Tag 10 – 22.10.25: Tenuta Le Casicine – Sala Consilina

Ein Flussbett wird zum Pilgerweg

Wie nicht anders zu erwarten, ist meine Wäsche nicht getrocknet. Gut, dass ich ein zweites Set dabei habe. Mein Beutel fürs Essen muss heute für die feuchte Wäsche herhalten und das Essen packe ich zum Toilettenpapier.

Meine wortkarge und doch freundliche Wirtin wartet schon mit dem Frühstück auf mich. Typisch italienisch bekomme ich auch hier einen Cappuccino und ein Cornetto gefüllt mit Schokolade, dazu Honig und Aprikosenmarmelade.

Kurz darauf bin ich zurück auf der Straße. Sie ist, das ist mir im Regen gestern nicht aufgefallen, neu gemacht. Trotzdem kommen auf 2,5 Kilometer gerade mal drei Autos an mir vorbei. Die beiden Fahrerinnen/Fahrer der beiden entgegenkommenden Autos telefonieren, natürlich mit Handy in der Hand bzw. am Ohr. Ich habe den Eindruck, dass in Italien nicht bekannt ist, dass es bereits seit 30 Jahren Freisprechanlagen gibt. Zumindest nutzt keiner diese. Auto zu fahren, ohne zu telefonieren geht in Italien nicht. Ich vermute, die Autos springen ohne Telefonat nicht an bzw. gehen sofort wieder aus. Deshalb wandere ich nicht so gerne auf Straßen, selbst wenn kaum ein Auto unterwegs ist. Die Aufmerksamkeit ist eher bescheiden, was ich an den häufigen hektischen Ausweichmanövern festmache.

Nach zwei Kilometern wechsele ich an der Ponte del Re von der Straße auf die aufgelassene Bahnstrecke, die ich gestern bereits beschrieben hatte. Die Ponte del Re ist eine Brücke der alten Passstraße. Diese ist zur Zeit gesperrt, weil der Baucontainer für die Renovierung der neuen Brücke, den Durchgang versperrt. Die cleveren Bauarbeiter bei der neuen zu renovierenden Brücke haben den Zugang zur „Bahnlinie“ auch mit Bauzäunen abgesperrt. Ich muss daher erst mal ein Machtwort sprechen, damit die mich durchlassen und den Bauzaun öffnen.

Bei dem geringen Verkehr hätte man natürlich die Fahrzeuge über die alte Brücken leiten, statt einspurig mit Ampelschaltung über die Neue. Durch den Aufbau behindert man den Verkehr und die Arbeiten zur Renovierung. Ich muss mir schon klar machen, dass dies nicht meine „Baustelle“ ist und ich mich deshalb über diese Ungeschicklichkeiten nicht aufregen brauche.

Trotz leichten Nieseln ist es toll, auf der Bahntrasse entlang eines traumhaft schönen Flüsschens zu marschieren. Leider endet die Trasse nach etwa fünf Kilometern und der Weg geht zunächst in einen Wiesenweg über. Nach der Beschilderung bin auf dem Camino del Negro gelandet. Man scheint die Gewohnheit zu haben, jeden Weg, der nicht gleichzeitig Straße ist, als Camino zu bezeichnen.

Auf den Schildern, die den Weg als Camino del Negro ausweisen ist auch ein QR Code, der auf eine gut gemachte Webseite verweist. Dort kann Mann sich u. a. die GPS Daten herunterladen. Das ändert nur nichts an der mangelnden Qualität des Weges.

Zunächst kommt mir eine Schafherde entgegen, die wohl häufiger auf dem Weg unterwegs ist, da er voller Schafskot ist. Dann wird der Weg zu einem Pfad. Es dauert nicht lang und der Weg ist zugewuchert aber dennoch erkennbar. Das ist in Italien nicht ungewöhnlich. Kurz darauf ist der Weg weg. Ich kann zwar Wegmarkierungen erkennen, ein Weiterlaufen ist völlig unmöglich, vor allem wegen meiner „Lieblingspflanze“ der Brombeere. Bei der Camino del Negro Organisation weiß man wohl nicht, dass man mindestens einmal im Jahr nach des Hauptvegetationsschubes Wege abgehen und und von unliebsamen Zuwucherungen befreien muss. Hier schaltet ich mich nun doch ein und schreibe der Organisation eine Email.

Was ist zu tun: etwas abseits des Weges gibt es ein Flüsschen, das in diesem Bereich Richtung Süden fließt, falls es hinreichend Wasser führt. Trotz des Regens ist das Flussbett meist trocken. Also pilgere ich das Flussbett bergan. Das ist nicht immer vergnüglich, da entweder tiefer Sand oder große, feuchte, rutschigen Steine den Untergrund bilden. Ich muss arg aufpassen, mir nicht die Knöchel oder die Unterschenkel anzuhauen. Der Sand rieselt mir von oben in die Schuhe und reibt tüchtig auf der Haut. Ich komme nur langsam vorwärts. Über dem Flussbett liegen immer wieder umgefallene Bäume und behindern meine Vorwärtskommen zusätzlich.

Oben angekommen wird aus dem Flussbett ein nach Norden fließender Bach. Das Bachbett ist nicht breit und damit das Wasser tief. Hier geht es definitiv nicht weiter. Ich suche auf meiner App, wo sich der eigentliche Weg befindet, um zu schauen, ob ich mich dahin durchschlagen kann und er wieder begehbar ist. Bevor ich den Weg finde, treffe ich auf einen Acker. Am Rain des Ackers später Feldes kann ich weiter laufen bis ich an eine Brücke über den Bach auf einen Feldweg stoße. Jetzt muss mir im Bach erstmal die Füße waschen und die Schuhe vom Lehm befreien. Mit Kiesel freien Schuhen läuft es sich doch besser.

Als ich wieder auf eine Straße treffe, entscheide ich mich, dieser bis in den nächsten Ort zu folgen, da ich genug von der „Wildnis“ habe.

Auf der Straße komme ich gut voran und passiere einen der typischen italienischen Friedhöfe gigantischem Ausmaßes verglichen mit dem kleinen Ort (weniger als 1.200 Einwohner) und sehr hohen Totenhäusern, wie auch immer diese Bauwerke genannt werden, in die die Särge geschoben werden.

Gegen Mittag hört der Regen auf. Es bleibt aber trist. Jetzt wegen der Umgebung. Ich laufe durch Industrie und Gewerbe geprägte Ortschaften. Verstärkt wird der öde Eindruck durch den Müll, der überall rumliegt.

Um mich abzulenken, mache ich einige Telefonate. Obwohl ich wieder mehr als 30 Kilometer wandere und der sonstigen Handy Nutzung, hält der Akku des neuen IPhones durch. Das ist das erste IPhone, das bisher an keinem Wandertag schlapp gemacht hat. Das erfreut mich doch sehr.

Am Nachmittag erreiche ich Sala Consilina. Mein B&B liegt weit oben in der Oberstadt. Ummelden zu erreichen, muss ich die Hauptstraße durch den Ort nehmen. Das ist so trostlos wie zuvor die Industriegebiete, weil vermutlich jedes dritte Haus an der Straße verlassen ist oder, wie man aus der Abverkaufswerbung einzelner Geschäfte entnehmen kann, verlassen wird. Die leeren Häuser sind oft bereits verfallen, andere sind in einem erbärmlichen Zustand. Mir schwant schlimmes bzgl. meines B&B.

Umso überraschter bin ich, als ich bereits an der Straße von einem jungen Mann erwartet werde und zu einem Haus in zweiter Reihe geführt werde, das sich in einem geradezu hervorragenden Zustand befindet. Das gilt auch für das Zimmer und die sanitären Einrichtungen.

Der negative Eindruck, den ich bei der Anreise von Sala Consilina bekommen habe, verstärkt sich, als ich zum Essen das Haus verlasse. Fast alle Restaurants und Pizzerien, die in Google Maps verzeichnet sind, sind dauerhaft verschlossen. Es gibt viele dunkle Ecken, die kein gutes Bild über die Stadt zulassen. Nach einem guten Kilometer gibt es eine leere sehr große Pizzeria. Die Pizza ist dann wieder fantastisch: so wie ich das aus DER Pizzaregion auch nicht anders erwarte.

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