bedingungen gewöhnt und mein Körper geht mittlerweile ganz gut damit um. Meinen Füßen geht es auch eigentlich ganz gut. Blasen habe ich nur am rechten Fuß und sie sind am abheilen. Also steht nichts im Wege, die noch fehlenden 470 km in den nächsten beiden Wochen zu schaffen.